Leitsatz (amtlich)
Die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG ist auf Ausgleichszahlungen, die ein Kommissionsagent in sinngemäßer Anwendung des § 89b HGB erhält, analog anwendbar.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 1-2, § 24 Nr. 1 Buchst. c
Tatbestand
Streitig ist im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung 1964
a) ob auf Ausgleichszahlungen, die ein Kommissionsagent im Zusammenhang mit der Beendigung seiner Tätigkeit vom Unternehmer in entsprechender Anwendung des § 89b HGB erhält, die Tarifbegünstigung des § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG anwendbar ist und
b) ob die einer KG gewährte Entschädigung den Charakter einer derartigen Ausgleichszahlung hat.
Gegenstand des Unternehmens der KG waren der Import und Export. Am 23. Juni 1954 schloß die KG mit der Firma T., mit der sie schon seit langem in geschäftlicher Verbindung stand, einen schriftlichen Vertrag. Danach übernahm die KG "as an agent in Europe" den Verkauf von T.-Erzeugnisssen für Rechnung und Risiko der T. (Art. 1 des Vertrages).
Die KG, die bei ihrer europäischen Kundschaft im Gegensatz zu T. gut eingeführt war, verkaufte im eigenen Namen. T. lieferte die Waren in europäische Konsignationslager, für deren Überwachung die KG verantwortlich war. Den Verkaufspreis konnte die KG nach oben hin frei vereinbaren; sollte der Preis jedoch den von T. angesetzten Preis zuzüglich bestimmter außerhalb Japans anfallender Kosten unterschreiten, so hatte die KG nach dem Vertrag zuvor die Zustimmung von T. einzuholen (Art. 2 des Vertrages). Der KG oblag das Inkasso (Art. 5 des Vertrages); sie trug das Delkredere. Sie erhielt eine "consignment sale commission" von 5 % des Verkaufspreises (Art. 8 des Vertrages); außerdem wurden ihre Reise- und Bankspesen ersetzt. Sie hatte der T. für jeden verkauften Gegenstand einen Verkaufsbericht mit Angaben über die Käufer, Mengen und Preise zu schicken; sie hatte auch sonstige geeignete Berichte zu liefern (Art. 7 des Vertrages).
Die KG intensivierte den Verkauf der T.-Erzeugnisse in Europa im Laufe der Jahre und schuf ihnen einen festen Kundenstamm. Das sonstige Import- und Exportgeschäft der KG verlor demgegenüber mehr und mehr an Bedeutung.
Im Dezember 1963 teilte T. der KG mit, daß sie das Europageschäft in eigene Hände nehmen wolle und zu diesem Zweck eine deutsche Tochtergesellschaft gründen werde. Im März 1964 fanden zwischen der KG und der T. Verhandlungen statt, die u. a. zu folgender schriftlicher Vereinbarung vom 16. März 1964 führten:
"T. pays to KG
a compensation of DM 130 000,- in relation to the termination of the long lasting business relations."
Das Vertragsverhältnis vom 23. Juni 1954 zwischen der KG und T. endete am 31. Mai 1964. T. zahlte noch 1964 an die KG den Betrag von 130 000 DM.
In ihrer einheitlichen Gewinnfeststellungserklärung für 1964 beantragte die KG für die in den Erträgen enthaltene "Entschädigung T." in Höhe von 130 000 DM eine Steuerermäßigung für außerordentliche Einkünfte gemäß § 24 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 34 EStG.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) setzte im Gewinnfeststellungsbescheid 1964 vom 4. Februar 1966 den Gewinn der KG auf 233 738 DM fest und stellte gleichzeitig fest, daß darin keine Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG enthalten seien, lehnte den Antrag der KG also ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage begehrt die KG (Klägerin) unter Änderung des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides für 1964 festzustellen, daß in dem Gewinn 1964 der KG Entschädigungen im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG in Höhe von 115 110 DM (130 000 ./. 14 450 DM Gewerbesteuerrückstellung und ./. 450 DM Dolmetscherkosten) enthalten sind. Das FG gab der Klage statt. Das FG, dessen Urteil in den EFG 1970 S. 610 veröffentlicht ist, war der Auffassung, daß auf Entschädigungen, die ein Kommissionsagent für die Beendigung des Kommissionsverhältnisses vom Unternehmer erhält, § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG ("Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter nach § 89b HGB") zumindest analog anzuwenden sei, weil auch zivilrechtlich auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kommissionsagenten und dem Unternehmer die Vorschriften des HGB über Handelsvertreter sinngemäß anzuwenden seien, und daß die KG Kommissionsagent gewesen und eine Ausgleichszahlung für die Beendigung des Kommissionsverhältnisses erhalten habe.
Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FA rügt Verletzung materiellen Rechts (§ 24 Nr. 1 EStG), mangelnde Sachaufklärung und Verstöße gegen den Akteninhalt und gegen Erfahrungssätze.
Die KG beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Sind im Einkommen eines Steuerpflichtigen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist auf Antrag die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen (§ 34 Abs. 1 EStG). Als außerordentliche Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift kommen gemäß § 34 Abs. 2 EStG nur in Betracht Veräußerungsgewinne, "Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1" und Nutzungsvergütungen und Zinsen im Sinne des § 24 Ziff. 3. Nach § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG Entschädigungen, die gewährt worden sind "als Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter nach § 89b des Handelsgesetzbuchs".
Es ist anerkannt, daß § 24 Nr. 1 EStG nicht etwa eine besondere Einkunftsart und für diese eine eigene Steuerpflicht begründet; derartige Entschädigungen sind z. B. bei Gewerbetreibenden Betriebseinnahmen und gehen als solche in den Gewinn ein. § 24 Nr. 1 EStG umschreibt lediglich die Voraussetzungen für eine Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 1 EStG. Dem materiellrechtlichen Gehalt nach ist § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG deshalb nur in Verbindung mit § 34 Abs. 1 EStG zu lesen und dahin zu präzisieren, daß für "Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter nach § 89b des Handelsgesetzbuchs" als außerordentliche Einkünfte die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen ist. Demgemäß geht auch der vorliegende Rechtsstreit nur um die Frage, ob die streitigen Zahlungen als "außerordentliche Einkünfte" festzustellen sind und den Gesellschaftern der Klägerin damit bei der Einkommensteuerveranlagung eine Tarifermäßigung zu gewähren ist.
Die Klägerin war nicht Handelsvertreter im Sinne des § 84 HGB. Denn sie verkaufte die Waren ihrer Auftraggeberin zwar für deren Rechnung, nicht aber in deren Namen, sondern im eigenen Namen. Die Klägerin war somit Kommissionär im Sinne von § 383 HGB. Sie war aber als selbständige Gewerbetreibende ständig damit betraut, für Rechnung eines anderen Unternehmens im eigenen Namen Waren zu verkaufen; sie war also ein Kommissionär, der - abgesehen vom Handeln im eigenen Namen - wie ein Handelsvertreter tätig ist. Ein derartiger Kommissionär wird als Kommissionsagent oder -vertreter bezeichnet (vgl. zu diesem Begriff z. B. Schröder, Recht der Handelsvertreter, 5. Aufl., HGB § 84 Rdnr. 20).
