Normenkette
StGB § 232a Abs. 3; ProstSchG §§ 3, § 3 ff.
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 08.07.2021; Aktenzeichen 10 KLs 471 Js 115431/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 8. Juli 2021 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur objektiven Tatseite aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt; daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils belog der in Deutschland ansässige Angeklagte Ende Oktober 2019 die 20-jährige rumänische Geschädigte P. über Chatnachrichten, er wolle mit ihr in Deutschland eine Familie gründen, sie solle einen Sprachkurs besuchen und er werde ihr ein besseres Leben als in Rumänien ermöglichen. Tatsächlich wollte der Angeklagte die Geschädigte in die Nähe von M. locken, damit sie dort als Prostituierte den monatlichen Lebensunterhalt für beide mit mindestens 3.000 € verdiene (UA S. 37 f.). Am 6./7. Dezember 2019 zog die Geschädigte, die noch nie Rumänien verlassen hatte und ihren Eltern vorspiegelte, sie würde in Rumänien bleiben, im Glauben an eine Liebesbeziehung mit dem Angeklagten in dessen Einzimmerwohnung in G.. Ein paar Tage später forderte der Angeklagte die Geschädigte auf, als Prostituierte zu arbeiten; um sie hierfür gefügig zu machen, würgte er sie, sodass sie kurzzeitig keine Luft bekam, und drohte ihr, sie aus dem 10. Stockwerk eines Gebäudes zu werfen oder an „die Albaner“ auszuliefern. Da sich die Geschädigte weigerte, vermittelte der Angeklagte ihr vorübergehend eine Stelle als Reinigungskraft. Als die Geschädigte in einem Supermarkt arbeiten wollte, entgegnete der Angeklagte, er entscheide, wo sie arbeite. Die Geschädigte trennte sich dennoch nicht vom Angeklagten, weil sie an ihm hing und zudem fürchtete, ohne ihn in Deutschland als Sprachunkundige nicht zurecht zu kommen.
Rz. 3
Aus Furcht vor weiterer Gewalt vereinbarte die Geschädigte Ende Januar 2019 persönlich einen Termin beim Kreisverwaltungsreferat in M., um sich als Prostituierte anzumelden. Der Angeklagte erhielt von der Hausdame N. vom Bordell „V. “ die Zusage, die Geschädigte könne dort als Prostituierte nach der behördlichen Anmeldung arbeiten. Vor dem Termin drohte der Angeklagte der Geschädigten, er werde sie umbringen, falls sie ihn bei der Anmeldung erwähne. Am 31. Januar 2020 offenbarte die Geschädigte gegenüber der Sachbearbeiterin des Kreisverwaltungsreferats, der Angeklagte zwinge sie, als Prostituierte zu arbeiten; nach dem Termin kehrte die Geschädigte nicht zum Angeklagten zurück.
Rz. 4
2. Die Annahme, dass der Angeklagte bereits die Schwelle zum Versuch einer schweren Zwangsprostitution überschritten habe (§ 232a Abs. 3, § 12 Abs. 1, 3, §§ 22, 23 Abs. 1 erster Halbsatz StGB), hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand (dazu unter a)). Auch auf den - im Strafrahmen identischen - Verbrechenstatbestand des besonders schweren Menschenhandels (§ 232 Abs. 3 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 1 StGB) lässt sich die Verurteilung nicht stützen (dazu unter b)).
Rz. 5
a) Der Angeklagte setzte nach seiner Vorstellung noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung einer schweren Zwangsprostitution an (§ 22 StGB).
Rz. 6
aa) Der Täter setzt unmittelbar an, wenn sein Verhalten nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll; dies kann schon anzunehmen sein, bevor der Täter eine dem gesetzlichen Tatbestand unterfallende Handlung ausführt. Das von dem Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens Unternommene muss zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Ob er zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht es im Allgemeinen, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges noch eines neuen Willensimpulses bedarf. Wesentliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ist, inwieweit das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters konkret gefährdet ist (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 2021 - 6 StR 28/21 Rn. 4 f.; Urteile vom 8. Dezember 2021 - 5 StR 236/21 Rn. 27 und vom 17. März 2021 - 4 StR 223/21 Rn. 16; je mwN).
