Leitsatz (amtlich)
Die von den Jugendämtern gemäß § 6 JWG an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder sind nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 11
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie nahmen im Jahre 1977 die im Jahre 1969 geborene T in ihrem Haushalt als Pflegekind auf. Im Streitjahr 1979 erhielten sie auf der Grundlage eines am 9. Juli 1979 mit dem Bezirksamt Charlottenburg in Berlin abgeschlossenen "Sonderpflegevertrags" rückwirkend vom 15. Januar 1979 an "ein Pflegegeld und eine Zulage in der Höhe, die von dem für das Jugendwesen zuständigen Mitglied des Senats durch Verwaltungsvorschriften allgemein festgesetzt und im Amtsblatt für Berlin veröffentlicht wird ...". Danach wurde an die Kläger monatlich ein Pflegegeld gezahlt; außerdem erhielten die Kläger ein als "Zulage" bezeichnetes (monatliches) Erziehungsgeld in Höhe von 1 038 DM.
Bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1979 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) das Pflegegeld als Einnahmen, die nach § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1979 steuerfrei sind, die Zulage dagegen als eine nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtige Vergütung.
Einspruch und Klage blieben insoweit erfolglos. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Zulage sei als Erziehungsgeld i. S. der Pflegekindervorschriften des Berliner Senators für Familie, Jugend und Sport vom 28. September 1978 - PKV - (Amtsblatt für Berlin 1979, 132) zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu rechnen. Das Erziehungsgeld sei keine nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfreie Einnahme.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und des § 3 Nr. 11 EStG. Zur Begründung führen sie im wesentlichen aus: Bei den vom Jugendamt geleisteten Zahlungen handle es sich nicht um steuerpflichtige Einkünfte, sondern um Aufwendungsersatz. Dem Sonderpflegevertrag hätte nicht entnommen werden können, daß die Zulage als Honorar gezahlt worden sei. Ihnen - den Klägern - habe die Absicht gefehlt, mit der im Pflegevertrag zugesagten Tätigkeit Gewinne zu erzielen. Dies habe das FG unzureichend gewürdigt. Mit den Leistungen des Jugendamts sei im übrigen unmittelbar die Erziehung und Ausbildung des Kindes gefördert worden; es handle sich deshalb um steuerfreie Zuschüsse nach § 3 Nr. 11 EStG.
Die Kläger beantragen, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und in Änderung der angefochtenen Entscheidungen des FA das Erziehungsgeld in voller Höhe als steuerfrei zu behandeln.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß bei der Berechnung der Steuer ein Betrag von 575 DM zusätzlich als Betriebsausgabe zu berücksichtigen ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das den Klägern gezahlte Erziehungsgeld (Zulage) unterliegt nicht der Einkommensteuer.
Der Senat kann dabei ungeprüft lassen, ob die Tätigkeit als Pflegeperson überhaupt zu Einkünften nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 EStG (oder zu sonstigen Einkünften i. S. des § 22 Abs. 1 Nr. 1 b EStG) führen kann. Jedenfalls stellt das hier allein streitige Erziehungsgeld eine nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfreie Einnahme dar.
Das Erziehungsgeld gehört zu den nach § 3 Nr. 11 EStG steuerbefreiten "Bezügen aus öffentlichen Mitteln, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern".
1. Das Erziehungsgeld wird ebenso wie das Pflegegeld aus "öffentlichen Mitteln" gezahlt.
Voraussetzung für die Annahme einer Zahlung "aus öffentlichen Mitteln" ist eine Verausgabung nach haushaltsrechtlichen Vorschriften (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. April 1975 I R 251/72, BFHE 115, 374, BStBl II 1975, 577; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 3 Stichwort "Ausbildungsförderung"). Diese Voraussetzung ist bei den Pflege- und Erziehungsgeldern gegeben.
Die Pflege- und Erziehungsgelder werden im Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe von den Jugendämtern gezahlt. Sie haben ihre Grundlage in den Regelungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes - JWG - (BGBl I 1977, 634) über die Erziehungshilfe bei Minderjährigen (§§ 1, 4 Nr. 1 und § 6). Der Finanzbedarf für die hiernach erforderlichen Leistungen wird in den Haushaltsplänen der Gemeinden festgestellt. Die Beschlußfassung hierüber steht den betreffenden Körperschaften aufgrund des Gemeindeverfassungsrechts der Länder zu (Potrykus, Jugendwohlfahrtsgesetz, 2. Aufl., § 15 Anm. 4).
