Leitsatz (amtlich)
Durch Aufgabe des Wohnsitzes oder Beendigung eines mehr als sechs Monate andauernden Aufenthalts erlischt die unbeschränkte Steuerpflicht, gleichgültig, ob sie durch die Begründung eines Wohnsitzes oder durch einen mehr als sechs Monate andauernden Aufenthalt begründet worden war.
Normenkette
EStG § 1; StAnpG §§ 13-14
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtige), der im Veranlagungszeitraum 1962 unstreitig bis zum 15. September 1962 seinen Wohnsitz in Berlin (West) hatte und dort als Lehrer tätig war, war vom 15. September 1962 ab zur Ausübung einer Lehrtätigkeit an der Schule in B von seinem Dienstherrn ohne Anspruch auf Dienstbezüge beurlaubt worden. Der Revisionsbeklagte (das FA) unterwarf ihn mit den während der Zeit vom 15. September bis 31. Dezember 1962 in B bezogenen Einkünften der Einkommensteuer. Der Einspruch und die Berufung des Steuerpflichtigen, mit denen er sich gegen seine Steuerpflicht bezüglich dieser Einkünfte wendete, blieben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht (VG) führte aus:
Bestimmend für die Bejahung der unbeschränkten Steuerpflicht seien nach § 1 EStG Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland. Seinen Wohnsitz im Sinne der Steuergesetze habe jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und nutzen wird (§ 13 StAnpG). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend weilt. Die unbeschränkte Steuerpflicht trete jedoch stets ein, wenn der Aufenthalt im Inland länger als sechs Monate dauere (§ 14 Abs. 1 StAnpG).
Es sei unstreitig, daß der Steuerpflichtige seine Wohnung in Berlin (West) bis Mitte September 1962 bewohnt habe, und es sei nichts erkennbar, was darauf schließen lasse, daß er sie nicht auch bis Ende 1962 beibehalten und benutzt habe. Damit habe der Steuerpflichtige während des ganzen Jahres 1962 seinen Wohnsitz in Berlin (West) gehabt. In jedem Falle habe er während des Streitjahres 1962 seinen gewöhnlichen Aufenthalt länger als sechs Monate in Berlin (West) gehabt, so daß seine unbeschränkte Steuerpflicht für den Veranlagungszeitraum 1962 nach § 1 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 StAnpG gegeben sei. Auf § 3 Nr. 40 EStG könne sich der Steuerpflichtige nicht berufen, da er dem dort genannten Personenkreis nicht angehöre.
Hiergegen wendet sich der Steuerpflichtige mit der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde, zu deren Begründung er vortragen läßt:
Der Steuerpflichtige bestreite seine unbeschränkte Steuerpflicht für die Zeit bis Mitte September 1962 nicht. Das VG habe jedoch unberücksichtigt gelassen, daß der Steuerpflichtige noch im September 1962 nach B umgezogen sei und damit seinen Wohnsitz in Berlin (West) aufgegeben habe, womit seine unbeschränkte Steuerpflicht erloschen sei. Er habe auch seine Wohnung in Berlin (West) für sich selbst aufgegeben, wenn sie auch von seiner früheren Ehefrau, von der er damals bereits getrennt gelebt habe und inzwischen geschieden worden sei, weiterhin bewohnt wurde. Da dem VG bekannt gewesen sei, daß der Steuerpflichtige sich für drei Jahre an die Schule in B verpflichtet habe, habe das Gericht nicht davon ausgehen können, daß er während dieser Zeit zwei Wohnungen habe unterhalten wollen.
Die unbeschränkte Steuerpflicht könne auch nicht auf § 14 StAnpG gestützt werden, da diese Vorschrift sich offensichtlich auf Ausländer beziehe, nicht aber auf Personen, die nach mehr als sechs Monate andauerndem gewöhnlichem Aufenthalt in das Ausland ausreisten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
1. Soweit das VG seine Entscheidung auf § 14 StAnpG abgestellt hat, vermag der Senat ihm nicht zu folgen. Verläßt ein Steuerpflichtiger das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (BRD) oder von Berlin (West) in der erkennbaren Absicht, auf immer oder auf absehbare Zeit nicht mehr dorthin zurückzukehren (Aufgabe des Wohnsitzes, Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts), so erlischt seine unbeschränkte Steuerpflicht, gleichgültig, ob sie zuvor durch die Begründung eines Wohnsitzes oder durch einen mehr als sechs Monate andauernden (körperlichen) Aufenthalt in dem genannten Gebiet (für die gesamte Zeit des Aufenthalts) begründet worden war. Neben der Feststellung der Begründung eines Wohnsitzes kommt die Annahme eines gewöhnlichen oder mehr als sechs Monate andauernden Aufenthalts nicht in Betracht.
