Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Erlasses (bzw. der Erstattung) von Mineralölsteuer im Billigkeitswege nach Nr. 1 A 2 des Dritten Teils, Zweiter Abschn. der Richtlinien des Bundesministers der Finanzen vom 7. Dezember 1963 (BZBl 1953 S. 810), wenn bereits versteuertes Mineralöl in ein Steuerlager aufgenommen und dadurch erneut mit einer bedingten Steuerschuld belastet worden ist.
Normenkette
MinöStG § 15 Abs. 2 Nr. 4; MinöStDV § 36 Abs. 2; AO § 131; Richtlinien des Bundesministers der Finanzen vom 7. Dezember 1953, BZBl 1953 S. 810 ff.
Tatbestand
Die Klägerin, die mit Mineralölen handelt, ließ im November 1962 durch einen Spediteur Super-Kraftstoff von A nach B schaffen und dort bei der Firma B einlagern. Obwohl unversteuertes Benzin geliefert werden sollte, erhielt der Spediteuer von der Raffinerie versteuerten Kraftstoff. Die Firma B nahm den Kraftstoff in ihr Steuerlager auf, meldete ihn nach Entnahme zur Versteuerung an und entrichtete die Mineralölsteuer.
Mit diesem Betrag belastete sie die Klägerin und trat ihr einen etwaigen Erstattungsanspruch ab.
Seit Mai 1963 betrieb die Klägerin das Verfahren auf Erstattung der Mineralölsteuer im Billigkeitswege. Der Antrag wurde vom Hauptzollamt (HZA) abgelehnt, die Beschwerde von der Oberfinanzdirektion (OFD) als unbegründet zurückgewiesen. Die OFD vertrat den Standpunkt, ein Erlaß oder eine Erstattung der Mineralölsteuer aus Billigkeitsgründen komme nach den Richtlinien des Bundesministers der Finanzen für die Anwendung des § 131 AO auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern (Bundeszollblatt 1953 S. 810 ff. – BZBl 1953, 810 ff. –) Dritter Teil, Zweiter Abschn. Nr. 1 A 3 nur in Betracht, wenn außergewöhnliche Umstände der Verbringung des Kraftstoffes auf das Steuerlager erfordert hätten oder entschuldbar erscheinen ließen. Das sei hier nicht der Fall.
Die Berufung hatte keinen Erfolg.
In der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde beanstandet die Klägerin die Auslegung der Erlaßrichtlinien des Bundesministers der Finanzen durch die OFD und die Vorinstanz. Die Ablehnung des Erstattungsantrags habe eine Doppelbesteuerung zur Folge gehabt, die sie, die Klägerin, nicht auf ihre Kunden habe abwälzen können. Für diesen Fall sei im Zweiten Abschn., Nr. 1 A 2 der Richtlinien die Erstattung aus Billigkeitsgründen vorgesehen. Die Auffassung der Vorinstanz, im Streitfalle sei die doppelte Besteuerung vom Gesetzgeber gewollt, so daß eine Billigkeitsmaßnahme praktisch die gesetzliche Regelung aufheben würde, sei unzutreffend. Entscheidend sei vielmehr, daß hier der Kraftstoff zweimal besteuert worden sei und daß die doppelte steuerliche Belastung nicht auf den Verbraucher habe abgewälzt werden können. Infolgedessen sei ein Härteausgleich im Billigkeitswege geboten. Der Gesetzgeber habe nicht beabsichtigt, mit der Einbringung von Kraftstoff in ein Steuerlager eine neue Steuerquelle schlechthin zu erschließen. Die Ablehnung des begehrten Erlasses sei daher ermessensfehlerhaft, was die Vorinstanz verkannt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Bei der den Antrag auf Erstattung der Mineralölsteuer aus Billigkeitsgründen ablehnenden Verfügung des HZA handelt es sich ebenso wie bei der diese Verfügung bestätigenden Beschwerdeentscheidung der OFD um Ermessensentscheidungen von Finanzverwaltungsbehörden, bei denen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (vgl. das Urteil VII 22/62 S vom 19. Januar 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 81 S. 572 – BFH 81, 572 –, BStBl 1965 III, 206), die den Steuergerichten zustehende Prüfung sich nur darauf erstrecken kann, ob die durch das Gesetz der Ermessensausübung gesetzten Grenzen eingehalten wurden, sowie darauf, ob kein Ermessensmißbrauch im Sinne einer willkürlichen Handhabung der vom Gesetz gegebenen Ermächtigung vorliegt. Bei dieser Prüfung sind die Steuergerichte nicht befugt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen, weil sie etwa auf Grund einer anderen Beurteilung des an sich mehrere Entscheidungen als vertretbar zulassenden Sachverhalts eine andere Entscheidung für angebrachter halten.
