Leitsatz (amtlich)
Der Beruf des Übersetzers kann für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Änderung des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG durch das StÄndG 1960 regelmäßig nicht zu den freien Berufen gerechnet werden.
Normenkette
GewStG 1955 § 2 Abs. 1; EStG 1955 § 18 Abs. 1 Ziff. 1
Tatbestand
Die Bfin. ist seit 1945 als Dolmetscherin und Übersetzerin in den Fremdsprachen Englisch, Französisch und Spanisch selbständig tätig. Zu ihrem Aufgabengebiet gehören vor allem Übersetzungen technischer Art für Firmen, Übersetzungen von Rechtsgutachten für die Gerichte, für Patentanwälte, für Rechtsanwälte und dergleichen. Sie beschäftigt außer Schreibkräften eine Reihe freier Mitarbeiter.
Das Finanzamt hat die Bfin. erstmals für 1955 zur Gewerbesteuer herangezogen; es hat ihre Tätigkeit als eine gewerbliche angesehen, da sie keinen ausgesprochen wissenschaftlichen Charakter aufweise.
Im Rechtsmittelverfahren hat die Bfin. ihre Gewerbesteuerpflicht bestritten. Ihre Einkünfte seien solche aus selbständiger Arbeit, da ihre Tätigkeit alle Voraussetzungen eines freien Berufes nach § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erfülle. Sie sei geistig schöpferisch tätig, weil jede Übersetzung auch die genaueste Kenntnis des zu übersetzenden Stoffes verlange. Sie übe eine Fachtätigkeit mit wissenschaftlichem Niveau aus, da sie in der Hauptsache mit Übersetzungen ganzer zusammenhängender wissenschaftlicher Arbeiten befaßt worden sei. Ihr Beruf sei ferner hinsichtlich der Ausübung dem eines Anwalts, Notars oder auch Ingenieurs ähnlich. Im übrigen würden nach herrschender Auffassung zu den freien Berufen auch solche Tätigkeiten gerechnet, die nicht auf einer abgeschlossenen wissenschaftlichen, insbesondere hochschulmäßigen Vorbildung beruhten, so die Tätigkeit der Heilpraktiker, Hebammen, Krankenschwestern usw. Tatsächlich habe sie aber auch eine wissenschaftliche Vorbildung genossen. Sie habe das Sprachenseminar einer staatlich anerkannten Sprachschule besucht und die staatliche Sprachlehrerinnenprüfung in Deutsch, Englisch und Französisch bestanden. Anschließend habe sie sich jahrelang teils zum Zweck der beruflichen Fortbildung, teils als Dolmetscherin im Ausland aufgehalten. Das Finanzamt hätte auch prüfen müssen, ob ihre Tätigkeit nicht zum mindesten als eine sonstige selbständige im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 3 EStG angesehen werden müsse. Schließlich verstoße ihre Heranziehung zur Gewerbesteuer für das Streitjahr gegen Treu und Glauben, nachdem das Finanzamt ihre Tätigkeit neun Jahre lang als nichtgewerbliche betrachtet habe.
