Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer Arbeitsrecht
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen das GG, daß die Gesetzgebung die Kinderzuschläge, die Beamte nach dem Besoldungsrecht erhalten, nicht in bestimmtem Umfang von der Einkommensteuer freistellte, nachdem die Steuerfreiheit für das Kindergeld nach dem Kindergeldgesetz eingeführt worden war.
Wenn eine gesetzliche Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt, können die Gerichte in der Regel nicht von sich aus entgegen dem Gesetz Steuerbefreiungen gewähren, um die Gleichheit herzustellen. Es bedarf dazu in der Regel des Eingreifens der Gesetzgebung.
Zur Abgrenzung der Funktionen von Gesetzgebung und Rechtsprechung bei der Verwirklichung der Grundrechte und der Durchführung anderer Verfassungsgrundsätze.
Normenkette
EStG § 19/1, § 3/10; GG Art. 1, 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1
Tatbestand
Der Bf. ist Richter. Er hat vier Kinder, für die er im Streitjahr 1956 gemäß § 13 Abs. 1 des Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 1954 (GVBl für das Land Nordrhein-Westfalen 1954 S. 162) Kinderzuschläge erhielt. Die Kinderzuschläge unterlagen als Teile des Gehalts dem Lohnsteuerabzug (vgl. § 3 Ziff. 10 Satz 2 EStG 1955, § 6 Ziff. 8 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1955). Im Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1956 beantragte der Bf., den Kinderzuschlag für das dritte und vierte Kind bis zur Höhe von je 25 DM monatlich steuerfrei zu lassen. Nach seiner Auffassung widerspricht es dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), das Kindergeld nach § 36 Abs. 1 des Kindergeldgesetzes (KGG) vom 13. November 1954 (BGBl 1954 I S. 333) steuerfrei zu lassen (vgl. jetzt § 3 Ziff. 24 EStG 1958), die an seine Stelle tretenden Kinderzuschläge bei Beamten aber zu besteuern. Die gesetzliche Besteuerung verletze auch das Sozialstaatsprinzip der Art. 20 und 28 GG. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Seine Entscheidung ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1958 S. 386 veröffentlicht. Es führte im wesentlichen aus: Das Kindergeld nach dem KGG sei anders gestaltet als die Kinderzuschläge nach dem Besoldungsrecht. Die Kinderzuschläge seien Teile des Gehalts; sie seien übertragbar und pfändbar; das Kindergeld dagegen werde unabhängig vom Lohn gewährt; es sei nicht übertragbar und nicht pfändbar (ß 8 KGG). Der Anspruch auf Kinderzuschläge richte sich gegen den Dienstherrn, der Anspruch auf Kindergeld gegen die Familienausgleichskasse (ß 5 Abs. 1 KGG). Das Kindergeld werde erst vom dritten Kind ab gezahlt (ß 1 KGG) und betrage 30 DM (ß 4 KGG n. F.), während die Kinderzuschläge nach dem Besoldungsrecht für jedes Kind gezahlt würden und - der Höhe nach gestaffelt - den Betrag von 30 DM überstiegen. Wenn der Bf. aus Art. 3 GG die volle Gleichbehandlung für die Kinderzuschläge und das Kindergeld herleiten wolle, so müsse er auf die Kinderzuschläge für das erste und zweite Kind verzichten. Die Steuerfreiheit für das Kindergeld werde wegen des Sozialcharakters dieser Zahlung gewährt. Das Kindergeld solle, wie sich aus § 3 Abs. 1 KGG und den Beratungen des Bundestags ergebe, nicht nur dem Kinde, für das es gezahlt wird, sondern allen Kindern, auch den ersten und zweiten zugute kommen (Beschluß des Bayer. Oberlandesgerichts BReg. 1 Z 147/55 vom 14. Oktober 1955, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1956 S. 22). Das das Kindergeld niedriger sei als der Kinderzuschlag und für mehrere Kinder reichen müsse, sei es nicht ungerecht, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens das Kindergeld beim Empfänger steuerfrei lasse. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG schütze gegen ungleiche Behandlung bei im wesentlichen gleicher tatsächlicher Lage. Der Gesetzgeber dürfe indessen Tatbestände, die nur äußerlich gleich erschienen, ihrem Wesen nach aber verschieden seien, so regeln, wie er es für erforderlich halte (v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Anm. III 1 zu Art. 3 GG). Die verschiedene steuerliche Behandlung des Kindergeldes und des Kinderzuschlages verstoße demnach nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie sei aber auch mit den Sozialstaatsklauseln der Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG vereinbar. Anders als die die Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung unmittelbar bindenden Grundrechte seien die Sozialstaatsklauseln programmatische Forderungen und ein Bekenntnis zum Sozialstaat (Bonner Kommentar, Anm. II 1 d zu Art. 20 und 28 GG); sie seien nicht Vorschriften, die geltende Rechtssätze unmittelbar änderten (v. Mangoldt-Klein, a. a. O., Anm. VII 2 a und c zu Art. 20 GG). Es müsse dem Gesetzgeber überlassen bleiben, inwieweit er das Prinzip der Sozialstaatlichkeit jetzt schon oder erst in Zukunft verwirkliche. Der Zeitpunkt hänge davon ab, wieviel Mittel dem Staat zur Verfügung stünden. Der Bürger könne aus diesen allgemeinen Prinzipien kein Recht auf soziale Maßnahmen zu seinen Gunsten herleiten. Die Besteuerung der Kinderzuschläge für das dritte und vierte Kind widerspreche also auch nicht den Sozialklauseln der Art. 20 und 28 GG.
In der Rechtsbeschwerde wiederholt der Bf. mit eingehenden Rechtsausführungen seinen Antrag. Er weist insbesondere auf die Ausführungen zu der Streitfrage in "Zeitschrift für Beamtenrecht" 1958 S. 253 und 329 hin.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Zutreffend hat das Finanzgericht ausgeführt, daß nach Wesen, Entstehungsgeschichte, Höhe und Ausgestaltung die Kinderzuschläge nach dem Beamtenbesoldungsrecht und das Kindergeld nach dem KGG so wesentlich voneinander abweichen, daß der Gesetzgeber, als er die Steuerfreiheit für das Kindergeld einführte, unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gehalten war, auch die Kinderzuschläge, die als Teile des Gehalts der Beamten von jeher einkommensteuerpflichtig waren, in bestimmtem Umfang von der Einkommensteuer freizustellen. Art. 3 GG verbietet, an wesentlich Gleiches ohne zureichenden Grund ungleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Die Gerichte können ein Gesetz wegen Verletzung der verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantie nur für nichtig erklären, wenn der Gesetzgeber die äußersten Grenzen seines Ermessens offensichtlich willkürlich verletzt hat (Urteil des Senats VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512, mit weiteren Angaben). Das ist hier nicht der Fall. Der Senat tritt insoweit den Ausführungen des Finanzgerichts bei. Der Gesetzgeber hat zwar neben anderen die Beamten als Empfänger von Kinderzuschlägen vom Bezug des Kindergeldes nach dem KGG ausgeschlossen. Das nötigte ihn aber nicht, die für das Kindergeld gewährte Steuerfreiheit auch in dieser oder jener Form auf die Kinderzuschläge ab dem dritten Kind auszudehnen. Es ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, daß die Kinderzuschläge zum Teil höher sind als das Kindergeld und daß in der Regel für das dritte und jedes weitere Kind die Kinderzuschläge auch nach Abzug der Einkommensteuer das Kindergeld nach dem KGG noch übersteigen. Die Frage, ob und in welchem Umfang man für die Kinderzuschläge Steuerfreiheit gewähren solle, war während der parlamentarischen Beratungen offenbar Gegenstand von überlegungen. In dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit vom 8. August 1955 - IV 2 - 7696/55 - (abgedruckt bei Tiede-Bürger-Wingen, Anm. 3 zu § 36 KGG) wird ausgeführt:
