Leitsatz (amtlich)
Der Freibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 (§ 25 b Abs. 1 LStDV 1971) steht in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kindern heimatvertriebener Eltern nicht zu.
Normenkette
EStG 1953 § 33a Abs. 1; EStG 1971 § 52 Abs. 21; LStDV 1971 § 25b Abs. 1; BVFG §§ 1-4, 7
Tatbestand
In der Revisionsinstanz ist nur noch streitig, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Kind heimatvertriebener Eltern der Freibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 zusteht.
Der Kläger ist in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) geboren, nachdem seine Eltern vorher als Heimatvertriebene hierhergekommen waren. Er bezog erstmals im Jahre 1972 steuerpflichtige Einkünfte. Im gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren mit seiner Ehefrau, der Klägerin, beantragte er unter Vorlage des Heimatvertriebenenausweises A den Flüchtlingsfreibetrag von 840 DM für Verheiratete nach Steuerklasse (StKl) III gem. § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 (§ 25 b Abs. 1 LStDV 1971).
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) lehnte den Antrag ab mit der Begründung, daß der Freibetrag einer Person, die erst nach der Vertreibung ihrer Eltern in der Bundesrepublik geboren sei, nicht zustehe, und hielt daran in der Einspruchsentscheidung fest. Hiergegen hatte sich der Kläger mit seiner Klage gewandt. Er vertrat dabei die Auffassung, daß er aufgrund des § 7 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 19. Mai 1953 (BGBl I, 201) i. d. F. vom 23. Oktober 1961 (BGBl I, 1882) den Vertriebenen gleichgestellt sei und Anspruch auf die entsprechenden Vergünstigungen habe.
Das FG gab der Klage in der hier noch allein streitigen Frage in Übereinstimmung mit seinen in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1975 S. 362 (EFG 1975, 362) veröffentlichten Urteil vom 26. Mai 1975 IX L 24/73 statt.
Zur Begründung seiner Auffassung hat das FG folgendes ausgeführt:
Ob der Kläger den Freibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG 1953 erhalten könne, hänge entscheidend davon ab, ob der Vertriebenenstatus, den er nach § 7 BVFG erworben habe, von der genannten Vorschrift erfaßt werde. Diese Frage sei zu bejahen. Dies ergebe sich eindeutig aus der Stellung und Formulierung des § 7 BVFG im Rahmen des Gesetzes. Die §§ 1 bis 4 des genannten Gesetzes bestimmten, wer Vertriebener (§ 1), Heimatvertriebener (§ 2), Sowjetzonenflüchtling (§ 3) und eine den Sowjetzonenflüchtlingen gleichgestellte Person (§ 4) sei. In den §§ 5 und 6 BVFG folgten die Begriffsbestimmungen der Wörter "Vertreibung" und "Volkszugehörigkeit". In § 7 BVFG sei dann ergänzend zum Ausdruck gebracht, daß Kinder von Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtlingen, die erst nach der Vertreibung geboren seien, ebenfalls die Eigenschaft als Vertriebene oder Sowjetzonenflüchtlinge erwerben könnten. Sie erhielten mithin den Vertriebenenstatus der §§ 1 bis 4 BVFG, seien den dort genannten Personen gleichgestellt und bildeten nicht etwa eine eigene Gruppe von Vertriebenen, die in § 33 a EStG 1953 besonders hätte aufgeführt werden müssen, wenn sie begünstigt werden sollte. Es sei nicht zu ersehen, welchen anderen Sinn § 7 BVFG haben könne, als den nachgeborenen Kindern denselben Status - verbunden mit denselben Vergünstigungen - wie dem in den §§ 1 bis 4 BVFG bezeichneten Personenkreis zu verleihen. Wirtschaftlich bestände auch kein wesentlicher Unterschied darin, ob das Kind eines Vertriebenen im Zeitpunkt der Vertreibung schon geboren gewesen oder erst danach geboren worden sei. Dies zeige sich an dem Fall einer schwangeren Vertriebenen, deren Kind alsbald nach ihrem Eintreffen in der Bundesrepublik geboren wurde. Das Gesetz gehe offensichtlich davon aus, daß Kinder durch den Flüchtlingsstatus der Eltern wirtschaftlich erheblich beeinträchtigt seien und regelmäßig entsprechende Vergünstigungen verdienten. Es widerspräche daher nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, daß die Vergünstigungen des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 auch den nach der Vertreibung geborenen Kindern von Vertriebenen zugute kämen. Hiernach sei dem Kläger, der im Jahre 1972 erstmals eigene Einkünfte bezogen habe, für das Jahr 1972 als Erstjahr der genannte Freibetrag zu gewähren (vgl. Urteil des BFH vom 6. Mai 1969 VI R 110/68, BFHE 96, 269, BStBl II 1969, 621).
