Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Maßnahmen nach § 202 AO müssen erkennen lassen, in welchen gesetzlichen Vorschriften die nach § 202 AO zu erzwingenden Anordnungen ihre Grundlage haben.
Normenkette
AO § 202
Tatbestand
Im Zusammenhang mit einem Wertfortschreibungsverfahren, bei dem Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Beschwerdeführer (Bf.) und dem Finanzamt bestanden, forderte das Finanzamt den Bf. durch Verfügung vom 5. April 1953 auf, innerhalb einer bestimmten Frist mitzuteilen, wer ihm bei der Abfassung seines vorangegangenen Schreibens vom 29. März 1953 behilflich gewesen sei. Das Finanzamt wies in der Anordnung darauf hin, daß diese Auskunft gemäß § 202 der Reichsabgabenordnung erzwungen werden könne.
Nach vorangegangener erfolgloser formeller Strafandrohung vom 16. Juni 1953 setzte das Finanzamt durch die - Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens bildende - Verfügung vom 15. Juli 1953 die angedrohte Erzwingungsgeldstrafe von 20 DM fest.
Nach Bekanntgabe dieser Straffestsetzungsverfügung wies der Bf. das Finanzamt mit Schreiben vom 22. Juli 1953 darauf hin, daß sein Schreiben vom 29. März 1953 von seinem Sohn Hans B. jun. verfaßt sei, dem er übrigens bereits unter dem 19. Januar 1953 durch eine - offenbar auf der gleichen Schreibmaschine geschriebene Mitteilung - Vollmacht zur Wahrung seiner Rechte gegenüber dem Finanzamt erteilt hatte.
Das Finanzgericht hat das von dem Bf. gegen die Straffestsetzungsverfügung eingelegte Rechtsmittel vom 16. August 1953 als Berufung behandelt und als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Für die rechtliche Beurteilung ist von § 202 der Reichsabgabenordnung auszugehen, wonach die Finanzämter im Besteuerungsverfahren innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse Zwangsmittel androhen oder festsetzen können (§ 202 Abs. 6 und Abs. 1 der Reichsabgabenordnung früherer Fassung, jetzt Abs. 9 und Abs. 1). Nach seinem Wortlaut setzt § 202 der Reichsabgabenordnung eine gesetzliche Grundlage für die Ergreifung der Maßnahmen voraus. Dies gilt nicht bloß für die Festsetzung der Erzwingungsgeldstrafe (des Erzwingungsgeldes) nach § 202 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung, sondern bereits für die notwendigerweise der Festsetzung vorausgehende Aufforderung nach § 202 Abs. 6 der Reichsabgabenordnung früherer Fassung (jetzt Abs. 9), mit der das Zwangsmittel angedroht wird. Die einschneidenden Eingriffe in die Rechtssphäre der Betroffenen, die derartige Zwangsmittel mit sich bringen, erfordern es, daß die Maßnahmen erst nach sorgfältiger Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Belange der Betroffenen ergriffen und durchgeführt werden. Diese Erwägung führt zu der Forderung, daß die Maßnahmen von den Finanzämtern begründet werden müssen, insbesondere, daß die Gesetzesvorschriften, auf die das Finanzamt seine Maßnahmen stützt, angegeben, zum mindesten so deutlich gemacht sind, daß sie den Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Dieses Verlangen hat seinen guten Sinn. Es veranlaßt die Behörde zu der gebotenen vorsichtigen, erst nach gründlicher überlegung verwirklichten Handhabung derartiger Zwangsmaßnahmen und verhütet so Mißgriffe, die dem Ansehen der Behörden abträglich sind. Andererseits ist dieses Erfordernis geboten, damit sich der Betroffene bei seinen Einwendungen gegen die Anordnung darauf einrichten kann. Der erkennende Senat ist danach der Auffassung, daß insoweit die Leitsätze 4 und 5 des Gutachtens des Großen Senats des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 4/32 vom 20. Mai 1933 (Slg. Bd. 33 S. 248, Reichssteuerblatt 1933 S. 520) auch jetzt noch maßgebend sind. Sachlich die gleiche Auffassung wird in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 337/50 U vom 22. November 1951 (Slg. Bd. 56 S. 65, Bundessteuerblatt 1952 III S. 27) vertreten, wenn eine entsprechende Begründung des Auskunftsverlangens nach § 175 der Reichsabgabenordnung gefordert wird.
