Leitsatz (amtlich)
Die Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung bestandskräftig gewordener Zollbescheide, die tariflich auf einer vor den Einfuhren angefochtenen vZTA beruhen, ist ermessensfehlerhaft, wenn die vZTA später wegen falscher Tarifierung aufgehoben worden ist. Das gilt auch dann, wenn die Abgabenansprüche im Zeitpunkt der Stellung des Berichtigungsantrags bereits verjährt waren.
Normenkette
AO § 94 Abs. 1 Nr. 1, § 146 a Abs. 2; ZG § 23
Tatbestand
Die Klägerin. Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ in der Zeit vom 16. August 1968 bis 24. April 1973 in 111 Fällen bei den deutschen Zollämtern (ZÄ) A, B und C aus Jugoslawien eingeführte Weichsel- und Süßkirschen mit und ohne Stein, in Alkohol eingelegt, zum freien Verkehr abfertigen. Die von den ZA vorgenommene Tarifierung der Weichselkirschen in Alkohol mit einem Zuckergehalt von über 9 % nach Tarifst. 20.06 B I e des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) entsprach der von der Klägerin beantragten und von der Oberfinanzdirektion (OFD) München erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) 578/1968 vom 16. August 1968, gegen die die Klägerin Einspruch eingelegt hatte. Ab 17. Oktober 1972 legte die Klägerin gegen 23 Zollbescheide der genannten ZA vorsorglich Einspruch ein.
Mit Urteil vom 16. Januar 1973 VII K 18/69 hob der erkennende Senat die vZTA vom 16. August 1968 auf. Nach der daraufhin erlassenen vZTA der OFD vom 9. Mai 1973 sind Weichselkirschen in alkoholischer Flüssigkeit, vorläufig haltbar gemacht, zum unmittelbaren Genuß nicht geeignet, der Tarifnr. 08.11 GZT zuzuweisen. Mit Schreiben vom 18. Mai 1973 beantragte die Klägerin die Berichtigung sämtlicher in der Zeit vom 16. August 1968 bis 24. April 1973 erlassenen Zollbescheide. Die ZÄ entsprachen diesem Antrag nur hinsichtlich der angefochtenen Bescheide. Im übrigen lehnten sie das Berichtigungsbegehren ab.
Den dagegen eingelegten Einspruch lehnte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –) ab.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, soweit das Berichtigungsbegehren sich auf noch nicht verjährte Steueransprüche bezog.
Dagegen wies es die Klage ab, soweit das Änderungsbegehren verjährte Steueransprüche betraf.
Den klageabweisenden Teil des Urteils begründete das FG wie folgt: Es entspreche ständiger Rechtsprechung, daß die Versagung der zugunsten eines Steuerpflichtigen erstrebten Anwendung des § 94 der Reichsabgabenordnung (AO) insbesondere dann keinen Ermessensverstoß darstelle, wenn der entsprechende Antrag nach Eintritt der Verjährung der Steueransprüche gestellt werde (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. Dezember 1968 VII 157/65, BFHE 94, 315, Bundeszollblatt 1969 S. 506 – BZBl 1969, 506 –). Das sei hinsichtlich der Steueransprüche aus den Jahren 1968 bis 1971 der Fall. Diese seien mit Ablaut der Jahre 1969 bis 1972 verjährt. Der Antrag auf Berichtigung sei erst im Jahre 1973 gestellt worden.
Soweit das FG dem Klagebegehren teilweise entsprach, führte es aus, die Ablehnung der Berichtigung widerspreche billigem Ermessen. Es sei zwar richtig, daß die Ablehnung von Änderungsanträgen nach § 94 AO nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel dann nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn der Steuerpflichtige in der Lage gewesen wäre, die Fehlerhaftigkeit der Bescheide in einem Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen.
