Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Rückstellungen in der DM-Eröffnungsbilanz für sittliche Verpflichtungen eines Kaufmannes im Rahmen seines Geschäftsbetriebes, denen er sich nicht entziehen zu können glaubt.
Normenkette
DMBG § 30; DMBG § 34
Tatbestand
Streitig ist, ob in der DM-Eröffnungsbilanz der beschwerdeführenden Aktiengesellschaft sowie in der Bilanz zum 31. Dezember 1948 eine Rückstellung in Höhe von 45.000 DM für Abfindungen an die ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder A und B zu bilden ist.
Der seit Gründung der Firma als Vorstandsmitglied tätige Kaufmann A mußte 1943 auf Veranlassung der Gestapo mit sofortiger Wirkung seine Tätigkeit aufgeben. Der Anstellungsvertrag vom Jahre 1932 lief auf 5 Jahre und verlängerte sich jedesmal um weitere 5 Jahre. Da eine Kündigung seitens der Beschwerdeführerin (Bfin.) nicht ausgesprochen worden war, machte A alsbald nach der Kapitulation seine Ansprüche auf Wiedereinstellung bzw. Zahlung einer Rente geltend. Er wiederholte seinen Anspruch auf Rentenzahlung unter Prozeßandrohung im Jahre 1946 sowie Ende 1948. Im September 1948 wurde A rückwirkend ab 21. Juni 1948 in den Aufsichtsrat gewählt. Der Vorstand lehnte die Ansprüche des A ab, bis es Anfang 1949 zu einem Vergleich kam, in dem ihm ein Betrag von 20.000 DM zugebilligt wurde.
B mußte im August 1946 auf Anordnung der Militärregierung seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied mit sofortiger Wirkung einstellen. Das Gehalt von monatlich 2.000 RM wurde ihm bis Ende 1946 weitergezahlt und für 1947 eine Gehaltsrückstellung in Höhe von 24.000 RM in der Bilanz zum 31. Dezember 1947 gebildet, die in der RM-Schlußbilanz aber wieder aufgelöst wurde. Auch in diesem Falle erfolgte keine ausdrückliche Kündigung, die 1947 laut Anstellungsvertrag auszusprechen gewesen wäre. Mehrfach hat auch B mündlich und im März 1948 sogar schriftlich die Wiedereinsetzung in seine alten Rechte beantragt. Der Vorstand der Bfin. hat diese Ansprüche stets abgelehnt, auch noch Ende 1948, nachdem B im September 1948 Aufsichtsratsmitglied der Bfin. geworden war. Ende 1950 gewährte die Bfin. sodann diesem ehemaligen Vorstandsmitglied eine Abfindung von 25.000 DM.
Im Jahre 1949 hat die Bfin. in Höhe von 45.000 DM diese Lasten bzw. Zahlungen gewinnmindernd behandelt und in der Bilanz zum 31. Dezember 1949 eine Rückstellung angesetzt. Das Finanzamt erhöhte den Gewinn des Jahres 1949 um diesen Betrag, da es eine Passivierungsverpflichtung in der gleichen Höhe auch in der DM-Eröffnungsbilanz und in der Bilanz zum 31. Dezember 1948 für erforderlich hielt. Der gegen die vorläufige Körperschaftsteuer-Veranlagung 1949 eingelegte Einspruch wurde damit begründet, daß beide ehemaligen Vorstandsmitglieder mangels Kündigung ein Recht auf Wiedereinstellung gehabt hätten. Nur 5.000 DM bezögen sich auf den Gehalt vor der Währungsreform, so daß nur 5.000 DM in der DM-Eröffnungsbilanz zu passivieren gewesen wären. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung wie folgt:
Im Streitfall müsse die Verpflichtung zur Rückstellung bejaht werden. Der Kaufmann A habe mehrfach Wiedergutmachungsansprüche gestellt, auch der Kaufmann B habe Anfang 1948 schriftlich die Weiterzahlung des Gehaltes und nach Angabe der Bfin. mündlich mehrfach eine Wiedergutmachungsentschädigung gefordert. Die Bfin. habe zwar diese Ansprüche stets abgelehnt, weil sie sie nicht für berechtigt gehalten habe und auf Grund ähnlicher Prozesse in der Wirtschaft auch für unberechtigt habe halten können. Jedoch habe die Bfin., wie das damalige Vorstandsmitglied C als Auskunftsperson glaubhaft angebe, einen Prozeß vermeiden wollen, auch wenn er für die Bfin. günstig ausgehen sollte. Bereits 1947/1948 habe der Kaufmann B einen Prozeß gegen die Bfin. geführt. Obwohl der Prozeß zugunsten der Bfin. entschieden worden sei, habe er dem Ruf der Bfin. in der öffentlichkeit so geschadet, daß die Bfin. gezwungen gewesen sei, die erhobenen Ansprüche durch Vergleich zu befriedigen. Diese Lage sei in den Jahren 1949/1950 nicht anders gewesen wie im Frühjahr 1948. Nach den gesamten Umständen des Falles seien sich die Beteiligten, insbesondere die Bfin., schon seit Juni 1948 darüber im Klaren gewesen, daß sie die Ansprüche befriedigen müsse, um schwere Geschäftsschädigungen zu vermeiden, so daß die wirtschaftliche Last der Entschädigungsansprüche trotz äußerer Nichtanerkennung als sicher bestehend anzusehen und wirtschaftlich betrachtet bereits an diesen Stichtagen als vorliegend zu behandeln sei.