Das Finanzamt hat weder in seiner Anordnung vom 5. April noch in der Strafandrohung vom 16. Juni 1953 noch in der Straffestsetzung vom 15. Juli 1953 die Gesetzesvorschrift angegeben, auf die es die Befugnis zu seinen Maßnahmen stützt. Die Bezugnahme auf § 202 der Reichsabgabenordnung reicht insoweit nicht aus, da § 202 der Reichsabgabenordnung nach den vorstehenden Darlegungen eine gesetzliche Grundlage für die Ergreifung der Erzwingungsmaßnahmen voraussetzt.
Möglicherweise hat das Finanzamt die §§ 107 a und 107 der Reichsabgabenordnung als gesetzliche Grundlage in Erwägung gezogen. Aus keiner der beiden Vorschriften als solchen aber läßt sich die gesetzliche Befugnis des Finanzamts herleiten. Diese befassen sich mit dem Helfer in Steuersachen bzw. dem Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen. Gegenüber dem Steuerpflichtigen ist in § 107 Abs. 6 der Reichsabgabenordnung, der nach § 107 a Abs. 7 der Reichsabgabenordnung auch für Helfer in Steuersachen gilt, nur vorgesehen, daß das Vorbringen des zurückgewiesenen Steuerberaters in Sachen des Steuerpflichtigen ohne steuerrechtliche Wirkung ist. Auch die Vorschrift des § 413 Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsabgabenordnung, welche die Strafandrohung für Zuwiderhandlungen gegen § 107 a der Reichsabgabenordnung enthält, wendet sich nur gegen die Rat erteilenden Personen. Der gegenteiligen Auffassung des Großen Senats des Reichsfinanzhofs in dem Gutachten Gr.S. D 10/36 vom 19. Dezember 1936 (Slg. Bd. 40 S. 264, Reichssteuerblatt 1937 S. 1) vermag der Senat nicht zu folgen.
Möglicherweise hat dem Finanzamt als gesetzliche Grundlage auch die allgemeine Steueraufsichtsvorschrift des § 201 der Reichsabgabenordnung in Verbindung mit § 175 der Reichsabgabenordnung vorgeschwebt. In der Anordnung vom 5. April 1963 und der nachfolgenden Strafandrohungs- bzw. Straffestsetzungsverfügung fehlt es aber an jedem Hinweis, daß sich das Finanzamt auf diese Vorschriften stützen will. Wegen des Mangels dieser formellen Voraussetzung der genannten Verfügungen müssen daher sowohl die Vorentscheidung wie auch die Straffestsetzungsverfügung des Finanzamts vom 15. Juli 1953 ersatzlos aufgehoben werden. Die rechtlichen Mängel der vorangegangenen Anordnungsverfügung entziehen auch der nachfolgenden Straffestsetzungsverfügung vom 15. Juli 1953 im Streitfalle die Rechtsgrundlage (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs II 123/52 U vom 25. Februar 1953, Slg. Bd. 57 S. 288, Bundessteuerblatt 1953 III S. 113).
Unter diesen Umständen bedarf es keiner näheren Untersuchung, ob und inwieweit die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung des Finanzamts gegeben waren. Es braucht auch nicht darauf eingegangen zu werden, ob im Hinblick auf die Vollmacht des Sohnes bei der Anordnung vom 5. April 1953 die Ermessensgrenzen innegehalten sind oder nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 408165 |
BStBl III 1955, 178 |
BFHE 1955, 468 |
BFHE 60, 468 |