Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Soldaten auf Zeit wegen Tellnahme an Lehrgängen der Bundeswehrfachschule, zu der er abkommandiert ist, um die mittlere Reife zu erlangen, sind Werbungskosten im Rahmen eines Ausbildungsdlenstverhältnisses (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG 1977 § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1978 Soldat auf Zeit. Er war ab dem 4. Januar 1978 für ein Jahr an die Bundeswehrfachschule in A abkommandiert, wo er an einem Lehrgang zur Erlangung der mittleren Reife teilnahm. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1978 machte er u. a. Aufwendungen für Arbeitsmittel und für Fahrten zwischen seinem Wohnort K und der Bundeswehrfachschule in A an 250 Tagen abzüglich einer ihm von der Bundeswehr gewährten Entschädigung geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte die vom Kläger geltend gemachten Ausgaben nur als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit einem Pauschbetrag von 900 DM. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte u. a. aus:
Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 3. Dezember 1974 VI R 78/73 (BFHE 114, 485, BStBl II 1975, 334 ) seien die streitbefangenen Aufwendungen keine nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG abziehbaren Sonderausgaben, sondern Werbungskosten. Der Kläger habe im Streitjahr als Zeitsoldat Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Er habe während seiner Abkommandierung an die Bundeswehrfachschule dort seinen Dienst auf Weisung seines Dienstherrn versehen, auch wenn ihm nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) i. d. F. vom 18. Februar 1977 (BGBl I 1977, 337) allgemeinberuflicher Unterricht vermittelt worden sei. Die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben seien daher Werbungskosten. Da die Bundeswehrfachschule die Arbeitsstätte des Klägers gewesen sei, könne er die Aufwendungen für die Fahrten von seiner Wohnung dorthin und zurück nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten geltend machen. Die Ausgaben für Arbeitsmittel seien nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG zu berücksichtigen.
Das FA legte gegen diese Entscheidung Revision ein. Es ist der Ansicht, die Vorentscheidung verletze § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Es bringt u. a. vor:
Durch die Abkommandierung an die Bundeswehrfachschule nach § 3 SVG solle dem Soldaten auf Zeit der Übergang in das Zivilleben erleichtert werden. Auf die Absolvierung derartiger Lehrgänge habe ein Zeitsoldat zwar einen Rechtsanspruch; es bestehe für ihn aber keine rechtliche Verpflichtung. Seine Bezüge hätten dem Kläger auch dann zugestanden, wenn er an dem Lehrgang nicht teilgenommen hätte. Durch den Lehrgang seien ihm unstreitig Kenntnisse allgemeinbildender Art, nicht aber spezifisches Fachwissen vermittelt worden. Aufwendungen hierfür seien nach ständiger Rechtsprechung des BFH der privaten Lebensführung zuzuordnen. Sie seien im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Ausbildungskosten lediglich bis zu bestimmten Höchstbeträgen als Sonderausgaben berücksichtigungsfähig.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Denn das FG hat die Aufwendungen des Klägers zu Recht deshalb als Werbungskosten angesehen, weil sie im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses entstanden sind.
1. Die dem Kläger entstandenen Aufwendungen sind ihrem Wesen nach Berufsausbildungskosten.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG 1977 sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder seine Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf bis zum Höchstbetrag von 900 DM als Sonderausgaben abziehbar.
Ausbildungskosten im Sinne dieser Vorschrift sind gegeben, wenn die Aufwendungen dazu dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf notwendig sind (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 9. März 1979 VI R 141/77, BFHE 127, 210, BStBl II 1979, 337 ). Hierzu zählen auch Kosten zum Erwerb von Kenntnissen, die die Grundlage dafür bilden sollen, um von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 24. Juni 1937 IV A 20/36, RStBl 1937, 1089). Ausbildungskosten i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG liegen nach der Rechtsprechung des BFH insbesondere vor, wenn Aufwendungen durch den Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen entstehen, wie z. B. von Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien (vgl. z. B. Urteil vom 10. Dezember 1971 VI R 255/70, BFHE 104, 220, BStBl II 1972, 242 , und Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Ausbildungskosten/Fortbildungskosten, zu Abschn. B I Abs. 2).
Die dem Kläger entstandenen Aufwendungen sind ihrem Wesen nach Berufsausbildungskosten, da sie durch Teilnahme an einem Lehrgang zur Erlangung der mittleren Reife erwachsen sind und den Übergang zu einem Zivilberuf, also den Wechsel zu einer anderen Berufsart, vorbereiten sollen.
2. Die dem Kläger entstandenen Aufwendungen sind gemäß den zutreffenden Ausführungen des FG gleichwohl als Werbungskosten zu berücksichtigen, da sie durch die Berufsausübung des Klägers als Arbeitnehmer veranlaßt worden sind. Liegen Werbungskosten vor, so scheidet ein Abzug als Sonderausgaben aus (§ 10 Abs. 1 Satz 1 EStG).
Der Kläger stand im Streitjahr 1978 als Zeitsoldat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Bundeswehr. Sein Sold als Soldat war eine steuerpflichtige Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Dadurch, daß der Kläger zur Bundeswehrfachschule nach A abkommandiert wurde, wandelte sich das Dienstverhältnis in ein Ausbildungsdienstverhältnis um. Der Kläger war aufgrund der Abkommandierung verpflichtet, an dem von ihm gewählten Lehrgang der Bundeswehrfachschule teilzunehmen und entsprechend mitzuarbeiten. Nach dem Abkommandierungserlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 15. Juni 1968 (VmBl 1968, 266) unterliegen die Soldaten während der Ausbildung weiterhin der Befehlsgewalt des Dienstherrn. Sie sind dem Kompaniechef der Bundeswehrfachschule truppendienstlich unterstellt, und sie haben sich bei ihm am Tag vor Beginn des Lehrgangs zu melden. Die weiterhin bestehende Befehlsgewalt des Dienstherrn zeigt sich auch darin, daß nach dem vorgenannten Erlaß die Abkommandierung aufzuheben ist, wenn ein Lehrgangsteilnehmer während des Schulbesuchs dienstunfähig erkrankt ist und infolge dieser Erkrankung das Studienhalbjahr voraussichtlich nicht erfolgreich abschließen kann.