1. Das FG hat offengelassen, ob sich § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG nur auf Ausgleichszahlungen bezieht, die Handelsvertreter erhalten, oder auch solche Ausgleichszahlungen erfaßt, die auf der Grundlage des § 89b HGB an andere Kaufleute gezahlt werden, deren rechtliche Beziehungen zum Ausgleichsverpflichteten wie die eines Handelsvertreters ausgestaltet und auf die deshalb mindestens teilweise die Vorschriften der §§ 84 ff. HGB sinngemäß anzuwenden sind. Der Revision des FA ist zuzugeben, daß diese Frage im Sinne der ersten Alternative zu beantworten ist. Es ist nicht möglich, § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG dahin auszulegen, daß die Vorschrift auch Ausgleichszahlungen erfaßt, die in sinngemäßer Anwendung des § 89b HGB an andere Kaufleute als Handelsvertreter, z. B. Kommissionsagenten gezahlt werden. Für die Auslegung einer Rechtsnorm gibt der übliche Wortsinn einen Hinweis; der noch mögliche Wortsinn der Norm begrenzt die Auslegungsfähigkeit (Larenz, Methoden der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. S. 304). Der noch mögliche Wortsinn des § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG schließt es aus, diese Vorschrift unmittelbar auch auf Ausgleichszahlungen anzuwenden, die andere Kaufleute als Handelsvertreter erhalten. Das Gesetz spricht nicht nur von Ausgleichszahlungen nach § 89b HGB, sondern ausdrücklich von Ausgleichszahlungen "an Handelsvertreter". Der Begriff des Handelsvertreters ist in § 84 HGB gesetzlich definiert. Diese Legaldefinition begrenzt den noch möglichen Wortsinn, weil ein allgemeiner Sprachgebrauch, der umfassender als die Legaldefinition ist, nicht festzustellen ist. Der allgemeine Sprachgebrauch bedient sich allenfalls der Ausdrücke "Vertreter" oder "Agent" in einem weiterreichenden Sinne, nicht hingegen des gesetzlichen Terminus "Handelsvertreter". Auch aus der handelsrechtlichen Funktion, dem der gesetzlich definierte Begriff des Handelsvertreters dient, läßt sich kein anderer Wortsinn ableiten. Diese Funktion besteht darin auszusagen, auf welche Rechtsverhältnisse die Vorschriften der §§ 85 bis 89a HGB insgesamt anzuwenden sind. Rechtsverhältnisse, auf die nur einzelne dieser Vorschriften sinngemäß anzuwenden sind, können deshalb mit dem Begriff Handelsvertreter nicht unmittelbar angesprochen sein.
2. Der Vorentscheidung ist jedoch darin beizupflichten, daß § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG auf Ausgleichszahlungen, die ein Kommissionsagent in sinngemäßer Anwendung des § 89b HGB erhält, analog anzuwenden ist.
a) Unabdingbare Voraussetzung der analogen Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt, den diese Rechtsnorm nach ihrer durch den noch möglichen Wortsinn begrenzten Auslegung nicht mehr erfaßt, also Voraussetzung einer Rechtsfindung praeter legem ist, daß das Gesetz lückenhaft ist, d.h. keine Regelung für den zu beurteilenden Sachverhalt enthält. Eine Lücke ist eine "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts" (Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz S. 30). Eine Lücke des Gesetzes liegt überall, aber auch nur da vor, "wo es, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung (auf bestimmte Tatbestände) widersprich" (Larenz, a. a. O., S. 357 bis 358), wobei unter die "immanente Teleologie" des Gesetzes "auch der - nicht aus dem Gesetz selbst, sondern aus der Rechtsidee abzuleitende - Gleichbehandlungsgrundsatz fällt" (Canaris, a. a. O., S. 34). Den Gegensatz zum Begriff der Lücke bietet der Begriff des "rechtspolitischen Fehlers", der dann gegeben ist, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig, aber doch nicht - gemessen an der dem Gesetz immanenten Teleologie - als planwidrig unvollständig und ergänzungsbedrüftig erweist (dazu Larenz, a. a. O., S. 353; Canaris, a. a. O., S. 33-34 und S. 73).
b) Die Feststellung, ob eine "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts" oder nur ein "rechtspolitischer Fehler" vorliegt, kann im Einzelfall beträchtliche Schwierigkeiten bereiten, sofern die Materialien des Gesetzes keine zweifelsfreien Hinweise in die eine oder andere Richtung geben. Eine der Methoden zur Klärung dieser Frage ist der Nachweis, daß sich der ungeregelte Fall - gemessen an den Wertungen, die den für den geregelten Fall gültigen Normen zugrunde liegen - dem geregelten Fall als rechtsähnlich erweist. Die Analogie als logisch-teleologisches Schlußverfahren stellt nicht nur ein Mittel zur Ausfüllung von Gesetzeslücken dar, sondern dient auch bereits ihrer Feststellung (Canaris, a. a. O., S. 71 f.). Das bedeutet insbesondere, daß sich die planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes mit Hilfe des Gleichheitssatzes ermitteln läßt und für den dazu erforderlichen Vergleich auf die Wertungen des Gesetzes, also die ratio legis zurückzugreifen ist (Canaris, a. a. O. S. 72).