Auf Grund einer prozeßleitenden Auflage des Finanzgerichts hat die Bfin. eine Aufgliederung ihrer Betriebseinnahmen für 1955 nach der Art der Übersetzungen eingereicht und dieser Aufstellung Durchschläge von ihrer Ansicht nach schwierigen Auftragserledigungen beigefügt.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Bfin. übe keinen der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG einzeln bezeichneten Berufe und auch nicht einen diesen ähnlichen Beruf aus. Nach ständiger Rechtsprechung könne der Aufzählung der freien Berufe in der genannten Vorschrift kein allgemeiner Grundsatz entnommen werden, demzufolge etwa alle Berufe, die unter den allgemeinen Grundsatz fallen würden, als freiberuflich anzusehen wären. Vielmehr müßten die "ähnlichen" Berufe im Sinne der Gesetzesvorschrift tatsächlich einem bestimmten der im Gesetz einzeln aufgeführten Berufe ähnlich sein. Hiernach könne der Auffassung der Bfin., ihr Beruf sei dem eines Anwalts, Notars oder auch Ingenieurs ähnlich, nicht gefolgt werden. Wenn sie von Angehörigen dieser Berufe Übersetzungsarbeiten erhalte, so leiste sie damit nicht deren Berufsarbeit. Die Tätigkeit der Bfin. sei auch keine schriftstellerische. Ein Schriftsteller brauche zwar nach der Rechtsprechung kein Dichter, Künstler oder Gelehrter zu sein; jedoch müsse es sich bei dem "Geschriebenen" um den Ausdruck eigener Gedanken handeln und das Werk müsse für die Öffentlichkeit bestimmt sein. Die Bfin. beschränke sich im wesentlichen auf die Übersetzung bereits niedergeschriebener Gedanken Dritter, wenn auch ihre Arbeiten oft nicht die wortgetreue, sondern eine sinngemäße Wiedergabe zur Grundlage hätten. Die Bfin. übe aber auch keine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Gesetzes aus. Eine Übersetzertätigkeit könne nur dann als eine wissenschaftliche angesehen werden, wenn ihre Ausübung eine wissenschaftliche Ausbildung erfordere. Die Bfin. habe keine wissenschaftliche Vorbildung hinsichtlich des technischen, rechtswissenschaftlichen oder medizinischen Inhalts der ihr übertragenen Übersetzungsaufgaben. Aus der Vielzahl der auf allen wissenschaftlichen und auch nicht wissenschaftlichen Gebieten liegenden Übertragungen könne vielmehr der Schluß gezogen werden, daß die Bfin. zwar eine gute Allgemeinbildung und gutes sprachwissenschaftliches Niveau besitze, das sie befähige, auch schwierige, nicht alltägliche Übersetzungen technischen, rechtswissenschaftlichen und medizinischen Inhalts vorzunehmen, ohne daß aber dazu eine jeweils entsprechende wissenschaftliche Vorbildung erforderlich gewesen wäre. Sie könne und werde nicht dafür einstehen, daß der Inhalt der von ihr übertragenen Urkunden, Gutachten und Schriftstücke richtig sei.
Die Dolmetschertätigkeit könne zwar eine freiberufliche sein. Sie habe jedoch, wie sich aus der Aufteilung der Umsätze ergebe, offenbar eine ganz untergeordnete Rolle in der Berufstätigkeit der Bfin. gespielt. Daß überhaupt im Streitjahr eine Dolmetschertätigkeit honoriert worden sei, ergebe sich nicht aus den eingereichten Unterlagen.
Die Tätigkeit der Bfin. falle auch nicht unter die sonstige selbständige Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 3 EStG. Nach ständiger Rechtsprechung seien darunter, wie die in der Vorschrift genannten Beispiele erkennen ließen, überwiegend gelegentliche Tätigkeiten zu verstehen, so daß über die dort genannten hinaus eine Ausübung sonstiger selbständiger Arbeit steuerrechtlich nicht anerkannt werde.
Unerheblich sei es schließlich, daß die Bfin. bisher nicht zur Gewerbesteuer herangezogen worden sei. Das Finanzamt habe bei jeder Veranlagung erneut zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Gewerbesteuerpflicht vorlägen oder nicht. Eine falsche Rechtsauslegung könne nicht für alle Zeiten Geltung haben.