Dieser Grundsatz gelte jedoch nach der Rechtsprechung des BFH nicht ausnahmslos. Unter den besonderen Umständen des Einzelfalls Könne die Ablehnung der Berichtigung unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheides einen Ermessensfehlgebrauch darstellen, etwa dann, wenn der Zollbeteiligte von Beginn der Einfuhren an zu erkennen gegeben habe, daß er mit der von der Verwaltung vorgenommenen Tarifierung nicht einverstanden sei und er die Anfechtung der Zollbescheide deshalb unterlassen habe, weil er gegen die vZTA bereits mit den entsprechenden Rechtsbehelfen vorgegangen sei. Der Einspruch gegen die vZTA habe zwar keinen Einfluß auf das rechtliche Schicksal der darauf fußenden Abgabenbescheide. Der Klägerin müsse aber nachgesehen werden, wenn sie nicht gegen jeden einzelnen Zollbescheid Einspruch eingelegt habe, weil sie bereits die vZTA angefochten habe und darauf habe vertrauen dürfen, daß die Zollbescheide bei einer für sie günstigen Entscheidung durch die Verwaltung berichtigt würden. Es komme hinzu, daß die Verwaltung nicht, wie es zweckmäßig gewesen wäre, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, vorläufige Bescheide zu erlassen. Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten sei die Würdigung durch das HZA ermessensfehlerhaft und das Ermessen so eingeengt, daß nur eine Berichtigung der Bescheide in Betracht komme.
Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Klägerin als auch das HZA Revision eingelegt. Die Klägerin rügt die Verletzung des § 94 AO und führt aus, die Verjährung dürfe keine zeitliche Grenze für die Berichtigung schaffen. Die Frage, ob die Ansprüche verjährt seien, könne nur im Rahmen der Ermessensprüfung gestellt werden. Dem vom FG zitierten BFH-Urteil vom 10. Dezember 1968 VII 157/65 (BFHE 94, 315, BZBl 1969, 506) und den darin zitierten BFH-Entscheidungen vom 6. Februar 1958 V z 175/55 (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1958 S. 181 – ZfZ 1958, 181 –, Steuerrechtsprechung in Karteiform – StRK –, Reichsabgabenordnung, § 94, Rechtsspruch 10) und vom 14. März 1962 VII 63/61 (StRK, Reichsabgabenordnung, § 94, Rechtsspruch 31) liege ein anderer Sachverhalt zugrunde. Wegen dieser tatsächlichen Unterschiede könne von einer ständigen Rechtsprechung nicht gesprochen werden.
Im BFH-Urteil vom 15. Dezember 1968 (ohne Fundstelle, richtig wohl: 15. Oktober 1968 VII 40/65, BFHE 94, 41, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1969 S. 83 – HFR 1969, 83 –) sei darauf hingewiesen, die Behörde müsse vom Zeitpunkt der Einlegung eines Rechtsmittels gegen die vZTA an davon ausgehen, daß der Zollpflichtige mit Maßnahmen der Verwaltung, soweit sie auf der vZTA beruhten, nicht einverstanden sei, also die Zollbescheide nicht anerkenne. Dieses eigene Verhalten müsse bei der Ermessensabwägung zu ihren Gunsten berücksichtigt werden. Andernfalls könne von einer Wahrung des Gleichheitssatzes nicht mehr gesprochen werden.
Der Ansicht des BFH, die Nichtbeachtung der Verjährung würde bei Zöllen und Verbrauchsteuern dazu führen, daß Nachforderungen nur für das letzte Jahr, Erstattungen hingegen für praktisch unbegrenzte Zeit möglich seien, könne nicht gefolgt werden. Eine Abwägung nach Recht und Billigkeit könne vom Grunde her nicht zu einer Ungleichheit führen. Der Richter sei nicht gezwungen, sich auf eine ständige Rechtsprechung zu berufen, die es in diesem Zusammenhang nicht geben könne.
