Leitsatz (amtlich)
Arbeitnehmer, die auf wechselnden Bau- und Montagestellen in der Nähe ihres Wohnorts oder des Orts der Arbeitsstätte tätig werden, können die Pauschbeträge für Reisekosten nach Abschnitt 21 Abs. 4 LStR 1966 in der Regel nicht beanspruchen. Der ihnen durch die Dienstreisen entstehende Mehraufwand ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu schätzen.
Normenkette
LStR 1966 Abschn. 21 Abs. 4; LStDV § 20 Abs. 2; EStG § 9 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Heizungsmonteur. Im Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1967 machte er u. a. unter Ansatz der Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 LStR 1966 folgende Mehraufwendungen für Verpflegung aus Anlaß der Tätigkeit auf auswärtigen Baustellen als Werbungskosten geltend:
1 Reisetag mit einer Abwesenheit vom
Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte
von mehr als 12 Stunden zu 21,-DM = 21,-DM
137 Reisetage mit einer Abwesenheit
von mehr als 10 Stunden zu 16,80 DM = 2 301,60 DM
5 Reisetage mit einer Abwesenheit
von mehr als 4 Stunden zu 6,30 DM = 31,50 DM
2 354,10 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) kürzte die geltend gemachten Mehraufwendungen für die Reisetage bei einer Abwesenheit von mehr als 12 Stunden auf 8 DM und bei einer Abwesenheit von mehr als 10 Stunden ebenfalls auf 8 DM. Bei einer Abwesenheit von mehr als 4 Stunden strich er die geltend gemachten Pauschbeträge in voller Höhe. Danach ergab sich für Verpflegungsmehraufwand ein Betrag von 1 104 DM, den das FA als Werbungskosten berücksichtigte.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg.
Das FG ging als zwischen den Beteiligten unstreitig davon aus, daß der Kläger an den von ihm angegebenen Tagen Dienstreisen gemacht habe und daß die hierdurch verursachten Mehraufwendungen für Verpflegung dem Grunde nach Werbungskosten darstellten. Derartige Aufwendungen könnten in der Regel ohne Einzelnachweis mit den Pauschbeträgen des Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 LStR 1966 angesetzt werden, um die Schwierigkeiten der zum Teil die persönliche Lebenshaltung eines Steuerpflichtigen berührenden Ermittlungen über die Höhe der Aufwendungen zu vermeiden und dadurch der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens zu dienen. Zur Begründung verwies es auf die Rechtsprechung des BFH, u. a. auf das Urteil vom 4. August 1967 VI R 309/66 (BFHE 89, 532, BStBl III 1967, 728, mit Rechtsprechungsnachweisen).
Den Einwand des FA, es müßten die Grundsätze des BFH-Urteils vom 2. Februar 1968 VI 127/65 (BFHE 91, 565, BStBl III 1968, 430), wonach bei Reisen in Nachbarorte eine Berücksichtigung der Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 4 LStR 1966 nicht ohne weiteres möglich sei, angewandt werden, wies das FG zurück. Die Tatbestände der beiden Fälle seien nicht miteinander vergleichbar.
Schließlich könne auch die Höhe der nach Berücksichtigung der Werbungskosten verbleibenden Einkünfte im Vergleich zum Jahresarbeitslohn nicht als so unverhältnismäßig gering angesehen werden, daß sie eine von der Schätzung des Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 LStR abweichende Schätzung der Mehraufwendungen für Verpflegung rechtfertigen könnte.
Mit der Revision macht das FA geltend, das Urteil des FG weiche von der Rechtsprechung des BFH ab und beruhe auf mangelnder Sachaufklärung.
Die Reisekostenpauschsätze des Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 LStR 1966 könnten nicht schematisch ohne nähere Prüfung angewandt werden. Sie seien dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem falschen Ergebnis und zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Das sei z. B. auch der Fall, wenn - wie im Streitfall - Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe der Pauschsätze offensichtlich nicht angefallen sein könnten. Auch eine mehr als zehnstündige Abwesenheit von zu Hause rechtfertige bei Montagearbeitern im Gegensatz zu selbständig Tätigen nicht ohne weiteres die Vermutung, daß Verpflegungsmehraufwand entstehe.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Der Senat geht davon aus, daß es sich - entsprechend der übereinstimmenden Ansicht der Beteiligten - bei den streitigen Aufwendungen um Mehraufwendungen auf Grund von Dienstreisen handelt.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß die Regelungen der Lohnsteuer-Richtlinien über Reisekosten als zutreffende Anwendung und Auslegung des Werbungskostenbegriffs anzusehen und auch von den Steuergerichten bei den auf Grund des § 96 FGO zu treffenden Entscheidungen anzuwenden sind, obwohl es sich um Verwaltungsanweisungen handelt, die als solche für die Gerichte nicht bindend sind (vgl. zuletzt das Urteil des erkennenden Senats vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130). Es ist dem FA aber darin beizupflichten und vom BFH immer wieder betont worden, daß diese Anwendung nicht schematisch erfolgen und insbesondere nicht zu einer unzutreffenden Besteuerung führen darf. Das ist auch in Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 Buchst. d, bb LStR 1972 hervorgehoben. Der dort angeführte Fall, daß bei umfangreicher Reisetätigkeit infolge der Anwendung der Pauschbeträge unverhältnismäßig geringe Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit verbleiben würden, ist aber, wie auch aus der angeführten Bestimmung der Lohnsteuer-Richtlinien hervorgeht, nur ein Fall - ein Beispiel - für den Eintritt einer unzutreffenden Besteuerung durch die Anwendung der Pauschbeträge. Eine unzutreffende Besteuerung tritt ebenso ein, wenn die Gegebenheiten einer Dienstreise zu der Annahme nötigen, daß Mehraufwendungen nicht oder jedenfalls nicht in ungefährer Höhe der Pauschbeträge entstehen. Dabei entspricht es dem Vereinfachungszweck der Aufstellung der Pauschbeträge, von kleinlichen Ermittlungen im Einzelfall abzusehen. Es ist vielmehr in der Regel von der Lebenserfahrung auszugehen (vgl. auch Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 Buchst. d, bb LStR 1972). Tut man das nicht, so würde die Anwendung der Pauschbeträge gegen § 12 Nr. 1 EStG verstoßen, da dann Aufwendungen, die tatsächlich keine Werbungskosten, sondern Lebenshaltungskosten sind, steuermindernd berücksichtigt würden.
