Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Übersetzers, der wichtige Werke der gegenwärtigen Weltliteratur - insbesondere Lyrik - ins Deutsche überträgt, ist eine schriftstellerische Tätigkeit.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 18 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger ist ein international anerkannter, freiberuflich tätiger Übersetzer und Träger eines ausländischen Übersetzerpreises. Er übersetzt wichtige Werke der gegenwärtigen Weltliteratur - insbesondere Lyrik - aus dem Englischen, Französischen, Holländischen und Spanischen ins Deutsche. Die Übersetzungen sind entsprechend einer schriftlichen Äußerung eines Professors für Literaturwissenschaften an der Universität X auch ihrer Übersetzungsqualität nach von hohem literarischschriftstellerischem Wert. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) versagte die vom Kläger begehrte Anwendung des Betriebsausgabenpauschsatzes von 30 v. H. der Betriebseinnahmen (höchstens 4 800 DM jährlich), der nach dem Erlaß des Berliner Senators für Finanzen vom 2. August 1962 AZ Fin III A 2 - S 2118 - 4/62 (Steuer- und Zollblatt für Berlin 1962 S. 1468 - StuZBl.Bln 1962, 1468 -) bei hauptberuflicher, selbständiger schriftstellerischer oder journalistischer Tätigkeit zu gewähren ist.
Einspruch und Klage blieben insoweit ohne Erfolg. Das FG schätzte aber, da der Kläger seine Aufwendungen im einzelnen nicht nachgewiesen hatte, die Betriebsausgaben nach freiem Ermessen auf 1 200 DM. Es führte aus: Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Anwendung der Verwaltungsanordnung. Nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung ergebe sich zwar eine Verpflichtung des FA, die Unkostenpauschale bei allen Steuerpflichtigen anzuwenden, die den in dem Erlaß genannten Berufsgruppen angehören, da ein Wahlrecht in der Anwendung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei. Der Kläger sei jedoch kein Schriftsteller, auch wenn er - wie er dargetan habe - eigenschöpferisch tätig werde und ihm an den übersetzten Werken ein Bearbeiterurheberrecht nach §§ 3, 23 des Urheberrechtsgesetzes 1965 zustehe. Gegenüber Übersetzern habe sich die Finanzverwaltung nicht binden wollen. Zu einer Auslegung der Verwaltungsanordnung - mit dem Ziel wegen des § 3 des Urheberrechtsgesetzes 1965 auch Übersetzern die Pauschbeträge zu gewähren - sei das Gericht nicht befugt, weil es in Zweifelsfällen Sache der Verwaltung sei, ob sie eine Vereinfachungsregelung anwenden wolle oder nicht (Urteil des BFH vom 26. Januar 1968 VI R 224/66, BFHE 91, 364, BStBl II 1968, 362). Da aber nach den eingereichten Belegen feststehe, daß dem Steuerpflichtigen nicht unerhebliche Betriebsausgaben erwachsen seien, schätze das Gericht aufgrund der Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung und der vorgelegten Belege diese Ausgaben nach freiem Ermessen auf 1 200 DM.
Mit der Revision rügt der Kläger, daß das FG zu Unrecht die Verpflichtung des FA zur Anwendung der Pauschsätze entsprechend dem Erlaß des Senators für Finanzen vom 2. August 1962 bezweifelt habe. Aus der Beachtung derartiger Verwaltungsanordnungen habe sich eine Verwaltungspraxis entwickelt, die unter der Geltung des Gleichbehandlungssatzes die Verwaltung hindere, ohne sachlich gerechtfertigten Grund in gleichgelagerten Fällen von der geübten Praxis abzuweichen. Darüber hinaus beruhe die Feststellung des FG, daß der Kläger nicht zu den im Erlaß des Berliner Senators für Finanzen bezeichneten Personenkreisen gehöre, weil er kein Schriftsteller sei, auf einem Rechtsirrtum. Unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 14. Mai 1958 IV 278/56 U (BFHE 67, 115, BStBl III 1958, 316), wonach eine schriftstellerische Tätigkeit dann vorliege, wenn auf irgendeinem Gebiet eigene Gedanken schriftlich der Öffentlichkeit vorgelegt würden, führt der Kläger aus, daß seine literarische Übersetzertätigkeit die schriftliche Wiedergabe von Gedankeninhalten gegenüber der Öffentlichkeit zum Gegenstand habe. Ob darüber hinaus zu fordern sei, daß es sich um die Vorlage eigener Gedanken i. S. der zitierten Definition des BFH handeln müsse, könne im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben; es bestünden keinerlei Zweifel daran, daß auch und gerade eine literarische Übersetzung sich ständig mit der Formulierung eigener Gedanken zu beschäftigen habe. Außer Betracht könne dabei der gesamte Bereich der mehr oder weniger mechanisch ersetzbaren Übersetzungstätigkeit bleiben, denn das FG habe festgestellt, daß der Kläger seine eigenschöpferischen Leistungen beim Übersetzen hinreichend dargetan habe. Auch die Zuerkennung des urheberrechtlichen Werkschutzes in § 3 des Urheberrechtsgesetzes basiere auf der Erkenntnis,daß einer literarischen Übersetzung eine persönliche geistige Schöpfung zugrunde liege. Dies entspreche auch dem Selbstverständnis der Übersetzer, wie es sich aus der Satzung des Verbandes Deutscher Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e. V. ergebe. Auch im äußerlichen Ablauf der beruflichen Tätigkeit könnten typische Unterschiede zwischen literarischen Übersetzern und anderen Schriftstellern nicht festgestellt werden. Insbesondere seien - wie bei Schriftstellern - umfangreiche Vorarbeiten, wie Studium der Werke des zu übersetzenden Autors, der literarischen Schule oder Gruppe, der der Autor angehört, sowie der historischen und politischen Hintergründe erforderlich. Dies zöge - anders als bei einer rein mechanischen Übersetzertätigkeit - Aufwendungen nach sich, die denen eines Schriftstellers für dessen Vorbereitungsarbeiten vergleichbar seien.
