Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 08.12.2003) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 8. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Vergewaltigung in Tateinheit mit Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren sowie wegen versuchter Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren und wegen Vornahme sexueller Handlungen an einer Person unter 14 Jahren in 3 Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 26.01.2001” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Außerdem beanstandet er das Verfahren.
Das Rechtsmittel hat mit der Rüge der Verletzung von § 52 Abs. 3 StPO Erfolg.
Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, daß das Landgericht die drei Tatopfer vernommen hat, ohne sie gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. Als Töchter der damaligen Ehefrau des Angeklagten sind sie mit dem Angeklagten entgegen der Auffassung der Strafkammer („nicht verwandt und nicht verschwägert”) – auch nach Beendigung der Ehe – in gerader Linie verschwägert (§ 1590 BGB) und daher nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt.
Auf dem Rechtsfehler kann das angefochtene Urteil beruhen:
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten vornehmlich auf die Angaben der Stieftöchter gestützt. Ein Beruhen des Urteils auf dem Unterbleiben der gebotenen Belehrung kann – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – auch nicht mit der Überlegung ausgeschlossen werden, die Zeuginnen hätten auch nach ordnungsgemäßer Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ausgesagt (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 3). Insbesondere sind Anhaltspunkte dafür, daß den Zeuginnen ihr Zeugnisverweigerungsrecht in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht trotz fehlender Belehrung ohnehin bekannt gewesen ist, nicht ersichtlich. Eine ermittlungsrichterliche Vernehmung der Zeuginnen nach ordnungsgemäßer Belehrung, aus der sich eine solche Kenntnis ergeben könnte, war nicht vorausgegangen. Der Umstand, daß die Zeuginnen bei der Polizei nach ordnungsgemäßer Belehrung ausgesagt haben, läßt weder den Schluß zu, daß ihnen ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses auch in der Hauptverhandlung bekannt war, noch rechtfertigt er die Annahme, daß sie nach einer Belehrung erneut zur Aussage bereit gewesen wären.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung. In ihr wird der Tatrichter auch Gelegenheit haben, die vor dem Hintergrund der familiären Situation des Angeklagten für die Beweiswürdigung möglicherweise nicht unerheblichen näheren Umstände der Aufdeckung der Taten sowie die Entstehungsgeschichte der Aussagen festzustellen und im Urteil mitzuteilen. Das aufgehobene Urteil gibt im übrigen Anlaß zu dem Hinweis, daß die Urteilsformel gemäß § 260 Abs. 3 StPO die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben hat und daß bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StPO keine früheren Urteile, sondern „Strafen” einbezogen werden.
Unterschriften
Tolksdorf, Die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach und Becker sind infolge Urlaubs an der Unterzeichnung gehindert. Tolksdorf, Winkler, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 2558007 |
StraFo 2004, 238 |