Leitsatz (amtlich)
Wird eine voll abgeschriebene Diesel-Lokomotive durch den Austausch abgenutzter Teile (Motor, Kupplung, Räder) erneuert und zugleich durch den Einbau bisher nicht vorhandener elektrischer Einrichtungen modernisiert, ohne daß ihre bestimmungsmäßige Nutzungsmöglichkeit geändert bzw. erweitert wird, so liegt keine selbstverbrauchsteuerpflichtige Neuinvestition i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967 vor.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die eine Ziegelei betreibt, erwarb eine Diesel-Lokomotive mit luftgekühltem Zweizylinder-Viertakt-Dieselmotor, Dreigang-Kupplungsgetriebe, Kegelradantrieb und Führerhaus. Sie setzte die Lokomotive als Zugmaschine für 10 bis 12 Loren zum Lehmtransport in der Ziegelei ein. Mit Ablauf der auf 10 Jahre geschätzten betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer war die Lokomotive auf 1 DM abgeschrieben. In ihrer Vermögensaufstellung setzte die Klägerin die Lokomotive mit einem Teilwert von 1 DM an. Im Streitjahr ließ die Klägerin folgende Reparatur- und Erneuerungsarbeiten durchführen: Die Lokomotive erhielt einen Austauschmotor mit 12-Volt-Elektro-Start, eine elektrische Anlaß-, Licht- und Signalanlage (zuvor hatte die Lokomotive keine elektrische Ausrüstung), eine neue Kupplungswelle, eine neue Kupplungstrommel sowie neue Laufräder, Tragfedern und neue Führerhausplanen. Außerdem wurden verschiedene kleinere Teile ersetzt.
Nach Auffassung des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) hat diese Generalüberholung eine so umfangreiche Erneuerung der Substanz der Lokomotive bewirkt, daß bei wirtschaftlicher Betrachtung ein neuer Gegenstand, wenn auch von gleicher Wesensart, entstanden sei. Er setzte dementsprechend im angefochtenen, nach § 225 AO endgültigen Umsatzsteuerbescheid die Selbstverbrauchsteuer insoweit unter Anwendung des Steuersatzes von 7 v. H. höher fest. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung in seinem Urteil (veröffentlicht in den EFG 1974, 553) ausgeführt: Der Begriff des Wirtschaftsgutes in § 30 Abs. 2 UStG 1967 in der für das Streitjahr geltenden Fassung richte sich nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts (so Urteil des BFH vom 19. August 1971 V R 18/71, BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75). Deshalb sei auch nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen, wann aus der Verbindung eines vorhandenen alten Wirtschaftsguts bzw. einzelner Teile davon mit neuen Teilen ein neues Wirtschaftsgut entstehe. Das sei dann der Fall, "wenn die noch verwertbaren Teile im Verhältnis zum Aufwand bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht ins Gewicht fallen" (vgl. BFH-Urteil vom 31. Januar 1956 I 111/54 U, BFHE 62, 230, BStBl III 1956, 86) bzw. wenn die Reparaturaufwendungen gegenüber dem Wert des Wirtschaftsguts vor der Reparatur ungewöhnlich hoch lägen, ohne daß der normale Materialverschleiß diesen Aufwand erfordere (vgl. BFH-Urteile vom 16. August 1955 I 14/55 U, BFHE 61, 283, BStBl III 1955, 306, und vom 3. Dezember 1958 I 173/58 U, BFHE 68, 240, BStBl III 1959, 95). Der BFH habe auch Gebäudeerweiterungen als selbstverbrauchsteuerpflichtige Neuinvestitionen behandelt, wenn die Neubauteile dem Gesamtkomplex das Gepräge gäben und den Altbauteilen größen- und wertmäßig übergeordnet seien (so Urteil vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654). Bei Anwendung dieser Grundsätze sei die vollständig überholte und zum Teil erneuerte Diesel-Lokomotive als neues Wirtschaftsgut anzusehen. Gegenüber dem Wert der neuen Teile habe der Teilwert der alten Lokomotive 1 DM betragen. Die verwendeten Altteile (Rahmen, Getriebe, Karosserie) seien folglich nicht höher anzusetzen. Für sie sei vom Teilwert auszugehen, da die Klägerin ihren - an sich maßgeblichen - wahren Wert nicht angegeben habe. Dieser wahre Wert lasse sich auch nicht mehr durch Gutachten ermitteln, da die Lokomotive inzwischen weitere Jahre gefahren sei. Die Klägerin müsse sich als Kaufmann, der den Teilwert eines Wirtschaftsguts teilweise oder vollständig abgeschrieben habe, entgegenhalten lassen, daß sie die Wertminderung oder Wertlosigkeit des betreffenden Wirtschaftsguts anerkannt habe. Daß die Lokomotive vor der Großreparatur noch fahrbereit gewesen sei, besage nicht, daß die nicht erneuerten - bereits 12 Jahre genutzten - Teile wesentlich wertvoller als der angesetzte Teilwert gewesen seien.