"Wie aus dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zum KGG (Bundestagsdrucksache 708) zu entnehmen ist, war für die Nichtberücksichtigung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes die Tatsache maßgebend, daß sie ohnehin zum überwiegenden Teil dem Kindergeld entsprechende Leistungen bereits vom ersten Kind an auf Grund der hierfür geltenden gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen erhalten, wogegen Kindergeld nach dem KGG erst vom dritten Kind an gewährt wird. Außerdem sind die Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst je nach dem Lebensalter des Kindes zum Teil höher als das Kindergeld. Diese Gründe dürften auch dafür maßgebend gewesen sein, daß in das KGG eine Vorschrift über die Steuerfreiheit der Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst nicht aufgenommen worden ist. In der Regel wird demnach im Ergebnis eine Benachteiligung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht eintreten, auch wenn bei ihnen die Leistungen, die für das dritte und jedes weitere Kind gewährt werden, nicht steuerfrei und beitragsfrei in der Sozialversicherung bleiben.
Bei dieser Sach- und Rechtslage sehe ich in der unterschiedlichen lohnsteuer- und sozialversicherungsbeitragsrechtlichen Behandlung der Kinderzuschläge des öffentlichen Dienstes und des Kindergeldes einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht".
Die Frage, ob für die Kinderzuschläge Steuererleichterung oder Steuerfreiheit gewährt werden soll, gehört in den Bereich der Steuerpolitik und der Besoldungspolitik. Im Rahmen seines politischen Ermessens konnte der Gesetzgeber aus den oben erwähnten Gründen, nachdem er die Steuerfreiheit für das Kindergeld eingeführt hatte, ohne Willkür die Einkommensteuerpflicht der Kinderzuschläge wie bisher aufrechterhalten. Es würde den Grundsatz der Dreiteilung der Staatsgewalt verletzen (Art. 20 Abs. 3 GG) und ein Einbruch der Rechtsprechung in den politischen Bereich der Gesetzgebung sein, wenn die Gerichte ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit an die Stelle der Vorstellungen der Gesetzgebung setzen wollten (Urteil des Senats VI 289 - 290/58 U vom 21. August 1959, BStBl 1959 III S. 409).
Der Bf. verkennt bei seinem Begehren den entscheidenden Punkt. Wenn der Gesetzgeber wirklich den Gleichheitsgrundsatz verletzt hätte, dann nicht dadurch, daß er die Kinderzuschläge der Einkommensteuer unterwirft; denn sie sind Teile des Gehalts, das im vollen Umfang der Einkommensteuer unterliegt (ß 19 EStG). Die Bestimmung des § 3 Ziff. 10 Satz 2 EStG 1955 (ß 6 Ziff. 8 LStDV 1955), die der Bf. angreift, ist keine sachlich-rechtliche Regelung, sondern dient nur der Klarstellung; die Steuerpflicht der Kinderzuschläge beruht nicht auf dieser Vorschrift; auch wenn sie fehlte, wäre die Rechtslage auf Grund von § 19 EStG nicht anders. Der Bf. wendet sich dagegen, daß der Gesetzgeber für das Kindergeld Steuerfreiheit gewährte, ohne auch für die Kinderzuschläge in Abweichung von der bisherigen Regelung ganz oder teilweise die Steuerfreiheit einzuführen. Selbst wenn man darin eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sehen wollte, so könnten die Gerichte höchstens diesen Mangel feststellen und dem Gesetzgeber nahelegen, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende gesetzliche Regelung zu schaffen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 149/52 vom 11. Juni 1958, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 8 S. 28 ff.). Keineswegs aber können sie eine Steuerbefreiung, die der Gesetzgeber nicht gewähren will, von sich aus gewähren. Die Auffassung des Bf., es bestehe eine Lücke im Steuergesetz, ist unrichtig; die Regelung ist bewußt so getroffen worden, wie sie ist.