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Es rügt die Verletzung des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 i. V. m. § 52 Abs. 21 EStG 1971 und führt im wesentlichen folgendes aus: Nach dem Wortlaut des § 33 a Abs. 1 EStG 1953, der nur die §§ 1 bis 4 BVFG anspreche, werde § 7 dieses Gesetzes nicht erfaßt. In der Bundesrepublik geborene Kinder von Heimatvertriebenen fielen daher nicht unter die Vorschrift des § 33 a Abs. 1 EStG 1953. Die Gewährung eines Freibetrags für nach der Vertreibung oder Flucht geborene Kinder widerspreche aber auch der Zielsetzung des § 33 a Abs. 1 EStG 1953, da Kinder, die erst nach der Vertreibung oder Flucht geboren worden seien, in der Regel keinen eigenen Hausrat und keine Kleidung verloren hätten. Das FA bezieht sich schließlich auf das in einer Grunderwerbsteuersache ergangene BFH-Urteil vom 30. August 1972 II R 79/72 (RFHE 107, 155, BStBl II 1973, 30), das ebenfalls eine Ausdehnung der Grunderwerbsteuerbefreiung auf den in § 7 BVFG genannten Personenkreis ausschließe.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Zutreffend ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß die Entscheidung des Rechtsstreites davon abhängt, ob der Vertriebenenstatus, den der Kläger nach § 7 BVFG erworben hat, von der Bestimmung des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 erfaßt werde. Das FG hat diese Frage bejaht. Der erkennende Senat vermag ihm jedoch darin nicht zu folgen; denn nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 33 a EStG 1953 stehen die festgelegten Freibeträge nur den Vertriebenen, Heimatvertriebenen, Sowjetzonenflüchtlingen und diesen gleichgestellten Personen i. S. der §§ 1 bis 4 BVFG zu (vgl. dazu FG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 1975 V 115/71 L, EFG 1975, 363). Der erkennende Senat sieht sich weder veranlaßt noch befugt, diese Vorschrift im Wege einer erweiternden Gesetzesauslegung auch auf die Personen auszudehnen, die - wie der Kläger - die Vertriebeneneigenschaft nach § 7 BVFG lediglich als nach der Vertreibung geborene Kinder eines Vertriebenen erworben haben. Wie der BFH in dem oben bezeichneten Urteil II R 79/72 ausgeführt hat, ist durch diesen "abgeleiteten Erwerb" (vgl. Ehrenforth, Bundesvertriebenengesetz, Kommentar, § 7 Tz. 1; Strassmann-Nitsche, Bundesvertriebenengesetz, 2. Aufl., § 7 Anm. 2) zwar der Vertriebenenstatus erweitert (vgl. die seinerzeitige Begründung zum Gesetzentwurf, Deutscher Bundestag, Erste Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 2872 zu § 6; Ehrenforth, a. a. O.; Werber-Bode-Ehrenforth, Bundesvertriebenengesetz, § 1 Anm. 1), aber zugleich auch eine neue Personengruppe - eben die der Kinder von Vertriebenen - geschaffen worden, die selbständig neben den Kreis der "eigentlichen Vertriebenen" i. S. der §§ 1 bis 4 BVFG getreten ist. Wenn der Bundesgesetzgeber auch diese Gruppe mit dem Status der Vertriebeneneigenschaft einkommensteuerrechtlich hätte begünstigen wollen, hätte er die klar abgrenzende Bezugnahme auf die §§ 1 bis 4 BVFG zugleich auch auf den § 7 BVFG erstrecken können und müssen. Der Umstand, daß auch nachgeborene Kinder von Vertriebenen Vergünstigungen (Betreuungen) nach Maßgabe der §§ 10, 13 BVFG und in sinnvoller Wechselwirkung mit § 7 BVFG, insbesondere gem. § 10 Abs. 2 Nr. 1 BVFG in Anspruch nehmen können (Ehrenforth, a. a. O.), gestattet nicht die Einbeziehung der in § 7 BVFG genannten Personen in die bundesrechtliche Begünstigungsvorschrift des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 entgegen deren Wortlaut (so auch im Ergebnis Gericke, Großkommentar zur Einkommensteuer, 1975, § 33 a Rz. 22; Urteil des FG Düsseldorf V 115/71 L; a. A. - jedoch ohne Begründung - Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 33 a EStG 1953 Anm. 3; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., § 33 EStG Anm. 31-43).
Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird dadurch bestätigt, daß in § 4 BVFG der Rechtsstatus der den Sowjetzonenflüchtlingen "gleichgestellten Personen" geregelt ist und diese Vorschrift ausdrücklich in § 33 a Abs. 1 EStG 1953 Aufnahme gefunden hat. Hiermit lassen sich die "gleichgestellten Personen" i. S. des § 7 BVFG, zu denen der Kläger gehört, nicht vergleichen. Sie sind daher auch nicht in die Vorschrift des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 aufgenommen worden, wie sich aus dem dortigen Klammerzusatz ergibt, der ausdrücklich nur auf die "§§ 1 bis 4 BVFG" verweist. In diesem Sinne hat sich ferner das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 23. April 1975 VIII C 38.74 (BVerwGE 48, 177) ausgesprochen und die Möglichkeit verneint, daß jemand, der die Eigenschaft als Vertriebener nach § 7 BVFG durch Abstammung von einem Vertriebenen erworben hat, nach dem Zweiten Titel des Dritten Abschnitts des Bundesvertriebenengesetzes in die Landwirtschaft eingegliedert werden könne.
