Leitsatz (amtlich)
Ein Gestaltungsmißbrauch im Sinne von § 6 StAnpG zur Umgehung der Steuerpflicht nach § 17 EStG kann vorliegen, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft bei wesentlicher Beteiligung zunächst verschenkt und unmittelbar darauf von dem Beschenkten gegen Entgelt veräußert werden.
Normenkette
StAnpG § 6; EStG § 17
Tatbestand
Die Revisionskläger sind die Erben ihrer am 19. Dezember 1966 verstorbenen Mutter (Erblasserin). Diese war mit 25 000 DM an dem 50 000 DM betragenden Stammkapital einer GmbH beteiligt.
In einem notariellen Vertrag vom 27. April 1954 verpflichtete sich die Erblasserin, ihren Geschäftsanteil an die GmbH zu übertragen, und zwar einen Teilbetrag von 12 500 DM unmittelbar nach ihrem Ableben, den Restanteil von 12 500 DM nach dem Tode ihrer Tochter, jedoch keinesfalls vor ihrem eigenen Ableben, den ganzen Geschäftsanteil oder den jeweils innegehaltenen Restanteil sofort, falls ihr Sohn die Rechte aus der Beteiligung in irgendeiner Beziehung geltend machen sollte.
Am selben Tage wurde ein notarieller Darlehnsvertrag abgeschlossen. Darin gewährte die GmbH dem Sohn der Erblasserin ein Darlehen von 144 000 DM, das zu Lebzeiten der Erblasserin unkündbar, jedoch vorzeitig fällig sein sollte, wenn der Darlehnsnehmer die Rechte aus der Beteiligung an der GmbH geltend machen sollte. Für die Verpflichtungen ihres Sohnes aus diesem Vertrag übernahm die Erblasserin die selbstschuldnerische Bürgschaft und verpfändete zur Sicherheit für das Darlehen ihren Geschäftsanteil an die GmbH mit der Maßgabe, daß Stimmrecht und Gewinnanteilsanspruch bei ihr verbleiben sollten.
Am 16. September 1954 traf die Erblasserin mit ihren Kindern eine privatschriftliche Vereinbarung, wonach sie diesen den Geschäftsanteil an der GmbH zu gleichen Teilen übertrug und sich den Nießbrauch an 75 v. H. der Erträge der Anteile vorbehielt.
In einem notariellen Vertrag vom 14. Juni 1955 wurde die privatschriftliche Vereinbarung vom 16. September 1954 in Bezug genommen und u. a. wörtlich ausgeführt: "Die Beteiligten haben sich seit dem 16. September 1954 nach dieser Vereinbarung gerichtet. Sie erfüllen nunmehr die Verpflichtung und übertragen die Anteile entsprechend der vorstehenden Vereinbarung an die dies annehmenden" Kinder der Erblasserin. Sodann übertrugen die Erblasserin und ihre beiden Kinder "ihre Geschäftsanteile von zwei mal 12 500 DM lastenfrei" an die GmbH, die dafür 305 000 DM zu zahlen hatte. Dieser Betrag war je zur Hälfte an den Sohn - durch Verrechnung mit Forderungen - und an die Tochter zu erbringen.
Nachdem der Revisionsbeklagte (FA) für die Erblasserin zunächst eine vorläufige Veranlagung für 1955 durchgeführt hatte, kam er bei der endgültigen Veranlagung zu der Auffassung, daß diese durch den Vertrag vom 14. Juni 1955 ihren Geschäftsanteil an die GmbH abgetreten und den dafür erhaltenen Betrag von 305 000 DM am selben Tag ihren Kindern geschenkt habe. Der Veräußerungsgewinn von 229 687 DM unterliege nach § 17 EStG der Einkommensteuer; die Vergünstigung nach § 34 EStG sei zu gewähren. Dementsprechend erging ein endgültiger Steuerbescheid für 1955.
Die Sprungberufung hiergegen blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde (§ 184 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist unbegründet.
Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Soweit die Revisionskläger die Nichtvernehmung von Zeugen und eine angebliche Verweigerung von Akteneinsicht rügen, können sie damit nicht oder nicht mehr gehört werden. Werden nicht von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel gerügt, dann muß die Revisionsbegründung neben der verletzten Rechtsnorm die Tatsachen, die den Mangel ergeben, genau bezeichnen (§ 120 Abs. 2 FGO). Das galt auch für die Rechtsbeschwerde (§ 290 Abs. 1 AO a. F.). Die Rüge mangelnder Sachaufklärung wegen Nichtvernehmung von Zeugen ist nur dann ordnungsmäßig erhoben, wenn die Revision die Zeugen, die nach ihrer Auffassung hätten vernommen werden müssen, unter Anführung der in ihr Wissen gestellten Tatsachen bezeichnet und dartut, daß das angefochtene Urteil auf der Nichtvernehmung der Zeugen beruht oder beruhen kann. Zur schlüssigen Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtgewährung von Akteneinsicht gehört die Angabe, daß diese Verletzung in der Vorinstanz gerügt worden ist (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, 1.-5. Aufl., Anm. 21 und 22 zu § 120 FGO mit Rechtsprechungsnachweis). Hierzu fehlt es im vorliegenden Falle, weil hinsichtlich der Vernehmung von Zeugen keine substantiierten Angaben gemacht wurden und in bezug auf die Nichtgewährung von Akteneinsicht keine Äußerung zur Frage der Beanstandung in der Vorinstanz erfolgte. Überdies ist die letztgenannte Rüge auch deshalb unbeachtlich, weil sie erst nach Ablauf der Begründungsfrist vorgebracht wurde (vgl. Urteil des BFH I 294/62 U vom 7. Oktober 1964, BFH 80, 508, BStBl III 1964, 657). Ebenso ist ein Verstoß gegen den klaren Akteninhalt, der gleichfalls nicht substantiiert wurde, nicht zu ersehen.