Rz. 7
Der Wortlaut „Aufnahme der Prostitution“ begrenzt dieses Tatbestandsmerkmal dahin, dass das Nötigungsopfer sexuelle Handlungen gegen Entgelt zumindest anbietet, und zwar in der Absicht, solche mit wechselnden Personen zu wiederholen, sich also in diesem Sinne für potentielle Freier wahrnehmbar „bereithält“ (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 - 4 StR 376/99 Rn. 8, BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1 Drohung 1; Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 135/01 Rn. 12, BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 2; je mwN; BT-Drucks. 18/9095, S. 27). Mit einer solchen auf eine sexuelle Dienstleistung abzielenden Handlung des Tatopfers ist die Tat vollendet (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 - 4 StR 376/99 Rn. 11, BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1 Drohung 1; Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 135/01 Rn. 12, BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 2). Aufgrund dieses erforderlichen Bezugs zu unmittelbar nachfolgenden sexuellen Dienstleistungen genügen Verhandlungen mit einem Bordellbetreiber über eine Beschäftigung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. März 1997 - 4 StR 556/96 Rn. 5 mwN, BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1 Prostitution 2) ebenso wenig wie die Erfüllung der Anmeldepflicht nach §§ 3 ff. ProstSchG. Zur Abgrenzung des Vorbereitungsstadiums vom Versuchsstadium kann hier offenbleiben, ob § 232a Abs. 3 StGB ein eigenständiger Tatbestand (so etwa MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 232a Rn. 35; S/S-Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232a Rn. 24; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 232a Rn. 7; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 232a Rn. 32; vgl. zu § 232 Abs. 4 StGB aF BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 297/13 Rn. 22; dazu unter [a]) neben oder eine Qualifikation (so etwa Fischer, StGB, 69. Aufl., § 232a Rn. 26; dazu unter [b]) zu § 232 StGB ist.
Rz. 8
(a) Mit Ausführung der tatbestandsmäßigen Handlung ist die Tat im Versuchsstadium. Bei Erfolgsdelikten ist jedoch eine Wertung erforderlich, ob die in Rede stehende Handlung den Erfolgseintritt unmittelbar herbeiführen soll oder noch weitere Akte erforderlich sind (vgl. BGH, Urteile vom 22. Dezember 2021 - 3 StR 255/21 Rn. 13 und vom 9. Mai 2017 - 1 StR 265/16 Rn. 95; Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 540/10 Rn. 7). Dies bedeutet für die Tathandlung des § 232a Abs. 3 StGB „mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel veranlasst“, also eine für den Erfolg zumindest mitursächliche Handlung (BT-Drucks. 18/9095, S. 32 f.), dass nur solche Nötigungen dem Versuchsbeginn unterfallen, die dem tatbestandlichen Erfolg, der Aufnahme der Prostitution, mithin dem Anbieten von sexuellen Handlungen im vorgenannten Sinne, unmittelbar vorgelagert sind (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 232a Rn. 60; S/S-Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232a Rn. 22; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 232a Rn. 6; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 232a Rn. 31).
Rz. 9
(b) Nichts anderes gilt bei Annahme eines Qualifikationstatbestandes. Denn der Versuch muss sich auf das Verwirklichen des Grunddelikts beziehen; das Ausführen der die Tat qualifizierenden Handlung allein ist nicht ausschlaggebend. Für den Versuchsbeginn kommt es den allgemeinen Grundsätzen entsprechend vielmehr darauf an, ob das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters schon dadurch konkret gefährdet wird, weil sein Handeln nach seinem Tatplan in die Tatbestandsverwirklichung münden soll, ohne dass es eines neuen Willensimpulses bedarf (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2021 - 6 StR 28/21 Rn. 6 und vom 20. September 2016 - 2 StR 43/16, BGHR StGB § 22 Ansetzen 40 Rn. 3; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 4 StR 397/19; je mwN).
Rz. 10
bb) An diesen Vorgaben gemessen überschritt der Angeklagte mit dem Würgen und den mehrfachen Drohungen noch nicht die Schwelle zum Versuch. Denn er wusste, dass er die sich nach wie vor sträubende Geschädigte noch zum Bordell „V. “ fahren musste; dies war auch aus seiner Sicht ein wesentlicher weiterer Schritt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. März 1997 - 4 StR 556/96 Rn. 4 f., BGHR StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1 Prostitution 2), zumal er weiterhin mit Widerstand rechnen musste.
