Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob Reisekosten als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) oder als nichtabzugsfähige Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG) zu behandeln sind, kann nicht auf die Höhe der Aufwendungen oder den Zeitaufwand für die Vorbereitung der Reise abgestellt werden. Es ist grundsätzlich auch ohne Belang, ob die Aufwendungen üblich oder zweckmäßig sind.
2. Die Aufwendungen eines Zahnarztes für eine Reise zum Besuch eines Fachkongresses im Ausland sind dann nicht ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend beruflich veranlaßt und deshalb insgesamt nichtabzugsfähige Kosten der Lebensführung, wenn von einer siebzehntägigen Reise nur neun Tage fachlichen Veranstaltungen dienten.
Normenkette
EStG 1971 § 4 Abs. 4-5, § 12 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob die Aufwendungen eines Zahnarztes anläßlich des Besuches eines Fachkongresses im Ausland Betriebsausgaben darstellen.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein freiberuflich tätiger Zahnarzt, unternahm in der Zeit vom 19. Oktober bis zum 4. November 1972 eine Reise nach Mexiko. Dort besuchte er in Mexiko City den 15. Welt-Zahnärztekongreß und im Anschluß daran die Universitätsstadt Merida. Die Ehefrau des Klägers, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die in der Praxis des Klägers als Zahnarzthelferin tätig ist, nahm an der Reise teil. Von den in der Einkommensteuererklärung 1972 als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit des Klägers geltend gemachten Reiseaufwendungen in Höhe von 6 782 DM ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lediglich pauschale Verpflegungskosten für fünf Tage in Mexiko City und zwei Tage in Merida in Höhe von 854 DM zum Abzug als Betriebsausgaben zu. Der Einspruch blieb erfolglos.
Auf die Klage erkannte das FG weitere 854 DM als Betriebsausgaben an, weil das FA in der mündlichen Verhandlung nach einem Hinweis der Kläger eingeräumt hatte, daß neben den bereits anerkannten Tagegeldpauschalen auch entsprechende Übernachtungsgeldpauschalen anzusetzen seien. Im übrigen wies das FG die Klage als unbegründet zurück, da die Aufwendungen in vollem Umfang nach § 12 Nr. 2 EStG nichtabzugsfähige Kosten der Lebensführung seien. Die Reise nach Mexiko sei auch aus privaten Gründen unternommen worden, die im Verhältnis zur beruflichen Veranlassung der Reise nicht von untergeordneter Bedeutung gewesen seien. Dafür spreche insbesondere der verhältnismäßig große Aufwand an Zeit und Geld der Kläger für diese Reise. Die sachlichen und persönlichen Vorbereitungen der Reise hätten einen nicht unerheblichen Zeitaufwand erfordert; die Weiterführung der Praxis während der Abwesenheit der Kläger hätte neben den eigentlichen Reisekosten zu zusätzlichen Personal- und Vertretungskosten geführt. Zu diesem Aufwand hätten sich die Kläger nach der Lebenserfahrung nicht ausschließlich oder auch nur ganz überwiegend aus beruflichen Gründen entschlossen. Unabhängig von dem wissenschaftlichen Wert der im Rahmen des Kongresses gehaltenen Vorträge und angebotenen Demonstrationen lasse sich der mit der Reise verbundene Aufwand an Zeit und Geld auch deshalb nicht überzeugend begründen, weil allgemein bekannt sei, daß die auf internationalen Kongressen gehaltenen Vorträge überwiegend in Fachzeitschriften veröffentlicht und teilweise darüber hinaus auch besprochen würden. Abgesehen davon aber sei es jedenfalls möglich, entweder über den Veranstalter des Kongresses oder unmittelbar über die jeweiligen Vortragenden selbst die Manuskripte solcher Vorträge zu bekommen. Es bestehe auch kein Zweifel daran, daß das Studium des Manuskripts eines Vortrages in weitaus größerem Maße die Gewähr für das Verständnis seines Inhalts biete als das Hören eines solchen Vortrages. Die gleichen Erwägungen gälten für die Teilnahme der Klägerin an der Reise nach Mexiko. Angesichts des umfangreichen Angebots an nationaler und internationaler Fachliteratur und der sonstigen Möglichkeiten der beruflichen Fortbildung könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der Klägerin die für ihre Tätigkeit als Zahnarzthelferin erforderlichen Kenntnisse und Anregungen ebenso wie die ihrer Fortbildung dienenden Informationen auch ohne den mit der Teilnahme an der Reise nach Mexiko verbundenen erheblichen Aufwand an Zeit und Geld zugänglich gewesen wären. Dies spreche dafür, daß für die Reise der Klägerin neben den beruflichen Gründen in nicht unerheblichem Umfang auch private Gründe - wie etwa das gemeinsame Erleben eines Landes, das wegen seiner Lage, seines Kultur- und Erholungswertes auch Privatreisende anziehe - maßgeblich gewesen seien.