Gegen die vom FG gefundene Gesetzesauslegung spricht ferner die Entstehungsgeschichte des § 33 a Abs. 1 EStG 1953. Denn hierdurch wurde eine andere Vorschrift, nämlich der § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG 1949, abgelöst (vgl. die amtliche Begründung des Gesetzes in Deutscher Bundestag, Erste Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 317, S. 20 f.). Nach der vorgenannten Vorschrift waren Aufwendungen der durch Kriegseinwirkung Geschädigten, der politisch Verfolgten, der Flüchtlinge und der Vertriebenen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung im Rahmen bestimmter Höchstbeträge als Sonderausgaben abzugsfähig. Voraussetzung war dabei, daß die Wiederbeschaffungsaufwendungen nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht wurden. Dieses Verfahren hatte zur Folge, daß es den Steuerpflichtigen mit höherem Einkommerr eine größere steuerliche Vergünstigung gewährte als den Beziehern kleinerer Einkommen. Außerdem war von seiten der Finanzverwaltung gegen das Verfahren eingewendet worden, daß es zu einer sehr starken Mehrbelastung der FÄ, insbesondere der Lohnsteuerstellen, führe, daß die Nachprüfung der geltend gemachten Wiederbeschaffungsaufwendungen auf große Schwierigkeiten, verbunden mit häufigen Auseinandersetzungen mit den Steuerpflichtigen, stoße und daß bei der Nachprüfung der Belege wiederholt Mißbräuche festzustellen seien. Aus diesem Grunde werde im Entwurf vorgeschlagen, den § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG zu streichen, so daß die Wiederbeschaffungsaufwendungen als Sonderausgaben nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Statt dessen sehe der neu vorgeschlagene § 33 a (der später Gesetz geworden ist) einen Freibetrag vor, dessen Höhe nach dem Personenstand gestaffelt sei. Dieser Freibetrag werde auf Antrag allen Personen gewährt, die unter den in der Vorschrift genannten Personenkreis fielen. Eine weitere Voraussetzung für die Gewährung des Freibetrags als die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis und die Antragstellung werde nicht mehr verlangt. Insbesondere sei ein Nachweis oder eine Glaubhaftmachung, daß Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat oder Kleidung gemacht worden seien, nicht mehr notwendig. Dieses Verfahren bedeute eine außerordentliche Vereinfachung sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für die Verwaltung. Der Freibetrag werde auch dann gewährt, wenn Aufwendungen überhaupt nicht gemacht worden seien oder mit Rücksicht auf die Einkommenslage des Steuerpflichtigen kaum gemacht werden könnten.
Das FA hat somit in seiner Revisionsbegründungsschrift zu Recht dargelegt, daß durch den § 33 a EStG 1953 im wesentlichen Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung abgegolten werden sollten, die der Steuerpflichtige nicht im einzelnen nachweisen könne. Dies wird im übrigen auch durch den § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1971 bestätigt. Nach dieser Vorschrift ist § 33 a Abs. 1 EStG 1953 nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige seine Aufwendungen zur Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung nachweist und dafür eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG beantragt. Da Kinder, die wie der Kläger erst nach der Vertreibung oder Flucht geboren worden sind, in der Regel keinen eigenen Hausrat und auch keine Kleidung verloren haben können, kann ihnen deshalb auch keine Steuerermäßigung nach § 33 a Abs. 1 EStG 1953 gewährt werden.
Entgegen dem Inhalt der Vorentscheidung hat der Senat im Urteil VI R 110/68 (drittletzter Absatz) nicht ausgeführt, auch nach § 7 BVFG als Vertriebene oder Sowjetzonenflüchtlinge zu behandelnde Kinder könnten den Freibetrag des § 33 a Abs. 1 EStG 1953 in Anspruch nehmen. Der Senat hat zwar erörtert, daß auch nach der Vertreibung geborene Kinder die Vertriebeneneigenschaft erwerben können. Er hat aber gleichzeitig bemerkt, daß bei Kindern mit ererbtem Vertriebenenstatus die Inanspruchnahme von Vergünstigungen davon abhänge, ob die Voraussetzungen des § 13 BVFG erfüllt sind. Damit hat der Senat aber lediglich, wie es auch das BVerwG im Urteil VIII C 38.74 getan hat, ausgeführt, daß der Vertriebenenstatus gem. § 7 BVFG nicht in jedem Punkt und uneingeschränkt die gleichen Rechte gewährt wie der Vertriebenenstatus nach §§ 1 bis 4 BVFG.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat entscheidet in der Sache selbst nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO. Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71931 |
BStBl II 1976, 619 |
BFHE 1977, 268 |