Mit der Rb. hat die Bfin. vorgebracht, der im Gesetz nicht erläuterte Begriff der freien Berufe umfasse mehr als die in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG beispielsweise erwähnten Tätigkeiten und Berufe. Dies ergebe sich vor allem daraus, daß in der Aufzählung in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStG das Wort "insbesondere" enthalten sei. Es könne daher unter den Begriff der freien Berufe auch die Arbeit der Dolmetscher und Übersetzer fallen, weil deren Tätigkeit alle Merkmale aufweise, die auf eine selbständige freie Berufstätigkeit hindeuteten. Eine solche liege in der Verwertung geistigen Vermögens und der persönlichen Arbeitskraft (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 429/52 U vom 10. April 1953, BStBl 1953 III S. 142, Slg. Bd. 57 S. 361). Diese Voraussetzungen lägen bei ihr vor. Dabei sei es weniger von Bedeutung, ob sie leichtere oder schwerere Übersetzungen abzuliefern habe; denn auch die ersteren beruhten auf dem geistigen Vermögen des Übersetzers. Dieser könne sich nie damit begnügen, fremde Gedanken nur grammatikalisch richtig zu übertragen. Es könne daher auch auf den Nachweis wissenschaftlicher Vorbildung nicht ankommen. Im übrigen habe sie sich in ihrer langjährigen Berufsarbeit auf technischem, medizinischem, pädagogischem, bevölkerungswissenschaftlichem und juristischem Gebiet gewisse Kenntnisse angeeignet, ohne die eine sinnvolle Übertragung des zu übersetzenden Stoffes nicht möglich gewesen wäre. Es werde zugegeben, daß ihr Beruf keinem der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nach der damaligen Fassung aufgeführten Berufe ähnlich sei. Darauf könne es aber bei der durch das Wort "insbesondere" gekennzeichneten nicht abschließenden Abgrenzung der freien Berufe nicht ankommen. Im übrigen seien nunmehr in der Neufassung, die § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1960 -- BStBl 1960 I S. 514 -- erhalten habe, neben anderen neu hinzugekommenen Berufen auch diejenigen der Dolmetscher und Übersetzer ausdrücklich in der Aufzählung der freien Berufe mit aufgeführt. Diese Ergänzung stelle keine Gesetzesänderung, sondern nur eine Klarstellung dar, weil der Begriff der freien Berufe durch die hinzugetretenen Beispiele nicht erweitert worden sei. Die Neufassung müsse daher, obwohl sie nach Art. 2 Abs. 7 StÄndG 1960 insoweit erst ab dem Veranlagungszeitraum 1960 gelten solle, bereits auf frühere Veranlagungszeiträume angewendet werden.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Das Finanzgericht ist zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs ausgegangen, wonach der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG kein allgemeiner Grundsatz in dem Sinne entnommen werden kann, daß alle Berufe, die gewisse allgemeine Merkmale aufweisen, als freie Berufe angesehen werden müssen. Ein im Gesetz nicht besonders erwähnter Beruf kann vielmehr nur dann als freier Beruf anerkannt werden, wenn er einem der im Gesetz erwähnten Berufe tatsächlich ähnlich ist (vgl. hierzu z. B. das Urteil des erkennenden Senats I 237/54 U vom 16. August 1955, BStBl 1955 III S. 295, Slg. Bd. 61 S. 254). Diese Rechtsprechung ist der Struktur des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angepaßt, der die wichtigsten Erscheinungsformen freiberuflicher Tätigkeit einzeln aufzählt und die Aufzählung durch den Zusatz "ähnliche Berufe" ergänzt. Das Ziel der Rechtsprechung war dabei, eine einigermaßen zuverlässige Abgrenzung des Bereiches der freien Berufe, die für die Gewerbesteuer von großer Bedeutung ist, zu erreichen.
Aus dem in der Rb. angeführten Urteil des Bundesfinanzhofs IV 429/52 U vom 10. April 1953 ist keine abweichende Auffassung zu entnehmen. Darin wird lediglich gesagt, daß es für die Einreihung eines Arztvertreters unter die freien Berufe nicht auf das Vorhandensein einer Praxis ankomme, da das geistige Vermögen und die eigene Arbeitskraft tragende Fundamente der freien Berufstätigkeit seien. Daß auch der IV. Senat des Bundesfinanzhofs an der oben gekennzeichneten Auslegung des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG festhält, ergibt sich z. B. aus den Ausführungen in seinem die Tätigkeit der Seelotsen betreffenden Urteil IV 178/58 U vom 17. März 1960 (BStBl 1960 III S. 209, Slg. Bd. 70 S. 561).
Wenn die Bfin. eine weitere Ausdehnung der Vorschrift aus dem Wort "insbesondere" im Eingang von Satz 2 des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG herleiten will, so kann ihr darin nicht gefolgt werden. Die Einfügung dieses Wortes sollte nach der Auffassung des Senats nur andeuten, daß die nachfolgende Aufzählung der freien Berufe im Hinblick auf den Zusatz "ähnliche Berufe" nicht erschöpfend ist. Daß dem Wort "insbesondere" keine selbständige sachliche Bedeutung zukommen sollte, ergibt sich auch aus seiner Streichung durch das StÄndG 1960. Diese ist erfolgt, obwohl der Gesetzgeber den Kreis der freien Berufe gegenüber der bisherigen Regelung keinesfalls einengen wollte (vgl. hierzu auch Hartmann-Böttcher, Großkommentar zur Einkommensteuer, Anm. 7 zu § 18, und Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 5 zu § 18 EStG).