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 4 Abs. 4 EStG. Sie beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Einkommensteuer 1972 auf 27 488 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 8. September 1976 haben die Kläger den nach Zustellung des FG-Urteils und nach Einlegung der Revision entsprechend seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom FA erlassenen Änderungsbescheid vom 10. März 1976 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. a) Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung kann aus der Höhe der finanziellen Aufwendungen des Klägers nicht geschlossen werden, daß es sich bei den Reisekosten um Lebenshaltungskosten und nicht um Betriebsausgaben gehandelt hat. Die Höhe der Ausgaben eines Steuerpflichtigen bietet kein Kriterium für die Abgrenzung der Betriebsausgaben von den Lebenshaltungskosten. Dem Steuerpflichtigen steht es vielmehr frei, in welcher Höhe er Aufwendungen für seinen Beruf machen will. Dies ergibt sich aus § 4 Abs. 4 i. V. m. § 4 Abs. 5 EStG 1971. Danach sind Betriebsausgaben Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Nach § 4 Abs. 5 EStG scheiden lediglich bestimmte Aufwendungen bei der Gewinnermittlung aus; dazu gehören auch Aufwendungen, die die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren, insoweit, als sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind (§ 4 Abs. 5 Satz 2 EStG). Wie sich jedoch aus der Erwähnung des § 12 EStG in § 4 Abs. 5 Satz 4 EStG ergibt -"§ 12 Ziff. 1 bleibt unberührt"-, sind auch solche unangemessenen Aufwendungen Betriebsausgaben (sog. nichtabzugsfähige Betriebsausgaben).
b) Das Steuerrecht schreibt auch nicht vor, welche Aufwendungen für den Betrieb oder im beruflichen Interesse erforderlich sind; ebenso ist es grundsätzlich ohne Belang, ob sie üblich oder zweckmäßig sind (vgl. z. B. Urteile des BFH vom 13. Dezember 1962 IV 10/61 S, BFHE 76, 255, BStBl III 1963, 91, und vom 28. Juni 1963 VI 45/63 U, BFHE 77, 313, BStBl III 1963, 435). Vielmehr ist zu prüfen, ob die Aufwendungen objektiv durch den Beruf veranlaßt sind oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung des Steuerpflichtigen handelt, die auch dann nicht abzugsfähig sind, wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG).
Dabei können allerdings das Fehlen der Notwendigkeit, die Unüblichkeit und die Unzweckmäßigkeit bei Aufwendungen, die - wie Aufwendungen für eine Reise - ebensogut privater Natur sein können, als Anzeichen dafür gewertet werden, daß die Aufwendungen aus außerbetrieblichen Erwägungen gemacht wurden (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1973 VIII R 187/71, BFHE 111, 52, BStBl II 1974, 200). Anhaltspunkte dafür sind im Streitfall bezüglich der Teilnahme des Klägers an dem Fachkongreß jedoch nicht ersichtlich. Die Annahme der Vorinstanz, das Studium von Fachliteratur und von Manuskripten biete eine bessere Gewähr für das Verständnis der Vorträge, ist nicht durch tatsächliche Feststellungen gestützt. Das FG hat auch nicht festgestellt, ob solche Manuskripte und Aufsätze überhaupt für den Kläger zu erhalten gewesen wären. Aus möglichen sprachlichen Schwierigkeiten - soweit solche überhaupt bei Simultanübersetzungen denkbar sind - kann nicht gefolgert werden, daß die Teilnahme des Klägers an dem Kongreß unzweckmäßig war. Im übrigen läßt die Vorinstanz außer Betracht, daß der unmittelbare Eindruck eines Vortrages, gegebenenfalls zusammen mit Lichtbildern und anschließenden Diskussionen - auch wenn dafür im einzelnen nur wenig Zeit zur Verfügung steht -, nicht in jedem Fall durch eine schriftliche Wiedergabe des Inhalts des Vortrages ersetzt werden kann. Nicht unberücksichtigt bleiben kann dabei auch die Möglichkeit zu internationalem Erfahrungsaustausch. Es widerspricht nicht ohne weiteres der Lebenserfahrung, daß ein Steuerpflichtiger aus diesen Gründen möglicherweise erhebliche Aufwendungen für die Teilnahme an einem Kongreß aus beruflichen Gründen macht.
c) Dem FG ist auch nicht darin zuzustimmen, daß ein für Vorbereitung und Durchführung der Reise erforderlicher erheblicher Zeitaufwand bei der Beurteilung des beruflichen oder privaten Charakters der Reise einzubeziehen sei. Den Steuerpflichtigen ist es bei der Gestaltung ihrer beruflichen Angelegenheiten unbenommen, welchen Zeitaufwand sie dafür betreiben.