Der Annahme, daß die Pflege- und Erziehungsgelder "aus öffentlichen Mitteln" gezahlt werden, steht nicht entgegen, daß zur Begründung von Pflegeverhältnissen - neben der nach § 28 JWG vorgeschriebenen Erlaubnis des Jugendamts - der Abschluß zivilrechtlicher Pflegeverträge zwischen dem Jugendamt und den Pflegeeltern für erforderlich gehalten wird. Mit diesen Verträgen überträgt das Jugendamt den Pflegepersonen die Befugnis und Verpflichtung, das Erziehungs- und Beaufsichtigungsrecht auszuüben (Nr. 49 Abs. 2 PKV). Die mit dem Abschluß solcher Verträge verbundenen Zahlungen an Pflege- und Erziehungsgeldern stellen trotz der in zivilrechtliche Form gekleideten Übertragung des Erziehungsrechts eine haushaltsplanmäßige Verausgabung "öffentlicher Mittel" dar.
2. Das Pflege- und Erziehungsgeld hat auch den Charakter einer "Beihilfe" i. S. des § 3 Nr. 11 EStG.
Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob der Begriff "Beihilfe" zur Förderung der Erziehung in § 3 Nr. 11 EStG nur Leistungen bis zu einer gewissen Höhe umfaßt (so Urteil des FG Düsseldorf vom 27. April 1977 VIII 273/76 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1977, 467). Selbst wenn man dieser betragsmäßigen Begrenzung des Beihilfebegriffs folgt und deshalb für den entstehenden Erziehungs- und Unterhaltsaufwand auch gewisse eigene Leistungen des Erziehenden fordert, würden die Voraussetzungen hierfür bei der Zahlung von Pflege- und Erziehungsgeld in aller Regel vorliegen.
Gesetzliche Grundlage für die "Gewährung von Erziehungshilfen" ist § 6 JWG. Hiernach gehört es zu den Aufgaben des Jugendamts, "... die notwendigen Hilfen zur Erziehung für einzelne Minderjährige dem jeweiligen erzieherischen Bedarf entsprechend rechtzeitig und ausreichend zu gewähren". Unter "notwendiger Hilfe" wird bei der Gewährung von Pflege- und Erziehungsgeldern in der Regel nicht die vollständige Abgeltung aller für den Unterhalt und die Erziehung erforderlichen Kosten sowie des für die Pflegeeltern entstehenden Zeitaufwands zu verstehen sein. Nach den mit den Jugendämtern abgeschlossenen Erziehungs- und Pflegeverträgen erhalten die Erziehungsfamilien monatliche Beiträge für den Sachaufwand (Ernährung, Bekleidung, Körperpflege, Schulmittel, Taschengeld, Unterkunft usw.) sowie für die pädagogische Betreuung, den Zeitaufwand und ähnlichen Einsatz. Die Höhe dieser Beiträge ist nicht einheitlich geregelt; sie wurde in der Vergangenheit vielfach zwischen dem Jugendamt und den Pflegeeltern frei vereinbart (vgl. Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Kiel vom 1. Februar 1979 S 2113 A - St 11, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, Einkommensteuergesetz, § 18 Nr. 88). Die Höhe der Pflege- und Erziehungsgelder kann auch durch Verwaltungsvorschriften geregelt sein (vgl. die Pflegekindervorschriften des Berliner Senators für Familie, Jugend und Sport, a. a. O.).
Die im Streitfall aus den PKV zu entnehmenden Sätze lassen erkennen, daß keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt war. Gerade in den Fällen, in denen - wie auch bei den Klägern - ein Erziehungsgeld an heilpädagogische Pflegestellen gezahlt wird, kann dieses Erziehungsgeld nicht als Äquivalent für die oft schwierige sozialpädagogische Tätigkeit der Pflegeeltern gesehen werden. Eine nach der Arbeitszeit bemessene Vergütung würde weitaus über den Sätzen liegen, die mit dem Erziehungsgeld geleistet wird. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß mit dem Erziehungsgeld nicht die gesamte Tätigkeit der Pflegeeltern abgegolten werden sollte. Vielmehr verbleibt den Pflegeeltern ein erheblicher Teil an eigenen Leistungen, die ihnen von keiner Seite vergütet werden. Unter diesen Umständen ist dem Erziehungsgeld auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG Düsseldorf im Urteil in EFG 1977, 467 der Charakter einer "Beihilfe" zuzumessen.
3. Das Erziehungsgeld, das im Zusammenhang mit der Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses gezahlt wird, gehört auch zu den aus öffentlichen Mitteln gezahlten Bezügen, die i. S. des § 3 Nr. 11 EStG "die Erziehung fördern" sollen.
