Entscheidungsstichwort (Thema)
(Marktforscher weder beratender Betriebswirt noch diesem ähnlich, möglicherweise wissenschaftlich tätig)
Leitsatz (amtlich)
1. Ein selbständig tätiger Marktforscher ist weder beratender Betriebswirt noch übt er eine dem Beruf des beratenden Betriebswirts ähnliche freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 2 EStG aus (Anschluß an BFHE 154, 327, BStBl II 1989, 212).
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Marktforscher wissenschaftlich tätig ist.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt nach erfolgreich abgeschlossenem Studium der Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Marketing und Unternehmensführung seit Ende November 1982 ein Institut für Marktforschung in A. Nach seiner Darstellung entspricht seine Tätigkeit dem folgenden Muster:
1. Kundengespräch: Er definiere zusammen mit dem Kunden das zu lösende Problem. Dabei ermittle er den Sachverhalt.
2. Untersuchungsplan: Er erstelle einen Untersuchungsplan, berate bei der Auswahl der Zielgruppen, Standorte, Termine, bei der Auswahl der Methoden bzw. entwickle er diese neu.
3. Vorbereitung: In Abstimmung mit dem Kunden erstelle er den Fragebogen, stelle Personal, Räumlichkeiten, Testmittel zur Durchführung der Felduntersuchungen bereit. Mit der von ihm entwickelten problemorientierten Befragungstechnik ermittle er nicht nur Sachverhalte, sondern insbesondere die damit zusammenhängenden Vorstellungen, Erwartungen, Einstellungen u.a. Wegen der ständig wechselnden Aufgabenstellung müsse er ständig neue, aufgabenspezifische Methoden und Fragen entwickeln.
Diese Exploration sei ein wissenschaftliches Verfahren. Er führe sie regelmäßig im Sinne der Lehrbücher der empirischen Sozialforschung durch. Er habe die Anpassung psychologischer, projektiver Testverfahren an die Gegebenheiten der Marktanalyse erarbeitet, um die unbewußten Motive und Bestrebungen des Untersuchten zu ermitteln. Diese Forschungsarbeiten seien mangels vorliegender Muster unerläßlich. Darüber hinaus wähle er die zu befragenden Personen nach wissenschaftlich-mathematischen Methoden aus.
4. Feldarbeit: Er kontrolliere die durch untergeordnete Hilfskräfte durchgeführte Feldarbeit (Interviews, Tests).
5. EDV-Bearbeitung: Die offenen Antworten würden vercodet (extern). Das EDV-Programm werde an das Studienobjekt angepaßt, die entsprechenden Dateien erstellt. Die Fragebögen würden eingegeben, Tabellen, Sonderzählungen und statistische Prüfverfahren angefordert und ausgedruckt. Die Auswertung der Untersuchungen erfordere mathematisch-statistische Kenntnisse.
6. Berichtslegung: In der anschließenden Berichtslegung stelle der die Tabellen dar, analysiere, werte und interpretiere sie unter den Aspekten der Problemstellungen und empfehle Lösungen. Die sich aufgrund der Resultate ergebenden Empfehlungen könnten sich in einem Unternehmen in verschiedensten betriebswirtschaftlichen Bereichen auswirken.
7. Präsentation: Als letzten Schritt präsentiere er die schriftlich niedergelegten Untersuchungsergebnisse dem Unternehmen persönlich. Dabei berate er die Kunden bei der Umsetzung der Untersuchungsergebnisse in konkrete Maßnahmen. Auch hier würden --soweit erforderlich-- verschiedene betriebswirtschaftliche Bereiche berührt. Im Schnitt nehme eine solche persönliche Präsentation eineinhalb bis zwei Stunden in Anspruch.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) behandelte die Einkünfte des Klägers aus dieser Tätigkeit als solche aus Gewerbebetrieb und erließ für das Streitjahr 1983 entsprechende Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuermeßbescheide.
Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage zum Finanzgericht (FG). Im Lauf des Klageverfahrens hat er die im Streitjahr bearbeiteten Projekte aufgelistet und die schriftlichen Ergebnisse vorgelegt.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Hiergegen richtet sich die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision des Klägers, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Auf der Grundlage seiner Feststellungen, die nicht mit Verfahrensrügen angefochten und daher für den Senat bindend sind (§ 118 Abs.2 FGO), hat das FG die Tätigkeit des Klägers zu Recht nicht als die eines beratenden Betriebswirts i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angesehen. Auch eine dem beratenden Betriebswirt ähnliche Berufstätigkeit hat es zu Recht nicht angenommen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann die Berufstätigkeit des beratenden Betriebswirts nur in strenger Anlehnung an den Gesetzeswortlaut gekennzeichnet werden, da es kein typisches Berufsbild des beratenden Betriebswirts gibt und die Bezeichnung frei geführt werden darf. Im Vordergrund muß die betriebswirtschaftliche Beratung stehen; diese erstreckt sich auf alle Fragen der Unternehmensberatung, die üblicherweise Gegenstand eines betriebswirtschaftlichen Studiums sind. Hat der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- ein betriebswirtschaftliches Hochschulstudium mit Erfolg abgeschlossen, ist erforderlich, daß er die fachliche Breite seines Wissens bei seiner praktischen Tätigkeit einsetzen kann und auch tatsächlich einsetzt (BFH-Urteil vom 2.September 1988 III R 58/85, BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24). Die erforderliche Breite in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn sich die Beratungstätigkeit wenigstens auf einen der betrieblichen Hauptbereiche Fertigung, Materialwirtschaft, Finanzierung, Vertrieb, Verwaltungs- und Rechnungswesen und Personalwesen erstreckt (vgl. BFH-Urteil vom 11.Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584 m.w.N.). Diesem Berufsbild eines beratenden Betriebswirts entsprechend liegt ein "ähnlicher Beruf" nur dann vor, wenn er auf einer vergleichbar breiten fachlichen Vorbildung beruht und sich die Beratungstätigkeit auf einen vergleichbar breiten betrieblichen Bereich erstreckt (BFH-Urteil in BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24).
b) Der Kläger übte nach den Feststellungen des FG keine Tätigkeit aus, die als Beratung auf einem Hauptbereich der Betriebswirtschaft angesehen werden könnte. Seine berufliche Tätigkeit ist als Marktforschung zu kennzeichnen. Die Marktforschung ist (nach Gabler, Wirtschafts-Lexikon, 12.Aufl., Stichwort: Marktforschung) die systematisch betriebene Erforschung eines konkreten Teilmarktes einschließlich der Erfassung der Bedürfnisse aller Beteiligten unter Heranziehung auch externer Informationsquellen. Die American Marketing Association definiert Marktforschung als die Sammlung, Aufzeichnung und Analyse aller Tatsachen, die sich auf die Probleme beziehen, die mit der Lieferung von Waren und Leistungen vom Erzeuger an den Verbraucher zusammenhängen (vgl. Zimmerer, Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, 4.Aufl., S.415; ähnlich: Diederich, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 6.Aufl., S.376). Sie hat die Aufgabe, der Unternehmensführung durch die Beschaffung spezieller Daten und Informationen über den Markt Entscheidungen in die Hand zu geben, die sie in die Lage versetzen, zielsicher den Markt zu bearbeiten (Ott in Management Enzyklopädie, Bd.6, Stichwort: Marktforschung für Konsumgüter, S.664).
c) Die Tätigkeit des Marktforschers bezieht sich demzufolge zwar auf Hauptbereiche der Betriebswirtschaft wie Produktion und Absatz. Man würde die Rechtsprechung des BFH jedoch mißverstehen, wenn man annehmen wollte, jede Informationsvermittlung, die sich auf diese (oder andere) Bereiche der Betriebswirtschaft auswirke, qualifiziere den Informanten als beratenden Betriebswirt. Kommt beispielsweise ein von einem pharmazeutischen Unternehmen in Auftrag gegebenes pharmakologisches Gutachten zu dem Ergebnis, daß ein Medikament schädliche Nebenwirkungen aufweist, so liefern diese Informationen der Unternehmensführung Entscheidungshilfe auf dem Gebiet der Produktion und des Absatzes. Der Gutachter ist deswegen jedoch kein beratender Betriebswirt.
Ähnlich hat die Rechtsprechung des BFH bei der Beratung in Bereichen interdisziplinärer Wissensgebiete entschieden, auch wenn sie Überschneidungen mit der Betriebswirtschaftslehre aufweisen. Demgemäß hat der BFH den EDV-Berater als eigenständigen Beruf angesehen, der sich in seiner totalen Ausrichtung auf Theorie und Technologie der Datenverarbeitung wesentlich von dem beratenden Betriebswirt unterscheide (BFH-Urteile vom 11.Dezember 1985 I R 285/82, BFHE 146, 121, BStBl II 1986, 484; vom 11.Dezember 1986 V R 54/85, BFH/NV 1987, 333; vom 12.Oktober 1988 X R 18/87, BFH/NV 1989, 366; vom 7.Dezember 1989 IV R 115/87, BFHE 159, 171, BStBl II 1990, 337).
