Leitsatz (amtlich)
Als Grundwehrdienst im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, bb EStG gilt auch der für die Dauer von 18 Monaten freiwillig im kasernierten Bundesgrenzschutz abgeleistete Vollzugsdienst von Wehrpflichtigen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, bb; LStDV § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; Wehrpflichtgesetz §§ 5-6, 13, 42
Tatbestand
Der Kläger beantragte im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren für das Jahr 1966 einen Kinderfreibetrag für seinen am 20. Juni 1946 geborenen Sohn. Er begründete den Antrag damit, daß der Sohn nach Ablegung der Reifeprüfung studieren, aber zuvor von April 1966 bis Oktober 1967 als Grenzjäger bei dem Bundesgrenzschutz Dienst tun werde.
Das FA lehnte den Antrag ab.
Der Einspruch und die Klage blieben erfolglos.
Das FG führte aus, der Dienst im Bundesgrenzschutz sei kein Wehrdienst, dessen Ableistung die Gewährung des Kinderfreibetrages nach § 18a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b LStDV rechtfertige. Er stelle auch keinen Ersatzdienst im Sinne dieser Vorschrift dar. Darunter sei nur der Dienst zu verstehen, zu dem nach dem Wehrpflichtgesetz (WPflG) diejenigen verpflichtet seien, die den Kriegsdienst mit der Waffe verweigerten. Angesichts des klaren Wortlauts des § 18a LStDV sähe das FG sich nicht zu einer ausdehnenden Auslegung der Vorschrift in der Lage.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Seinem Sohn sei bei der Musterung erklärt worden, daß er den Wehrdienst auch im Bundesgrenzschutz ableisten könne. Aus der Broschüre "Bundesgrenzschutz, die vollmotorisierte Polizeitruppe", die seinem Sohn vom Bundesgrenzschutz ausgehändigt worden sei, gehe hervor, daß der Wehrpflichtige zwischen dem Dienst bei der Bundeswehr und dem beim Bundesgrenzschutz wählen könne. Sein Sohn habe sich nur zu einem 18monatigen Dienst im Bundesgrenzschutz gemeldet und wolle weder Polizeibeamter noch Berufssoldat, sondern Lehrer werden. Der Dienst im Bundesgrenzschutz sei dem Dienst in der Bundeswehr gleichgestellt. Es sei deshalb unzutreffend, den Dienst in dem Bundesgrenzschutz als völlig losgelöst vom WPflG zu betrachten und ihn als polizeibeamtenrechtliches Berufsverhältnis zu werten.
Der Bundesminister der Finanzen (BdF), der dem Verfahren beigetreten ist, lehnt in seiner Stellungnahme eine steuerliche Gleichbehandlung derjenigen, die Dienst im Bundesgrenzschutz leisten, mit denjenigen, die Wehroder Ersatzdienst leisten, mit folgender Begründung ab:
Unter Ableistung des Wehrdienstes (Ersatzdienstes) im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, bb EStG, bzw. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b LStDV sei, obwohl das WPflG in der Fassung vom 14. Mai 1965 (BGBl I 1965, 390) keine ausdrückliche Vorschrift darüber enthalte, begriffsnotwendig nur der Dienst in der Bundeswehr zu verstehen. Beim Dienst im Bundesgrenzschutz könne es sich nach dem Wortlaut der Bestimmungen des WPflG weder um die Ableistung des Grundwehrdienstes noch um die Ableistung des Ersatzdienstes handeln. Eine ausdehnende Auslegung der Begriffe des WPflG lasse sich auch nicht aus dem Zusammenhang mit sonstigen Bestimmungen des WPflG, insbesondere nicht aus § 42 WPflG (a. F.) herleiten. Der Wortlaut des § 42 Abs. 1 WPflG (a. F.) schließe zwar eine Gleichbehandlung des Dienstes im Bundesgrenzschutz mit dem Wehr- oder Ersatzdienst nicht ohne weiteres aus.