Wende man die Vorschriften über die Verjährung an, dann müßten auch die über deren Unterbrechung bzw. Hemmung angewendet werden. Wende sie – die Klägerin – sich mit Erfolg gegen eine unrichtige Maßnahme der Verwaltung, so könne sie nach Recht und Billigkeit davon ausgehen, daß ihr die zu Unrecht gezahlten Beträge erstattet würden und daß durch die Einlegung eines Rechtsmittels die Verjährung gehemmt sei.
Die Klägerin beantragt,
- unter teilweiser Änderung des Urteils des FG die weiteren Ablehnungsbescheide des ZA A vom 31. Juli 1973, des ZA B vom 1. August 1973, des ZA C vom 24. Juli 1973 und die Einspruchsentscheidung des HZA insoweit aufzuheben, als die Berichtigung der in der Anlage der Einspruchsentscheidung unter I und III a aufgeführten Zollbescheide abgelehnt wurde;
- das HZA zu verpflichten, die unter 1. beantragten Änderungen der dort genannten Zollbescheide vorzunehmen.
Das HZA rügt mit seiner Revision die Verletzung der §§ 100 Abs. 1 Satz 1 und 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und trägt vor, das FG habe verkannt, daß allenfalls solche unanfechtbaren Bescheide geändert werden müßten, die nach der Anfechtung gleichartiger Bescheide erlassen worden seien. Andernfalls würde es genügen, lediglich den letzten vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen eine vZTA liegenden Zollbescheid anzufechten, um gegebenenfalls die Änderung sämtlicher Bescheide zu erreichen. Das würde zu einer Aushöhlung des Instituts der Unanfechtbarkeit führen und dem Steuerpflichtigen auch weitgehend das Kostenrisiko nehmen.
In den vom FG zur Stützung seiner Entscheidung angezogenen BFH-Urteilen VII 40/65 und vom 21. November 1968 VII 3/65 (BFHE 94, 306, ZfZ 1969, 116) seien sämtliche Steuerbescheide, deren Änderung der BFH veranlaßt habe, ergangen, nachdem der Steuerpflichtige zuvor gleichartige Bescheide angefochten habe. Im Streitfall seien dagegen die nach dem FG-Urteil zu ändernden Bescheide vor dem maßgeblichen Zeitpunkt erlassen worden. Die Ablehnung der Änderungsanträge verletze mithin weder Ermessensgrenzen noch beruhe sie auf einem Ermessensfehlgebrauch. Das FG habe dies verkannt und unzulässigerweise eigenes Ermessen ausgeübt.
Das HZA beantragt, das Urteil des FG, soweit es dem Klageantrag entsprochen hat, aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Beide Beteiligten beantragen jeweils, die Revision des anderen Beteiligten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Revisionen der Beteiligten sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, das aufgrund eines zum Teil unzutreffenden rechtlichen Ausgangspunkts den Sachverhalt in für beide Revisionen entscheidender Hinsicht nicht genügend aufgeklärt hat.
I. Nach § 94 AO kann die Behörde einen Steuerbescheid zurücknehmen oder ändern, und zwar sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen und ohne Rücksicht darauf, ob der Bescheid rechtskräftig ist oder nicht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes liegt es im Ermessen der Behörde, ob sie von der Möglichkeit der Berichtigung Gebrauch macht. Die Gerichte können danach nur prüfen, ob die Ablehnung des Berichtigungsantrags durch die Behörden rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. § 102 FGO), bzw. ob, wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, innerhalb der gesetzten Grenzen Recht und Billigkeit beachtet worden sind (vgl. z. B. Urteil vom 7. Dezember 1960 VII 104/60 U, BFHE 72, 225, BStBl III 1961, 84). Sie sind dagegen nicht befugt, ihr eigenes abweichendes Ermessen an die Stelle des von der Verwallung ausgeübten Ermessens zu setzen, sofern kein Fall eines Ermessensverstoßes vorliegt.