2. Wie der Anlage "Berliner Steuerpräferenz" zur Einkommensteuererklärung 1962 des Steuerpflichtigen zu entnehmen ist, hatte der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz vom 1. Januar bis 31. Dezember 1962 in Berlin (West). Daneben hatte er vom 15. September bis zum 31. Dezember 1962 einen weiteren Wohnsitz in B. Auch die Ehefrau des Steuerpflichtigen, mit der er zusammen veranlagt zu werden wünschte, hatte nach seinen Angaben ihren Wohnsitz während des ganzen Jahres 1962 in Berlin (West). Danach konnte das VG davon ausgehen, daß der Steuerpflichtige seine Wohnung in Berlin (West) trotz seiner persönlichen Übersiedlung nach B im September 1962 nicht aufgegeben, sondern als Familienwohnung beibehalten hatte.
Mit seinem Einspruch hatte der Steuerpflichtige unter anderem die Steuerfreiheit seiner in B erzielten Einkünfte im Hinblick auf seine Eigenschaft als Auslandsbeamter geltend gemacht. Im Verfahren vor dem VG war nur noch die Steuerfreiheit der in B erzielten Einkünfte des Steuerpflichtigen streitig. In diesem Zusammenhang wurde im Schriftsatz vom 6. März 1964 - im Gegensatz zur Einkommensteuererklärung 1962 vom 27. August 1963 - die Beibehaltung des Wohnsitzes in Berlin (West) in Abrede gestellt. Obwohl das FA im Schriftsatz vom 22. Mai 1964 darauf hinwies, daß während der Zeit vom 15. September bis 31. Dezember 1962 Frau und Tochter des Steuerpflichtigen weiterhin die Wohnung in Berlin (West) innehatten, hat der Steuerpflichtige nichts dahingehend vorgetragen, daß er von seiner Ehefrau bereits damals getrennt gelebt habe. Es wurde lediglich vorgetragen, daß die Ehefrau, die Künstlerin sei, schon vor August 1962 in der Bundesrepublik eine Wohnung besessen habe, die ihr für die Dauer ihres Engagements in der Bundesrepublik als gewöhnlicher Aufenthalt gedient habe, und daß der Mietvertrag über die Wohnung in Berlin (West) auf die Namen beider Ehegatten gelautet habe.
3. Wie der Steuerpflichtige nicht verkennt, stellt die Vorschrift des § 13 StAnpG hinsichtlich der Begründung und der Aufgabe des Wohnsitzes nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen des Steuerpflichtigen, sondern auf die Umstände ab, "die darauf schließen lassen", daß er als der Inhaber einer Wohnung "die Wohnung beibehalten und benutzen wird". Die auch noch nach der Begründung des zweiten Wohnsitzes in B andauernde Benutzung der Wohnung durch Frau und Tochter des Steuerpflichtigen erlauben als solche Umstände den Schluß, daß die Wohnung im Sinne dieser Vorschrift vom Steuerpflichtigen beibehalten und benutzt wurde. Das gilt um so mehr, als der Steuerpflichtige noch bei Abgabe seiner Steuererklärung im Jahre 1963 diese Umstände in gleichem Sinne gedeutet hat. Denn andernfalls hätte er - falls die Trennung von seiner Ehefrau bereits vor dem 1. Mai 1962 erfolgt wäre - nicht die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau (vgl. Urteil des BFH VI 42/65 vom 5. Oktober 1966, BFH 87, 208, BStBl III 1967, 84), keinesfalls aber die Steuervergünstigung nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Steuererleichterungen und Arbeitnehmervergünstigungen in Berlin (West) in der Fassung vom 26. Juli 1962 (BStBl I 1962, 1007) in Anspruch nehmen können (BFH-Urteile VI 236/62 U vom 4. April 1964, BFH 79, 626, BStBl III 1964, 462; IV 29/64 U vom 4. Juni 1964, BFH 80, 169, BStBl III 1964, 535). Soweit der Steuerpflichtige nunmehr darauf verweist, daß er bereits im September 1962 (ab wann?) von seiner Ehefrau getrennt gelebt habe, kann er damit - als mit einem neuen tatsächlichen Vorbringen - im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden.
4. Danach unterlag der Steuerpflichtige gemäß § 1 Abs. 1 EStG mit seinen gesamten Einkünften im Streitjahr der unbeschränkten Steuerpflicht. Diese umfaßt auch die streitigen, in B erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, das eine abweichende Regelung des Besteuerungsrechts enthielte, bestand im Streitjahr zwischen der BRD und ... nicht. Doch wurden auf die in B erzielten Einkünfte nach dem Abkommen zwischen ... keine Steuern vom Einkommen auf diese Bezüge erhoben.
Die vom Steuerpflichtigen angesichts der streitigen Bezüge in Anspruch genommene Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 32 bzw. 33 bzw. 40 EStG ist nicht gegeben, da der Steuerpflichtige keinem der dort benannten Personenkreise angehört.
Fundstellen
Haufe-Index 68218 |
BStBl II 1968, 818 |
BFHE 1968, 428 |