2. a) Die Vorentscheidung hat jedoch Bestand, weil die Reise des Klägers nach Mexiko auch dann nicht als beruflich veranlaßt i. S. des § 4 Abs. 4 i. V. m. § 12 Nr. 1 EStG anzusehen ist, wenn die Teilnahme an dem Welt-Zahnärztekongreß als solche beruflich veranlaßt gewesen ist. Nach der Auslegung, die § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG durch die Rechtsprechung des BFH erfahren hat (vgl. insbesondere Beschluß des Großen Senats vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17), verbietet diese Vorschrift zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit die Aufteilung und damit den Abzug von Aufwendungen, die sowohl der privaten Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern. Es soll verhindert werden, daß Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewußt herbeigeführte Verbindung von beruflichen oder privaten Erwägungen Aufwendungen für ihre Lebensführung nur deshalb zum Teil in einen einkommensteuerrechtlich relevanten Bereich verlagern können, weil sie einen Beruf haben, der ihnen dies ermöglicht, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus versteuerten Einkünften decken müssen (BFH-Beschluß GrS 2/70).
Auslandsreisen, die nach der Lebenserfahrung sowohl dem beruflichen Bereich als auch dem der Lebensführung angehören können (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1965 IV 36/64 U, BFHE 82, 88, BStBl III 1965, 279), führen nur dann zu abzugsfähigen Betriebsausgaben, wenn die Reisen ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im betrieblichen oder beruflichen Interesse unternommen werden, wenn also die Verfolgung privater Interessen, wie z. B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (BFH-Urteile vom 22. Mai 1974 I R 212/72, BFHE 113, 274, BStBl II 1975, 70, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; vom 15. Juli 1976 IV R 90/73, BFHE 120, 28, BStBl II 1977, 54).
Im Streitfall war die Verfolgung privater Interessen nicht nahezu ausgeschlossen. Die Rechtsprechung hat es stets als deutliches Indiz für die private Veranlassung einer Reise angesehen, daß Orte im Ausland aufgesucht werden, die - wie Mexiko - auch Ziel privater Bildungsreisen sind (vgl. die Rechtsprechungsnachweise im Urteil des BFH I R 212/72). Dem Kläger standen mindestens zwei Tage in Mexiko City zur freien Verfügung. Diese und mindestens zwei weitere Tage, die ausschließlich der Erfüllung privater Interessen dienten, sprechen bei einem nach dem eigenen Vortrag des Klägers höchstens neuntägigen Fachprogramm im Rahmen einer insgesamt siebzehntägigen Reise eindeutig dafür, daß die Reise nicht ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im beruflichen Interesse unternommen wurde. Hinzu kommt die Begleitung durch die Ehefrau als ein weiteres Indiz für den privaten Charakter der Reise.
b) Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, daß die Reise der Ehefrau selbst im betrieblichen Interesse des Klägers unternommen worden sei; ein betrieblicher Anlaß ist nicht erkennbar. Ihre Teilnahme an der Reise läßt sich nicht aus dem Angestelltenverhältnis, sondern nur aus den besonderen familiären Bindungen erklären. Es ist nicht ersichtlich, welchen betrieblichen Zwecken die Teilnahme einer Arzthelferin an einem Fachkongreß dienen soll, dessen Veranstaltungen für einen nach Ausbildung und Tätigkeit grundlegend anders gearteten Teilnehmerkreis bestimmt sind.
3. Da demnach die Reise des Klägers und der Klägerin zu dem Welt-Zahnärztekongreß in ihrer Gesamtheit nicht ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im beruflichen Interesse unternommen wurde, sind die gesamten vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen nicht abzugsfähig, sofern sich nicht ein durch den Beruf veranlaßter Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen läßt (BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 72/70, BFHE 102, 90, BStBl II 1971, 524). Der Senat ist jedoch gehindert, die insoweit fehlerhaften Vorentscheidungen zuungunsten der Kläger abzuändern.
Fundstellen
Haufe-Index 72207 |
BStBl II 1977, 238 |
BFHE 1977, 35 |