Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Höhe der Steuerermäßigung nach § 33 Abs. 1 EStG bei gerichtlich festgesetzten, an geschiedene Ehefrauen zu zahlenden Renten.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1, § 33a/1; LStDV § 25

 

Tatbestand

Das Finanzamt hat dem Antrag des Steuerpflichtigen (Stpfl.), ihm für die kraft gerichtlichen Urteils an seine geschiedene Ehefrau zu zahlende monatliche Rente von 200 DM eine Ermäßigung nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu gewähren, nur in der Weise entsprochen, daß es 100 DM als außergewöhnliche Belastung anerkannte. Diesen Standpunkt erhielt es auch in der Einspruchsentscheidung aufrecht. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht den Betrag von monatlich 200 DM als angemessen angesehen. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 335/51 U vom 27. März 1952, Slg. Bd. 56 S. 346, Bundessteuerblatt (BStBl.) 1952 III S. 135 = Steuerrechtskartei, EinkStG § 33 Rechtsspruch 14, kam es zu der überzeugung, daß auch das ordentliche Gericht bei lückenloser Kenntnis der gesamten Verhältnisse keinen niedrigeren Betrag festgesetzt hätte. Das Bruttogehalt habe 1952 12.300 DM betragen. Im Hinblick auf die Lebensstellung und Erwerbsfähigkeit des Stpfl. könne gegen die richterliche Festsetzung einer monatlichen Rente von 200 DM nichts eingewendet werden; einer Zahlung in dieser Höhe hätte sich der Stpfl. auch ohne Urteil aus tatsächlichen, rechtlichen und sittlichen Gründen nicht entziehen können. Der Auffassung des Beschwerdeführers (Bf.) 100 DM seien der Privatsphäre zuzurechnen, könne in übereinstimmung mit dem Schrifttum ebensowenig zugestimmt werden wie der vom Finanzamt geforderten Anerkennung des in den Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952 als ausreichend bezeichneten Betrages in gleicher Höhe. Von dieser nur für typische Verhältnisse bestimmten Summe müsse in Fällen mit besonderer Gestaltung entsprechend abgewichen werden. Bei der Höhe des Gehalts habe der Stpfl. die Unterhaltsrente nicht senken können, um so weniger, als die geschiedene Frau nach dem Tode der zweiten Ehefrau gerichtlich einen höheren Betrag verlange und inzwischen in Höhe von 245 DM auch zugesprochen erhalten habe. Das Gesamtbild der Verhältnisse rechtfertige die Annahme einer steuerlich zu berücksichtigenden Belastung von monatlich 200 DM und eine dementsprechende Ermäßigung.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist unbegründet.

Ohne Rechtsirrtum sind die Beteiligten davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG dem Grunde nach vorliegen.

