Leitsatz (amtlich)
1. Umhüllter Schweißdraht (Schweißelektrode, Mantelelektrode) fällt unter den Begriff "Draht aller Art", Flanschen fallen unter den Begriff "Röhren" im Sinne des § 28 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b UStDB 1938 (§ 29 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b UStDB 1951).
2. Zur Frage der Bedeutung der zolltariflichen Einordnung einer Ware für ihre Anwendung im Umsatzsteuerrecht.
Normenkette
UStG 1934 § 4 Ziff. 4; UStG 1951 § 4 Ziff. 4; UStDB 1938 § 28 Abs. 2 Ziff. 9b; UStDB 1951 § 29 Abs. 2 Ziff. 9b)
Tatbestand
Streitig ist, ob umhüllte Schweißelektroden (Schweißdrähte) unter den Begriff "Draht aller Art" im Sinne des § 28 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1938 und ob Flanschen für Rohrverbindungen unter den Begriff "Röhren" der gleichen Vorschrift fallen und deshalb nach § 4 Ziff. 4 des Umsatzsteuergesetzes steuerfrei geliefert werden können. Die Vorinstanzen haben die Steuerfreiheit für beide Waren verneint.
Entscheidungsgründe
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Umhüllter Schweißdraht (Schweißelektrode, Mantelelektrode).
Der Wortlaut des § 28 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b UStDB 1938 (unverändert = § 29 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b UStDB 1951) "Draht aller Art" deutet auf eine weite Auslegung; es ist deshalb jedes Erzeugnis als unter diesen Begriff fallend anzusehen, das nach Sprachgebrauch und Verkehrsauffassung noch als "Draht" bezeichnet werden kann. Das Finanzgericht will die angeführte Vorschrift u. a. deshalb nicht anwenden, weil Mantelelektroden einen anderen Verwendungszweck hätten als nackte Elektroden, die auch das Finanzgericht in Übereinstimmung mit den Prozeßbeteiligten noch als Draht ansieht. Mit dieser Auffassung setzt sich das Finanzgericht zu seinen eigenen Ausführungen in Widerspruch, die unstreitig und in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt besagen, daß beide Arten von Schweißdraht die Aufgabe haben, Schweißnähte zu bilden und so die metallische Verbindung zwischen den geschweißten Werkstücken herzustellen. Es liegt nur ein technischer Unterschied beim Gebrauch insofern vor, als bei der Verwendung nicht umhüllter Schweißdrähte die Schweißstellen mit einem Pulver bedeckt werden müssen, weil andernfalls durch den Hinzutritt von Außenluft ein einwandfreies Schweißen verhindert wird, während bei der Verwendung von Mantelelektroden die Umhüllung die Funktion des Pulvers übernimmt. Wenn auch der Umhüllung hiernach eine besondere Aufgabe zukommt, so ist doch der Verwendungszweck in beiden Fällen der gleiche.
Abgesehen davon ist es rechtlich überhaupt bedenklich, auf den Verwendungszweck abzustellen, weil die notwendigen Rohstoffe und Halberzeugnisse im Sinne des § 28 Abs. 2 a. a. O., soweit diese Vorschrift selbst nichts anderes besagt, grundsätzlich nach rein objektiven Merkmalen abzugrenzen sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 59/52 S vom 30. Juni 1953, Slg. Bd. 57 S. 720, Bundessteuerblatt -- BStBl -- 1953 III S. 274). Der Sprachgebrauch steht der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 a. a. O. nicht entgegen, weil nach dem Akteninhalt der Ausdruck "Schweißdraht" oder "umhüllter Schweißdraht" genau so gebräuchlich ist wie der Ausdruck "Schweißelektrode" oder "Mantelelektrode". Es wird also für die Entscheidung der Streitfrage vor allem auf die Verkehrsauffassung ankommen. Die Vorinstanz hat die hierüber vorgelegten Gutachten aus den beteiligten Wirtschaftskreisen als nicht schlüssig beiseite geschoben. Solchenfalls hätte das Finanzgericht aber seinerseits weitere Ermittlungen zur Feststellung der Verkehrsauffassung anstellen müssen; es durfte