Leitsatz (amtlich)
Wird dem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich durch Erstattung des Ausgleichsbetrags voll entsprochen, so kann der Erstattungsberechtigte nach Bestandskraft dieses formlosen Bescheids innerhalb der Ausschlußfrist einen neuen Antrag auf Jahresausgleich stellen.
Normenkette
EStG § 42; JAV § 4 Abs. 5, §§ 6-7; AO §§ 93, 96, 150
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) stellte am 4. Januar 1967 beim Beklagten und Revisionskläger (FA) einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1966. Das FA entsprach dem Antrag voll und erstattete dem Kläger am 26. Januar 1967 den Betrag durch Barauszahlung. Am 14. April 1967 stellte der Kläger beim FA einen als "Ergänzungsantrag" bezeichneten Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1966. Er machte darin Aussteueraufwendungen für seine Tochter als außergewöhnliche Belastung geltend. Nachdem das FA dem Kläger mitgeteilt hatte, daß sein Zusatzantrag nicht mehr berücksichtigt werden könne, behandelte es ihn mit Zustimmung des Klägers als Einspruch. Diesen verwarf es als unzulässig.
Die Klage hatte hinsichtlich der im Streitjahr 1966 erbrachten Aufwendungen Erfolg. Das FG führte in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1970 S. 140 (EFG 1970, 140) veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Aus § 150 Abs. 2 AO und § 4 Abs. 6 der JAV, wonach der Einspruch nach § 229 Nr. 7 AO nur bei einem ablehnenden Bescheid gegeben sei, lasse sich nicht nur schließen, daß bei voller Stattgabe des Antrags kein förmlicher, also ein formloser Bescheid zu erteilen sei (so Urteil des BFH vom 23. September 1966 VI 296/65, BFHE 87, 143, BStBl III 1967, 96), sondern ebenso, daß überhaupt kein Bescheid erteilt werden müsse. Die die Erstattung anordnende Verfügung werde allein durch den Realakt der Auszahlung erfüllt. Diese stelle keinen Bescheid dar. Sei aber die Erstattung des Betrags selbst kein anzufechtender Verwaltungsakt, dann könne der Erstattungsberechtigte auch nach vorheriger voller Stattgabe seines ersten Erstattungsantrages einen weiteren Antrag stellen. Die Grenze für weitere Erstattungsanträge liege einerseits innerhalb der Ausschlußfrist des § 4 Abs. 5 Satz 1 JAV, andererseits in den allgemein geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben und dem Schikaneverbot.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 4 Abs. 6 JAV und des § 150 Abs. 2 AO, Es trägt vor: Die Auffassung des FG, daß es bei voller Stattgabe des Antrags keines Bescheides bedürfe, führe dazu, daß die Arbeitnehmer, denen die Lohnsteuer antragsgemäß nach Ablauf der Ausschlußfrist erstattet würde, gegenüber den Arbeitnehmern, die einen schriftlichen Bescheid erhielten, offensichtlich benachteiligt würden; denn sie könnten eine möglicherweise materielle Beschwer weder im Rechtsbehelfsverfahren noch durch einen weiteren Antrag geltend machen. Es sei deshalb an der vom BFH im Urteil VI 296/65 vertretenen Auffassung festzuhalten, daß in der Erstattung selbst ein formloser Bescheid zu sehen sei, wenn dem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich in vollem Umfang stattgegeben werde. Sei nach der Erstattung eine weitere materielle Beschwer gegeben, so könne der Arbeitnehmer diese nur im Rechtsbehelfsverfahren, nicht aber im Rahmen eines neuen Antrags innerhalb der Ausschlußfrist geltend machen; denn es könne für jedes Jahr nur ein Lohnsteuer-Jahresausgleichsantrag gestellt werden, da der Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid des FA die Höhe der Jahreslohnsteuer und des Erstattungsbetrags für das Lohnsteuerverfahren abschließend feststelle.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zu Unrecht ist das FG zwar davon ausgegangen, daß die antragsgemäße volle Erstattung des Lohnsteuerausgleichsbetrags ein nicht anfechtbarer Realakt sei. Gleichwohl stellt sich seine Entscheidung im Ergebnis als richtig dar; denn der Kläger konnte nach Ablauf der Frist für den Rechtsbehelf gegen den formlosen Verwaltungsakt der Erstattung innerhalb der Ausschlußfrist des § 4 Abs. 5 JAV einen neuen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich stellen.
1. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung VI 296/65 eingehend dargelegt, daß es sich bei der dem Ausgleichsantrag des Steuerpflichtigen voll entsprechenden Erstattung der Lohnsteuer um einen formlosen Steuerbescheid handelt. Er hält an dieser Auffassung fest. Da der im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren ergehende Bescheid kein Bescheid "für die Steuern vom Einkommen" im Sinne von § 210b Abs. 1 AO, sondern ein Erstattungsbescheid ist, braucht er nach § 150 Abs. 2 AO nur dann schriftlich erteilt zu werden, wenn ein Erstattungsanspruch abgelehnt wird. Aus § 4 Abs. 6 JAV, der bei voller oder teilweiser Ablehnung des Ausgleichsantrags die Erteilung eines mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheids vorsieht, gegen den der Einspruch nach § 229 Nr. 7 AO gegeben ist, kann nicht hergeleitet werden, daß die Erstattung, durch die dem Ausgleichsantrag voll entsprochen wird, ein Realakt sei. Nach § 4 Abs. 7 JAV führt das FA den Lohnsteuer-Jahresausgleich zwar im Wege der Erstattung durch. Wird dem Antrag voll entsprochen, so enthält jedoch die Erstattung mangels eines vorher erteilten Bescheids die Regelung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs. Sie ist in diesem Fall keine bloße Durchführungshandlung, sondern der Steuerverwaltungsakt selbst.
Die einmonatige Rechtsbehelfsfrist gegen den in der Erstattung enthaltenen formlosen Bescheid, die mit dessen Bekanntgabe am 26. Januar 1967 zu laufen begann (§§ 236 Abs. 1, 237 Abs. 1 AO), war am 14. April 1967, als der Kläger den "Ergänzungsantrag" stellte, abgelaufen. Der Bescheid war mithin bestandskräftig.
2. Die Erstattungsverfügung des FA im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, ein begünstigender Verwaltungsakt im Sinne von § 96 AO (vgl. insbesondere Urteile vom 6. Mai 1960 VI 228/59 S, BFHE 71, 126, BStBl III 1960, 296; vom 24. November 1965 VI 307/63 U, BFHE 84, 358, BStBl III 1966, 129, und vom 11. August 1972 VI R 262/69, BFHE 107, 127, BStBl II 1973, 35). Dieser kann auf Antrag nach § 93 AO unabhängig von seiner Bestandskraft zugunsten des Steuerpflichtigen geändert oder zurückgenommen werden; denn § 96 AO enthält nur Einschränkungen hinsichtlich der Zurücknahme zuungunsten des Steuerpflichtigen. § 42 des EStG und die JAV regeln die Frage der Zurücknahme oder Änderung des Jahresausgleichsbescheids auch nicht in einer von der Bestimmung des § 93 AO abweichenden Weise. Sowohl § 42 EStG als auch die JAV sprechen zwar von dem Lohnsteuer-Jahresausgleich, schließen aber die Möglichkeit der mehrfachen Durchführung, z. B. durch den Arbeitgeber und das FA, nicht grundsätzlich aus. Schon der Wortlaut der genannten Bestimmungen zwingt mithin nicht zu der vom FA vertretenen Auffassung, daß auf Antrag vom FA pro Jahr nur ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durchzuführen ist, wenngleich das FA wegen der Ausschlußfrist für den Ausgleichsantrag in der Regel nur einen Antrag pro Jahr erhalten wird. Daß innerhalb der Ausschlußfrist jedoch nach Bestandskraft des dem ursprünglichen Antrag voll stattgebenden Bescheids ein weiterer Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt werden kann, ergibt sich insbesondere daraus, daß das Ausgleichsverfahren ein - wenn auch mit wesentlichen Elementen des Steuerfestsetzungsverfahrens behaftetes (Beschluß des BFH vom 10. Juli 1970 VI B 2/69, BFHE 99, 350, BStBl II 1970, 686) - Erstattungsverfahren ist. Im Erstattungsverfahren wird aber nur über den mit dem Antrag geltend gemachten Erstattungsbetrag entschieden. Eine unanfechtbare Entscheidung über diesen Erstattungsbetrag schließt Anträge über weitere Erstattungsbeträge nicht aus. Dieser Erstattungscharakter des Lohnsteuer-Jahresausgleichs rechtfertigt auch die unterschiedliche Behandlung des Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich gegenüber dem die Steuer festsetzenden Einkommensteuerbescheid.
Der Zulässigkeit eines neuen Antrags nach Bestandskraft des Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich steht auch nicht der Sinn und Zweck des Jahresausgleichsverfahrens entgegen. Es handelt sich dabei zwar um ein Massenverfahren, das einfach, schnell und endgültig abgewickelt werden soll. Diese Zielsetzung wird aber in hinreichender Weise durch die Ausschlußfrist gewährleistet.
Da das FG mithin der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben hat, war die Revision des FA nach § 126 Abs. 4 der FGO mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 70902 |
BStBl II 1974, 465 |
BFHE 1974, 269 |