Auch bei der Marktforschung handelt es sich um einen interdisziplinären Wissensbereich, bei dem die klassischen Disziplinen der Mathematik, Statistik, Psychologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften involviert sind. Der V.Senat des BFH hat daher in seinem Urteil vom 18.August 1988 V R 73/83 (BFHE 154, 327, BStBl II 1989, 212) festgestellt, daß sich die Marktforschung zu einem eigenständigen Beruf entwickelt habe, der dem des beratenden Betriebswirts nicht ähnlich i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 2 EStG sei (zustimmend Fitsch in Lademann/ Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.171).
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des V.Senats an. In der Marktforschung werden die Methoden der empirischen Sozialforschung angewandt (vgl. Strohtmann, Gutachten "Marktforschung als wissenschaftliche Tätigkeit", Planung und Analyse 1985, 28). Angesichts der Bedeutung, der im Bereich der empirischen Sozialforschung der Aussagekraft der Stichprobe (vgl. z.B. Wach, Methodologische Probleme der Rechtstatsachenforschung in Chiotellis/Fikentscher --Hrsg.--, Rechtstatsachenforschung) und der Formulierung des Fragebogens zukommen (v. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung - Geschichte, Begriff, Arbeitsweise, in Chiotellis/Fikentscher, a.a.O.), spielen Mathematik und Psychologie eine entscheidende Rolle für die Brauchbarkeit der Untersuchungsergebnisse. Der Beruf des Marktforschers kann daher entgegen der Auffassung des FG München (Urteil vom 7.Juli 1970 II 68/67, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1971, 25) auch nicht als spezialisierte Form der betriebswirtschaftlichen Beratung angesehen werden. Zudem ist fraglich, ob die bloße Lieferung von Ergebnissen einer demoskopischen Untersuchung überhaupt als Beratung angesehen werden kann (verneinend: Sommer in Hartmann/Böttcher/Nissen/ Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.136; a.A.: Nieland in Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.236, der allerdings von einem anderen als dem oben dargestellten Berufsbild des Marktforschers ausgeht).
d) Ein anderes Ergebnis folgt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht daraus, daß die Marktforschung als Teilgebiet der Marketingforschung betrachtet werden kann (Gabler, Wirtschafts-Lexikon, a.a.O.). Auch wenn man die Beratung auf dem Gebiet des Marketing (Führung des Betriebs vom Markte her) als Tätigkeit eines beratenden Betriebswirts ansehen will (Urteil des Hessischen FG vom 22.Oktober 1971 IV 73-74/70, rkr., EFG 1972, 71; Erdweg in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Anm.87; Nieland, a.a.O.; Sommer, a.a.O.; a.A. Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.117), läßt sich dies nicht auf die Marketingforschung ausdehnen. Mit Marketingforschung bezeichnet man nicht etwa die wissenschaftliche Beschäftigung mit Marketing, sondern die systematische Suche, Sammlung, Aufbereitung und Interpretation aller Informationen, die sich auf Probleme des Marketing von Gütern und Dienstleistungen beziehen (Meffert in Managementenzyklopädie, Bd.6, Stichwort: Marketing, S.491). Zu ihr gehören außer dem Gebiet der Marktforschung, die vorwiegend betriebsexterne Informationsquellen auswertet (s.o. unter b) die Auswertung von allgemein zugänglichen Veröffentlichungen und betriebsinternen Daten (sog. Sekundärforschung, s. auch Gabler, Wirtschafts-Lexikon, Stichwort: Marketingforschung).
