Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung bei Streit um Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen als Sonderwerbungskosten - Wechselseitige Vermietung von Arztpraxen als Gestaltungsmißbrauch
Leitsatz (amtlich)
Vermieten zwei Ärzte, die gemeinsam zwei abgeschlossene Räumlichkeiten zur Nutzung als Arztpraxen errichtet und sich gegenseitig jeweils eine zum Teileigentum übertragen haben, wechselseitig diese Praxisräume unter Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze, so kann dieser Vorgang als Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. von § 42 AO 1977 zu beurteilen sein (Anschluß an BFH-Urteil vom 1. April 1993 V R 85/91, BFH/NV 1994, 64).
Orientierungssatz
Beteiligte, für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einheitlich und gesondert festgestellt worden sind, brauchen nicht zum finanzgerichtlichen Verfahren beigeladen zu werden, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sind.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nrn. 12, 14; FGO § 60 Abs. 3, § 48 Abs. 2; UStG 1980 § 15 Abs. 2; EStG § 9b Abs. 1; UStG 1980 § 9
Tatbestand
Die verheirateten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren in den Streitjahren 1983 und 1984 an einer Bauherrengemeinschaft beteiligt, die ein Wohn- und Geschäftshaus errichtete. Dem Kläger wurde das Sondereigentum an mehreren Räumen mit einer Nutzfläche von insgesamt 111,65 qm eingeräumt, der Klägerin an Räumen mit einer Fläche von 141,15 qm. Nach Fertigstellung des Hauses vermieteten die Kläger sich wechselseitig die ihnen gehörenden Räume und betrieben darin ihre Arztpraxen. Sie verzichteten auf die Steuerfreiheit für Vermietungsumsätze nach § 9 i.V.m. § 4 Nr.12 Buchst.a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. In den Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die Beteiligten an der Bauherrengemeinschaft haben die Kläger u.a. Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit der Errichtung der Praxisräume angefallen waren, als Werbungskosten geltend gemacht. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nicht und erließ nach einer bei der Bauherrengemeinschaft durchgeführten Außenprüfung unter dem 27.November 1987 Feststellungsbescheide für die Jahre 1983 und 1984, in denen es für die Kläger keine Vorsteuerbeträge als Werbungskosten berücksichtigte. In den Erläuterungen zu den Bescheiden verwies das FA auf das Ergebnis der Außenprüfung. Aus dem Prüfungsbericht vom 13. Mai 1987 ist zu ersehen, daß die auf die einzelnen Beteiligten entfallenden Absetzungen für Abnutzung (AfA) nicht im Feststellungsverfahren erfaßt werden sollten.
Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen gegen die Änderungsbescheide vom 26. Juli 1989 statt. Nach seiner Auffassung ist kein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts darin zu sehen, daß die Kläger nicht von vornherein diejenigen Räume zu Eigentum erwarben, in denen sie später ihre Praxen betreiben wollten. Das Vorschalten eines Ehegatten beim vorsteuerbelasteten Erwerb eines Wirtschaftsguts stelle keine unangemessene Gestaltung dar. Das FG lud die übrigen Beteiligten an der Bauherrengemeinschaft nicht zum Verfahren bei, weil die Höhe ihrer Einkünfte nicht vom Ausgang des Rechtsstreits beeinflußt werde.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung der §§ 9b, 11 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), der §§ 9, 15 UStG 1980 sowie des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977).
Das FA beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klagen (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
1. Das FG hat zu Recht davon abgesehen, die übrigen Beteiligten an der Bauherrengemeinschaft zu den Verfahren beizuladen. Klagt ein Feststellungsbeteiligter gegen einen Bescheid, in dem Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gesondert und einheitlich festgestellt worden sind, so sind grundsätzlich die nicht klagenden Beteiligten gemäß § 60 Abs.3 i.V.m. § 48 Abs.2 FGO notwendig beizuladen. Eine Beiladung dieser Beteiligten unterbleibt jedoch ausnahmsweise, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; Senatsurteil vom 14. Februar 1989 IX R 128/84, BFH/NV 1989, 707; Senatsbeschluß vom 23. September 1992 IX B 32/92, BFH/NV 1993, 185). Letzteres ist im Streitfall gegeben, in dem es um die Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen als Sonderwerbungskosten geht. Der Ausgang des Verfahrens beeinflußt nicht die auf die übrigen Gesellschafter entfallenden Vermietungseinkünfte.