Wenn man dem Bf. darin folgen wollte, daß der Gleichheitsgrundsatz verletzt sei, so wäre jedenfalls keine der vorhandenen steuerlichen Bestimmungen nichtig. Nichtig könnte nur die Vorschrift sein, die das Kindergeld von der Einkommensteuer befreit hat. Würde aber die Nichtigkeit dieser Vorschrift festgestellt, so wäre damit dem Bf. nicht gedient; denn der Gesetzgeber wäre nicht verpflichtet, eine entsprechende steuergesetzliche Regelung zu schaffen. Insofern fehlt für das Begehren des Bf. letztlich das Rechtsschutzinteresse (Urteil des Senats VI 315/58 U vom 20. März 1959, BStBl 1959 III S. 218). Von ähnlichen Erwägungen geht offenbar auch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 19/58, 1 BvL 21/58 vom 14. April 1959 (BStBl 1959 I S. 208) aus.
Der Bf. macht weiterhin geltend, der Gesetzgeber habe auch die Sozialstaatsklauseln der Art. 20 und 28 GG verletzt, als er die Kinderzuschläge in Anpassung an die Regelung im KGG nicht ganz oder teilweise von der Einkommensteuer freistellte. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen des Finanzgerichts über die Bedeutung der Art. 20 und 28 GG in allen Punkten zutreffend sind. Der Bf. weist darauf hin, daß von manchen Schriftstellern diese Bestimmungen des GG nicht nur als Programm, sondern - allerdings in einem schwer zu fassenden Umfang - als geltendes Recht aufgefaßt werden. Der Senat braucht im Streitfall dazu nicht Stellung zu nehmen. Denn keinesfalls kann es im Rahmen des Prinzips der Gewaltenteilung Aufgabe der Steuergerichte sein, steuergesetzliche Bestimmungen, die kein Grundrecht verletzen, etwa wegen Verletzung der Sozialstaatsklauseln der Art. 20 und 28 GG für nichtig zu erklären. Wollte man so vorgehen, so würde diesen Bestimmungen eine stärkere Wirkung zuerkannt als den Grundrechten. Den Gerichten würde dann bei der Unbestimmtheit des Begriffs Sozialstaat im Ergebnis eine Funktion zufallen, die das GG ihnen nicht geben will. Sie sollen zwar die Gesetzgebung auf die Wohnung der Verfassung überwachen. Hat aber die politisch verantwortliche Gesetzgebung eine im Rahmen des GG durchaus vertretbare gesetzliche Regelung getroffen, so können die politisch nicht verantwortlichen Gerichte nicht auf dem Weg über die Auslegung der Grundrechte oder anderer Verfassungsbestimmungen ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit der Gesetzgebung aufzwingen (Urteil des Senats VI 289 - 290/58 U a. a. O.). Wollte man der abweichenden Auffassung, die der Bf. zu dieser Frage vertritt, folgen, so käme es letzten Endes dazu, daß die Gerichte die Politik bestimmten. Die Rechtsgültigkeit von Gesetzen blieb dann weithin im Ungewissen, bis jeweils das Bundesverfassungsgericht nach Jahren das Gesetz bis in die letzten Einzelfragen hinein geprüft und für verfassungsgerecht erklärt hätte. Das würde nicht nur dem Grundsatz der Gewaltenteilung widersprechen, sondern zu einer Rechtsunsicherheit führen, die der Ordnung, ohne die ein Staat nicht leben kann, abträglich sein würde.
Da die Einwendungen des Bf. gegen die Verfassungsmäßigkeit des Steuergesetzes nicht begründet und weitere Einwendungen nicht erhoben sind, mußte die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 409479 |
BStBl III 1959, 449 |
BFHE 1960, 507 |
BFHE 69, 507 |