Eine Gleichbehandlung verbiete sich aber, weil durch § 42 Abs. 1 Satz 1 WPflG eine Unabkömmlichstellung (Uk-Stellung) kraft Gesetzes ausgesprochen werde, die sich auf alle Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe beziehe. Eine Uk-Stellung bedeute die zeitweise oder auch dauernde Zurückstellung oder "Verschonung" vom Wehrdienst unter bestimmten Voraussetzungen. Damit verbiete sich eine Gleichstellung von Grundwehrdienst und dem Dienst im Bundesgrenzschutz schon aus sachlichrechtlichen Gesichtspunkten. Es lägen derart unterschiedliche Sachverhalte vor, die eine Differenzierung rechtfertigten. Daran vermöge auch das spätere Erlöschen eines Teils der Wehrpflicht - nämlich die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes - nichts zu ändern. Durch das spätere Erlöschen werde die Uk-Stellung der Angehörigen des Polizeivollzugsdienstes sachlich-rechtlich nicht zu einer "Ableistung des Grundwehrdienstes". Auf die rechtliche Qualifikation des Dienstes zur Zeit der Ableistung müßte aber abgestellt werden, weil nur diese für die Gewährung des Freibetrags maßgebend sein könne. Dagegen läge bei den Personen, die freiwillig als Soldaten auf Zeit (sogenannte Z-2 Soldaten) eine Wehrdienstzeit von zwei Jahren ableisteten, eine besondere Art der Erfüllung der Wehrpflicht vor. Wegen der Vergleichbarkeit der Sachverhalte sei hier deshalb die steuerliche Gleichbehandlung gerechtfertigt.
Die Richtigkeit der Ungleichbehandlung von Bundesgrenzschutz und Grundwehrdienst werde durch den Sinn und Zweck des § 42 WPflG gestützt. Die Aufgabe der Polizeivollzugsbeamten, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sollte zu keiner Zeit gefährdet werden. Außerdem sei der organische Aufbau der Polizei der Länder durch das Ausscheiden nach 18 Monaten gestört worden. Der Bundesgrenzschutz habe jedoch unter ständigem Personalmangel gelitten und deswegen kurzdienende Freiwillige hingenommen. Für eine Dienstverpflichtung im Bundesgrenzschutz hätte es einer Änderung des WPflG bedurft. Die Praxis des Ausscheidens nach 18 Monaten habe auch hier den Sinn und Zweck des § 42 Abs. 1 WPflG in Frage gestellt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zu den Voraussetzungen, unter denen nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, bb EStG 1965 ein Kinderfreibetrag gewährt werden kann, gehört, daß das Kind Wehrdienst (Ersatzdienst) geleistet hat und dadurch die Berufsausbildung unterbrochen worden ist. Dieser Vorschrift entspricht die Regelung des § 18a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b LStDV 1965.
Dem FG ist zuzugeben, daß sich aus dem Wortlaut der steuerrechtlichen Vorschriften nicht entnehmen läßt, ob bei gleicher Dauer der Dienst im Bundesgrenzschutz auch als Wehrdienst angesehen werden kann. In den Verwaltungsanordnungen der Bundesregierung wird die Gleichstellung verneint (vgl. Abschn. 180 Abs. 1 EStR 1965, Abschn. 45 Abs. 6 LStR 1966).