e) Der Senat kann dem Kläger ferner nicht zustimmen, wenn er meint, er sei bereits wegen seines betriebswirtschaftlichen Hochschulabschlusses als beratender Betriebswirt einzuordnen. Auch für einen Diplomkaufmann gilt, daß er nur dann als beratender Betriebswirt i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 2 EStG anzusehen ist, wenn er eine Beratungstätigkeit ausübt, die zumindest ein Hauptgebiet der Betriebswirtschaftslehre umfaßt (BFH-Urteil in BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24). Das ist bei einem Marktforscher --wie dargestellt-- nicht eo ipso der Fall. Verfügt er über betriebswirtschaftliche Kenntnisse, so wird ihm das die Kommunikation mit der Unternehmensleitung und das Verständnis für den Zweck des erteilten Auftrags erleichtern. Das rechtfertigt es jedoch nicht, ihn anders zu behandeln als einen Marktforscher ohne betriebswirtschaftliche Ausbildung (es werden auf diesem Gebiet u.a. auch Psychologen und Soziologen tätig) oder als einen empirischen Sozialforscher auf einem anderen Gebiet, der keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse benötigt. Die Rechtsprechung, derzufolge ein Diplominformatiker bereits wegen seiner Ausbildung einen ingenieurähnlichen Beruf ausübe, hat der BFH aufgegeben (vgl. Senatsurteil in BFHE 159, 171, BStBl II 1990, 337).
Es ist allerdings möglich, daß ein Marktforscher --insbesondere wenn er über besonderes betriebswirtschaftliches Fachwissen verfügt-- neben der typischen Marktforschertätigkeit als beratender Betriebswirt tätig wird. Das ist aber nicht bereits dann der Fall, wenn er Gespräche mit der Unternehmensleitung führt, um das Ziel seines Auftrags zu ermitteln, oder wenn er die Ergebnisse seiner Arbeit präsentiert. Das FG hat zu Recht hervorgehoben, daß es sich insoweit um gemischte Tätigkeiten handelt, die von dem Auftrag, eine Marktanalyse zu erstellen, geprägt wird (vgl. zur ähnlichen Problematik beim EDV-Berater das Senatsurteil vom 18.Oktober 1990 IV R 90/89, BFH/NV 1991, 515).
Daß der Kläger neben seiner Tätigkeit als Marktforscher in den Streitjahren eine hiervon trennbare Beratungstätigkeit auf einem Hauptgebiet der Betriebswirtschaft durchgeführt habe, hat das FG nicht festgestellt. Die --unsubstantiierte-- Behauptung des Klägers, er habe mit dem Auftraggeber Absatzprobleme und absatzpolitische Entscheidungen beraten, hat es lediglich im Urteilstatbestand als Parteivorbringen wiedergegeben.
f) Schließlich widerspricht auch die Auffassung des Klägers, jede persönliche Arbeitsleistung müsse nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes als eine den Katalogberufen ähnliche Tätigkeit angesehen werden, der ständigen Rechtsprechung des BFH (so schon BFH-Urteil vom 5.November 1970 IV R 127/70, BFHE 101, 367, BStBl II 1971, 319). Wenn nämlich der Gesetzgeber in § 18 Abs.1 EStG einen detaillierten Katalog von unterschiedlichen freien Berufen aufgestellt hat, kann er nicht zugleich gewollt haben, daß jeder Beruf, der lediglich eine Ähnlichkeit mit der Gruppe der Katalogberufe insgesamt aufweist, schon wegen dieser "Gruppenähnlichkeit" als freier Beruf einzustufen sei (BFH-Urteil vom 5.Juli 1973 IV R 127/69, BFHE 110, 40, BStBl II 1973, 730). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bestätigt, daß es dem Gesetzgeber frei steht, Berufsbilder festzulegen (vgl. Beschluß vom 25.Februar 1969 1 BvR 224/67, BVerfGE 25, 236, 247 m.w.N.) und daß die vom Gesetzgeber festgelegten Berufsbilder der Auslegung des § 18 EStG zugrunde gelegt werden können (Beschlüsse vom 25.Oktober 1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224, 239, BStBl II 1978, 125 zum Handelsvertreter, und vom 18.Januar 1979 1 BvR 531/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1979, 204 zu labordiagnostischen Leistungen eines klinischen Chemikers; vom 29.August 1988 1 BvR 695/88, HFR 1989, 684 zu einem Sprech- und Stimmlehrer).