Nach der angeführten Rechtsprechung, an der der Senat festhält, ergibt sich für den vorliegenden Fall folgende Rechtslage: In der Aufzählung der freien Berufe in der für das Streitjahr geltenden Fassung der Vorschrift waren die Dolmetscher und Übersetzer noch nicht enthalten. Die durch das StÄndG 1960 eingeführte Neufassung gilt insoweit erst für die Veranlagungen ab 1960 und kann nicht rückwirkend angewendet werden. Da der Beruf der Bfin., wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat und von der Bfin. nunmehr auch zugegeben wird, keinem der in der früheren Fassung des Gesetzes aufgeführten Berufe ähnlich ist, kommt es für die Entscheidung darauf an, ob die Bfin. eine der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten Tätigkeiten ausübt. Von diesen könnten nur die schriftstellerische und die wissenschaftliche in Betracht kommen. Die erstere hat das Finanzgericht mit Recht schon deshalb nicht für gegeben angesehen, weil die Bfin. nicht für die Öffentlichkeit schreibt (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 278/56 U vom 14. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 316, Slg. Bd. 67 S. 115).
Die Vorinstanz hat aber auch mit Recht das Vorliegen einer wissenschaftlichen Tätigkeit verneint. Wie die von der Bfin. eingereichte Aufgliederung ihrer Betriebseinnahmen für das Streitjahr ersehen läßt, hat sie eine Vielzahl von Übertragungen kleineren und größeren Umfanges gefertigt, die teils den Bereichen des täglichen Lebens angehören, teils auf verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten liegen. Der Anteil der ersteren ist nicht unerheblich; die Einnahmen hieraus betrugen im Streitjahr etwas über einem Viertel des Gesamtumsatzes. Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß nur bei den Übersetzungen aus Wissenschaftsgebieten eine wissenschaftliche Tätigkeit gegeben sein könnte unter der Voraussetzung, daß sie auf Grund wissenschaftlicher Vorbildung nicht nur auf sprachlichem, sondern auch auf dem betreffenden Wissenschaftsgebiet gefertigt werden (vgl. Hartmann-Böttcher, a. a. O., Anm. 17 zu § 18, Stichwort "Übersetzungsbüros", und Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf I 25/54 G vom 21. September 1955, Entscheidungen der Finanzgerichte 1955 S. 370). Ob die Vorbildung der Bfin. auf sprachlichem Gebiet als eine wissenschaftliche angesehen werden kann, mag dahingestellt bleiben; denn jedenfalls hat sie keine wissenschaftliche Vorbildung auf den verschiedenen Wissensgebieten, aus deren Bereich sie Übersetzungen anfertigt. Daß sie sich, wie sie in der Rb. vorbringt, in ihrer langjährigen Berufsarbeit "gewisse Kenntnisse" auf diesen Gebieten angeeignet hat, reicht dazu nicht aus.
Da hiernach das Finanzgericht mit zutreffenden Gründen in der Übersetzungstätigkeit der Bfin. -- deren Schwierigkeit und Bedeutung nicht verkannt wird -- im Jahre 1955 noch nicht die Ausübung eines freien Berufes im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erblickt hat, braucht nicht untersucht zu werden, worin der Einsatz der von der Bfin. herangezogenen Mitarbeiter bestanden hat. Ebensowenig braucht auf die Frage der Beurteilung der Dolmetschertätigkeit eingegangen zu werden. Denn wie sich aus der von der Bfin. eingereichten Umsatzaufgliederung für das Streitjahr ergibt, sind in den Umsätzen, die der streitigen Gewerbesteuerveranlagung als Betriebseinnahmen zugrunde gelegt worden sind, nur Einnahmen aus Übersetzungen enthalten.
Beizutreten ist schließlich auch den Ausführungen des Finanzgerichts, soweit es sich um die Fragen der Anwendung des § 18 Abs. 1 Ziff. 3 EStG und der Heranziehung der Bfin. zur Gewerbesteuer trotz früherer anderer Rechtsauffassung des Finanzamts handelt. Insoweit hat im übrigen die Bfin. auch das Urteil des Finanzgerichts nicht angegriffen.
Bei alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410895 |
BStBl III 1963, 458 |
BFHE 1964, 375 |