Leitsatz (amtlich)
Die Feststellung (Berichtigungsfeststellung) eines Einheitswerts ist unzulässig, wenn sämtliche Steuern verjährt sind, die auf Grund dieser Feststellung für das Jahr erhoben werden müßten, auf dessen Beginn die Feststellung durchgeführt werden soll.
Normenkette
AO §§ 214, 222 Abs. 1 Nr. 1; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 22
Tatbestand
Die Revisionsklägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks. Das FA (Revisionsbeklagter) hat mit Bescheid vom 28. August 1964 den Einheitswert für dieses Grundstück durch Fortschreibung zum 1. Januar 1961 auf 33 000 DM festgestellt und den Grundsteuermeßbetrag durch Fortschreibungsveranlagung zum gleichen Zeitpunkt auf 227,50 DM festgesetzt. Am 3. Juni 1966 berichtigte das FA den Einheitswertbescheid und den Grundsteuermeßbescheid auf Grund neuer Tatsachen zuungunsten der Klägerin; es stellte den Einheitswert auf 68 100 DM fest und den Grundsteuermeßbetrag auf 428,50 DM. Die Stadt forderte auf Grund des geänderten Steuermeßbescheids auch die Grundsteuer für 1961 nach. Dieser Zahlungsaufforderung war ein berichtigter Grundsteuerbescheid der Stadt vom 7. Dezember 1964 vorausgegangen, durch den unter anderem die Grundsteuer für die Jahre 1961 bis 1964, und zwar für 1961 auf der Grundlage des ursprünglich festgesetzten Steuermeßbetrags von 227,50 DM angefordert worden war.
Der Einspruch gegen die Berichtigungsbescheide vom 3. Juni 1966 blieb erfolglos. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Die Revision wurde zugelassen. Die Revisionsklägerin trägt vor, die Voraussetzungen für eine Berichtigungsfeststellung und Berichtigungsveranlagung zum 1. Januar 1961 hätten nicht vorgelegen, weil die an diesen Feststellungszeitpunkt anknüpfende Grundsteuer verjährt gewesen sei, soweit sie den zum 1. Januar 1961 ursprünglich veranlagten Steuermeßbetrag übersteige. Für den Mehrbetrag sei die Verjährung mit Ablauf des Jahres 1964 eingetreten. Eine die Verjährung unterbrechende Handlung sei während des Ablaufs der Verjährungsfrist nicht vorgenommen worden. Das FG habe selbst ausgeführt, daß der Steuermehrbetrag an Grundsteuer für das Kalenderjahr 1961 bei Durchführung der Berichtigung schon verjährt gewesen sei. Die Auffassung des FG, daß die Berichtigungsfeststellung und die Berichtigungsveranlagung dennoch zulässig seien, weil der Bescheid die Grundlage für die nicht verjährte Grundsteuer der folgenden Jahre bleibe, sei mit dem Gesetz und der Rechtsprechung des BFH nicht vereinbar.
Die Revisionsklägerin beantragt, den berichtigten Einheitswertbescheid und den berichtigten Grundsteuermeßbescheid insoweit aufzuheben, als die Grundsteuer bei Erlaß dieser Bescheide schon verjährt war.
Das FA stellte keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Das FG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß der Grundsteueranspruch der Stadt für 1961, soweit er auf einem Steuermeßbetrag von mehr als 227,50 DM beruht, im Zeitpunkt der Berichtigung des Einheitswerts und des Grundsteuermeßbetrags schon verjährt war. Allerdings hat das FG diese Ansicht zu Unrecht auf § 147 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (Bundesgesetzblatt I 1965 S. 1356) - im folgenden AO genannt - gestützt. § 147 Abs. 3 AO über die Unterbrechung der Verjährung ist in dieser Fassung nämlich nur auf Steueransprüche anwendbar, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes vom 15. September 1965 (a. a. O.) noch nicht verjährt waren (vgl. Art. 5 Abs. 3 a. a. O.). Der Steueranspruch der Stadt für 1961 war jedoch, soweit er auf einem Steuermeßbetrag von mehr als 227,50 DM beruht, mit Ablauf des Jahres 1964 verjährt, wobei die Verjährung nach der Reichsabgabenordnung i. d. F. vor dem Gesetz vom 15. September 1965 (a. a. O.) - im folgenden AO a. F. - zu beurteilen ist. Demnach ist auch der Umfang der Unterbrechung der Verjährung durch die Zahlungsaufforderung vom 7. Dezember 1964 noch nach der AO a. F. zu beurteilen. Zwar hat der BFH mit Urteil IV 184/60 S vom 4. August 1960 (BFH 71, 485, BStBl III 1960, 430) in Abkehr von der Rechtsprechung des RFH entschieden, der endgültige Steuerbescheid unterbreche die Verjährung des Steueranspruchs in vollem Umfang. Dieses Urteil geht von der Überlegung aus, daß das Verfahren zur Veranlagung der Einkommensteuer als die wichtigste Handlung des FA zu gelten habe, die auf Ermittlung und Feststellung des Einkommensteuer-Anspruchs für das betreffende Jahr in seinem vollen Umfang und nicht nur in Höhe der festgesetzten Steuer gerichtet sei. Dem Urteil liegt also der Gedanke zugrunde, daß die Unterbrechungswirkung der Ermittlungstätigkeit des FA in bezug auf den Einkommensteueranspruch nicht deshalb eingeschränkt werden könne, weil der Bescheid zusätzlich auch die Feststellung der Steuer und die Zahlungsaufforderung enthalte.