vor allem nicht auf Grund eigener Überlegungen, die, wie erwähnt, rechtlich nicht unbedenklich sind, zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 87/52 U vom 6. März 1953, Slg. Bd. 57 S. 416, BStBl 1953 III S. 162). Rechtsirrig ist insbesondere die Auffassung des Finanzgerichts, die Gutachten hätten bei ihren Schlußfolgerungen außer acht gelassen, daß sich die Wesensart der streitigen Gegenstände durch die Anbringung der Umhüllung geändert habe; denn nicht auf eine etwaige Änderung der Wesensart kommt es hier an, sondern allein darauf, ob der Gegenstand trotz der Umhüllung noch als "Draht" bezeichnet werden kann. Eine Prüfung der Gutachten ergibt, daß diese eine Reihe von Tatsachen anführen, die den von ihnen und der Beschwerdeführerin (Bfin.) behaupteten Schluß als gerechtfertigt erscheinen lassen. Sicherlich ist der von mehreren Gutachten betonte Charakter des umhüllten Schweißdrahtes als eines Halberzeugnisses für sich allein noch kein Beweis dafür, daß der Gegenstand als "Draht" anzusprechen ist. Ebenso ist die Tatsache, daß auch die umhüllten Elektroden in Drahtwerken hergestellt und im Handel zusammen mit Draht gelagert werden, zunächst nur ein Beweis anzeichen für die in den Gutachten gezogene Schlußfolgerung. Berücksichtigt man aber weiterhin, daß sowohl umhüllte wie nackte Elektroden aus gezogenem Eisendraht hergestellt werden, dem gleichen Verwendungszweck dienen und beim Gebrauch im angefertigten Werkstück unlöslich aufgehen, daß ferner nach der Bekundung eines Großabnehmerverbandes sämtliche Elektroden -- gleich welcher Art -- unter der Bezeichnung "Schweißdraht" in den Handel gebracht werden und bei den Eisenhändlern jeweils in der Abteilung "Draht" geführt werden, wie sie auch schon vor Inkrafttreten der UStDB 1934 Gegenstand von Vereinbarungen des Draht verbandes gewesen sind, so kann man keineswegs der Auffassung beipflichten, das von den Gutachten vertretene Ergebnis entspreche nicht der Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise.
Sollten hiernach noch Zweifel bestehen, so erscheint es angebracht, auf die zolltarifliche Einordnung der Mantelelektroden einzugehen, zumal da sowohl das Finanzamt als auch die Bfin. den Zolltarif für ihre Auffassung in Anspruch nehmen. Die zolltarifliche Einordnung kann insofern von Bedeutung sein, als bei der Aufstellung des Zolltarifschemas die beteiligten Wirtschaftskreise mitwirken und sich deshalb auch die Verkehrsauffassung in dem Schema widerspiegeln kann. Es muß jedoch beachtet werden, daß der Zolltarif, um den Bedürfnissen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs entsprechen zu können, so stark aufgegliedert sein muß, wie es die verschiedenen vorgesehenen Zollsätze verlangen. Es muß mit anderen Worten bei der Heranziehung der zolltariflichen Einordnung auf die gegenüber dem Umsatzsteuerrecht andersartige Zweckbestimmung des Zolltarifschemas Bedacht genommen werden. Für den streitigen Veranlagungszeitraum kommt noch der Zolltarif von 1902 in Verbindung mit dem Warenverzeichnis in Betracht. Danach fallen umhüllte Schweißdrähte bis 5 mm Durchmesser unter die Tarifnr. 890; sie werden also als Draht verzollt, während sie nach den unbestrittenen Feststellungen der zuständigen Prüfungsstelle der Zollverwaltung, der Warenproben vorgelegen haben, mit einem größeren Durchmesser der Tarifnr. 799 unterstehen. Da beide Tarifnrn. in dem gleichen Abschn. 17 "Unedle Metalle und Waren daraus" stehen und dieses Kapitel sowohl Draht, Eisen und Eisenwaren oder Waren aus anderen unedlen Metallen umfaßt, können aus dem Zolltarifschema jedenfalls keine Schlüsse gegen eine Verkehrsauffassung gezogen werden, die auch den stärkeren umhüllten Schweißdraht noch als Draht ansieht.
