Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, nach welchen Grundsätzen über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden ist, wenn die Hauptsache erledigt ist und das Finanzamt keine Erklärung nach § 94 Abs. 2 Satz 2 AO abgegeben hat.
Normenkette
AO § 92/2/2, § 307 Abs. 1, § 251; FGO §§ 135, 136/1; AO § 307 Abs. 3, § 252; FGO §§ 137-138
Tatbestand
Der Streit geht um die vom Finanzgericht erlassene isolierte Berufungsentscheidung über die Kosten.
Die Steuerpflichtige, eine GmbH, legte gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 1952 vom 25. Februar 1959 Einspruch ein, weil das Finanzamt ein 7c-Darlehen wegen nichtordnungsmäßiger Buchführung nicht zum Abzug zugelassen hatte. Gegen die Einspruchsentscheidung, die den Einspruch als unbegründet zurückwies, legte die GmbH Berufung ein. Während des Berufungsverfahrens stellte sie beim Finanzamt den Antrag, die Vergünstigungen des § 7 c EStG im Billigkeitswege zu gewähren. Bevor die Berufung begründet wurde, wies die Oberfinanzdirektion das Finanzamt an, dem Antrag auf Grund eines Erlasses des Landesfinanzministers vom 16. September 1955 zu entsprechen, wonach auch bei Vorliegen von Systemfehlern für die Veranlagungszeiträume bis 1955 im Einzelfall aus Billigkeitsgründen die Steuervergünstigung nach § 7 c EStG gewährt werden konnte, wenn im übrigen das Buchergebnis der Veranlagung zugrunde gelegt worden war. Das Finanzamt erließ daraufhin einen gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO berichtigten Steuerbescheid. In der Erläuterungsspalte dieses Bescheids vermerkte es u. a., daß das Land die Kosten des Einspruchs trage und über die Kosten der Berufung das Finanzgericht entscheide.
Mit Verfügung vom 17. Februar 1960 erklärte der Kammervorsitzende, die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens trage das Land. Diese Verfügung wurde dem Finanzamt am 20. Februar 1960 zugestellt. Am 20. Mai 1960 stellte das Finanzamt beim Finanzgericht den Antrag, eine förmliche Kostenentscheidung zu erlassen und der GmbH die Kosten aufzuerlegen. Die Kammer des Finanzgerichts entschied daraufhin durch Beschluß, daß das Land die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens zu tragen habe. Die GmbH sei im endgültigen Ergebnis nicht im Sinne des § 307 Abs. 1 AO unterlegen. Vielmehr habe das Finanzamt ihrem Antrag der Sache nach entsprochen. Dies zeige auch die Kostenentscheidung des Finanzamts für das Einspruchsverfahren. Die Gründe, die zur Berichtigung nach § 94 AO geführt hätten, seien nicht entscheidend. Darüber hinaus könne auch nicht ausgeschlossen werden, daß das Finanzgericht in Ansehung weiterer Ausführungen der GmbH und des Verhaltens des Finanzamts auch bei einer Entscheidung in der Sache zu einem dem Ministerialerlaß entsprechenden Ergebnis gelangt wäre.
Mit der hiergegen eingelegten Rb. macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, das Finanzgericht hätte die Kosten so verteilen müssen, wie wenn über die Hauptsache entschieden worden wäre. Das Finanzamt habe auf Grund des Ministerialerlasses nur aus Billigkeitserwägungen unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der GmbH deren Antrag entsprochen. Bei einer Entscheidung in der Hauptsache hätte das Finanzgericht derartige Erwägungen nicht anstellen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Wird dem Berufungsantrag des Steuerpflichtigen gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO vom Finanzamt in vollem Umfange entsprochen, so findet damit die Hauptsache ihre Erledigung. Eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist in diesem Falle nicht erforderlich, wenn das Finanzamt dem Steuerpflichtigen erklärt, daß die Kosten des Rechtsmittelverfahrens von der Staatskasse getragen werden (§ 94 Abs. 2 Satz 2 AO). Gibt das Finanzamt diese Erklärung nicht ab, so obliegt es dem Finanzgericht, eine förmliche Kostenentscheidung zu treffen. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des Bundesfinanzhofs II 206/59 U vom 8. November 1961 (BStBl 1962 III S. 42, Slg. Bd. 74 S. 110) an.