Die Vorinstanz hat die Berufung gegen die Beschwerdeentscheidung zurückgewiesen, weil weder der Fall der Nr. 1 A Ziff. 2 noch der der Nr. 1 A Ziff. 3 des Zweiten Abschn. (Dritter Teil) der Richtlinien des Bundesministers der Finanzen für die Anwendung des § 131 AO auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern vom 7. Dezember 1953 (BZBl 1953, 810 ff.) gegeben sei. Wie der erkennende Senat bereits mehrfach und grundsätzlich ausgesprochen hat (vgl. Urteile V z 181/57 U vom 27. März 1958, BFH 66, 647, BStBl III 1958, 248 und V z 59/58 U vom 20. März 1958, BFH 67, 29, BZBl 1958, 283) sind die Richtlinien zwar für die Finanzgerichte nicht bindend. Die in ihnen entwickelten Grundsätze sind jedoch, da sie den Niederschlag von Rechtsgedanken enthalten, die eine jahrzehntelange Ermessensausübung auf dem Gebiet der Zölle und Verbrauchsteuern aus dem Wesen dieser Abgaben hervorgebracht hat, unter dem Gesichtswinkel der Selbstbindung der Verwaltung auch bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen als Material für die Rechtsfindung nicht ohne Bedeutung.
Die Klägerin erblickt einen Ermessensfehlgebrauch der Verwaltung darin, daß diese das Vorliegen des im Zweiten Abschn. des Dritten Teils der Richtlinien unter Nr. 1 A 2 angeführten Tatbestandes verneint habe. Nach dieser Bestimmung ist der Erlaß (bzw. die Erstattung) einer Verbrauchsteuer aus Billigkeit begründet, wenn die Ablehnung des Antrages eine „Doppelbesteuerung” zur Folge haben würde, es sei denn, daß der Steuerpflichtige auch die nochmals entrichtete oder zu entrichtende Steuer abgewälzt hat oder abwälzen kann. Obgleich dieser Tatbestand hier an sich dem Wortlaut nach gegeben ist, kann die gleichwohl erfolgte Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme nicht als Ermessensmißbrauch angesehen werden; denn in Fällen der vorliegenden Art würde ein Erlaß (bzw. eine Erstattung) auf Grund dieser Nummer der Richtlinien im Widerspruch mit dem Gesetz stehen.
In § 15 Abs. 2 Nr. 4 d des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) ist der Bundesminister der Finanzen ermächtigt worden, zur Durchführung des Gesetzes durch Rechtsverordnung das Nähere über Steuerlager zu bestimmen mit der Maßgabe, daß für versteuertes Mineralöl, das in ein Steuerlager verbracht wird, eine neue bedingte Steuerschuld entsteht. Das Gesetz geht sonach bewußt davon aus, daß die Aufnahme von Mineralöl in ein Steuerlager bereits den Tatbestand der – wenn auch nur bedingten – Steuerpflicht begründet. Auf Grund der Ermächtigung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 d MinöStG bestimmt § 36 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV), daß für Mineralöl, für das keine bedingte Steuerschuld besteht, mit der Aufnahme in das Steuerlager eine bedingte Steuerschuld entsteht. Das hat zur Folge, daß auch bei bereits versteuertem Kraftstoff durch die Aufnahme in das Steuerlager die Steuerschuld nochmals (bedingt) entsteht. Der Grund hierfür liegt letzten Endes darin, daß das Steuerlager, das an sich wegen des damit verbundenen zeitlichen Aufschubs der Entstehung der Steuerpflicht für den Mineralölhandel eine erhebliche Vergünstigung bringt, steuertechnisch nur sehr schwer und umständlich, sowie unter Inkaufnahme erheblicher Unsicherheit zu handhaben wäre, wenn dabei zwischen versteuert und unversteuert eingelagertem Kraftstoff unterschieden werden müßte. Die nach § 36 Abs. 2 MinöStDV unvermeidbare doppelte Besteuerung solchen Mineralöls, das bereits versteuert in das Steuerlager aufgenommen wird, dient somit der Rechtssicherheit, die ebenso wie das Prinzip der Gerechtigkeit wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist und dem sogar gegenüber dem Prinzip der Gerechtigkeit vom Gesetzgeber der Vorrang eingeräumt werden kann, vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 194 ff. – BVerfGE 7, 194 ff. –). Es trifft demnach zwar zu, daß – wie die Klägerin behauptet – es dem Gesetzgeber nicht um die Schaffung einer neuen Steuerquelle ging; daraus kann jedoch nicht hergeleitet werden, daß die Vorschrift nicht anzuwenden wäre. Die im Wege der Rechtsverordnung erlassene Durchführungsvorschrift des § 36 Abs. 2 MinöStDV hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 d MinöStG. Es kommt nicht darauf an, ob der Gesetzgeber oder Verordnungsgeber eine anderweitige Regelung hätte treffen können oder aus Gründen gleich welcher Art hätte treffen sollen (vgl. Urteil des Senats VII 29/64 vom 26. September 1967, BFH 90, 445, BZBl 1968, 212).