Das Urteil des FG verletzt auch nicht materielles Recht. Zu Recht ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß die Frage eines Veräußerungsgewinns in dem angefochtenen Steuerbescheid erneut geprüft und anders entschieden werden konnte als in dem voraufgegangenen erstmaligen Bescheid. Dieser Bescheid war in vollem Umfang für vorläufig erklärt worden. Das hat zur Folge, daß sich bei der endgültigen Veranlagung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht irgendwelche Einschränkungen ergeben; Ausnahmen können sich nur aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ergeben (vgl. BFH-Urteil VI R 285/66 vom 7. April 1967, BFH 89, 215, BStBl III 1967, 616). Im Streitfall gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß das FA sich bei der vorläufigen Veranlagung in einer für ihn bindenden Weise auf eine bestimmte Sachbehandlung festgelegt hat. Etwas derartiges kann auch nicht aus der schenkungsteuerrechtlichen Behandlung des Vertrages vom 16. September 1954 entnommen werden, denn die darin vorgenommene Beurteilung ist für die Einkommensteuer nicht bindend.
Wenn das FG für seine Entscheidung, daß die Erblasserin in 1955 einen nach der verfassungsgemäßen Bestimmung (vgl. Entscheidung des BVerfG 2 BvL 3/66, 2 BvR 701/64 vom 7. Oktober 1969, BVerfGE 27, 111) 1) des § 17 EStG steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns erzielt hat, von der steuerlichen Unbeachtlichkeit der privatschriftlichen Vereinbarung vom 16. September 1954 ausging, so ist das rechtlich unbedenklich. Diese Vereinbarung war mangels der nach § 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend der Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) bei der Veräußerung eines Geschäftsanteils zu beachtenden Form rechtsunwirksam. Sie wurde auch, wie das FG festgestellt hat, zumindest nicht in jeder Hinsicht eingehalten. Deshalb ist eine steuerliche Anerkennung nicht möglich. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Verträge zwischen nahen Familienangehörigen nur dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie rechtlich einwandfrei, also auch unter Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form, abgeschlossen und tatsächlich vollzogen werden (vgl. BFH-Urteile IV 317/55 U vom 13. September 1956, BFH 63, 480, BStBl III 1956, 380; IV 136/63 vom 4. Juli 1968, BFH 92, 474, BStBl II 1968, 671).
Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß die Vereinbarung hinsichtlich der Übertragung des Geschäftsanteils in dem notariellen Vertrag vom 14. Juni 1955 als eine Steuerumgehung im Sinne von § 6 StAnpG zu behandeln ist. Zwar steht es den Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, bei der Gestaltung ihrer geschäftlichen Verhältnisse Formen zu wählen, die ihnen die Zahlung von Steuern ersparen. So kann es nicht in jedem Fall als steuerlich unzulässig angesehen werden, wenn ein wesentlicher Geschäftsanteil an einer GmbH zunächst verschenkt und dann vom Beschenkten entgeltlich veräußert wird. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung eines solchen Vorgangs ist indessen, daß für diesen Geschehensablauf wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe gegeben sind. Wird aber bei der Vertragsgestaltung ohne jeden wirtschaftlich vernünftigen Grund - von der Absicht der Steuerersparnis abgesehen - ein ungewöhnlicher Weg zur Herbeiführung eines steuerlichen Erfolges gewählt, der bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung vom Gesetz mißbilligt wird, dann ist dem nach § 6 StAnpG die steuerliche Anerkennung zu versagen (vgl. BFH-Urteile III 126/55 S vom 11. November 1955, BFH 61, 509, BStBl III 1955, 395; I R 174/66 vom 24. Juni 1969, BFH 97, 415, BStBl II 1970, 205, mit weiteren Nachweisen). Nicht zu beanstanden ist deshalb das vom FG unter Anwendung dieser Grundsätze gewonnene Ergebnis, daß abweichend vom Wortlaut des Vertrages vom 14. Juni 1955 die Erblasserin ihren Geschäftsanteil gegen Entgelt unmittelbar der GmbH übertragen hat. Aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere auch in Würdigung der voraufgegangenen Verträge, konnte das FG zu dieser Überzeugung gelangen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Seine Beurteilung läßt weder einen Verstoß gegen Denkgesetze, noch gegen allgemeine Auslegungs- und Erfahrungssätze erkennen. Sowohl der Inhalt des notariellen Vertrages vom 27. April 1954 als auch das Verhalten der Vertragspartner im Anschluß an die privatschriftliche Vereinbarung vom 16. September 1954 ermöglichen den Schluß, daß die Erblasserin ihren Geschäftsanteil der GmbH übertragen wollte. Dieses Ziel wurde in dem notariellen Vertrag vom 14. Juni 1955 herbeigeführt. Es ist jedoch kein wirtschaftlich vernünftiger Grund dafür vorgetragen worden oder ersichtlich, warum bei dieser Veräußerung zunächst eine Schenkung an die Kinder vorgenommen wurde. Vielmehr spricht es gegen die Ernsthaftigkeit des Schenkungsaktes, daß noch in diesem Vertrag - nach Beurkundung der Schenkung - die Erblasserin bei den die Geschäftsanteile auf die GmbH übertragenden Personen mit aufgeführt wurde. Das rechtfertigt die Annahme, daß diese Maßnahme nur den Zweck hatte, aus Gründen der Steuerersparnis dem Veräußerungsvorgang durch das Zwischenschalten einer Schenkung das Merkmal der Entgeltlichkeit zu nehmen.
1) BStBl II 1970, 160
Fundstellen
Haufe-Index 413133 |
BStBl II 1972, 322 |
BFHE 1972, 300 |