2. Das FG hat rechtsfehlerhaft die von den Klägern in den Streitjahren entrichteten Vorsteuerbeträge als Werbungskosten berücksichtigt.
a) Nach § 9b Abs.1 Satz 1 EStG gehört der Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG, soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann, nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts, auf dessen Anschaffung oder Herstellung er entfällt. Wird ein Mietobjekt errichtet, das zur Erzielung von Vermietungseinkünften genutzt werden soll, so ist die dem Bauherren in Rechnung gestellte Umsatzsteuer im Jahr ihrer Zahlung als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, sofern auf die Steuerfreiheit für Vermietungsumsätze verzichtet wird (Senatsurteil vom 4. Juni 1991 IX R 12/89, BFHE 164, 361, BStBl II 1991, 759). Die Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen hängt von der nach Umsatzsteuerrecht zu beurteilenden Berechtigung des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1980 ab (Senatsurteil in BFHE 164, 361, BStBl II 1991, 759). Nicht entscheidend ist, ob sich der Vorsteuerabzug in einem Umsatzsteuerbescheid ausgewirkt hat.
b) Im Streitfall steht einer Berücksichtigung der den Klägern in Rechnung gestellten Umsatzsteuer als Vorsteuer und damit dem Abzug dieser Beträge als Werbungskosten die Vorschrift des § 42 AO 1977 entgegen. Danach kann durch einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein solcher Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein Gestaltungsmißbrauch ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (Senatsurteile vom 3. Dezember 1991 IX R 142/90, BFHE 166, 276, BStBl II 1992, 397; vom 14. Januar 1992 IX R 33/89, BFHE 167, 55, BStBl II 1992, 549, m.w.N.).
c) Nach dem Urteil des V.Senats des BFH vom 1. April 1993 V R 85/91 (BFH/NV 94, 64) liegt ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO 1977) vor, wenn ein Arztehepaar, das getrennte ärztliche Praxen betreibt, auf einem ihm gehörenden Grundstück im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft ein Wohn- und Ärztehaus errichtet und jeder Ehepartner anschließend dem anderen in seinem (Teil-)Eigentum stehende Räume unter Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung (§ 9 i.V.m. § 12 Buchst.a UStG 1980) zur Nutzung als Arztpraxis vermietet. Der V.Senat sah die Rechtsgestaltung deshalb als unangemessen an, weil verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht so verfahren wären. Derjenige, der einen Gebäudeteil für eigene Zwecke benötige, räume nicht einem anderen das Sondereigentum daran ein, um es anschließend entgeltlich zurückzumieten. Nach den gleichen Grundsätzen ist auch im Streitfall zu entscheiden und damit ein Gestaltungsmißbrauch zu bejahen.
Nach Tz.11 des Bericht vom 13. Mai 1987 über die bei der Bauherrengemeinschaft durchgeführte Außenprüfung waren die Kläger Eigentümer des Grundstücks, auf dem das Wohn- und Geschäftshaus errichtet wurde. Vom Inhalt dieses Berichts ist das FG-Urteil bei seiner Entscheidung ausgegangen, wie seine Ausführungen zur Bauherrengemeinschaft zeigen. Die Kläger konnten als Grundstückseigentümer die Aufteilung des Gebäudes in Wohnungs- und Teileigentum nach ihrem Willen gestalten. Von dieser Möglichkeit machten sie in der Weise Gebrauch, daß jeder das Teileigentum an denjenigen Praxisräumen erhielt, die anschließend an den anderen Ehegatten vermietet und von diesem genutzt werden sollte. Diese ungewöhnliche Gestaltung ist nur verständlich im Hinblick auf das Bestreben der Kläger, den Vorsteuerabzug zu erlangen, der nach § 15 Abs.2 Nr.1 i.V.m. § 4 Nr.14 UStG 1980 ausgeschlossen gewesen wäre, wenn jeder Kläger das Teileigentum an den Räumen erworben hätte, die für den Betrieb der eigenen Arztpraxis vorgesehen waren. Sie indiziert die Umgehungsabsicht (vgl. Senatsurteil in BFHE 167, 55, BStBl II 1992, 549). Andere, außerhalb des Umsatzsteuerrechts liegende beachtliche Gesichtspunkte, die die Vorgehensweise der Kläger rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Entgegen der Ansicht des FG ist es bei der besonderen Gestaltung des Streitfalls nicht entscheidungserheblich, daß die Praxen räumlich gesehen unterschiedlich groß waren.
Fundstellen
Haufe-Index 65262 |
BStBl II 1994, 738 |
BFHE 174, 386 |
BFHE 1995, 386 |
BB 1994, 2061-2062 (LT) |
DStZ 1994, 603 (KT) |
HFR 1994, 641-642 (LT) |
StE 1994, 460 (K) |