Die Ablehnung eines Berichtigungsantrags hinsichtlich unanfechtbar gewordener Eingangsabgabenbescheide ist im Regelfall zwar dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige in der Lage war, die für die Berichtigung vorgebrachten Gründe im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Abgabenbescheid selbst geltend zu machen (BFH-Urteile vom 30. Juni 1964 VII 155/62 U, BFHE 80, 44, BStBl III 1964, 490; vom 29. September 1964 VII 245/63 U, BFHE 80, 492, BStBl III 1964, 651). Der BFH hat jedoch wiederholt entschieden, daß dieser Grundsatz nicht ausnahmslos gilt und daß bei der steuergerichtlichen Nachprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung auch zu prüfen ist, ob die besonderen Umstände des Falles gegenüber den auf den Regelfall abgestellten Gründen ausreichend berücksichtigt worden sind (Urteile VII 40/65; vom 3. Dezember 1968 VII R 36/66, BFHE 94, 312, HFR 1969, 183; vom 6. Juli 1976 VII R 98/73, BFHE 120, 3, HFR 1976, 528).
Ein Ausnahmefall kann auch dann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige zwar nicht die einzelnen Steuerbescheide oder einen großen Teil derselben angefochten hat, er aber Schritte unternommen hat, die bei vernünftiger Betrachtung geeignet scheinen mußten, um die für ihn nachteilige Entscheidung der Verwaltung wieder zu beseitigen. Ist dem Steuerpflichtigen eine – für ihn ungünstige – vZTA erteilt worden und führt er nach deren Wirksamwerden über die durch die vZTA nach § 23 Abs. 2 des Zollgesetzes (ZG) gebundenen Zollstellen die beschriebenen Waren ein, so muß notwendigerweise jeder Bescheid, der auf Grund einer jeden Einfuhr ergeht, für ihn nachteilig sein. Dieser Folge kann er für die Zukunft nur entgehen, wenn er die vZTA unverzüglich anficht. Für die einzelnen Bescheide, die während des hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der vZTA schwebenden Verfahrens noch ergehen, kann er darauf vertrauen, daß diese bei erfolgreicher Anfechtung der vZTA zu seinen Gunsten geändert werden. Denselben Erfolg könnte er durch eine Anfechtung der Einzelbescheide nicht erreichen, jedenfalls nicht bevor über die vZTA entschieden wäre. Denn die durch sie vorerst noch gebundenen Zollstellen dürften seinen Einsprüchen nicht stattgeben; sie müßten die Verfahren aussetzen oder aber die Einsprüche zurückweisen. Es stellt daher einen Ermessensverstoß dar, wenn die von dem durchaus sachgerecht vorgehenden Steuerpflichtigen beantragte Berichtigung der Bescheide mit der Begründung abgelehnt wird, er habe die einzelnen Bescheide anfechten müssen.
Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die Anfechtung einer vZTA wegen des geringeren Streitwerts ein geringeres Kostenrisiko mit sich bringt als die Anfechtung der einzelnen Bescheide. Denn es kann auch nicht im Interesse der Verwaltung und der Gerichte liegen, daß unnötig viele Rechtsbehelfe anhängig gemacht werden.
Keine Rolle spielt hierbei, ob die Zollstelle von der Anfechtung der vZTA wußte, da sie ohnehin gebunden blieb, bis die vZTA aufgehoben wurde. Im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung über den Abänderungsantrag hatte sie diese Kenntnis jedenfalls.
Insgesamt ist die Lage nicht unähnlich der, die im Verhältnis von Grundlagenbescheid zu Folgebescheiden besteht, wenn auch dort die Änderung eines Folgebescheids bei Änderung des Grundlagenbescheids durch § 218 Abs. 4 AO (= § 175 der Abgabenordnung – AO 1977 –) ausdrücklich vorgeschrieben ist. In dem auch an Billigkeitsgesichtspunkten orientierten Verfahren nach § 94 AO darf eine solche analoge Situation nicht unberücksichtigt bleiben, wenn auch im rechtlichen Sinne nicht unerhebliche Verschiedenheiten bestehen. Im übrigen hat der Senat mit Urteil vom 13. März 1973 VII R 132/70 (BFHE 109, 295) entschieden, daß eine vZTA für die Frage der Prozeßzinsen einem Grundlagenbescheid gleichstehe, da auch eine vZTA für in der Folge zu erlassende Steuerbescheide mit bindender Wirkung eine wesentliche Grundlage, nämlich die Tarifierung, bestimme.