2. Die Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um zu beurteilen, ob der Kläger wissenschaftlich tätig gewesen ist.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist Voraussetzung für die Annahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit, daß eine hochstehende, besonders qualifizierte Arbeit ausgeübt wird, die dazu befähigt, schwierige Streitfälle nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten zu lösen. Der Begriff der Wissenschaften ist in besonderem Maße mit den Disziplinen verbunden, die an den Hochschulen gelehrt werden. Wissenschaftlich tätig ist nicht nur, wer schöpferische oder forschende Arbeit leistet (reine Wissenschaft), sondern auch, wer das aus der Forschung hervorgegangene Wissen und Erkennen auf konkrete Vorgänge anwendet (angewandte Wissenschaft). Von wissenschaftlichen Arbeiten kann aber nur dann gesprochen werden, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Sinnzusammenhang gebracht werden, wie z.B. in einem wissenschaftlichen Gutachten über schwierige Fragen (vgl. BFH-Urteil vom 24.Februar 1965 I 349/61 U, BFHE 82, 46, BStBl III 1965, 263).
b) Die Begründung, mit der das FG die Wissenschaftlichkeit der Tätigkeit des Klägers verneint hat, beschränkt sich auf die Feststellung, er sei für seine Auftraggeber im wesentlichen praxisorientiert tätig gewesen; die einzelnen Projekte (gemeint sind offenbar die schriftlichen Untersuchungsergebnisse) hätten nicht die Problematisierung, sondern die Darstellung der vom Kläger angewandten Methoden und ermittelten Ergebnisse beinhaltet und seien an den Belangen der jeweiligen Auftraggeber orientiert gewesen.
Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsirrtum. Ihr liegen der vom Kläger vorgetragene Ablauf seiner Tätigkeit und die vorgelegten Arbeitsergebnisse zugrunde. Deren Wissenschaftlichkeit kann aber allein mit der vom FG gegebenen Begründung nicht ausgeschlossen werden. Da nach der oben (unter 2. a) dargestellten Rechtsprechung des BFH auch die Beschäftigung auf dem Gebiet der angewandten Wissenschaft als wissenschaftliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG zu qualifizieren ist (vgl. z.B. Senats-Urteil vom 17.Oktober 1985 IV R 51/82, BFH/NV 1986, 520 zur pharmakologischen Forschung eines Arztes), kann die Wissenschaftlichkeit nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil die zu beurteilenden Arbeiten an den Bedürfnissen der Auftraggeber orientiert waren.
c) Allerdings hat der BFH eine wissenschaftliche Tätigkeit verneint, "wenn sie im wesentlichen in einer mehr praxisorientierten Beratung besteht" (Senatsurteil vom 3.Dezember 1981 IV R 79/80, BFHE 134, 565, BStBl II 1982, 267, unter I. 1.). Diese Einschränkung ist dahin zu verstehen, daß zum einen die laufende Tätigkeit von Ärzten, Rechtsanwälten etc., also Angehörigen der Katalogberufe, nicht als wissenschaftliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.September 1976 IV R 20/76, BFHE 120, 204, BStBl II 1977, 31). Zum anderen sind Arbeiten, die es nicht erfordern, an einen mit wissenschaftlichen Kenntnissen und Methoden vertrauten Auftragnehmer vergeben zu werden, nicht als wissenschaftliche Tätigkeit zu qualifizieren, auch wenn wissenschaftliche Lehrsätze oder Formeln benutzt werden (vgl. beispielsweise BFH-Urteile in BFHE 134, 565, BStBl II 1982, 267 zur Beratung für die Programmierung von EDV-Anlagen; vom 26.Juli 1963 I 259/59 U, BFHE 77, 375, BStBl III 1963, 458 zur Übersetzertätigkeit; vom 14.November 1972 VIII R 18/67, BFHE 108, 26, BStBl II 1973, 183, sowie vom 9.Dezember 1986 VIII R 314/82, BFH/NV 1987, 156 zum Probenehmen von Erzen, Mineralien und Kohle).