Für die Frage, ob die an die Pflegeeltern gezahlten Erziehungsgelder die "Erziehung fördern" oder ob sie auch noch anderen Zwecken dienen, kommt es entscheidend auf Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses an. Ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. des JWG wird durch den Begriff "Familienpflege" (§ 27 Abs. 1) gekennzeichnet. Der Begriff der Familienpflege steht im Gegensatz zur Heimpflege; er umfaßt nicht nur die rein körperliche Versorgung (Verpflegung, Unterbringung usw.), sondern die gesamte Erziehung i. S. des § 1 Abs. 1 JWG (Potrykus, a.a.O., § 27 Anm. 2). Ein Pflegekindschaftsverhältnis setzt hiernach voraus, daß das Kind im Haushalt der Pflegeeltern seine Heimat hat und zwischen den Pflegeeltern und dem Kind ein dem Eltern-Kind-Verhältnis ähnliches Band besteht; dazu gehört, daß das Kind von seinen Pflegeeltern auf Dauer wie ein leibliches Kind betreut wird (vgl. Abschn. 180 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - zum Begriff des Pflegekinds in § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG 1979). Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die in einem solchen Fall an die Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder dazu bestimmt sind, "die Erziehung zu fördern". Im Gegensatz dazu steht die Zahlung vergleichbarer Beträge an Personen, die Kinder nur des Erwerbs wegen im Haushalt aufnehmen (sog. "Kostkinder"). Hier könnte zweifelhaft sein, ob die in einem solchen Fall gewährten Zuschüsse ausschließlich "zur Erziehung" bestimmt sind; es müßte berücksichtigt werden, daß die Zuschüsse bei Kostkindern nicht in erster Linie zur Förderung der Erziehung gedacht sind, sondern vor allem die Unterbringung und Verköstigung abgelten sollen (vgl. zur steuerlichen Würdigung der Unterbringung, Verköstigung und der allgemeinen Betreuung von Kindern in Kinderheimen: BFH-Urteil vom 27. Juni 1974 IV R 204/70, BFHE 114, 95, BStBl II 1975, 147).
Im Streitfall sind die Beteiligten - ebenso wie das FG - davon ausgegangen, daß die Kläger ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. des § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG 1979 begründet haben. Die Kläger wollten das Kind T in eigene Obhut nehmen und nicht anders als ein leibliches Kind aufziehen.
4. Schließlich wird durch die Gewährung von Erziehungsgeldern i. S. des § 3 Nr. 11 EStG die Erziehung "unmittelbar" gefördert.
Der Begriff der "unmittelbaren Förderung" ist verschieden auszulegen, je nachdem, ob es sich um die Förderung von Wissenschaft, Kunst, Erziehung oder Ausbildung handelt (BFH-Urteil vom 4. Mai 1972 IV 133/64, BFHE 105, 374, BStBl II 1972, 566). Eine unmittelbare Förderung der Erziehung ist gegeben, wenn der Person, der die Erziehung anvertraut ist, Zuschüsse gegeben werden, um hierdurch die Erfüllung der Erziehungsaufgabe zu unterstützen. Das trifft auf die von den Jugendämtern nach den Vorschriften des JWG gezahlten Erziehungsgelder zu. Diese Zuschüsse werden - ebenso wie die Pflegegelder - gezahlt, um die Aufnahme von Kindern in Familienpflegestellen zu erleichtern und auf diese Weise eine Erziehung der Kinder ähnlich wie in einer Familie zu ermöglichen.
Von einer "unmittelbaren" Förderung der Erziehung könnte zwar dann nicht gesprochen werden, wenn die Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Pflegeperson - wie im Falle der Kostkinder - auf seiten der Pflegepersonen als Erwerbstätigkeit anzusehen ist. Im Streitfall war dies indessen - wie oben bereits ausgeführt - nicht der Fall. Aus dem Umstand, daß ein Pflege- und Erziehungsgeld vertraglich zugesagt war, läßt sich nicht auf das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit schließen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 1979 8 b RKg 3/78, Sozialrecht Nr. 16 zu 5870; § 2 des Bundeskindergeldgesetzes).
Mit seiner Entscheidung steht der Senat im Gegensatz zu der Rechtsauffassung, die im Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 16. November 1982 IV B 4 - S 2121 - 85/82 (StEK, Einkommensteuergesetz, § 18 Nr. 119) vertreten wird. Danach ist das Erziehungsgeld eine nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG steuerpflichtige Vergütung, für die § 3 Nr. 11 EStG keine Anwendung findet.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das Erziehungsgeld bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens außer. Betracht zu bleiben hat.
Die Steuerberechnung wird dem FA übertragen (Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit).
Fundstellen
Haufe-Index 75029 |
BStBl II 1984, 571 |
BFHE 1985, 154 |