II. Diese Gesichtspunkte gelten auch hinsichtlich der Berichtigung von Bescheiden, die erst in einem Zeitpunkt beantragt wird, in dem die für die Abgabenansprüche geltende Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist. Ergreift der Steuerpflichtige sachgemäße Schritte, um die Folgen der für ihn ungünstigen vZTA zu beseitigen, so kann es nicht von der Dauer des Verfahrens bezüglich der Rechtmäßigkeit der vZTA abhängen, inwieweit er dieses Ziel noch zu erreichen vermag. Wenn auch § 146 a AO hier nicht unmittelbar anwendbar ist, so kann und muß bei einer Ermessensentscheidung doch der in ihm verkörperte Rechtsgedanke herangezogen werden, daß Präklusivwirkungen nicht eintreten können, solange über das zu präkludierende Rechtsverhältnis gestritten wird. Das Urteil des erkennenden Senats vom 10. Dezember 1968 VII 157/65 (BFHE 94, 315) steht dem nicht entgegen. Es betraf einen Fall, in dem am Ende eines mehrjährigen Einfuhrzeitraums eine vZTA zugunsten des Steuerpflichtigen ergangen war und dieser die Berichtigung auch solcher nicht angefochtener Eingangsabgabenbescheide beantragt hatte, die bereits verjährte Steueransprüche betrafen. Im vorliegenden Streitfall hat die Klägerin dagegen bereits zu Beginn des Einfuhrzeitraums die ihr erteilte vZTA angefochten und schließlich ein obsiegendes Urteil erstritten. Wollte man hier darauf abstellen, daß der Berichtigungsantrag der Klägerin deshalb unbegründet sei, weil es sich um verjährte Ansprüche handele, so würde das bedeuten, daß sie entgegen der im vorstehenden dargelegten Rechtsauffassung zur Wahrung ihrer Interessen doch wiederum dazu verpflichtet gewesen wäre, trotz der bereits erfolgten Anfechtung der vZTA gegen jeden einzelnen Abgabenbescheid Einspruch einzulegen bzw. vor Ablauf der Verjährungsfrist Berichtigungsanträge zu stellen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hingewiesen, daß sie keinen Einfluß darauf habe, wie rasch über ihren Einspruch gegen die vZTA bzw. die sich anschließende Klage entschieden werde. Es wäre danach vom Zufall abhängig, ob nach einer günstigen Entscheidung in der Zolltarifsache gestellte Berichtigungsanträge Aussicht auf Erfolg hätten oder nicht.
III. Anders ist die Lage allerdings – hinsichtlich verjährter und unverjährter Abgabenforderungen – zu beurteilen, wenn die geschilderte Bindung durch die vZTA nicht eingreift. Hier kann der Steuerpflichtige nicht erwarten, daß mit der Beseitigung der vZTA auch ohne weiteres die Änderung für ihn ungünstiger, aber nicht auf der vZTA beruhender Bescheide verbunden ist; die Möglichkeiten, die ihn belastenden Bescheide unmittelbar anzugreifen, sind auch nicht in der oben geschilderten Weise beschränkt.