Der Kläger hat die Dienstreisen nur zu wechselnden Bau- und Montagestellen in Nachbarorten des Ortes seiner Arbeitsstätte bzw. seines Wohnorts unternommen; sie sind sämtlich am gleichen Tag zu Ende gegangen. Nach der Lebenserfahrung kann davon ausgegangen werden, daß der Kläger auf den Bau- und Montagestellen seine regelmäßige Arbeit, und zwar in der Regel während seiner üblichen Arbeitszeit, geleistet hat. Das bedeutet, wie das FA zutreffend hervorhebt, daß er, sofern es sich um eine längere Abwesenheit handelt, die Dienstreise frühmorgens angetreten und im Lauf des Nachmittags beendet hat. Wenn er als Arbeitnehmer in der Abwicklung seiner Arbeitstätigkeit hiernach nicht so frei war, wie es der Senat für einen Selbständigen im Urteil VI 127/65 als wesentlich herausgestellt hat, so können die dort entwickelten Grundsätze bei der Entscheidung des Streitfalls doch nicht außer Betracht bleiben. Der Streitfall ist zudem weitgehend vergleichbar mit dem durch Urteil des Senats vom 20. Dezember 1971 VI R 257/70 (BFHE 104, 217, BStBl II 1972, 246) entschiedenen Fall. Dort handelte es sich um den Lohnsteuer-Außenprüfer eines Berliner FA. Der Senat hat ausgesprochen, daß der Ansatz der Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwand auf Dienstreisen in der Regel zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt, wenn sich die Reisetätigkeit des Arbeitnehmers am Dienstort (bei Reisen in Nachbarorte hat das gleiche zu gelten, wenn es sich nicht um eine Großstadt wie Berlin - so im Fall des Urteils VI R 257/70 - handelt) in arbeitstäglichen Fahrten zu und von der jeweiligen Arbeitsstätte erschöpft. Der Senat hat damals hervorgehoben, daß sich die Reisetätigkeit des Steuerpflichtigen, die zu den normalen Dienstobliegenheiten gehörte, darin erschöpfte, daß er statt seiner regelmäßigen Arbeitsstätte den zu prüfenden Betrieb aufsuchte, dort innerhalb seiner Arbeitszeit seiner Prüfungstätigkeit nachkam und nach Dienstschluß nach Hause fuhr. Das bedeute aber, daß er lediglich eine Zwischenmahlzeit, die Mehraufwand gegenüber seinen dafür üblichen Aufwendungen verursachen könne, zu sich nehme. Mehraufwand in Höhe der Pauschbeträge könne ihm dadurch nach der Lebenserfahrung nicht entstehen.
Nicht oder nicht wesentlich anders ist es im Streitfall. Auch dem Kläger entsteht nach der Lebenserfahrung allenfalls ein Mehraufwand durch eine Zwischenmahlzeit außerhalb seiner Wohnung oder der Kantine seines Arbeitgebers. Ob er zu diesem Zweck eine Gaststätte aufgesucht hat oder ob diese Annahme, wie das FA meint, der Lebenserfahrung widersprechen würde, kann dabei dahingestellt bleiben, weil es kaum möglich sein wird, hierzu einwandfreie Feststellungen zu treffen.
Dieses Ergebnis führt auch zu einer wünschenswerten Gleichstellung des Streitfalls mit den Fällen solcher Arbeitnehmer, die auf ständig wechselnden auswärtigen Bau- und Montagestellen tätig sind, bei denen aber die Annahme von Dienstreisen daran scheitert, daß sie keine regelmäßige Arbeitsstätte haben (vgl. insbesondere das BFH-Urteil vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130). Der Senat hat schon im Urteil vom 28. Januar 1972 VI R 11/69 (BFHE 105, 340, BStBl II 1972, 677) darauf hingewiesen, daß Außenmonteure mit einer regelmäßigen Arbeitsstätte im Grunde nichts anderes tun als die Arbeitnehmer, die ohne regelmäßige Arbeitsstätte ständig auf häufig wechselnden Bau- und Montagestellen tätig sind. Es würde zu einer nicht vertretbaren Ungleichmäßigkeit führen, wenn man im ersteren Fall die Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 4 LStR 1966 unbesehen anerkennen, im letzteren Fall dagegen nur einen Betrag in Höhe des angenommenen Mehraufwands (im Fall des Urteils VI R 184/69 auf arbeitstäglich 3 DM geschätzt) als Werbungskosten berücksichtigen würde.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat hält die vom FA als Werbungskosten für Mehraufwand bei Dienstreisen anerkannten Beträge nach der Lebenserfahrung auf keinen Fall für zu niedrig. Sie könnten eher als zu hoch angesehen werden. Da eine Verböserung aber ausgeschlossen ist, waren der Lohnsteuer-Jahresausgleich in der durchgeführten Form und die Einspruchsentscheidung zu bestätigen.
Fundstellen
Haufe-Index 70685 |
BStBl II 1974, 11 |
BFHE 1974, 344 |