Der Niedersächsische Minister der Finanzen hat die Ablehnung in seinem Erlaß vom 12. Februar 1959 (Der Betriebs-Berater 1959 S. 220) mit der unterschiedlichen Bezahlung beim Bundesgrenzschutz und bei der Bundeswehr begründet. Die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes würden von vornherein nach besoldungsrechtlichen Vorschriften "entschädigt". Nachdem die Bundesregierung durch die EStR 1965 Abschn. 180 Abs. 2 Satz 5 jedoch anerkannt hatte, daß für die sogenannten Z-2 Soldaten, die ebenfalls nach besoldungsrechtlichen Vorschriften bezahlt werden, die Kinderfreibeträge gewährt werden können, ist die Gleichstellung des Dienstes im Bundesgrenzschutz mit dem Wehrdienst mit der Begründung abgelehnt worden, daß § 42 WPflG keine Gleichstellung des Dienstes im Vollzugsdienst der Polizei mit dem Wehrdienst vorsehe (Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 1966, Der Betrieb 1966 S. 1336). Auch der BdF stützt seine oben wiedergegebene Auffassung auf die Auslegung des § 42 WPflG (a. F.).
Der Senat tritt dieser Auffassung nicht bei.
Als Wehrdienst im Sinne der einkommensteuerlichen Vorschriften gilt die Ableistung des Grundwehrdienstes nach § 5 WPflG. Für Polizeivollzugsbeamte enthält das WPflG Sondervorschriften. Nach § 42 Abs. 1 WPflG (a. F.) erlosch die Pflicht, Grundwehrdienst zu leisten, wenn die Wehrpflichtigen mindestens 18 Monate im Vollzugsdienst der Polizei Dienst geleistet hatten. Zum Vollzugsdienst der Polizei rechnet der Dienst in der Bundespolizei und in den Polizeien der Länder.
Der kasernierte Bundesgrenzschutz bildet den Hauptteil der Bundesvollzugspolizei. Er sichert nach § 2 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden vom 16. März 1951 (BGBl I 1951, 201) das Bundesgebiet gegen verbotene Grenzübertritte. Die kasernierte Grenzschutztruppe ist nach Bewaffnung und Ausrüstung eine Truppen-Sonderpolizei (Hahnenfeld, Kommentar zum Wehrpflichtgesetz, § 42 Anm. 4). Ihre Angehörigen wurden, soweit sie nicht zum Grenzschutzeinzeldienst gehörten, nach § 1 des Zweiten Gesetzes über den Bundesgrenzschutz vom 30. Mai 1956 (BGBl I 1956, 436) zum Aufbau der Bundeswehr herangezogen und mit einem ihrer bisherigen Amtsbezeichnung entsprechenden Dienstgrad als Soldaten übernommen. Durch die überregionale Grenzsicherungsaufgabe, die dem Bundesgrenzschutz bei seiner Aufstellung übertragen und die ihm nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht ausdrücklich belassen wurde, unterscheidet sich der Dienst im Bundesgrenzschutz in einem wesentlichen Punkt von dem Vollzugsdienst der Länderpolizeien.
Der Senat sieht im Truppendienst des kasernierten Bundesgrenzschutzes eine dem Wehrdienst entsprechende Erfüllung der Wehrpflicht. Er hält es deshalb für vertretbar, sich der auch im Schrifttum vertretenen Auffassung anzuschließen, daß die im Sinne des § 42 WPflG (a. F.) geleistete Dienstzeit von 18 Monaten im Bundespolizeivollzugsdienst der Ableistung des Grundwehrdienstes gleichsteht (Boehm-Tettelbach, Das deutsche Bundesrecht, Mai 1966 I P 25 S. 62 Erläuterung zu § 42 WPflG).
Die Begründung des BdF für die ungleiche steuerliche Behandlung derjenigen, die den Grundwehrdienst in der Bundeswehr und derjenigen, die 18 Monate Dienst beim Bundesgrenzschutz geleistet haben, überzeugt nicht. Das Erlöschen der Pflicht, Grundwehrdienst zu leisten, hält der BdF bei den Polizeivollzugsbeamten für eine besondere Art der Uk-Stellung, die er der Ableistung des Wehrdienstes als das sachlich-rechtliche Gegenteil der Erfüllung der Wehrpflicht gegenüberstellt.
