Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der nicht entnommene Gewinn beim Vorliegen gewerblicher und landwirtschaftlicher Betriebe nach § 10a EStG 1950. EStG 1950 § 10a.
Normenkette
EStG § 10a
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Eigentümer einer Ziegelei und bewirtschaftet außerdem landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Grundstücke. Diese stehen mit dem Betrieb der Ziegelei in wirtschaftlicher Beziehung insofern, als ein Teil des Landes abgebautes Tonvorkommen darstellt und als ein Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Gewerbebetrieb verwendet wird. Der Veranlagung des Streitjahres 1950 wurden 5 ha land- und forstwirtschaftlich genutzte Fläche mit einem Durchschnittssatz von 280 DM, somit 1400 DM Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft nach der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft (VOL) zugrunde gelegt.
Der Stpfl. hat für seinen Gewinn aus der Ziegelei die Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn nach § 10a des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1950 geltend gemacht. Das Finanzamt, das die Ordnungsmäßigkeit der gewerblichen Buchführung nicht bestreitet, hat diesen Antrag abgelehnt, da die Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn an Inhaber mehrerer gewerblicher und landwirtschaftlicher Betriebe nur dann gewährt werden könne, wenn ordnungsmäßige Buchführung in sämtlichen Betrieben vorhanden sei. Die Begünstigung sei auf die Summe der Entnahmen aus sämtlichen Betrieben abzustellen. Es hat sich hierfür auf § 10a Abs. 1 EStG, auf § 30b der Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) und auf Abschn. 116a und 116c der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1950 bezogen.
Der Stpfl. erblickte in dieser Auslegung eine unbillige Härte, weil es sich nur um einen Nebenbetrieb der Ziegelei und keine selbständige Ackernahrung handele. Die Regelung in § 30b EStDV sei zudem erst in einem Zeitpunkt bekanntgegeben worden, in dem ein Teil des landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahres, das der Einkommensbesteuerung zugrunde zu legen sei, schon im Lauf befindlich gewesen sei, so daß es nicht möglich gewesen sei, rechtzeitig eine landwirtschaftliche Buchführung einzurichten.
Das Finanzgericht gab der Berufung statt und begründete dies wie folgt:
Für das Jahr 1949 habe es nach Abschn. 109 Abs. 1 EStR II/1948 und 1949 ausgereicht, daß die Buchführung für die gewerblichen Betriebe oder die landwirtschaftlichen Betriebe ordnungsmäßig sei. Die Regelung im § 10a EStG 1950 habe es nicht erkennen lassen, ob für landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe eine Gesamtbetrachtung der Entnahmen vorzunehmen sei. Die Frage sei erst durch § 30b EStDV gelöst worden. Hiernach könne die Vergünstigung des § 10a Abs. 1 EStG 1950 nur auf die Summe der nicht entnommenen Gewinne aus allen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und Gewerbebetrieben angewandt werden.
Das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 sei aber erst im Bundesgesetzblatt - BGBl - 1950 S. 95 veröffentlicht worden, also zu einer Zeit, als der größere Teil des Wirtschaftsjahres 1949/1950 bereits abgelaufen gewesen sei. Es sei dem Stpfl. unmöglich gewesen, eine Buchführung für dieses Wirtschaftsjahr mit steuerlicher Rückwirkung noch einzurichten. Es trete deshalb die Frage auf, ob es sich um eine Maßnahme handele, zu der der Gesetzgeber berechtigt gewesen sei. Es handele sich um das Problem der zulässigen Rückwirkung. Das Finanzgericht sei der Auffassung, daß bei Schaffung des Gesetzes an die besonderen Verknüpfungen nicht gedacht gewesen sei, die durch das Zusammentreffen von bisher nach der VOL berechneten mit durch ordnungsmäßige Buchführung ermittelten Gewinnen im Hinblick auf die Anwendung des § 10a EStG gerade bei der Veranlagung für 1950 entstünden. Das Gesetz erhalte eine Lücke. Das Finanzgericht sei der Auffassung, daß unter den gegebenen Verhältnissen dem Stpfl. die Vergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nicht versagt werden könne.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts macht hiergegen unter anderem folgendes geltend:
Es sei zuzugeben, daß das Urteil des Finanzgerichts zu einem Ergebnis komme, das wohl in solchen Fällen der Billigkeit entspreche, in denen neben großen gewerblichen unbedeutende landwirtschaftliche Betriebe vorhanden seien. Seine Grundsätze müßten jedoch Bedenken erwecken. Das Finanzgericht versage im Ergebnis in all den Fällen, in denen Landwirtschaft neben Gewerbe betrieben worden sei, dem Gesetz die Rückwirkung. Es erkenne hiermit an, daß die Vorschriften der §§ 10a EStG und 30b EStDV 1950 insoweit nicht zur Anwendung kommen sollten. Man könne die Ablehnung der Rückwirkung nicht auf die Fälle beschränken, in denen landwirtschaftliche Betriebe nach der VOL besteuert würden. Das Gesetz habe die Rückwirkung ausgesprochen und diese Grundsätze müßten bei der Veranlagung uneingeschränkt durchgeführt werden. Ggf. hätte nach Art. 100 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verfahren werden müssen.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Dem Finanzamt ist darin beizupflichten, daß es nicht zulässig ist, klare gesetzliche Bestimmungen aus Erwägungen heraus, die im Gesetz keinen Ausdruck gefunden haben, allgemein nicht anzuwenden. Siehe im einzelnen die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 113/52 U vom 10. Februar 1953, Slg. Bd. 57 S. 254, Bundessteuerblatt (BStBl.) III S. 102;IV 376/52 U vom 20. März 1953, Slg. Bd. 57 S. 300, BStBl. III S.120, und I 57/52 U vom 8. September 1953, BStBl. III S. 344. Nach Art. V Abs. 2 des Gesetzes vom 29. April 1950 ist das Gesetz erstmals bei Durchführung der Veranlagung zur Einkommen- und Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum 1950 anzuwenden. Das bedeutet, daß die Vergünstigung des § 10a EStG 1950 nur insoweit gewährt werden kann, als die gesetzlich aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift stellt gegenüber dem EStG 1949 insofern erhöhte Anforderungen, als nunmehr beim Vorliegen landwirtschaftlicher und gewerblicher Betriebe für beide Betriebsarten ordnungsmäßige Buchführung verlangt wird. Die Verschärfung ist mit Rückwirkung erfolgt, da das Gesetz und die dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen erst im Laufe des Jahres 1950 ergangen sind. Die Gerichte sind an das Gesetz gebunden und deshalb nicht berechtigt, derartigen Anordnungen des Gesetzgebers die Wirksamkeit selbst zu versagen. Sind sie der Auffassung, daß der Gesetzgeber gegen Grundsätze des Verfassungsrechtes verstoßen hat, wozu auch die überpositivrechtlichen Normen wie der Grundsatz von Treu und Glauben gehören, so müssen sie nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen. Siehe hierzu Urteil des BundesverfassungsgerichtsI BvL 106/53 vom 18. Dezember 1953, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 3 S. 225 insbesondere S. 231.
In Übereinstimmung mit dem Finanzgericht ist jedoch der Senat der Ansicht, daß dies im vorliegenden Falle nicht erforderlich ist. Er geht also zunächst von der Rechtswirksamkeit der Vorschrift aus. Dem Finanzgericht wird darin beigepflichtet, daß der Gesetzgeber die Fälle nicht treffen wollte, in denen ein Stpfl. entsprechend den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen seine landwirtschaftlichen Einkünfte nach der VOL ermittelt hat, ohne gegen Buchführungsverpflichtungen verstoßen zu haben. Der Stpfl. war für das bereits ab 1. Juli 1949 laufende Wirtschaftsjahr nicht mehr in der Lage, die gesetzlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Der Senat nimmt an, daß der Gesetzgeber für diese besonders liegenden Fälle keine Erschwerung hat eintreten lassen wollen. Siehe auch Rechtssatz 4 des Beschlusses des BundesverfassungsgerichtsI BvL 104/52 vom 7. Mai 1953, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 2 S. 266/267. Anders ist allerdings die Rechtslage für das ab 1. Juli 1950 laufende landwirtschaftliche Wirtschaftsjahr. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes muß hier eine landwirtschaftliche Buchführung verlangt werden. Sie ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Diese Einkünfte sind bei der Veranlagung mit Hilfe der VOL-Durchschnittsätze geschätzt worden. Es erscheint hier angebracht, sinngemäß die allgemeinen Grundsätze der Rechtsprechung für die Fälle anzuwenden, bei denen Zuschätzungen zum Buchführungsergebnis bei der Veranlagung vorgenommen werden mußten. Die Rechtsprechung hat die Voraussetzungen der Vergünstigung dann noch als erfüllt angesehen, wenn für Geschäfte, die lediglich einen geringen Umfang haben, und im Rahmen des Gesamtergebnisses unwesentlich sind, die ordnungsmäßige Buchführung fehlt, und deshalb nur eine ergänzende Schätzung zu dem im übrigen auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung feststellbaren Gewinn notwendig ist (Entscheidung des Obersten FinanzgerichtshofsIV 69/50 U vom 4. August 1950, BStBl. 1951 I S. 187, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 547).
Im vorliegenden Fall hat der Stpfl. Einkünfte aus seinem Gewerbebetrieb in Höhe von 15 924 DM gehabt. Diesem Betrag stehen Einkünfte aus der Landwirtschaft, gerechnet nach der VOL, in Höhe von 1400 DM gegenüber. Auf das zweite Halbjahr 1950 entfällt somit nur ein Betrag von 700 DM. Das Finanzgericht hat im vorliegenden Falle die Steuervergünstigung gewährt. Der Senat hält diese Auffassung für vertretbar und sieht deshalb von einer Aufhebung der Vorentscheidung ab.
Die Rb. wird deshalb als unbegründet zurückgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 407903 |
BStBl III 1954, 241 |
BFHE 1955, 84 |
BFHE 59, 84 |
BB 1954, 620 |
DB 1954, 733 |