Dem steht nicht entgegen, daß die Teilnahme an dem Lehrgang zur Erlangung der mittleren Reife nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SVG nur auf Antrag gewährt wird. Denn dieser Antrag ist nur eine Voraussetzung dafür, daß sich das Dienstverhältnis aufgrund einer Abkommandierung in ein Ausbildungsdienstverhältnis verändert hat.
Die Verhältnisse sind im Streitfall ähnlich gelagert wie bei Ausbildungsdienstverhältnissen von Referendaren, Finanzanwärtern und Lehramtskandidaten. Der BFH hat bei diesen Personengruppen die ihnen für die Ausbildung entstandenen Aufwendungen, wie insbesondere Lehrgangs- und Examenskosten, ebenfalls als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zum Abzug zugelassen, weil sie in einem Ausbildungsdienstverhältnis stehen und hieraus lohnsteuerpflichtige Einnahmen beziehen (vgl. Urteil vom 3. Dezember 1974 VI R 159/74, BFHE 114, 428, BStBl II 1975, 356 , und v. Bornhaupt, Betriebs-Berater - BB - 1975, 876). Der Streitfall unterscheidet sich zwar von diesen Personengruppen dadurch, daß ihnen kein Allgemeinwissen, sondern spezifische Berufskenntnisse zum Zweck ihrer Ausbildung im Rahmen eines Berufsausbildungsganges gewährt werden, während die Fachausbildung nach dem SVG darauf gerichtet ist, dem Zeitsoldaten nach Beendigung des Dienstes bei der Bundeswehr den Übergang in einen völlig anders gearteten Beruf zu ermöglichen. Diese Unterschiede können jedoch eine andere steuerrechtliche Würdigung nicht rechtfertigen. Denn wesentlich ist allein der Umstand, daß in allen vorgenannten Fällen Gegenstand und Ziel des Dienstverhältnisses eine berufliche Ausbildung ist und die Aufwendungen von den Steuerpflichtigen erbracht werden, um ihren Verpflichtungen aus dem Ausbildungsdienstverhältnis nachzukommen.
Die Entscheidung des Senats entspricht seinen Urteilen vom 12. Dezember 1979 VI R 64/78 (BFHE 129, 173, BStBl II 1980, 124 ), vom 7. November 1980 VI R 50/79 (BFHE 132, 49, BStBl II 1981, 216 ) und vom 28. September 1984 VI R 127/80 ( BStBl II 1985, 87 ), in denen der Senat Aufwendungen auch für das Hochschulstudium bei Offizieren der Bundeswehr als Werbungskosten anerkannt hat, weil Ausbildungsdienstverhältnisse vorlagen. Von gleichen Grundsätzen wie im Streitfall geht wohl auch die herrschende Meinung der FG und der Literatur aus (vgl. Urteil des FG Münster vom 23. Januar 1975 VIII 2009/73 L, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1975, 253 betreffend Aufwendungen für einen Steuerrechtslehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerbevollmächtigtenprüfung eines Zeitsoldaten in Erfüllung seiner Verpflichtung, sich im Rahmen des § 5 SVG zu einem Zivilberuf ausbilden zu lassen; Urteil des Hessischen FG vom 28. Februar 1973 I 11/72, EFG 1973, 266 betreffend Abkommandierung eines Feldwebels zur Bundeswehrfachschule; Urteil des FG Düsseldorf - Senate in Köln - vom 8. Juni 1977 VIII (VII) 146/73 E, EFG 1977, 527 betreffend Abkommandierung eines Berufsoffiziers zum Studium; dieser Entscheidung zustimmend Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 12 Rdnr. 23 Abs. 1; Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Saarbrücken vom 30. Mai 1978 S 2330 - 25 - St 221, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - Fach 1 Nr. 1416/78; Schmidt/Drenseck, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 19 Anm. 12, Stichwort: Ausbildungskosten zu a; Hartz/Meeßen/Wolf, a. a. O., Stichwort: Ausbildungskosten/Fortbildungskosten, D, Unterstichwort: Fachschulen, Abs. 2).
Soweit der Senat im Urteil in BFHE 114, 485, BStBl II 1975, 334 , und in der nicht veröffentlichten Entscheidung vom 18. März 1977 VI R 12/75 einen anderen Standpunkt vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.
3. Entsprechend diesen Grundsätzen hat das FG im Streitfall zu Recht die Aufwendungen des Klägers wegen Teilnahme an dem Lehrgang zur Erlangung der mittleren Reife an der Bundeswehrfachschule als Werbungskosten anerkannt. Die Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen seiner Wohnung in K und der Bundeswehrfachschule in A waren Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG und die Aufwendungen für Schreibmaterial und Zeichengeräte von 202 DM Ausgaben für Arbeitsmaterial i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Dadurch, daß der Kläger zur Bundeswehrfachschule in A abkommandiert war, war diese Schule zur Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG geworden.
Fundstellen
Haufe-Index 426054 |
BStBl II 1985, 89 |
BFHE 1985, 258 |