Leitsatz (amtlich)
Die bei Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten auf Anzahlungen entrichtete Umsatzsteuer ist auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Aktiengesetzes 1965 nicht zu aktivieren (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Bauunternehmer, versteuerte seine Umsätze im Streitjahr 1964 nach vereinnahmten Entgelten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) erhöhte bei der Einkommensteuerveranlagung den Gewinn durch Aktivierung der auf die Kundenanzahlungen entrichteten Umsatzsteuer in Höhe von 324 745 DM und setzte die Einkommensteuer 1964 durch Bescheid vom 25. Januar 1966 auf 549 965 DM fest. In der Einspruchsentscheidung vom 23. Juli 1971 erhöhte das FA die Einkommensteuer nach einer zwischenzeitlich durchgeführten Betriebsprüfung aus anderen Gründen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO auf 618 780 DM.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus, die Pflicht zur Aktivierung der auf Anzahlungen entrichteten Umsatzsteuer ergebe sich nach der Rechtsprechung des BFH aus zwei Überlegungen. Einmal dürfe bei schwebenden Geschäften, bei denen kein Verlust drohe, ein solcher auch nicht ausgewiesen werden. Zum anderen könne auch ein selbständiges Wirtschaftsgut angenommen werden. Jedenfalls verlange die richtige periodengemäße Aufwandsverteilung die Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens. Die Umsatzsteuerzahlungen enthielten auch wesentliche Merkmale von Vorauszahlungen und seien deshalb ebenso wie diese zu aktivieren. Eine Einschränkung aus § 152 Abs. 9 des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 (AktG 1965), § 5 Abs. 3 EStG 1969 ergebe sich für den Streitfall nicht, da diese Vorschriften hier keine Anwendung fänden.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beruft sich auf das - für die Zeit nach Inkrafttreten des Aktiengesetzes 1965 ergangene - BFH-Urteil vom 19. Juni 1973 I R 206/71 (BFHE 110, 116, BStBl II 1973, 774), in dem für die Umsatzsteuer auf Anzahlungen die Annahme eines Wirtschaftsguts oder eines Rechnungsabgrenzungspostens abgelehnt werde. Er meint, die Rechtslage könne im Streitfall nicht anders beurteilt werden. Unter Rechnungsabgrenzungsposten seien immer schon die "klassischen" transitorischen Posten zu verstehen gewesen (Hinweis auf Döllerer, BB 1965, 326 ff.). Soweit früher auch Rechnungsabgrenzungsposten im weiteren Sinne gebildet worden seien - was er bestreite -, habe es sich um einen Verstoß gegen geschriebenes Recht gehandelt.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1964 unter Berücksichtigung der Steuerabzugsbeträge auf 433 608 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Im Urteil I R 206/71 hat der Senat unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 13. Mai 1958 I 290/56 U, BFHE 67, 154, BStBl III 1958, 331; vom 22. Mai 1958 IV 222/56 U, BFHE 67, 160, BStBl III 1958, 333) entschieden, daß die auf Anzahlungen entrichtete Umsatzsteuer nicht zu aktivieren sei. Er hat dies daraus gefolgert, daß die Umsatzsteuer zu den Vertriebskosten zähle. Die Vertriebskosten gehörten gemäß § 153 Abs. 2 AktG 1965 nicht zu den Herstellungskosten, so daß sie als solche nicht aktivierbar seien. Er hat weiter ausgeführt: Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechnungsabgrenzung oder dem der Entstehung eines Wirtschaftsgutes komme eine Aktivierung nach den Vorschriften der §§ 152 Abs. 9, 153 Abs. 3 AktG 1965 nicht in Betracht, da die Umsatzsteuer weder einen Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Bilanzstichtag darstelle noch im Falle ihres aktiven Ausweises in der Bilanz als ein entgeltlich erworbenes Wirtschaftsgut verstanden werden könne. Die Umsatzsteuer auf Anzahlungen sei ferner nicht als eine Vorauszahlung, als "Anzahlung auf die Anzahlung" anzusehen, weil sie kraft Gesetzes mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstehe, mithin nicht als Vorleistung auf einen schwebenden Vertrag angesehen werden könne. Die Aktivierung ergebe sich schließlich auch nicht aus einem Grundsatz der einheitlichen Behandlung des schwebenden Geschäfts. Einen Grundsatz des Inhalts, daß ganz allgemein Aufwendungen im Rahmen eines schwebenden Geschäfts im Wege der Aktivierung in dasjenige Jahr zu verlagern seien, in dem die Erträge zufließen, gebe es nicht.