Danach spielt es eine entscheidende Rolle, ob die vZTA die Grundlage für die für den Steuerpflichtigen ungünstige Tarifierung war. Das ist der Fall, wenn die eingeführten Waren tariflich von der vZTA erfaßt werden und wenn die Abfertigungsämter an die vZTA gebunden waren. Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um diese Fragen zu beantworten. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ZG werden verbindliche Tarifauskünfte über die Tarifstelle des Zolltarifs, zu der eine Ware gehört, erteilt. Unter Tarifstelle ist jede Haupt-, Neben- und ex-Position des Zolltarifs zu verstehen, die einen Zollsatz vorsieht (Bail-Schädel-Hutter, Zollgesetz, § 23 Anm. 1). Das FG hat festgestellt, daß die von den ZA vorgenommene Tarifierung der Weichselkirschen in Alkohol mit einem Zuckergehalt von über 9 % nach der Tarifst. 26.06 B I e der von der Klägerin beantragten und von der OFD erteilten vZTA entsprach. Die Position 20.06 B I e sieht aber für sich allein keinen Abgabensatz vor. Die im Streitfall erteilte vZTA kann deshalb nur auf die Tarifst. 20.06 B I e 1 (andere Früchte: mit einem Zuckergehalt von mehr als 9 GHT; Zollsatz 32 % + Abschöpfung) oder 20.06 B I e 2 (andere Früchte: andere; Zollsatz 32 %) gelautet haben. Da die vZTA dem Senat nicht vorliegt und er dahingehende Feststellungen nicht treffen kann, wird das FG aufklären müssen, zu welcher Tarifstelle die vZTA erteilt worden ist. Sollte sie nur zu einer der beiden Tarifst. 20.06 B I e 1 bzw. 20.06 B I e 2 erteilt worden sein, so käme eine Bindung der Zollstellen und damit im Ergebnis eine Berichtigung von Zollbescheiden, die die Waren der anderen Tarifstelle zum Gegenstand haben, nicht in Betracht; denn es fehlte dann an der rechtlichen Verknüpfung der vZTA mit darauf beruhenden Abgabenbescheiden. Daß Waren beider Tarifstellen eingeführt worden sind, ergibt sich aus der Anlage zur Einspruchsentscheidung. Nach der in der Vorentscheidung getroffenen Feststellung bezieht sich die vZTA auf Weichselkirschen in Alkohol mit einem Zuckergehalt von über 9 %. Eingeführt wurden dagegen auch in Alkohol eingelegte Süßkirschen. Das FG wird deshalb unter Beachtung des Urteils des Senats vom 31. Januar 1978 VII R 12/77 (BFHE 124, 401) aufklären müssen, wie die tarifierte Ware nach Art und Beschaffenheit in der vZTA beschrieben ist und ob danach davon ausgegangen werden kann, daß sie sich auf durch Zusalz von Alkohol haltbar gemachte Kirschen schlechthin erstreckt. Dabei wird es auch zu berücksichtigen haben, daß die Tarifst. 20.06 B I e 1 bzw. 2 sich nicht auf eine bestimmte Art von Früchten beziehen, sondern „andere Früchte” zum Gegenstand haben.
Schließlich ist der Vorentscheidung auch nicht zu entnehmen, ob alle drei Abfertigungs-ZÄ an die angefochtene vZTA gebunden waren. Das FG hat lediglich festgestellt, daß die von den ZÄ vorgenommene Tarifierung der Weichselkirchen der von der OFD und Antrag der Klägerin erteilten vZTA vom 16. August IBM entsprach. Es wird weiter zu klären haben, ob alle in der Anlage zur Einspruchsentscheidung aufgeführten Zollbescheide erst ergangen sind, nachdem die vZTA für die ZÄ bindende Wirkung erlangt hatte und angefochten war. Daran können deshalb Zweifel bestehen, weil die vZTA das Datum des 16. August 1968 trägt und am selben Tag ein Zollbescheid erlassen wurde. War das ZA an diesem Tag und auch bei den sich anschließenden Abfertigungen an die später mit Erfolg angefochtene vZTA noch nicht gebunden, so kommt eine Berichtigung nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 510600 |
BFHE 1979, 559 |