Was den sachlichen Inhalt der vom Finanzgericht getroffenen Kostenentscheidung anbelangt, so ist zwar in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs der Grundsatz ausgesprochen worden, daß nach Erledigung der Hauptsache in der Kostenfrage so zu erkennen ist, wie entschieden worden wäre, wenn sich die Hauptsache nicht erledigt hätte (Urteile des Reichsfinanzhofs I A 421/28 vom 5. Februar 1929, Steuer und Wirtschaft 1929 Nr. 333; VI A 728/31 vom 3. Februar 1932, RStBl 1932 S. 229; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 27/52 U vom 17. April 1952, BStBl 1952 III S. 152, Slg. Bd. 56 S. 389; IV 164/57 U vom 24. Oktober 1957, BStBl 1958 III S. 45, Slg. Bd. 66 S. 114; VII 134/54 S vom 26. November 1958; BStBl 1959 III S. 53, Slg. Bd. 68 S. 141; IV 96/59 U vom 3. August 1961, BStBl 1961 III S. 542, Slg. Bd. 73 S. 761). Dieser Grundsatz ist jedoch nicht die einzige Richtlinie, die bei der Entscheidung über die Kosten nach Erledigung der Hauptsache zu berücksichtigen ist. Die AO enthält keine Vorschrift darüber, wie über die Kosten entschieden werden muß, wenn die Hauptsache erledigt ist und das Finanzamt eine Erklärung nach § 94 Abs. 2 Satz 2 AO nicht abgibt. Es handelt sich um eine Lücke im Gesetz, die die Steuergerichte so auszufüllen haben, wie nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes und nach seinem sonst erkennbaren Willen der Gesetzgeber die Frage wahrscheinlich geregelt hätte, wenn sie in seinen Gesichtskreis getreten wäre (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 115/60 S vom 17. März 1961, BStBl 1961 III S. 346, Slg. Bd. 73 S. 213). In diesem Zusammenhang ist beachtlich, daß die Zivilprozeßordnung ausdrücklich geregelt hat, nach welchen Grundsätzen bei Erledigung der Hauptsache über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden ist. Nach § 91 a Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist die Entscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen. Diese Vorschrift ist als allgemeine Regel des Prozeßrechts schon vor Erlaß der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im verwaltungsgerichtlichen Prozeß analog angewandt worden und hat in § 161 Abs. 2 VwGO eine positiv-rechtliche Regelung erfahren (vgl. Klinger, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1960, § 161 Anm. B 1 a; Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, 1960, § 161 B II 1; Schunck - de Clerk, Verwaltungsgerichtsordnung, 1961, § 161 Anm. 2 a). Soweit § 91 a der Zivilprozeßordnung den Gedanken des billigen Ermessens enthält, muß er auch im Steuerrecht der übergeordnete Grundsatz sein, nach dem im Falle der Erledigung der Hauptsache über die Kosten zu entscheiden ist. Dies gilt um so mehr, als auch die AO Fälle kennt, in denen Kostenentscheidungen unter Berücksichtigung des Prozeßverhaltens eines Beteiligten nach dem Ermessen der Rechtsmittelbehörde getroffen werden (§ 307 Abs. 3 AO).
In der Regel wird es zu einem billigen Ergebnis führen, wenn man davon ausgeht, wie bei Entscheidung in der Sache selbst nach §§ 307 ff. AO erkannt worden wäre. Dabei wird sich regelmäßig ergeben, ob und inwieweit der Rechtsmittelführer zur Einlegung seines Rechtsmittels berechtigten Anlaß hatte. Eine andere Beurteilung kann jedoch dann eingreifen, wenn die Erledigung der Hauptsache auf einer Billigkeitsmaßnahme der Finanzverwaltungsbehörde beruht, die das Finanzgericht von sich aus nicht treffen durfte, die aber die Verwaltungsbehörde schon vor Einlegung des Rechtsmittels hätte berücksichtigen können und müssen.
Nach der Verfügung der Oberfinanzdirektion vom 4. Februar 1960 beruhte die vom Finanzamt im Streitfall vorgenommene Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO auf einem Ministerialerlaß, der dem Finanzamt am 14. Oktober 1955, also lange Zeit vor Erlaß des von der GmbH angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids, bekanntgegeben worden war. Zu seiner Anwendung führte die Erwägung, daß den festgestellten Mangeln der Buchführung nur formelle Bedeutung zukomme. Auch dieser Umstand ist dem Finanzamt bereits zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung bekannt gewesen. Er beruht nicht auf Tatsachen, die von der GmbH nachträglich geltend gemacht worden sind. Das Finanzgericht mußte bei seiner Entscheidung nach billigem Ermessen berücksichtigen, daß für die GmbH kein Anlaß bestanden hätte, ein Rechtsmittel einzulegen, wenn das Finanzamt die Billigkeitsmaßnahme so rechtzeitig getroffen hätte, wie dies nach den Umständen des Falles möglich gewesen wäre. Die Vorinstanz konnte daher ohne Rechtsirrtum dem Lande die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegen.
Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen. Der Tenor des angefochtenen Urteils bedarf jedoch einer Richtigstellung: Wird eine Kostenentscheidung erforderlich, weil das Finanzamt eine Erklärung nach § 94 Abs. 2 Satz 2 AO nicht abgibt, so muß das Finanzgericht die Erledigung der Hauptsache feststellen und über die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens entscheiden. Da der noch nicht erledigte Kostenteil des Streitstoffes allein der Verfahrensherrschaft des Finanzgerichts unterliegt, ist es unzulässig, wenn das Finanzamt, wie dies hier geschehen ist, über die Kosten des Einspruchsverfahrens selbst entscheidet. Durch eine solche Verfahrensweise des Finanzamts wird das Finanzgericht nicht gebunden. Der Tenor des angefochtenen Urteils des Finanzgerichts muß daher eine Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens enthalten und ist dementsprechend zu berichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 410897 |
BStBl III 1963, 441 |
BFHE 1964, 332 |
BFHE 77, 332 |