Ob diese Betrachtungsweise für die Angehörigen der Vollzugspolizeien der Länder zutrifft, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Die Uk-Stellung bezweckt nach § 13 WPflG einen personellen Ausgleich zwischen den Interessen der Bundeswehr und den sonstigen öffentlichen Interessen. Die Angehörigen der Länderpolizeien müssen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom Wehrdienst freigestellt werden. Eine auf 18 Monate beschränkte Zugehörigkeit wirkt sich auf den Aufbau der Länderpolizeien sicherlich störend aus, da in dieser Zeit nicht einmal die Ausbildung der Polizeiangehörigen beendet werden kann.
Beim Bundesgrenzschutz liegen, wie Hahnenfeld (a. a. O., § 42 Anm. 14) bestätigt, die Verhältnisse anders. Bis zur Änderung des WPflG durch die 6. Novelle des Wehrpflichtgesetzes vom 13. Januar 1969 (BGBl I 1969, 41) war, wie der BdF selbst ausführt, die "Exekutive bereit, zur Auffüllung der Sollstärke des Grenzschutzes auch solche Freiwilligen anzunehmen, von denen man bereits vorher wußte oder annehmen mußte, daß sie nach 18 Monaten wieder ausscheiden würden". Die Bereitschaft der Exekutive äußerte sich, wie der Kläger unwidersprochen dargelegt hat, in einer aktiven Werbung unter den Wehrpflichtigen für den Bundesgrenzschutz. Die Exekutive scheint demnach den Dienst im Bundesgrenzschutz nicht als einen der Ableistung des Grundwehrdienstes entgegengesetzten Sachverhalt angesehen zu haben. Es besteht deshalb auch kein sachlich begründeter Anlaß, die beiden Dienste rechtlich unterschiedlich zu qualifizieren.
Die bessere Bezahlung beim Bundesgrenzschutz mag zwar für manche Wehrpflichtige einen besonderen Anreiz zur Meldung beim Bundesgrenzschutz gegeben haben. Das gilt jedoch auch für die Wehrpflichtigen, die sich für zwei Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet haben. Der besondere Status, der den Wehrpflichtigen beim Bundesgrenzschutz während der 18 Monate als Beamte auf Widerruf nach den geltenden gesetzlichen Vorschriften zuerkannt werden mußte, kann die steuerliche Behandlung ebensowenig berühren wie die Stellung der Z-2 Soldaten in der Bundeswehr.
Der Dienst, der die Wehrpflichtigen beim Bundesgrenzschutz erwartete, unterschied sich jedenfalls der Sache nach kaum von dem bei der Bundeswehr. Die Pflicht, nach den 18 Monaten des Vollzugsdienstes im Bundesgrenzschutz Wehrübungen in der Bundeswehr von der gleichen Dauer abzuleisten, wie sie durch § 6 Abs. 2 WPflG für die Wehrpflichtigen festgelegt ist, setzte eine entsprechende Grundausbildung voraus.
Eine Überschneidung der Interessen, von der die Regelung des § 13 WPflG ausgeht, trat infolgedessen nicht ein, wenn ein Wehrpflichtiger statt des Grundwehrdienstes den Dienst im Bundesgrenzschutz von gleich langer Dauer ableistete. Die sogenannte "Quasi-Uk-Stellung" nach § 42 Abs. 1 WPflG (so Hahnenfeld, a. a. O., § 42 Anm. 13) konnte insoweit nicht in einen sachlichen Gegensatz zur Leistung des Grundwehrdienstes geraten und als Verschonung vom Grundwehrdienst angesehen werden. Eine unterschiedliche steuerliche Behandlung der Wehrpflichtigen, die zwischen dem Grundwehrdienst und dem Dienst im Bundesgrenzschutz mit einer Dauer von 18 Monaten wählten, war nicht gerechtfertigt.
Die Vorentscheidung sowie der Bescheid, durch den das FA die Gewährung des Kinderfreibetrages für das Jahr 1966 abgelehnt hat, waren deshalb aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 68872 |
BStBl II 1970, 183 |
BFHE 1970, 421 |