Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ein Betriebsmittelkredit zur Deckung eines Teiles des Umlaufvermögens ist kein Kapitalersatz im gesellschaftsteuerrechtlichen Sinne. Dies gilt auch für Fertigungsbetriebe mit einem besonderen Absatzrisiko. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur unter außergewöhnlichen Umständen möglich.
Normenkette
KVStG § 3 Abs. 1-2; StAnpG § 3 Abs. 1; FGO § 56
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist die übernahme und Fortführung eines Einzelhandelsgeschäftes sowie die Herstellung von Bekleidungsgegenständen und der Handel damit. Das Stammkapital betrug seit 1951 150.000 DM. Die Lastenausgleichsbank gewährte der Klägerin am 9. Oktober 1954 aus Liquiditätshilfe - Sonderaktion für Flüchtlinge und kriegssachgeschädigte Betriebe - u. a. einen Kredit in Höhe von 100.000 DM. Zu seiner Sicherung hatten zwei Gesellschafter der Klägerin die selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen.
Da die Klägerin die Tilgungsraten nicht einhalten konnte, wurde die Tilgung des Ende 1958 noch bestehenden Darlehnsbetrages von 40.000 DM mit halbjährlichen Raten von 5.000 DM bis zum 31. Dezember 1962 verlängert.
Nach den unbestrittenen tatsächlichen Feststellungen des FG ergibt sich folgendes Verhältnis von Anlage-Vorratsvermögen und Eigenkapital:
----------------- 1953 -- 1954 -- 1955 -- 1956 -- 1957 Anlagevermögen 310.649 280.622 277.049 287.434 287.848 Vorratsvermögen 725.017 641.101 639.458 516.141 798.450 Eigenkapital - 415.076 323.219 265.386 252.797 379.739.Das Finanzamt war der Ansicht, das Darlehen ersetze eine nach der Sachlage gebotene Kapitalzuführung gemäß § 3 KVStG und zog die Klägerin zu einer Gesellschaftsteuer in Höhe von 3.000 DM heran.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Zur Begründung seines Urteils führte das FG aus: Zwar sei das Anlagevermögen der Klägerin 1953 / 1954 voll durch das Eigenkapital gedeckt. In Höhe von mindestens einem Drittel müsse jedoch auch das Vorratsvermögen durch Eigenkapital gedeckt sein. Ein schematischer Vergleich von Eigenkapital einerseits und Anlage- bzw. Umlaufvermögen andererseits genüge nicht. Von dem Normalfall der Deckung des Anlagevermögens durch Eigenkapital seien je nach den Umständen Ausnahmen gerechtfertigt. Maßgebend sei im wesentlichen der Umfang der das Unternehmen belastenden Risiken. Bei Aufnahme des Darlehens seien erhebliche Risiken im Unternehmen der Klägerin vorhanden gewesen, deren Berücksichtigung im Zusammenhang mit den übrigen wirtschaftlichen Verhältnissen die Zuführung von Eigenkapital geboten sein lasse. Das Umlaufvermögen der Klägerin, insbesondere das Vorratsvermögen, sei im Verhältnis zum Anlagevermögen sehr hoch, so daß das Eigenkapital nach den Bilanzen 1953 / 1954 das gesamte Aktivvermögen nur zu 33 1/3 bzw. 30 % decke. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin seien nach ihren eigenen Angaben ungünstig gewesen.
Die Klägerin rügt unrichtige Rechtsanwendung. Sie meint, am Stichtage sei eine Kapitalzuführung nicht geboten gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und der angefochtene Gesellschaftsteuerbescheid waren aufzuheben.
Nach § 3 Abs. 1 KVStG unterliegt die Gewährung von Darlehen der Gesellschaftsteuer, wenn die Darlehnsgewährung eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt. Als Darlehen gilt nach § 3 Abs. 2 KVStG auch das Darlehen eines Dritten, wenn ein Gesellschafter dafür Sicherheit leistet. Im zu entscheidenden Falle hat das Darlehen gesellschaftsteuerrechtlich keine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ersetzt ein mittel- oder langfristiger Kredit eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung in aller Regel dann, wenn er für Investitionen verwendet wird, die die Gesellschaft aus eigenen Mitteln nicht vornehmen kann (vgl. Urteil des BFH II 72/59 vom 26. Oktober 1962, HFR 1963, 142 mit weiterer Rechtsprechung). Dabei wird grundsätzlich - Ausnahmen z. B. für den Wohnungs- und Schiffsbau sind anerkannt worden (vgl. für die Ausnahmen auch Urteile des BFH II 4/59 U vom 22. Mai 1963, BFH 77, 136, BStBl III 1963, 367, besonders Rechtssatz 1, und neuerdings II R 13/66 vom 21. Februar 1967, BFH 88, 349, BStBl III 1967, 397) - die volle Deckung des Anlagevermögens durch das Eigenkapital gefordert.