c) Die Entstehungsgeschichte des § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG bietet zwar keine zweifelsfreien Hinweise darauf, ob die Nichterwähnung von Ausgleichszahlungen an Kommissionsagenten eine Lücke oder ein rechtspolitischer Fehler ist, andererseits aber doch wertvolle Anhaltspunkte für die dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen. Die Vorschrift wurde durch das StÄndG 1961 in das EStG aufgrund eines aus der Mitte des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags gestellten Antrags eingefügt. Im Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses (z u Bundestags-Drucksache III/2706 S. 3) heißt es hierzu wörtlich:
"Handelsvertreter erhalten unter bestimmten Voraussetzungen nach Beendigung des Vertragsverhältnisses im Rahmen des § 89b des Handelsgesetzbuchs Ausgleichszahlungen. Nach der Rechtsprechung sind solche Ausgleichszahlungen nicht allgemein nach § 34 tariflich begünstigt. Der Finanzausschuß ist der Ansicht, daß darin in vielen Fällen eine unbillige Härte liegen kann. Er schlägt deshalb vor, die Ausgleichszahlungen im Sinne des § 89b des Handelsgesetzbuchs in § 24 Ziff. 1 ausdrücklich als Entschädigungen zu benennen, um so ihre tarifliche Begünstigung nach § 34 Abs. 2 Ziff. 2 zu ermöglichen."
Auf der Grundlage der hieraus zu gewinnenden gesetzlichen Wertungen, daß in der Versagung einer Tarifermäßigung für "Ausgleichszahlungen im Sinne des § 89b HGB" (also nicht etwa nur für Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter) "in vielen Fällen eine unbillige Härte liegen kann", erweisen sich der geregelte Fall der Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter und der zu beurteilende Fall der Ausgleichszahlungen an Kommissionsagenten als in einem Maße rechtsähnlich, daß eine Gleichbehandlung geboten erscheint, wie die folgenden Überlegungen zeigen.
d) In der Rechtsprechung des BGH ist seit langem anerkannt, daß auf einen nach außen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung auftretenden Eigenhändler § 89b HGB entsprechend anzuwenden ist, wenn sein Innenverhältnis zum Fabrikanten so ausgestaltet ist und die Gesamtumstände so liegen, "daß er wirtschaftlich dem Erscheinungsbild des vom Gesetzgeber als schutzbedürftig angesehenen Handelsvertreters entspricht" (vgl. insbesondere Urteil des BGH vom 16. Februar 1961 VII ZR 239/59, BGHZ 34, 282/284). Der BGH betont, der Gesetzgeber habe mit § 89b HGB eine Schutzbestimmung für alle Handelsvertreter eingeführt, gleichviel, ob diese im Einzelfall wirtschaftlich abhängig und daher schutzbedürftig sind oder nicht. Der Gesetzgeber sei von der Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters als Berufstyp insgesamt ausgegangen und habe dabei im Interesse der Rechtssicherheit in Kauf genommen, daß durch die auf den typischen Normalfall abgestellte gesetzliche Regelung im Einzelfalle auch Handelsvertreter in den Genuß des Ausgleichs kommen könnten, die nicht schutzbedürftig erscheinen. Solange es um einen Handelsvertreter gehe, komme es daher auf die Frage der konkreten Schutzbedürftigkeit nicht an. Eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB auf andere Personen als Handelsvertreter sei hingegen nur zulässig, "wenn bei ihnen alle Umstände gegeben sind, die einen Handelsvertreter in seinem normalen typischen Erscheinungsbild als schutzbedrüftig erscheinen lassen und bei ihm die Zubilligung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB rechtfertigen" (a. a. O., S. 291). Dazu sei bei einem Eigenhändler z. B. erforderlich, daß er sein Geschäft ohne wesentlichen Kapitaleinsatz geführt habe.
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen § 89b HGB auf Kommissionsagenten entsprechend anzuwenden ist, hat der BGH noch nicht ausdrücklich entschieden. Er führt jedoch in seinem Urteil vom 1. Juni 1964 VII ZR 235/62 (DB 1964 S. 1021) aus, eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB werde beim Kommissionsagenten eher bejaht werden können als beim Eigenhändler. Beim Kommissionsagenten falle nämlich wie beim Handelsvertreter der Kundenstamm bei Vertragsende schon kraft der gesetzlichen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses (vgl. insbesondere § 384 Abs. 2 HGB) dem Lieferanten zu, ohne daß es einer besonderen vertraglichen Verpflichtung zu einer Überlassung bedürfe. Der Kommissionsagent werde auch eher als konkret schutzbedürftig angesehen werden können, weil er in der Regel weit weniger Eigenkapital einzusetzen habe als der Eigenhändler.