Bezüglich der Höhe der für eine Ermäßigung maßgebenden Aufwendungen hat der Senat in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs IV 444/51 U vom 29. Mai 1952, Slg. Bd. 56 S. 486 BStBl. 1952 III S. 188 Steuerrechtskartei, EinkStG § 33 Rechtsspruch 18, und IV 42/51 U vom 10. Juni 1952, Slg. Bd. 56 S. 657, BStBl. 1952 III S. 253 Steuerrechtskartei, EinkStG § 33 Rechtsspruch 19), daß auch diese nur in dem Umfang anzuerkennen sind, als sie unter Beachtung der steuerlichen Gleichmäßigkeit und sozialen Gerechtigkeit außergewöhnlich und zwangsläufig, das heißt im einzelnen Fall notwendig und angemessen sind. Das gilt auch für an geschiedene Ehefrauen zu zahlende Renten und zwar ohne Rücksicht darauf, auf welche bürgerlich-rechtliche Unterlagen sie zu stützen sind und gestützt werden; das ist in dem bereits angeführten Urteil IV 42/51 U unmißverständlich ausgesprochen. Auch bei auf Grund kontradiktorischer Verhandlung ergangenen Urteilen haben die Steuergerichte zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der im Urteil festgesetzte Betrag den dargelegten steuerlichen Grundsätzen gerecht wird. Es kommt nicht darauf an, ob etwa - wie das Verwaltungsgericht irrtümlich meint - das ordentliche Gericht eine niedrigere oder höhere Rente zubilligen würde, sondern darauf, welcher Betrag nach dem Sinn und Zweck des § 33 EStG auf Grund der jeweils vorliegenden Verhältnisse unter Beachtung der Tatsache, daß jede Ermäßigung von der Allgemeinheit zu tragen ist, geboten erscheint. In dem Urteil IV 42/51 U ist bereits ausgeführt, daß bei gerichtlich zuerkannten Renten in vielen Fällen die bürgerlich-rechtliche und steuerliche Beurteilung zu dem gleichen Ergebnis führen werden. Das gilt auch für den Streitfall. Dem Stpfl. verblieben nach Abzug der Steuer und der übrigen über die Pauschsätze hinaus gewährten Abzüge ohne die Rente bis Ende Mai 1953 etwa 550 bis 580 DM, nach der zum 1. Juni 1953 erfolgten Beförderung zum Verwaltungsgerichtsdirektor etwa 600 bis 630 DM monatlich. Bei seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, seiner Lebensstellung sowie unter Beachtung der Bedürfnisse der nach den Akten allein auf die Rente angewiesenen Empfängerin und nach der derzeitigen Wirtschaftslage (gestiegene Lebenshaltungskosten) stellt die Zubilligung eines Betrages von monatlich 200 DM keine Verletzung der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze dar. Wenn sich das Finanzamt auf das Urteil des Senats IV 278/50 U vom 2. Februar 1951, Slg. Bd. 55 S. 228, BStBl. 1951 III S. 85 Steuerrechtskartei, EinkStG § 33 Rechtsspruch 4, beruft, so übersieht es, daß die Darlegungen dieser Entscheidung, nach der in der Regel die in den Richtlinien bestimmten Beträge den Maßstab für die zu gewährende Ermäßigung abgeben sollen, bereits im Urteil des Senats IV 444/51 U vom 29. Mai 1952 als überholt bezeichnet und nicht mehr aufrechterhalten werden. Für die zu gewährende Steuerermäßigung nach § 33 Abs. 1 1 EStG sind grundsätzlich die besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles, nicht typische, maßgebend. Auch die vom Bf. aus der Rechtsprechung des Senats hergeleitete Erwägung, daß bei der Steuerermäßigung § 32 EStG berücksichtigt werden müsse, rechtfertigt im Streitfall keine andere Beurteilung. Die Auffassung, daß für Renten, die an geschiedene Ehefrauen gezahlt werden, keine höhere Ermäßigung gewährt werden dürfe, als sie vom Gesetz für verheiratete Ehefrauen bestimmt sind, geht wegen der völlig verschieden gelagerten Verhältnisse fehl. Auch das Gesetz bietet für eine solche Auffassung keinen Anhaltspunkt. Der Senat hat dem § 32 EStG nur insoweit einen gewissen Spielraum eingeräumt, als daraus die Absicht des Gesetzes erkennbar wird, daß nicht ohne weiteres, besonders bei Zahlung überhöhter Beträge durch finanziell gutsituierte Steuerpflichtige, die tatsächlichen Aufwendungen der Steuerermäßigung nach § 33 Abs. 1 EStG zugrunde zu legen sind, auch wenn die Voraussetzungen für seine Anwendung dem Grunde nach vorliegen. In den Fällen jedoch, in denen der getätigte Aufwand das gebotene Maß nicht überschreitet, so daß bei objektiver Würdigung der gesamten Verhältnisse der wirkliche Aufwand als zwangsläufig, das heißt als notwendig und angemessen angesehen werden muß, kann wegen des aus § 32 EStG zu entnehmenden Gedankenganges kein geringerer Betrag zugrunde gelegt werden (s. auch die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung IV 512/53 U vom 26. August 1954). Im Ergebnis ist daher der Vorentscheidung zuzustimmen, wenn sie auf Grund des sich aus dem vorliegenden Tatbestand ergebenden Gesamtbildes den vollen monatlichen Betrag von 200 DM bei der zu gewährenden Steuerermäßigung als berücksichtigungsfähig bezeichnet hat.

Nicht berechtigt sind auch die Zweifel des Bf., nach denen das Verwaltungsgericht angeblich nicht berechtigt gewesen sei, sein Ermessen an Stelle des Finanzamts auszuüben. § 33 Abs. 1 EStG ist keine Ermessensbestimmung. Auf die Anwendung dieser Vorschrift hat der Stpfl. einen Anspruch, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen. Bei der Höhe der festgesetzten Ermäßigung handelt es sich nicht um Ermessensausübung, sondern um eine Schätzung, bei der alle Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen sind. § 33 EStG gehört zu den unter die sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffe fallenden Vorschriften. Danach kann nur ein Betrag richtig sein, der im Wege der zutreffenden Würdigung des Sachverhalts gefunden werden muß. Als Tatsacheninstanz ist daher jedes Steuergericht berechtigt, eine Abänderung des vom Finanzamt zugrunde gelegten Ermäßigungsbetrages vorzunehmen, wenn es zu der überzeugung kommt, daß dem im Streitfall vorliegenden Sachverhalt der vom Finanzamt zugrunde gelegte Betrag nicht gerecht wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408036

BStBl III 1954, 349

BFHE 1955, 360

BFHE 59, 360

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