2. Die vorstehenden Erwägungen stehen auch im Streitfall einer Aktivierung der Umsatzsteuer entgegen.
a) Bereits in seinen Urteilen I 290/56 U und IV 222/56 U war der BFH von der Zugehörigkeit der entrichteten Umsatzsteuer zu den Vertriebskosten ausgegangen. Er hatte aus diesem Grunde - unter Hinweis auf § 133 Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 AktG 1937 - die Aktivierung bei den Herstellungskosten der zu liefernden Gegenstände abgelehnt. Hieran hält der Senat fest.
b) Die Erwägungen, die den Senat veranlaßten, der Umsatzsteuer im Urteil I R 206/71 die Eigenschaft einer Vorauszahlung abzusprechen, beruhten auf der Vorschrift des § 3 Abs. 5 Nr. 4 a StAnpG. Diese Vorschrift war auch im Streitfall für die Entstehung der Umsatzsteuer maßgebend.
c) Auch die Feststellung im Urteil I R 206/71, daß sich die Aktivierung der Umsatzsteuer nicht aus einem Grundsatz der einheitlichen Behandlung des schwebenden Geschäfts ergebe, beruht nicht auf der Änderung der aktienrechtlichen Bestimmungen über die Rechnungslegung im Aktiengesetz 1965. Der Senat hat bereits in früheren Urteilen für die Zeit vor der Aktienrechtsreform ausgesprochen, daß es weder einen handelsrechtlichen Grundsatz ordnungsmäßiger Bilanzierung noch einen steuerrechtlichen Grundsatz gibt, der es geböte oder zuließe, ganz allgemein Ausgaben in das Jahr zu verlagern, in dem die Einnahmen zufließen, aus denen die Ausgaben gedeckt werden sollen (vgl. BFH-Urteile vom 23. September 1969 I R 22/66, BFHE 97, 164, BStBl II 1970, 104; vom 29. Oktober 1969 I 93/64, BFHE 97, 350, BStBl II 1970, 178). Daraus folgt, daß die Bildung eines Rechnungsabgrenzungspostens zu diesem Zwecke auch schon vor Verkündung oder Inkrafttreten des Aktiengesetzes 1965 nicht zulässig war. § 152 Abs. 9 AktG 1965 enthält hinsichtlich des Begriffs des transitorischen Rechnungsabgrenzungspostens nur eine Klarstellung (vgl. BFH-Urteile vom 19. Januar 1972 I 114/65, BFHE 104, 422, [432], BStBl II 1972, 392; vom 31. Mai 1967 I 208/63, BFHE 89, 191, BStBl III 1967, 607; vom 7. März 1973 I R 48/69, BFHE 109, 172 [179], BStBl II 1973, 565).
d) Die Aktivierung eines Rechnungsabgrenzungspostens kann schließlich auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß durch die Entrichtung der Umsatzsteuer ein selbständiges Wirtschaftsgut entstanden sei. Der III. Senat des BFH hat - für den Bereich der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens - bereits im Urteil vom 17. Januar 1964 III 347/60 U (BFHE 79, 1, BStBl III 1964, 234) entschieden, daß durch die Entrichtung der Umsatzsteuer auf Anzahlungen kein selbständig bewertbares Wirtschaftsgut entstehe. Der Senat folgt dieser Auffassung für das Ertragsteuerrecht. Zwar umfaßt der Begriff des Wirtschaftsguts nicht nur Sachen und Rechte, sondern auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten läßt und die nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Bewertung zugänglich sind (vgl. BFH-Beschluß vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291). Dabei muß es sich aber um einmalige, eindeutig und klar abgrenzbare Aufwendungen handeln, die sich erkennbar aus den laufenden Aufwendungen hervorheben (BFH-Urteil I 93/64). Bei der auf Anzahlungen laufend entrichteten Umsatzsteuer fehlt es schon an diesem Merkmal der Einmaligkeit, da sich die Zahlungen von anderen laufenden Aufwendungen nicht deutlich abheben. Es handelt sich um sofort abzugsfähige Betriebsausgaben. Sie werden nicht dadurch zu einem aktivierungsfähigen Wirtschaftsgut, daß sie in einer früheren Rechnungsperiode geleistet werden (vgl. Döllerer, a. a. O., S. 328; im Ergebnis ebenso: Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG, Anm. 29 d; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., §§ 4, 5, Rdnr. 474, jeweils mit weiteren Nachweisen).
3. Da die Revision insoweit Erfolg hat, setzt der BFH gemäß §§ 121, 126 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO die Steuer selbst fest. ...
Fundstellen
Haufe-Index 71854 |
BStBl II 1976, 450 |
BFHE 1976, 453 |