Rz. 11
b) Die Feststellungen tragen auch nicht die Verurteilung wegen besonders schweren Menschenhandels. Zumindest beherbergte der Angeklagte zwar mit Gewalt und durch Drohung mit einem empfindlichen Übel die Geschädigte als eine Person unter 21 Jahren im Dezember 2019 und Januar 2020 (§ 232 Abs. 2 Nr. 1 Varianten 2 und 3 StGB; zur List vgl. BT-Drucks. 18/9095, S. 30). Auch eine Ausbeutungsabsicht drängt sich auf; denn nach der Gesetzesbegründung wird eine solche nicht nur durch ein „grobes, nach den Umständen des Einzelfalls unvertretbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ begründet, sondern auch dann, wenn der Prostituierten „kein angemessener Teil der Einnahmen aus ihrer Tätigkeit … verbleibt“ (BT-Drucks. 18/9095, S. 26). Der Angeklagte wollte offensichtlich zumindest über den überwiegenden Teil der zu erwartenden Einkünfte der Geschädigten verfügen, wie seine Berechnungen beweisen (UA S. 37 f.). Das zusätzlich erforderliche Qualifikationsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit (§ 232 Abs. 3 Satz 2, 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB) ist aber weder festgestellt noch lässt es sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen.
Rz. 12
aa) Gewerbsmäßigkeit bedeutet, dass sich der Täter durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will; die Wiederholungsabsicht muss sich auf das Delikt beziehen, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit qualifiziert ist. Das Qualifikationsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit ist mithin gegeben, wenn der Täter sich eine fortlaufende Einnahmequelle gerade durch die wiederholte Vornahme solcher Handlungen verschaffen will, die den Tatbestand des Menschenhandels erfüllen (zu § 232 Abs. 3 StGB aF vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2019 - 2 StR 202/18 Rn. 14; Urteil vom 12. April 2018 - 4 StR 336/17 Rn. 16 mwN).
Rz. 13
bb) Hier ist bislang nur das Anstreben einer (einmaligen) Aufnahme der Prostitution belegt. Die Absicht, wiederholt mehrere selbständige Taten des Menschenhandels zu begehen, erfordert aber, dass der Angeklagte damit rechnete, die Geschädigte wolle die Prostitutionstätigkeit wieder aufgeben und er müsse sie dann öfters zur Fortsetzung zwingen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2019 - 4 StR 374/18 Rn. 4 f. und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 622/10). Eine solche Intention des Angeklagten ist dem Urteil auch seinem Gesamtzusammenhang nach nicht zu entnehmen.
Rz. 14
c) Da weitergehende Feststellungen zu solchen Absichten des Angeklagten möglich erscheinen, bedarf die Sache zur subjektiven Tatseite der erneuten Aufklärung. Die Urteilsaufhebung erfasst die tateinheitlich begangene Körperverletzung, bezüglich derer zudem weder ein Strafantrag der Geschädigten noch die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses ersichtlich ist, und die als tateinheitlich begangen ausgeurteilte versuchte Nötigung; allein die Feststellungen zum objektiven Geschehensablauf haben Bestand (§ 353 Abs. 1, 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2020 - 1 StR 247/20 Rn. 8; Urteil vom 29. August 2007 - 5 StR 103/07 Rn. 51; je mwN).
Rz. 15
d) Bereits gegen die Zulässigkeit des Adhäsionsantrags, dem die Geschädigte keine Begründung beigefügt hat, bestehen Bedenken (vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. März 2022 - 1 StR 409/21 Rn. 3 mwN). Ohnehin könnte die Adhäsionsentscheidung nicht isoliert Bestand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2021 - 1 StR 315/21 Rn. 14; vom 10. Februar 2021 - 1 StR 478/20 Rn. 16 und vom 11. Dezember 2018 - 5 StR 373/18 Rn. 7 ff.; je mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. März 2022 - 4 StR 356/21 Rn. 14 mwN).
Raum |
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Jäger |
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Fischer |
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Bär |
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Leplow |
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Fundstellen
Haufe-Index 15705778 |
NStZ 2022, 7 |
NStZ-RR 2022, 5 |