Leitsatz (amtlich)
Bei vorzeitiger Beendigung der Kraftfahrzeugsteuerpflicht mindert sich die für den letzten Entrichtungszeitraum entstandene Steuerschuld - entsprechend § 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG 1961 - für jeden vollen Monat, der nach dem Tag der Beendigung der Steuerpflicht liegt, um ein Zwölftel der Jahressteuer. Dies ist dem Steuerpflichtigen durch einen Bescheid bekanntzugeben, gegen den - in sinngemäßer Anwendung des § 229 Nr. 1 AO - der Einspruch gegeben ist.
Normenkette
KraftStG 1961 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1, §§ 11, 13, 14 Abs. 1 S. 1, § 17 Abs. 1 Nr. 4; KraftStDV 1961 § 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4; AO §§ 211-212, 229 Nr. 1, § 236 Abs. 1, §§ 238, 327 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Der Kläger war Halter des Personenkraftwagens A. Er entrichtete die durch Bescheid vom 10. Dezember 1965 festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer jeweils für ein halbes Jahr im voraus. Für das vom 8. Juni 1967 bis 7. Dezember 1967 laufende Halbjahr entrichtete er zunächst keine Kraftfahrzeugsteuer, weil er der Ansicht war, er schulde für diesen Zeitraum keine Kraftfahrzeugsteuer. Er hatte das Fahrzeug seit dem 7. Juni 1967 nicht mehr zum Verkehr auf öffentlichen Straßen benutzt, sondern auf dem Gelände eines Kraftfahrzeughändlers zum Verkauf abgestellt. Am 13. Juni 1967 hatte er das Fahrzeug "vorübergehend außer Betrieb gesetzt", den Kraftfahrzeugschein der Zulassungsstelle zurückgegeben und den Dienststempel auf dem Kennzeichen entfernen lassen. Gleichzeitig hatte er den von ihm erworbenen Personenkraftwagen B angemeldet und für ihn die Kraftfahrzeugsteuer für das vom 14. Juni 1967 bis 13. Dezember 1967 laufende Halbjahr entrichtet.
Das FA gab dem Kläger durch einen mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 14. Juli 1967 über die "Abrechnung nach der Abmeldung" bekannt, daß die Kraftfahrzeugsteuer für das abgemeldete Fahrzeug für den Entrichtungszeitraum 8. Juni 1967 bis 7. Dezember 1967 111,20 DM betrage, davon nach § 14 KraftStG wegen Beendigung der Steuerpflicht 5/12 der Jahressteuer (= 90 DM) abzusetzen seien, so daß er noch 21,20 DM Kraftfahrzeugsteuer zu zahlen habe. Es bat den Kläger, "den rückständigen Kraftfahrzeugsteuerbetrag ... umgehend zu entrichten, um die Zwangsvollstreckung abzuwenden und die Entstehung von Säumniszuschlägen zu vermeiden". Mit dem Einspruch rügte der Kläger, daß er noch für einen vollen Monat Steuer zahlen solle, obwohl er sein Fahrzeug bereits am 6. Tage nach Beginn des letzten Entrichtungszeitraumes abgemeldet habe. Das FA wies den Einspruch zurück. Mit der Klage wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die inzwischen (am 1. August 1967) bezahlte Kraftfahrzeugsteuer zu erstatten. Es sei verfassungswidrig, "Steuern für einen Zeitraum zu erheben, für den eine Steuerpflicht ... nicht mehr bestanden" habe. Das FG hielt den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig, das Erstattungsbegehren für unbegründet. Es wies deshalb die Klage ab, ließ aber die Revision zu, weil die Rechtsfrage, ob § 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG 1961 mit dem (GG) vereinbar sei, von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Mit der Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der angefochtene Bescheid nach Form und Inhalt seine Rechtsgrundlage im Bundesrecht findet. Der Bescheid läßt sich zwar nicht unmittelbar auf eine geschriebene Norm des Bundesrechts stützen. Aber das Bundesrecht umfaßt nicht nur geschriebenes Recht, sondern auch Recht, das der Richter aus den vorhandenen positiven Rechtssätzen erst erschließt.
Eine Lücke, d. h. eine Unvollständigkeit, enthält das KraftStG in der Fassung vom 2. Januar 1961 (BGBl I 1961, 1, BStBl I 1961, 20) insofern, als es für den Fall vorzeitiger Beendigung der Steuerpflicht zwar regelt, daß und in welcher Höhe Kraftfahrzeugsteuer erstattet wird (§ 14 Abs. 1 KraftStG), nicht aber ob und ggf. in welcher Höhe in diesem Falle die Steuerschuld für den letzten Entrichtungszeitraum sich verringert, ob dies dem Steuerpflichtigen durch Bescheid bekanntzugeben ist und ggf. welcher Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid gegeben ist. Auf diese Fragen wäre eine Antwort des Gesetzgebers jedoch zu erwarten gewesen. Das folgt aus der materiell- und verfahrensrechtlichen Sonderstellung, die er dem Kraftfahrzeugsteuerrecht gegeben hat.
Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt ein Dauerzustand: Das Halten eines Kraftfahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, § 1 StVG; Urteil des BFH II 190/52 U vom 18. Dezember 1953, BFH 58, 358, BStBl III 1954, 49). Die Steuer pflicht dauert vom Tag der Zulassung des Fahrzeugs bis zum Ablauf des Tages, an dem der Kraftfahrzeugschein der Zulassungsbehörde zurückgegeben wird (§ 5 Nr. 1 KraftStG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG). Die davon zu unterscheidende einzelne Steuerschuld entsteht stets neu zu Beginn des jeweils vom Steuerpflichtigen gewählten Steuerentrichtungszeitraums, z. B. des Halbjahrs (§ 13 KraftStG, § 3 Abs. 1 StAnpG, BFH-Urteil II 58/63 vom 19. Januar 1966, BFH 85, 42, BStBl III 1966, 227). Die Steuer wird durch einen Bescheid unbefristet, d. h. für die ganze Dauer der Zulassung des Fahrzeugs festgesetzt (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG, § 12 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 4 KraftStDV). Dieser Bescheid wirkt also "automatisch" in die Zukunft (vgl. BFH-Urteil II 140/64 vom 28. Oktober 1969, BFH 97, 488, 489, BStBl II 1970, 262).
Läßt der Gesetzgeber derartige Bescheide zu, so ist zu erwarten, daß er für den Fall vorzeitiger Beendigung der Steuerpflicht nicht nur vorschreibt, in welcher Höhe entrichtete Kraftfahrzeugsteuer erstattet wird (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG), sondern auch bestimmt - gewissermaßen als Spiegelbild -, in welcher Höhe nicht entrichtete Kraftfahrzeugsteuer noch geschuldet wird. Denn ohne eine solche Regelung wäre das FA genötigt, die Zahlung der Steuer für den vollen Entrichtungszeitraum zu fordern und notfalls zu erzwingen (§ 325 Satz 1, § 326 Abs. 3 Nr. 1 AO), obwohl von vornherein feststünde, daß es sie alsbald wieder gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG zu erstatten hätte. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber etwas derartiges anordnen wollte. Allerdings schreibt er in § 327 Abs. 2 Satz 1 AO vor, daß in Fällen, in denen zwar nicht bestritten wird, daß der Steueranspruch entstanden ist, aber geltend gemacht wird, daß er aus anderen Gründen nicht, nicht mehr oder noch nicht vollstreckbar sei, "vorläufig" zu leisten und der Anspruch auf Erstattung nach § 152 AO zu verfolgen sei. Indes handelt es sich dort um Einwendungen gegen einen Anspruch, der durch einen Bescheid der in §§ 211, 212 AO bezeichneten Art geltend gemacht worden ist, nicht - wie hier - durch einen auf die Zukunft gerichteten Bescheid mit "Dauerwirkung", bei dem auf Grund der vorstehenden Erwägung davon auszugehen ist, daß der Bescheid keine über das Ende der Steuerpflicht hinausreichende Festsetzungswirkung haben sollte.
Die festgestellte Lücke ist dahin zu schließen, daß bei vorzeitiger Beendigung der Steuerpflicht die zu Beginn des letzten Entrichtungszeitraums entstandene Steuerschuld sich mindert, und zwar für jeden vollen Monat, der nach dem Tag der Beendigung der Steuerpflicht liegt, um 1/12 der Jahressteuer (§ 11 KraftStG). Dies entspricht der vom Gesetzgeber für den Fall der Erstattung durch § 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG getroffenen Regelung. Diese Vorschrift ist mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Das hat das BVerfG entschieden (Beschluß BVerfG vom 25. Januar 1972 - 1 BvL 1/71 -, BVerfGE 32, 279, BStBl II 1972, 206). Seine Entscheidung hat Gesetzeskraft (Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1, § 13 Nr. 11 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, BGBl I 1972, 267). Daraus folgt, daß die vom Kläger erstrebte weitergehende (auch jeden Tag, der nach dem Tag der Beendigung der Steuerpflicht liegt, berücksichtigende) Minderung der Steuerschuld nicht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers entspricht.
Ist ein "automatisch" in die Zukunft wirkender Bescheid zugelassen, so ist aber nicht nur zu erwarten, daß gesetzlich geregelt ist, inwieweit sich bei vorzeitiger Beendigung der Steuerpflicht die Steuerschuld mindert, sondern auch, ob und in welcher Form das FA dies dem Steuerpflichtigen mitzuteilen hat. Denn ohne eine solche Regelung bliebe der Steuerpflichtige im Ungewissen über die Höhe der von ihm noch zu entrichtenden Steuer und deren Berechnung. Diese weitere Lücke ist - in sinngemäßer Anwendung der §§ 211, 212, 229 Nr. 1, 236 Abs. 1, 238 AO - dahin zu schließen, daß bei vorzeitiger Beendigung der Steuerpflicht das FA dem Steuerpflichtigen einen Bescheid erteilt, der die Höhe der noch zu entrichtenden Steuer und deren Berechnung enthält, und dem eine Belehrung beigefügt ist, daß gegen ihn der Einspruch gegeben ist und binnen eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich eingereicht oder zur Niederschrift des betreffenden FA erklärt werden kann.
Der dargestellten Rechtslage entsprach der angefochtene Bescheid. Das FG hat deshalb im Ergebnis zu Recht die Klage sowie das Erstattungsbegehren des Klägers für unbegründet erachtet.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen, da sein Rechtsmittel keinen Erfolg hatte (§ 135 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413227 |
BStBl II 1972, 866 |
BFHE 1972, 355 |