Ist aber die doppelte Besteuerung nach Wortlaut und Sinn der gesetzlichen Vorschriften nicht nur in Kauf genommen, sondern aus den genannten Gründen auch beabsichtigt, so steht die Bestimmung in Nr. 1 A 2 des Zweiten Abschn. des Dritten Teils der Richtlinien (Erlaß der Steuer bei „Doppelbesteuerung”, wenn diese nicht abgewälzt wird oder werden kann) in Fällen der hier vorliegenden Art mit dem Gesetz nicht im Einklang; daher kann sich der Steuerpflichtige insofern nicht auf eine Bindung der Verwaltung berufen. Dies würde selbst dann gelten, wenn von der Erlaßmöglichkeit in gleichgelagerten Fällen Gebrauch gemacht worden wäre, da Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) lediglich einen Anspruch auf Gleichheit „vor dem Gesetz” begründet und eine unterschiedliche Behandlung in der Anwendung des Rechts verbietet, nicht hingegen einen Anspruch auf Gleichbehandlung etwa um deswillen begründet, weil in gleichgelagerten Fällen entgegen der objektiven Rechtslage entschieden worden ist (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts II C 71.55 vom 4. Mai 1956, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 5 S. 1; Bachof, Juristenzeitung 1962 S. 402, Ziff. 52; „Keine Gleichheit im Unrecht”). Auch bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen ist der Senat gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden; er hat nicht darüber zu befinden, ob und inwieweit das gesetzlich vorgeschriebene Besteuerungsverfahren bei Verwendung von Steuerlagern zweckmäßig oder änderungsbedürftig ist.
Im übrigen würde die Anwendung der Nr. 1 A 2 (a. a. O.) dazu führen, daß die bei Aufnahme bereits versteuerten Mineralöls in ein Steuerlager nach der gesetzlichen Regelung entstehende doppelte steuerliche Belastung in sämtlichen Fällen im Billigkeitswege wieder ausgeglichen werden müßte. Das aber würde einer Aufhebung der gesetzlichen Vorschriften gleichkommen und den der Verwaltung in § 131 AO eingeräumten Ermessensspielraum überschreiten, ganz abgesehen davon, daß ein solches Verfahren des Sinnes entbehren würde.
Die Regelung unter Nr. 1 A 2 des Zweiten Abschn. (Dritter Teil) der Richtlinien scheidet daher, worin der Vorinstanz beizutreten ist, als Grundlage für eine Erstattung aus Billigkeitsgründen aus.
Auch auf Nr. 1 A 3 (a. a. O.) kann sich die Klägerin nicht berufen.
Soweit die Vorinstanz hinsichtlich der Frage, ob außergewöhnliche Umstände vorlagen, die das Verbringen des versteuerten Mineralöls in das Steuerlager erfordert hätten oder entschuldbar erscheinen ließen, tatsächliche Feststellungen getroffen hat, ist der Senat daran gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Denn diese Feststellungen beruhen weder auf einer Verletzung der Denkgesetze noch einem Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze. Auf etwaige Verfahrensmängel aber kann sich die Klägerin nicht mehr berufen, da diese innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 289, 290 AO a. F.) geltend zu machen gewesen waren. Soweit bei dem festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände verneint hat, ist ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.
Da die Vorinstanz demnach zu Recht einen Ermessensmißbrauch der Verwaltung bei der Ablehnung einer Erstattung verneint hat, war die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 514618 |
BFHE 1968, 114 |