Auf der Grundlage dieser zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist davon auszugehen, daß einem Kommissionsagenten jedenfalls dann in entsprechender Anwendung des § 89b HGB ein Ausgleichsanspruch zusteht, wenn er wirtschaftlich dem Erscheinungsbild eines Handelsvertreters entspricht, d. h. konkret schutzbedürftig ist, insbesondere ohne wesentlichen eigenen Kapitaleinsatz arbeitet.
Der Steuergesetzgeber geht, wie ausgeführt, davon aus, daß in der Tarifbesteuerung von Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter eine unbillige Härte liegen kann. Diese Annahme wird noch am ehesten für Ausgleichszahlungen an solche Handelsvertreter zutreffen, die konkret schutzbedürftig sind. Diese Erkenntnis zwingt aber dazu, auch andere Personen als Handelsvertreter, die in entsprechender Anwendung des § 89b HGB Ausgleichszahlungen erhalten, weil sie konkret schutzbedürftig sind, eine Tarifermäßigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG zu gewähren, denn sachlich einleuchtende Gründe für eine Differenzierung fehlen insoweit. Eine solche Differenzierung wäre eher angebracht im Verhältnis zwischen konkret schutzbedürftigen und konkret nicht schutzbedürftigen Handelsvertretern, weil die durch eine wirtschaftliche Abhängigkeit gekennzeichnete Schutzbedürftigkeit gerade ein Gesichtspunkt ist, der steuerliche Tarifermäßigungen rechtfertigen kann, während sich gleiches von der Frage nicht sagen läßt, ob jemand, der für fremde Rechnung Waren verkauft, im fremden oder im eigenen Namen handelt. Dieser einzige Unterschied zwischen einem Handelsvertreter und einem (konkret schutzbedürftigen) Kommissionsagenten muß aus der Sicht der Wertungen, die dem § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG zugrunde liegen, als rechtlich unerheblich angesehen werden.
e) Gegen die hiernach gebotene Analogie läßt sich nicht, wie die Revision des FA will, einwenden, § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG sei eine Ausnahmevorschrift und als solche ihrem Wesen nach einer Analogie nicht zugänglich. In der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre ist heute allgemein anerkannt, daß auch eine Ausnahmevorschrift insoweit analog angewendet werden kann "als das ihr zugrunde liegende - engere - Prinzip seinem Sinn nach Anwendung auf einen nicht ausdrücklich geregelten Fall finden kann; verboten ist dabei nur, dieses Prinzip zu einem allgemeinen zu erheben und so die Ausnahme zur Regel zu verkehren, nicht aber, einem Sondertatbestand einen zweiten rechtsähnlichen Sondertatbestand gleichzustellen" (Canaris, a. a. O., S. 181 mit Nachweisen). Entgegen der Ansicht der Revision geht es aber im Streitfall gerade nicht um ein allgemeines Prinzip, daß größere Zahlungen, die im Zusammenhang mit der Beendigung von Geschäftsbeziehungen geleistet werden, steuerbegünstigt sind - die Gewinnung eines solchen allgemeinen Prinzips durch Analogie zu § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG wäre unzulässig -, sondern um die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG (Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter) auf einen zweiten rechtsähnlichen Sondertatbestand (Ausgleichszahlungen an Kommissionsagenten).
Einer so begrenzten Analogie steht auch nicht entgegen, daß sowohl § 24 Nr. 1 EStG als auch § 34 Abs. 2 EStG nach dem Enumerationsprinzip aufgebaut sind, denn dieses schließt lediglich aus, einen Katalog mit Hilfe einer Generalklausel zu durchbrechen und damit insgesamt gegenstandslos zu machen, hindert aber nicht die Gleichstellung eines rechtsähnlichen Sondertatbestandes (Canaris, a.a. O, S. 185).
