Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Verheiratete Seeleute, die während längerer Schiffsliegezeiten regelmäßig mit dem PKW von der Familienwohnung zum Dienst auf dem Schiff fahren, können die Fahrtkosten gemäß §§ 9 Ziff. 4 EStG (20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV) als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte behandeln.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) war im Jahr 1962 Schiffsoffizier einer deutschen Schiffahrtsgesellschaft. Seine Familie (Ehefrau und ein Kind) wohnt in A. Der Stpfl. begehrte im Lohnsteuerjahresausgleich 1962 seine Aufwendungen für Fahrten mit dem eigenen PKW zwischen den Schiffsliegeplätzen B, C und A und seiner Wohnung mit 1.669 DM als Werbungskosten anzusetzen.
Die Ausgaben je Fahrtkilometer setzte er dabei mit 0,25 DM an.
Das Finanzamt (FA) betrachtete die Fahrten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und ließ nur einen Betrag von (2.596 DM x 0,25 =) 649 DM zum Abzug zu.
Im Einspruchsverfahren änderte das FA seine Rechtsauffassung und behandelte die Fahrten als Familienheimfahrten. Es berücksichtigte nur noch einen Betrag von 351 DM.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Während der Schiffsliegezeit in A, B und C sei der Stpfl. tagsüber an Bord gewesen; abends sei er zu seiner Familie heimgekehrt. Diese Fahrten seien keine Familienheimfahrten im Sinne des Abschnitts 26 LStR 1960, sondern Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach §§ 9 Ziff. 4 EStG (20 Abs. 2 LStDV 1962). "Wohnung" im Sinne dieser Bestimmungen sei während der Schiffsliegezeiten die Familienwohnung und nicht das Schiff gewesen.
Das FA rügt mit der Revision unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts, vor allem dadurch, daß das FG die Fahrtkosten für 14 Fahrten in der Zeit vom 12. bis 19. November 1962 anerkannt habe, obwohl der Stpfl. für die sechs zusätzlichen Fahrten keine besonderen Gründe angegeben habe.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Der Stpfl. beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das FG hat zu Recht die Kosten des PKW als Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach §§ 9 Ziff. 4 EStG (20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1962) angesehen. Die Arbeitsstätte des Stpfl. war das Schiff; denn hier hatte der Stpfl. auf hoher See und während der Schiffsliegezeiten als Schiffsoffizier seinen Dienst zu versehen. "Wohnung" ist der Ort, von dem aus sich der Arbeitnehmer regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte begibt (Urteile des Senats VI 200/61 U vom 10. August 1962, BStBl 1962 III S. 453, Slg. Bd. 57 S. 512; VI 257/62 vom 12. Juli 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, § 9 Ziff. 4 EStG, Rechtsspruch 31, Der Betrieb 1963 S. 1343; Abschnitt 25 Abs. 3 LStR 1960). Die "Wohnung" hatte der Stpfl. bei seiner Familie in A, weil er von hier aus während der Schiffsliegezeiten regelmäßig morgens zum Schiff fuhr und von dort abends wieder zu seiner Familie heimkehrte. Verheiratete Seeleute, die von den Schiffsanliegeplätzen während einer gewissen Dauer regelmäßig zur Familienwohnung heimkehren, haben während dieser Zeit auf dem Schiff keine "Wohnung" im Sinne der §§ 9 Ziff. 4 EStG (20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV). Das Schiff bietet ihnen auf hoher See zwar eine Unterkunft, weil sie während dieser Zeit nicht nach Hause fahren können. Diese Unterkunft hat aber mehr den Charakter einer Notunterkunft, auch für Schiffsoffiziere, die zwar im Gegensatz zu den Matrosen auf dem Schiff ein eigenes, bescheiden eingerichtetes Zimmer haben, das aber in erster Linie ein Arbeitsraum für dienstliche Aufgaben ist.
Anders ist es bei Seeleuten, die unverheiratet sind oder die von den Schiffsliegeplätzen nicht regelmäßig zu ihrer weit entfernten Familienwohnung fahren können. Da diese Seeleute keine und keine täglich erreichbare Familienwohnung haben, können sie ihre "Wohnung" im Sinne der §§ 9 Ziff. 4 EStG (20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV) nur an Bord des Schiffes haben. Sie können, wenn sie verheiratet sind, die Fahrtkosten für "Familienheimfahrten" nach den Grundsätzen des Urteils VI 219/64 vom 18. Februar 1966 (BStBl 1966 III S. 386) als Werbungskosten geltend machen. Unverheiratete Seeleute können nur die notwendigen Fahrtauslagen zur Beaufsichtigung der eigenen Wohnung als Werbungskosten absetzen (Urteil des Senats VI 143/60 U vom 11. August 1961, BStBl 1961 III S. 509, Slg. Bd. 73 S. 669).
Demnach ist der rechtlichen Beurteilung des FG grundsätzlich beizutreten. Die Vorentscheidung ist aber wegen der Berechnung der Fahrtkosten aufzuheben, weil das FG anscheinend versehentlich gemäß den Aufgaben des Stpfl. für die Zeit vom 12. November bis 19. November, also für acht Tage, 14 Fahrten als Werbungskosten angesetzt hat. Mehrere Heimfahrten an einem Arbeitstag sind jedoch nach § 20 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 3 LStDV durch den Pauschsatz von 0,50 DM je Entfernungskilometer mit abgegolten (z. B. Urteile des BFH VI 159/58 S vom 18. März 1960, BStBl 1960 III S. 255, Slg. Bd. 71 S. 21; VI 9/60 U vom 29. April 1960, BStBl 1960 III S. 258, Slg. Bd. 71 S. 33). Das FG muß prüfen, ob der Stpfl. etwa versehentlich die Arbeitstage unrichtig gezählt hat.
Entgegen der Auffassung des FA bedeutet es keinen Rechtsverstoß, wenn das FG auch die Fahrtkosten für eine Entfernung von mehr als 40 km anerkannt hat. Es war dem Stpfl. nicht zuzumuten und sogar unmöglich, seine Familienwohnung für die kurzen Schiffsanliegezeiten jeweils zu verlegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Pauschsätze des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV auch anwendbar sind, wenn aus zwingenden persönlichen Gründen Wohnung und Arbeitsstätte mehr als 40 km voneinander entfernt liegen. Denn auch wenn man diese Frage verneinte, bestehen hier wohl keine Bedenken, in Anlehnung an Abschnitt 21 Abs. 6 und 10 LStR im Wege der Schätzung einen Kilometersatz von 0,25 DM anzusetzen, so daß beide Berechnungsmethoden zu demselben Ergebnis führten.
Fundstellen
Haufe-Index 412014 |
BStBl III 1966, 470 |
BFHE 1966, 512 |
BFHE 85, 512 |