Mit der - vom FG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen (§ 76 FGO) und materiellen (§ 30 Abs. 2 UStG 1967 in der für das Streitjahr geltenden Fassung) Rechts. Sie trägt im wesentlichen vor: Die Reparatur habe lediglich die noch vorhandene Brauchbarkeit der Lokomotive auf einen weiteren Zeitraum sichergestellt. Zur Brauchbarkeit sowie zum erheblichen Wert der Lokomotive vor der Reparatur habe sie Beweis angeboten. Das Unterlassen der Beweisaufnahme sei eine Verletzung formellen Rechts, auf der das Urteil beruhe.
Im übrigen verletze die Entscheidung § 30 Abs. 2 UStG 1967. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein neues Wirtschaftsgut gebildet worden sei, sei die tatsächliche Brauchbarkeit des "alten" Wirtschaftsguts, also die Fahrbereitschaft der Lokomotive. Die BFH-Rechtsprechung zur Selbstverbrauchsteuerpflicht von Gebäudeerweiterungen könne mangels vergleichbaren Sachverhalts hier nicht angewandt werden.
Die Klägerin beantragt, die Umsatzsteuer herabzusetzen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es schließt sich der Auffassung des FG an.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Der Senat braucht auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht einzugehen, da die Revision aus materiellrechtlichen Gründen Erfolg hat.
2. Nach § 30 Abs. 2 UStG 1967 in der für das Streitjahr geltenden Fassung ist bei Vorliegen weiterer, hier nicht streitiger Voraussetzungen der Tatbestand des Selbstverbrauchs verwirklicht, wenn abnutzbare körperliche Wirtschaftsgüter der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugefügt werden. Der Begriff des Wirtschaftsguts im Sinn dieser Vorschrift bestimmt sich - wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat - nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen (vgl. Urteil vom 5. Dezember 1974 V R 30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344).
Aus ertragsteuerrechtlicher Sicht ist die nach dem Vollverschleiß eines Wirtschaftsguts erforderliche Generalüberholung als Neuherstellung des Wirtschaftsguts anzusehen (vgl. das Urteil des BFH vom 30. Mai 1974 IV R 56/72, BFHE 112, 277, BStBl II 1974, 520) mit der Folge, daß Reparaturaufwendungen als Herstellungsaufwand zu aktivieren sind und nicht als Erhaltungsaufwand für das ursprüngliche Wirtschaftsgut sofort abgeschrieben werden können. Ob ein Wirtschaftsgut dem tatsächlichen Verschleiß unterlegen hat und deshalb nur noch wiederhergestellt werden kann oder ob es durch Einsatz von Reparaturaufwand weiterhin als nutzungsfähiges Wirtschaftsgut erhalten werden kann, entscheidet sich grundsätzlich nach der tatsächlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts, nicht aber nach der buchmäßigen Nutzungszeit. Denn eine zufällig richtige oder falsche Schätzung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer kann das Wesen des Reparaturaufwands als Herstellungs- oder Erhaltungsaufwand nicht beeinflussen oder ändern. Vielmehr ist auch bei einem voll abgeschriebenen Wirtschaftsgut ein Bereithalten zur Verwendung möglich. Macht das Auswechseln von verschlissenen Teilen eines buchmäßig abgeschriebenen Wirtschaftsguts, bei dem kein tatsächlicher Vollverschleiß eingetreten ist, lediglich die Nutzungsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsguts im Rahmen der Lebensdauer der nicht ergänzten Teile möglich, so spricht dies ertragsteuerrechtlich für Erhaltungsaufwand (vgl. die BFH-Urteile IV R 56/72 und I 173/58 U). Der BFH hebt im übrigen die Entwicklung hervor, in Zweifelsfällen nicht Herstellungs-, sondern Erhaltungsaufwand anzunehmen (Urteil IV R 56/72, Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242 [254], BStBl II 1974, 132).