Auch nach dem Zolltarif von 1951 ergibt sich keine andere Beurteilung. Der Zolltarif von 1951 behandelt warm gewalzten Draht aus Eisen (Walzdraht) in der Tarifnr. 7310 (früher 7311), kalt gewalzten Draht aus Eisen, auch überzogen, mit Ausnahme der isolierten Drähte für die Elektrotechnik in Tarifnr. 7314 (früher 7319). Draht, zum Schweißen oder Löten (Schweißdraht), auch überzogen, ist in der Tarifnr. 8316 austarifiert, in der er zusammen mit Stäben und Elektroden behandelt ist. Isolierte Drähte, Schnüre, Kabel und Stäbe für die Elektrotechnik sind dem Kap. 85 Abschn. "Elektrotechnische Waren" und dort der Tarifnr. 8528 zugewiesen.
Diese Einordnung des Drahtes in den Zolltarif 1951 widerspricht nicht der Verkehrsauffassung, die Schweißdraht als "Draht aller Art" ansieht.
Die Vorentscheidung hat diese Rechtslage verkannt. Der Senat kommt auf Grund des gesamten Akteninhalts zu der Auffassung, auch umhüllte Schweißdrähte noch als "Draht" anzusehen.
2. Flanschen.
Der Auslegungserlaß des Reichsministers der Finanzen vom 19. Juni 1939 S 4138 -- 18 III (Umsatzsteuer-Kartei S 4138 f. Karte 27) zählt zu den Röhren aus Eisen und Stahl auch die Rohrverbindungsstücke aus dem gleichen Material; er nennt allerdings unter den angeführten Beispielen für Rohrverbindungsstücke nur solche, die röhrenförmig gebildet sind (insbesondere Fittings), wie Muffen, Abzweigstücke und ähnliche, sowie Rohrstücke mit Stutzen. Auch heißt es in diesem Erlaß, daß Röhren und Rohrverbindungsstücke mit Muffen und Flanschen versehen sein können. Der Erlaß steht damit im Einklang mit der zolltariflichen Einordnung nach dem Zolltarif von 1902 in Verbindung mit dem Warenverzeichnis. In diesem ist als Sammelstichwort "Röhren, auch Muffen- und Flanschenröhren, sowie Röhrenform- und Röhrenverbindungsstücke" aufgeführt (S. 702 des Warenverzeichnisses). In der Anmerkung 4 S. 704 a. a. O. heißt es, daß unter Röhrenverbindungsstücken Flanschen, Muffen und Nippel verstanden werden. Sammelstichworte aber sind nach der Vorbemerkung zum Warenverzeichnis (S. IV Ziff. 4) als Stichworte für Gattungsbegriffe bezeichnet Es besteht mithin eine gewisse Vermutung, daß der Zolltarif von 1902 auch die Rohrverbindungsstücke jedenfalls unter einen Oberbegriff "Röhren" fallen läßt. Daß die Rohrverbindungsstücke, also auch die Flanschen, einer besonderen Tarifnr. zugewiesen sind, steht dem nicht entgegen, weil verschiedene Arten von Röhren, die unstreitig unter § 28 Abs. 2 UStDB 1938 fallen, verschiedenen Tarifnrn. zugewiesen sind. Das erklärt sich aus dem Bedürfnis nach verschiedenen Zollsätzen. In einem weiteren Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 13. Dezember 1940 S 4138 -- 98 III (Umsatzsteuer-Kartei S 4138 f. Karte 30) heißt es allerdings, daß Flanschen (Flachringe mit Löchern zum Zusammenschrauben) nicht unter den Begriff "Röhren" im Sinne des § 28 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b UStDB 1938 fallen; nur soweit die Flanschen mit Röhren verbunden sind, sollen sie hiernach begünstigt sein. Der Reichsminister der Finanzen wollte anscheinend nur solche Rohrverbindungsstücke noch zu den Röhren zählen, die, wie z. B. die Fittings, eine rohrähnliche Form haben. Es muß demnach geprüft werden, ob diese einengende Auslegung durch den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 13. Dezember 1940 zutreffend ist, ob nicht vielmehr, da die vorgelegten Gutachten auch Flanschen zu den Rohrverbindungsstücken zählen, die Flanschen schlechthin wie Fittings und Muffen zu behandeln sind. Es ist