Der Kläger beantragt, unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Betriebsausgabenpauschale in Höhe von 30 v. H. der Betriebseinnahmen zu berücksichtigen.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision und führt u. a. aus: Für eine Trennung der Tätigkeiten des Schriftstellers und des Übersetzers spreche § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Danach sei freiberuflich einerseits die schriftstellerische, zum anderen die Tätigkeit eines Übersetzers. Aus dieser Gesetzesformulierung ergebe sich, daß der Steuergesetzgeber die Tätigkeit des Übersetzers nicht als schriftstellerische Tätigkeit ansehe. Der Beruf des Übersetzers bestehe vielmehr selbständig neben dem des Schriftstellers.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anwendung des Betriebsausgabenpauschsatzes von 30 v. H. gemäß dem Erlaß des Senators von Berlin vom 2. August 1962, denn er ist schriftstellerisch tätig.
1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß es sich bei den in Verwaltungsanordnungen festgelegten Betriebsausgaben-Pauschsätzen um mögliche Schätzungen nach § 217 AO handelt, die auf Verwaltungserfahrungen beruhen und - obwohl sie für die Gerichte nicht bindend sind - aus Gründen der Gleichbehandlung auch von den Steuergerichten zu beachten sind, solange sie nicht im Einzelfall zu falschen Ergebnissen führen (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 1964 III 74/60 U, BFHE 81, 205, BStBl III 1965, 73; vom 14. April 1967 VI R 168/66, BFHE 88, 422, BStBl III 1967, 430; vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130).
Entgegen den vom FG geäußerten Zweifeln stellt der - im Einvernehmen mit dem BdF und den Finanzministern (-senatoren) der übrigen Länder ergangene - Erlaß des Berliner Senators für Finanzen vom 2. August 1962 eine derartige Verwaltungsregelung dar. Sie ist eine Maßnahme der Sachleitung zur gleichmäßigen Verwaltungsführung, zu deren Befolgung die FÄ nach dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1972 II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649) verpflichtet sind, und die in der Regel auch von den FG zu beachten sind. Es handelt sich im Streitfall auch nicht um einen der Fälle, in denen nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil VI R 224/66) die Anwendung einer Verwaltungsregelung durch die Verwaltungsbehörden von den Gerichten deshalb nicht erzwungen werden kann, weil es objektiv zweifelhaft ist, ob ein bestimmter Sachverhalt unter die der Vereinfachung der Verwaltung dienende Anweisung fällt und es daher Sache der Verwaltung ist, zu entscheiden, ob sie die Vereinfachungsregelung anwenden will oder nicht. Die Anwendung des Erlasses vom 2. August 1962 ist vielmehr geboten, weil der Kläger schriftstellerisch tätig war.
2. Nach der Rechtsprechung des RFH (Urteile vom 19. März 1937 V A 344/36, RStBl 1937, 623, und vom 16. Februar 1940 V 296/38, RStBl 1940, 415) und der darauf fußenden Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 14. Mai 1958 IV 278/56 U, BFHE 67, 115, BStBl III 1958, 316; vom 18. Januar 1962 IV 270/60 U, BFHE 74, 344, BStBl III 1962, 131; vom 3. Februar 1965 I 376/62, HFR 1965, 372, und vom 26. Mai 1971 IV 280/65, BFHE 102, 509, BStBl II 1971, 703) liegt eine schriftstellerische Tätigkeit vor, wenn eigene Gedanken mit Mitteln der Sprache schriftlich ausgedrückt werden.