Schließlich vermag auch das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Analogie nicht auszuschließen. Auch wenn man davon ausgeht, daß einer Analogie, die den Steuerpflichtigen begünstigt und den Fiskus benachteiligt, das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (in der Ausprägung einer Sicherung eines bestimmten Steueraufkommens) entgegenstehen kann, so muß das Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes doch gegenüber dem Gebot der gerechten und gleichmäßigen Besteuerung mindestens dann zurücktreten, wenn die analoge Anwendung einer - nicht etwa auf wirtschaftspolitischen Zielen, sondern allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen beruhenden - Sondervorschrift auf einen rechtlichen Sondertatbestand in Frage steht.
3. Die Anwendung der zu 1. dargestellten Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ergibt, daß die Vorentscheidung zu Recht ausgesprochen hat, in dem Gewinn der Klägerin seien tarifbegünstigte Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG in Höhe von 115 110 DM enthalten.
a) Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die für den Senat bindend sind, ist davon auszugehen, daß die Klägerin Kommissionsagentin der T. war und sie den Betrag von 130 000 DM zur Abgeltung eines Ausgleichsanspruchs erhielt, der ihr in sinngemäßer Anwendung des § 89b HGB gegen T. zustand. Das FG hat allerdings offengelassen, ob das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und T. dem deutschen Recht unterlegen ist. Das FG meint, auch dann, wenn ausländisches Recht maßgebend gewesen sein sollte, wäre § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG analog anwendbar. Dieser Meinung könnten eventuell gewisse Bedenken entgegenstehen. Eine Versteifung der Frage erübrigt sich jedoch. Denn zu Recht betont das FG, daß nach den Regeln des deutschen internationalen Privatrechts für das Vertragsverhältnis eines inländischen Handelsvertreters oder Kommissionärs mit einem ausländischen Unternehmen kraft mutmaßlichen Parteiwillens deutsches Recht gilt (vgl. Baumbach/Duden, Handelsgesetzbuch, 20. Aufl., § 92c Anm. 3 A; ferner Urteil des BGH vom 16. März 1970 VII ZR 125/68, BGHZ 53, 332). Im Streitfalle ist eine von diesem mutmaßlichen Parteiwillen abweichende Vereinbarung weder behauptet noch sonst ersichtlich.
Auch die übrigen Voraussetzungen für eine sinngemäße Anwendung des § 89b HGB sind erfüllt. Insbesondere hat das FG in einer für den Senat bindenden Weise festgestellt, daß die Klägerin schutzbedürftig im Sinne der Rechtsprechung zur Anwendung von § 89b HGB auf Eigenhändler war.
b) Die Angriffe der Revision gegen die Annahme des FG, die Klägerin habe die Zahlung zur Abgeltung eines Ausgleichsanspruchs erhalten, der ihr in sinngemäßer Anwendung des § 89b HGB zustand, können keinen Erfolg haben. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung ist schon deshalb nicht begründet, weil das FA, wie die Klägerin zu Recht hervorhebt, im Verfahren vor dem FG das Bestehen eines aus einer sinngemäßen Anwendung des § 89b HGB abgeleiteten Ausgleichsanspruchs der Klägerin gegen T. als unstreitig bezeichnet hat. Auf dieser Grundlage konnte das FG ohne zusätzliche Ermittlungen davon ausgehen, daß die Zahlungen der T. an die Klägerin die Erfüllung dieses als unstreitig bezeichneten Anspruchs dienten, solange weder dem Akteninhalt noch dem Sachvortrag der Parteien Anhaltspunkte dafür zu entnehmen waren, daß die Zahlungen Entgelt für andere Leistungen der Klägerin waren. Die zuletzt genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Selbst das Vorbringen des FA in der Revision, die Zahlung sei mutmaßlich die Gegenleistung für die Gewährung der Einsicht in die Geschäftsunterlagen und den Übergang des Personals, kann daran nichts ändern. Das FA verkennt, daß die Klägerin "zur Gewährung der Einsicht in die Geschäftsunterlagen" gesetzlich verpflichtet war (§ 384 Abs. 2 HGB) und für T. daher kein Anlaß bestand, ein Entgelt für die Erfüllung dieser Verpflichtung zu zahlen. Ebenso ist es nicht wahrscheinlich, daß T. für die Übernahme des Personals eine größere Zahlung leistete, denn diese Übernahme mußte der T. als mutmaßliche Folge eines stark verringerten Geschäftsbetriebs der Klägerin ohnehin zufallen.
Fundstellen
Haufe-Index 70808 |
BStBl II 1974, 295 |