Die Kapitalzuführung muß zu dem Zeitpunkt, in dem die darlehnsweise überlassenen Mittel zufließen, geboten sein, denn die Gesellschaftsteuerschuld entsteht gemäß § 3 KVStG, § 3 Abs. 1 StAnpG, wenn der gesamte Tatbestand des § 3 KVStG verwirklicht ist (vgl. zum Stichtagsprinzip das schon angeführte Urteil des Senats II 4/59 U, Rechtssatz 2, ferner insoweit das - durch Urteil II 195/58 U vom 24. Januar 1963, BFH 76, 585, BStBl III 1963, 213, ergänzte - Urteil des BFH II 207/57 U vom 30. August 1962, BFH 75, 489, BStBl III 1962, 445 mit weiterer Rechtsprechung; Fließbach in Wertpapier-Mitteilungen 1963, 1042 ff., 1045 unter III 1).
Im Streitfall wurde das Darlehen nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht für Investitionen verwandt. Sowohl die Bilanz zum 31. Dezember 1953 - dem 8. Oktober 1954, dem Tag der Darlehnsgewährung, vorausgehend - wie auch die Bilanz zum 31. Dezember 1954 - dem Tag der Darlehnsgewährung möglichst nahekommend (vgl. insoweit das zitierte Urteil II 207/57 U) - weisen unstreitig eine volle Deckung des Anlagevermögens durch das Eigenkapital aus.
Zu Unrecht meint das FG, auch für einen Teil des Umlaufvermögens, und zwar in Höhe von 1/3 des Vorratsvermögens, sei eine Deckung durch Eigenkapital erforderlich. Zwar hatte der RFH in einem nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesenen Urteil (II 175/38 vom 25. April 1939, abgedruckt in Der Betriebs-Berater 1952, 192) zur Erreichung einer normalen und wirtschaftlich gesunden Finanzierung darauf abgestellt, daß im zu entscheidenden Fall 37 % des Umlaufvermögens durch Eigenkapital gedeckt waren. Der erkennende Senat des BFH hat es aber in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, auch einen Betriebsmittelkredit zur Deckung eines Teiles des Umlaufvermögens als Kapitalersatz im gesellschaftsteuerrechtlichen Sinne anzusehen (vgl. das oben zitierte Urteil des BFH II 72/59; Urteile des BFH II 53/60 vom 21. Dezember 1962, HFR 1963, 144; II 105/60 U vom 8. Mai 1963, BFH 77, 133, BStBl III 1963, 366; II 268/60 U vom 22. Mai 1963, BFH 77, 176, BStBl III 1963, 382 mit Hinweis auf die weiteren Urteile des BFH II 97/60 U und II 20/58 U; II 143/60 vom 31. Juli 1963, HFR 1964, 160). Dies gilt grundsätzlich auch für Fertigungsbetriebe mit einem besonderen Absatzrisiko (vgl. die oben zitierten Urteile des BFH II 72/59; II 268/60 U und II 143/60).
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest, die der verfassungsrechtlich gebotenen klaren und eingehenden Abgrenzung des Tatbestandes des § 3 KVStG entspricht (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1961, 2 BvL 1/59 - Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 13 S. 153, BStBl I 1961, 716). Auf das Verhältnis von Eigenkapital zum gesamten Aktivvermögen kommt es dabei nicht mehr an. (Dies hat der Senat für Investitionskredite bereits ausgesprochen in dem zitierten Urteil II 268/60 U mit weiterer Rechtsprechung).
Der Senat hat es nur unter außergewöhnlichen Umständen für möglich gehalten, daß ausnahmsweise eine Eigenkapitaldeckung über die Höhe des Anlagevermögens hinaus nötig sei (vgl. die oben zitierten Urteile des BFH II 268/60 U mit Hinweis auf die BFH- Urteile II 20/58 U und II 105/60 U; II 143/60; Fließbach, a. a. O. unter II letzter Absatz). Ein solcher Ausnahmefall läge etwa beim Verlust eines so erheblichen Teils des Vermögens einer Gesellschaft vor, daß ihr Fortbestand ohne Kapitalzufuhr nicht möglich wäre. Derartige Feststellungen hat das FG nicht getroffen.
Ein solcher Ausnahmefall läßt sich auch nicht aus Liquiditätsschwierigkeiten in den der Darlehnsgewährung folgenden Jahren herleiten.
Fundstellen
Haufe-Index 412604 |
BStBl III 1967, 473 |
BFHE 1967, 526 |
BFHE 88, 526 |