An die Voraussetzung, daß eigene Gedanken ausgedrückt werden, stellt die Rechtsprechung keine besonderen Anforderungen. So sah der BFH im Urteil IV 270/60 U bei der Erstellung eines Vorschriftensuchregisters die Aufstellung bestimmter Stichworte und das Einordnen des zu verarbeitenden Rechtsstoffes unter diese als selbständige Gedankenarbeit an. Andererseits entschied er, daß Übertragungen von Textbüchern für Kultur-, Lehr- und Industriewerbefilme in die englische Sprache keine schriftstellerische Tätigkeit darstellten, weil es dem Steuerpflichtigen in einem solchen Fall wegen der Bindung an Aussagewert und Formgebung der Filme nicht möglich sei, eigene Gedanken zum Ausdruck zu bringen und freie Nachschöpfungen der Filmtexte in englischer Sprache vorzunehmen (Urteil IV 280/65).
Daran hält der erkennende Senat fest. Zwar fordert jede Übersetzertätigkeit neben der rein technischen Beherrschung der Fremdsprache in gewissem Umfang auch schöpferische Fähigkeiten, etwa bei der Auswahl unter einer Mehrzahl von Synonyma. Soweit die eigenen Gedanken sich jedoch darauf beschränken, den Eigenarten der Sprachen gerecht zu werden, wird man nicht von einer schriftstellerischen Tätigkeit des Übersetzers sprechen können, weil der Gesamtcharakter der Tätigkeit im wesentlichen von der rein technischen Arbeit der Wiedergabe fremdsprachlicher Texte und der Bindung an diesen Text geprägt ist. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Elemente der Sprachschöpfung, der Nachschöpfung und des kongenialen Erfassens der inhaltlichen und formalen Gedanken des Autors bei der Übertragung aus der Fremdsprache in den Vordergrund treten und das Ergebnis der Arbeit des Übersetzers prägen.
Die von den Beteiligten nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ergeben, daß der Kläger im dargelegten Sinn schriftstellerisch tätig war. Die Tätigkeit als international anerkannter Übersetzer wichtiger, insbesondere lyrischer Werke der Weltliteratur beinhaltet mehr als eine rein übersetzungstechnische Übertragung eines Textes aus einer Fremdsprache in das Deutsche. Sie schließt vielmehr eine eigenschöpferische Leistung ein, die darin besteht, daß der Übersetzer die inhaltlichen und formalen Gedanken des Autors in einer Weise in die andere Sprache überträgt, das Atmosphäre und Aussage des Werkes entsprechend den Möglichkeiten der anderen Sprache erfaßt werden. Dem entspricht auch die Würdigung der Tätigkeit des Klägers durch einen anerkannten Literatursachverständigen, die sich das FG zu eigen gemacht hat. Es besteht hiernach kein Zweifel, daß die Übersetzungen des Klägers "auch ihrer ... Übersetzungsqualität nach, von hohem literarisch-schriftstellerischem Wert" sind. Im übrigen hat das FG ausgeführt, daß der Kläger seine eigenschöpferische Leistung beim Übersetzen dargetan hat. Wenn es daraus nicht den Schluß gezogen hat, der Kläger sei schriftstellerisch tätig geworden, und - wie das FA - auf die bloße Berufsbezeichnung abgestellt hat, so kann dem nicht gefolgt werden. Für die steuerrechtliche Beurteilung ist nicht die Bezeichnung der Tätigkeit maßgebend, sondern der Gegenstand der Betätigung.
Fehl geht auch das Argument des FA, aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergebe sich, daß ein Übersetzer kein Schriftsteller sei. Das FA übersieht dabei, daß es Übersetzer gibt, die Schriftsteller sein können (vgl. Urteil vom 26. Juli 1963 I 259/59 U, BFHE 77, 375, BStBl III 1963, 458). Die Aufnahme des Berufs "Übersetzer" in die Katalogberufe des § 18 EStG n. F. hat insoweit nichts geändert.
Auch der Hinweis des FG, daß dem Kläger an den übersetzten Werken ein Bearbeiterurheberrecht nach § 3 des Urheberrechtsgesetzes zustehe, spricht - entgegen der Auffassung des FA - dafür, daß der Kläger schriftstellerisch tätig ist. Voraussetzung eines Schutzes nach dieser Vorschrift ist ein in der Umgestaltung zum Ausdruck gelangender geistig-ästhetischer Gehalt von einem schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad (vgl. v. Gamm, Urheberrechtsgesetz, München, 1968, § 3 Rdnr. 7).
Fundstellen
Haufe-Index 71741 |
BStBl II 1976, 192 |
BFHE 1976, 456 |