Im Berufungsverfahren hat die Bfin. mit Schriftsatz vom 26. Juni 1952 folgendes ausgeführt:
"A besaß zusammen mit seinen Angehörigen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 14. 3. 49 Aktien der Aktiengesellschaft in Höhe von nom. DM 40.000,-.
Der Aktienbesitz des B und seiner Ehefrau stellte sich bei Vertragsabschluß, am 15. 12. 50, auf nom. DM 250.000,-. Die im Besitz der volljährigen Kinder des B befindlichen Aktien sind hierin nicht enthalten. -
Wir bemerken noch, daß das gesamte Aktienkapital der Aktiengesellschaft DM 600.000,- beträgt."
"Als Familiengesellschaft sind die Aktien nicht zur Börse zugelassen und werden auch nicht im freien Verkehr gehandelt. Die Gesellschaft hatte kein Interesse daran, interne Betriebsangelegenheit vor das Forum der Gerichte zu bringen, besonders nicht mit Rücksicht auf das Ansehen in der Familie. Weiter kam hinzu, daß der Ausgang derartiger Prozesse sich damals nicht übersehen ließ. ..."
"Das Gericht hätte nach Ansicht der Herren Juristen im Aufsichtsrat sicherlich zu einem Vergleich geraten. Hinzu kommt noch die Kostenfrage für die Führung derartiger Prozesse, die bei dem vorliegenden Objekt nicht unerheblich gewesen wären."
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes:
Für eine Schuld muß eine Rückstellung gebildet werden, wenn sie sich aus einem bürgerlich-rechtlichen Vertrag ergibt. Wie bereits das Finanzgericht ausgeführt hat, ist es nicht entscheidend, ob die Schuld bereits fällig ist. Auch bei umstrittenen Ansprüchen sind angemessene Beträge zurückzustellen. Im Streitfall vertrat die Firma im Berufungsverfahren zeitweise die Ansicht, daß eine bürgerlich-rechtliche Verpflichtung zur Zahlung der im Vergleich festgesetzten Beträge nicht gegeben sei. Wie sich allerdings aus dem oben mitgeteilten Schriftsatz der Firma ergibt, war sie sich in dieser Beziehung nicht sicher. Auch das Finanzgericht hielt es für zweifelhaft, ob die beiden Geschäftsführer bei den Gerichten ihre Ansprüche mit Erfolg hätten vertreten können.
Die Rechtsprechung, zuletzt die Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 549/53 U vom 31. Mai 1954, Slg. Bd. 59 S. 35, Bundessteuerblatt 1954 III S. 222, hat anerkannt, daß auch eine sittliche Verpflichtung, der sich ein Unternehmer nicht entziehen zu können glaubt, eine Rückstellung rechtfertigen kann. Den sittlichen Verpflichtungen wird man solche Verpflichtungen gleichstellen müssen, denen ein Kaufmann aus geschäftlichen Erwägungen heraus nachkommt, ohne daß ein Anspruch besteht, der vor den Gerichten mit Erfolg geltend gemacht werden kann. Eine Rückstellung muß stets gebildet werden, wenn der Zwang zur Erfüllung der Verpflichtung derart groß ist, daß ihm die Kaufleute, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, allgemein nachgeben würden. Anders könnte die Lage dort sein, wo ein Kaufmann im Gegensatz zu einer erheblichen Anzahl anderer Kaufleute auf Grund seiner persönlichen Einstellung eine sittliche Verpflichtung erfüllt. In diesen Fällen hängt der Zeitpunkt für die Rückstellung von dem Augenblick ab, in dem sich der Kaufmann zur Erfüllung der Leistung entschlossen hat. Da der Tatbestand in dieser Richtung meist nicht offenliegt, wird man hier der eigenen Würdigung des Kaufmannes im allgemeinen folgen.
Im Streitfall hat das Gericht tatbestandsmäßig festgestellt, daß wirtschaftlich betrachtet für die Aktiengesellschaft bereits am Währungsstichtag eine Zwangslage gegeben war, die in dem späterem Vergleich festgelegten Beträge zu leisten. Es hat also festgestellt, daß nicht erst ein nach der Währungsumstellung gefaßter freier Entschluß die Leistung veranlaßt hat. Das Finanzgericht konnte zu dieser Ansicht kommen. Auch die eigenen Ausführungen der Steuerpflichtigen im Berufungsverfahren sprechen für diese Auffassung. Die tatsächliche Würdigung des Finanzgerichts enthält keinen Verstoß nach § 288 der Reichsabgabenordnung (AO). Die Rückstellung mußte deshalb bereits in der DM-Eröffnungsbilanz gebildet werden.
Im übrigen kann es nach der oben mitgeteilten Darstellung der Bfin. im Berufungsverfahren zweifelhaft erscheinen, ob nicht ein Teil der Zahlungen, insbesondere der angegebenen Beträge durch die Eigenschaft der Empfänger als Gesellschafter beeinflußt worden sind und deshalb verdeckte Gewinnausschüttungen darstellen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408479 |
BStBl III 1956, 212 |
BFHE 1957, 40 |
BFHE 63, 40 |