3. Die Anwendung vorstehender Grundsätze auf den vom FG festgestellten Sachverhalt ergibt zur Frage der Selbstverbrauchsteuerpflicht, daß der Klägerin aufgrund der Reparatur der bereits vorher als Anlagevermögen verwendeten Lokomotive kein neues Wirtschaftsgut zur Verfügung stand. Am bisherigen Wirtschaftsgut wurde lediglich ein normaler Materialverschleiß an besonders beanspruchten Einzelteilen ausgeglichen; neue Nutzungsmöglichkeiten wurden nicht geschaffen. Weder im Zeitpunkt der vollen Abschreibung noch im Zeitpunkt der Generalüberholung war an der Diesel-Lokomotive ein tatsächlicher Vollverschleiß eingetreten. Denn sie diente dem Unternehmen der Klägerin zunächst noch bis zur Reparatur und, wie die Feststellungen des FG ergeben, nach der Reparatur mindestens noch weitere fünf Jahre. Ausgetauscht bzw. erneuert wurden lediglich diejenigen Teile der Lokomotive, die einem erhöhten Materialverschleiß unterlegen hatten, wie insbesondere der Motor, Teile der Kupplung, die Räder sowie die Radfederung. Der Einbau der Ersatzteile war angesichts der längeren Lebensdauer der nicht ergänzten Teile (Rahmen, Getriebe, Karosserie) wirtschaftlich sinnvoll. Die Verlängerung der Nutzungsdauer der Lokomotive, die sich aufgrund dieser Erneuerungsarbeiten ergab, rechtfertigt aber nicht die Annahme, daß damit eine Neuherstellung des Wirtschaftsguts vollzogen worden ist (BFH-Urteil IV R 56/72). Insbesondere greift die Auffassung des FG nicht durch, daß aufgrund der Höhe des Reparaturaufwands im Verhältnis zum Wert des Wirtschaftsguts vor der Reparatur bei wirtschaftlicher Betrachtung ein neues Wirtschaftsgut anzunehmen sei. Denn die Höhe des Aufwands allein ist kein entscheidendes Kriterium für die Frage, ob bei ertragsteuerrechtlicher Betrachtung Erhaltungs- oder Herstellungsaufwand vorliegt. Der Senat braucht der Frage nach dem Verhältnis des Aufwandes zum Wert der Lokomotive vor der Reparatur nicht nachzugehen, da auch - wie im Streitfall geschehen - aufgestauter hoher Aufwand dazu dienen kann, den normalen Materialverschleiß auszugleichen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, ohne daß die Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeit wesentlich verändert wird (vgl. BFH-Urteil I 173/58 U).
Auch die erstmalige Ausrüstung der Lokomotive mit einer elektrischen Anlage bewirkt nicht die Entstehung eines neuen Wirtschaftsguts. Denn durch diese, mit den Reparaturen teilweise technisch verbundene Modernisierung war weder eine ins Gewicht fallende Substanzmehrung noch eine Veränderung der Wesensart verbunden (vgl. das Urteil des BFH vom 9. November 1976 VIII R 27/75, BFHE 121, 179, BStBl II 1977, 306, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Schließlich ist auch der Einbau des Austauschmotors nicht als Anschaffung eines selbständigen - aktivierungspflichtigen - Wirtschaftsguts zu werten, dessen betrieblicher Einsatz Selbstverbrauchsteuerpflicht auslösen könnte. Denn die Lokomotive und der jeweils dazugehörige Motor sind ein einheitlich zu bewertendes Ganzes - das einheitliche Wirtschaftsgut "Diesel-Lokomotive" (vgl. BFH-Urteil IV R 56/72).
4. Auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Selbstverbrauchsteuerpflicht von Gebäudeerweiterungen kann das FG seine Rechtsauffassung nicht stützen. Zum einen handelt es sich dabei nicht um Fälle, in denen lediglich substanzerhaltende Bestandteilserneuerungen durchgeführt werden, sondern um die Beurteilung von erweiternden Baumaßnahmen als bloße Erweiterungsinvestitionen oder als Neuinvestitionen (vgl. BFH-Urteil V R 151/71), zum anderen sind dem nach dieser Rechtsprechung anzustellenden Wertvergleich zwischen Alt- und Neubauteilen nicht die Buchwerte im Zeitpunkt der Investition zugrunde zu legen. Maßgeblich ist vielmehr jeweils der Aufwand für die Errichtung der einzelnen Teile, wobei die Werte durch Berücksichtigung von zwischenzeitlichen Wertsteigerungen, von Verschleiß und von Kostenentwicklungen korrigiert werden (BFH-Urteil V R 151/71).
5. Die Sache ist spruchreif. Die Umsatzsteuer wird unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung durch Minderung der Selbstverbrauchsteuer herabgesetzt.
Fundstellen
BStBl II 1977, 577 |
BFHE 1978, 176 |