denkbar, daß der Reichsminister der Finanzen die rohrähnliche Form als Unterscheidungsmerkmal aufgestellt wissen wollte. Dafür spricht, daß er Flanschen in der Erläuterung als "Flachringe mit Löchern zum Zusammenschweißen" bezeichnet. Die schon im Berufungsverfahren beigebrachten Gutachten lassen aber erkennen, daß heute mehr und mehr sogenannte Vorschweißflanschen, also Flanschen mit einem Rohransatz, verwendet werden, die gleichfalls rohrähnliche Form besitzen. Wenn in der Rechtsbeschwerde angeführt wird, daß auch im Streitfalle überwiegend Flanschen der letztgenannten Art geliefert worden sind, so ist dies nicht als neues tatsächliches Vorbringen zurückzuweisen; denn Finanzamt und Finanzgericht hätten, soweit bei ihnen Zweifel über Aussehen und Beschaffenheit des Liefergegenstandes "Flanschen" bestanden haben, den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht weiter aufklären müssen. Nach Auffassung des Senats können jedoch beide Arten von Flanschen nur einheitlich behandelt werden; denn wenn man davon ausgeht, daß Flanschen schlechthin als Rohrverbindungsstücke gelten -- dies jedenfalls ist mit Sicherheit dem Zolltarif zu entnehmen -- und daß alle Rohrverbindungsstücke als notwendige Ergänzungen jeder Rohrleitung den gleichen Verwendungszweck haben, so erscheint es nicht gerechtfertigt, Flanschen nur dann als begünstigt anzusehen, wenn sie in Verbindung mit Röhren geliefert werden. Der Zolltarif von 1902 und vor allem die vorgelegten Gutachten lassen erkennen, daß die auf den Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 13. Dezember 1940 gestützte Verwaltungsübung jedenfalls nicht der heutigen Verkehrsauffassung entspricht; denn andernfalls würde man den einheitlichen Wirtschaftsbegriff "Flanschen" in unorganischer Weise aufspalten und eine technische Weiterentwicklung verleugnen.
Gegenteiliges läßt sich im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdegegners auch nicht aus dem Zolltarif von 1951 (und 1958) entnehmen. Im Gegensatz zum Urteil des Bundesfinanzhofs V 48/55 U vom 23. August 1955 (Slg. Bd. 61 S. 348, BStBl 1955 III S. 332), auf das sich das Finanzamt beruft, gibt der Zolltarif von 1951 keine umfassende und eigene Begriffsbestimmung der Warengattung "Röhren" wie in jenem Fall zum Begriff "Zellwolle". Der Zolltarif begnügt sich vielmehr damit, verschiedene Röhren, je nach Material oder Herstellungsverfahren, sowie die Rohrformstücke, Rohrverbindungsstücke und Rohrverschlußstücke verschiedenen Tarifnrn. zuzuweisen. Wenn überhaupt, so läßt sich aus dieser Systematik nur der Schluß ziehen, daß der Zolltarif von 1951 von einer Verkehrsauffassung ausgeht, nach der alle dort genannten Waren, die übrigens ganz überwiegend auch nach dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 13. Dezember 1940 begünstigt sind, als Röhren zu gelten haben; sie müssen deshalb, soweit sie noch, wie bei Flanschen nicht streitig ist, als Halberzeugnisse anzusehen sind, unter § 29 Abs. 2 Ziff. 9 Buchst. b UStDB 1951 fallen. Keinesfalls ist im bisherigen Verfahren eine gegenteilige Verkehrsauffassung festzustellen, die aus der Kategorie "Rohrverbindungsstücke" lediglich die Flanschen oder doch die Flanschen, die nur Flachringe darstellen, herausfallen läßt. Nach den Gutachten wird man demnach Rohrverbindungsstücke schlechthin als Röhren anzusehen haben.
Die Vorentscheidung ist mithin auch insoweit nicht frei von Rechtsirrtum. Sie ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
Fundstellen
Haufe-Index 409000 |
BStBl III 1958, 139 |
BFHE 1958, 364 |