d) Daß die laufende Tätigkeit eines Marktforschers über eine "mehr praxisorientierte Beratung" im vorgenannten Sinne hinausgeht, kann nicht von vornherein verneint werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 154, 327, BStBl II 1989, 212; Urteil des FG Hamburg vom 15.April 1970 II 363/66, EFG 1970, 389). Die Marktforschung ist --zumindest als interdisziplinäre Hilfswissenschaft-- Gegenstand von Forschung und Lehre an den Universitäten (Strohtmann, a.a.O.). Ob die Tätigkeit eines Marktforschers als wissenschaftlich zu qualifizieren ist, richtet sich insbesondere danach, ob die mit den einzelnen Aufträgen gestellten Aufgaben einen Schwierigkeitsgrad erreichen, wie ihn wissenschaftliche Prüfungsarbeiten oder Veröffentlichungen aufweisen. Dabei ist im Bereich der empirischen Sozialforschung besonderes Augenmerk auf die Ermittlung der Stichprobe und der Abfassung des Fragebogens zu richten (s. oben unter 1. c; vgl. auch FG Hamburg in EFG 1970, 389). Die bei der Stichprobenbildung angewandten mathematisch-statistischen Verfahren sind so kompliziert, daß es leicht zu einer Verzerrung der Struktur und somit zu falschen Ergebnissen kommen kann (Ott, a.a.O., S.667). Die ausgewählten Fragen müssen eindeutig beantwortbar sein und dürfen keine bestimmten Antworten aufdrängen. Ferner ist zu beachten, daß die Befragten dazu neigen, ihre Emotionen, die ihr tatsächliches Verhalten prägen, zu verdrängen, oder Auskünfte zu geben, die zum Beispiel nach ihrer Einschätzung gültigen gesellschaftlichen Normen entsprechen und sie daher in den Augen des Interviewers gut darstellen (Diederich, a.a.O., S.380). Als Vorarbeit für den Fragebogen kann sich daher ein Testlauf in einem kleinen Bereich empfehlen (v. Falkenstein, a.a.O.).
e) Zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit gehört ferner, daß sie von der Methodik her nachprüfbar und nachvollziehbar ist (BFH-Urteil vom 30.März 1976 VIII R 137/75, BFHE 118, 473, BStBl II 1976, 464). Ob darüber hinaus in der schriftlichen Ausarbeitung die bearbeiteten Fragen problematisiert werden müssen, ist nach dem Charakter des jeweiligen Fachgebietes zu entscheiden. Während beispielsweise bei einer wissenschaftlichen Arbeit, die der Lösung von Rechtsfragen dient, eine Abwägung des Für und Wider zu fordern ist, genügt es bei einem Auftrag auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung, wenn der Schlußbericht die zur Beurteilung der Stichhaltigkeit der Untersuchung erforderlichen Angaben enthält. Solche Angaben sind beispielsweise (vgl. Ott, a.a.O., S.667): Zeitraum der Befragung, Auswahlmethode (Art der Stichprobenbildung, Zufalls- oder gezielte Quotenauswahl, vgl. Zimmerer, a.a.O., S.419), Zahl der eingesetzten Interviewer, Befragungsmethode (mit Fragebogen oder freiem Gespräch etc.), Anzahl der Befragungen (Stimmen), Exklusiv-Erhebung (für einen bestimmten Auftraggeber) oder Mehrthemenerhebung (mehrere Fragenkomplexe verschiedener Firmen werden in einer Erhebung gemeinsam behandelt).
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird den Kläger im zweiten Rechtszug auffordern, substantiiert darzulegen, inwiefern die einzelnen Aufträge eine hochstehende, besonders qualifizierte Arbeit wie z.B. in einem wissenschaftlichen Gutachten über schwierige Fragen erforderten. Insbesondere wird der Kläger konkret erläutern müssen, in welchem Umfang jeweils neue Überlegungen für die Anordnung der einzelnen Untersuchungen erforderlich waren, welche Abwägungen zu der Entscheidung für die Auswahl der Befragten und zur Gestaltung des Fragebogens geführt haben. Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist nicht gegeben, wenn der Kläger hierbei auf einige wenige Muster zurückgreifen konnte, auch wenn diese Muster selbst nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelt worden sein sollten. Erst wenn der Kläger diese Angaben in ausreichend konkreter Form gemacht hat, wird das FG darüber befinden, ob es für seine Entscheidung die Hilfe eines Sachverständigen für empirische Sozialforschung benötigt. Die Feststellungslast dafür, daß die Voraussetzungen eines freien Berufs gegeben sind, trägt der Kläger (Senatsurteile vom 5.Oktober 1989 IV R 154/86, BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73; vom 11.Juli 1991 IV R 15/90, BFHE 165, 216, BStBl II 1991, 889).
Fundstellen
Haufe-Index 64237 |
BFH/NV 1992, 58 |
BStBl II 1992, 826 |
BFHE 168, 59 |
BFHE 1993, 59 |
BB 1992, 1630 (L) |
DStR 1992, 1544 (K) |
HFR 1992, 707 (LT) |
StE 1992, 454 (K) |