Bei der Grundsteuer gibt es jedoch, wie aus § 147 Abs. 2 AO a. F. zu entnehmen ist, keine Unterbrechung der Verjährung des noch nicht betragsmäßig festgesetzten Anspruchs auf Grundsteuer, sondern nur eine Unterbrechung der Verjährung des Anspruchs auf Zahlung der bereits festgesetzten Grundsteuer. Damit ist das Urteil IV 184/60 S (a. a. O.), das von der verjährungsunterbrechenden Wirkung der Ermittlungen und Handlungen im Rahmen der Steuerfestsetzung ausgeht, für die Grundsteuer ohne Bedeutung. Für die Grundsteuer bestand vielmehr schon vor Änderung der AO die Rechtslage, die in der Neufassung des § 147 Abs. 3 AO zum Ausdruck kommt.
2. Die Feststellung eines Einheitswerts unterliegt zwar keiner selbständigen Verjährung (RFH III A 230/35 vom 16. Januar 1936, RStBl 1936, 115). Nach § 214 AO werden jedoch nur "die der Besteuerung zugrunde zu legenden Einheitswerte" gesondert festgestellt. Hieraus ergibt sich, daß die Feststellung eines Einheitswerts zu unterbleiben hat, wenn sämtliche an die Feststellung anknüpfenden Steuern verjährt sind, so daß der Einheitswert der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden kann. Das FG ist der Meinung, für die Zulässigkeit einer Einheitswert-Feststellung komme es lediglich darauf an, daß der festgestellte Einheitswert irgendwann während seiner Geltungsdauer der Besteuerung zugrunde gelegt werde. Dem stimmt der Senat nicht zu.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil III 90/60 S vom 25. August 1961, BFH 73, 635, BStBl III 1961, 498 [499]) ist die Feststellung eines Einheitswerts unzulässig, "wenn sämtliche vom Einheitswert abhängigen Steuern verjährt sind". Dabei wurde klargestellt, daß die Zulässigkeit einer Fortschreibung keinesfalls von der Verjährung von Steuererstattungsansprüchen abhängig ist. Der Senat ist der Auffassung, daß die Feststellung eines Einheitswerts nur zulässig ist, wenn die Steuern noch nicht verjährt sind, die auf Grund der Feststellung für das Jahr erhoben werden, auf dessen Beginn die Feststellung durchgeführt werden soll. Denn die Feststellung eines Einheitswerts betrifft in erster Linie das Jahr, auf dessen Beginn sie durchgeführt wird. Die möglicherweise darüber hinausgehende Wirksamkeit für spätere Jahre ist nicht eine Primärwirkung dieser Feststellung, sondern eine Sekundärwirkung auf Grund des Umstandes, daß für diese folgenden Jahre weder eine Fortschreibung möglich ist, noch eine Hauptfeststellung durchzuführen ist. Die Rechtsfrage, ob die Feststellung eines Einheitswerts auf einen bestimmten Feststellungszeitpunkt zulässig ist, muß aber nach der Primärwirkung dieser Feststellung beantwortet werden. Dies muß um so mehr für eine Berichtigungsfeststellung auf Grund neuer Tatsachen gelten, für die im Gesetz selbst ausdrücklich als Voraussetzung festgelegt ist, daß die Verjährung noch nicht eingetreten sein darf (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 AO). Dagegen ist es unbeachtlich, ob der festzustellende Einheitswert für spätere Jahre seiner Wirkungsdauer noch steuerliche Bedeutung erlangen könnte, weil von ihm abhängige Steuern für diese späteren Jahre noch nicht verjährt sind. In diesem Fall müßte der Einheitswert eben auf den Zeitpunkt festgestellt werden, zu dem er erstmals steuerliche Wirksamkeit erlangen kann.
Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Aus diesem Grund war seine Entscheidung aufzuheben. Ebenso war die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
Da die Grundsteuer für das Kalenderjahr 1961 verjährt ist, soweit sie auf einem höheren Steuermeßbetrag als 227,50 DM beruht, kann die zum 1. Januar 1961 durchgeführte Berichtigungsfeststellung für das Kalenderjahr 1961 der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden. Die abstrakte Möglichkeit, daß die an die Feststellung eines Einheitswerts anknüpfende Gewerbekapitalsteuer und Vermögensteuer noch nicht verjährt wäre, ist für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung, weil die Revisionsklägerin von diesen Steuern subjektiv befreit ist (§ 3 Nr. 1 GewStG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 VStG). Der Feststellungsbescheid über den Einheitswert und der auf diesem beruhende Veranlagungsbescheid über den Grundsteuermeßbetrag waren dementsprechend ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 68867 |
BStBl II 1970, 173 |
BFHE 1970, 499 |