Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 12.05.2022; Aktenzeichen 29 U 1503/21) |
LG München I (Entscheidung vom 23.02.2021; Aktenzeichen 39 O 16462/18) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. Mai 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 150.000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin, die Inhaberin der eingetragenen deutschen Wort-Bild-Marke
mit Schutz unter anderem für Abgaskrümmer für Motoren ist, entwickelte einen Abgaskrümmer mit der Bezeichnung K947 und lässt diesen in ihrem Auftrag fertigen.
Rz. 2
Ende Mai 2018 zeigte die Beklagte, die Pkw-Komponenten der Abgastechnik für den freien Ersatzteilmarkt anbietet, in ihrem "H. Online Lieferprogramm" auf ihrer Homepage einen als "H. -Krümmer, Abgasanlage" bezeichneten Abgaskrümmer. Die Klägerin erwarb am 23. Mai 2018 im Rahmen eines Testkaufs bei einem Dritten einen solchen Abgaskrümmer, der auf der Rechnung als "Original H. Abgaskrümmer …" bezeichnet wurde. Das Produkt enthielt auf der rechten Seite die Kennzeichnung "7J11K3". An drei Stellen links davon befanden sich Abflexungen.
Rz. 3
Die Klägerin wandte sich unter dem 30. Mai 2018 an die Beklagte und teilte ihr mit, die H. -Krümmer seien unter rechtswidriger Nutzung der in ihrem Eigentum stehenden Gussmodelle, Werkzeuge und Vorrichtungen gegen ihren Willen produziert und manipuliert worden. Mit Anwaltsschreiben vom 22. Juni 2018 mahnte die Klägerin die Beklagte erfolglos ab und erwirkte sodann den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Beklagte gab keine Abschlusserklärung ab.
Rz. 4
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in Deutschland
a) Abgaskrümmer anzubieten, zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen, die mit den CAD-Gussmodellen und Werkzeugen der Klägerin hergestellt wurden und bei welchen die fest in den Abgaskrümmer eingegossene Marke "LRT" der Klägerin entfernt worden ist, wenn diese die nachfolgend eingelichtete Erscheinung aufweisen:
und/oder
b) Abgaskrümmer unter dem Zeichen "H. " anzubieten, zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen, die mit den CAD-Gussmodellen und Werkzeugen der Klägerin hergestellt wurden und bei welchen die fest in den Abgaskrümmer eingegossene Marke "LRT" der Klägerin entfernt worden ist, wenn dies geschieht wie folgt:
Rz. 5
Die Klägerin hat zudem Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie die Erstattung der Kosten für die Abmahnung und das Abschlussschreiben, jeweils nebst Zinsen, verlangt.
Rz. 6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Mit der angestrebten Revision will sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen.
Rz. 7
II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Beschwerdeverfahren relevant, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 8
Der Unterlassungsanspruch folge nicht aus § 4 Nr. 4 UWG wegen einer gezielten Mitbewerberbehinderung, weil bei den HJS-Krümmern die Herstellerkennzeichnung der Klägerin - "LRT" - abgeflext worden sei und damit der Vertrieb die Werbewirkung der Kennzeichnung der Klägerin unterlaufe. Es könne schon nicht davon ausgegangen werden, dass die H. -Krümmer jemals mit der Kennzeichnung der Klägerin versehen gewesen seien. Die Klägerin schließe dies daraus, dass die H. -Krümmer mit ihren Gussformen und von derselben Gießerei hergestellt worden seien wie ihre eigenen Abgaskrümmer. Es sei daher zwingend ihr Kennzeichen miteingegossen worden; ihre Gussformen wiesen diese Kennzeichnung auf. Die Beklagte stelle jedoch in Abrede, dass die H. -Krümmer auf denselben Gussformen hergestellt worden seien wie die K947-Krümmer der Klägerin.
Rz. 9
Aus den unstreitigen Übereinstimmungen der beiden Krümmer folge zur Überzeugung des Senats nicht, dass die H. -Krümmer auf den Gussmodellen der Klägerin hergestellt worden seien und daher zunächst ihre Kennzeichnung aufgewiesen hätten, zumal in dem Parteigutachten der Klägerin ausgeführt werde, eine Änderung an den Zeichen erfordere eine Umarbeitung der Form. Auch an anderer Stelle werde im Parteigutachten eine Manipulation der Gussform in den Raum gestellt, wenn es dort heiße, (nur) wenn keine Manipulation der Form vorgenommen worden sei, seien die untersuchten Krümmer nach der Gussform verwendungsgleich. Ob in eine manipulierte Gussform weiterhin das Zeichen der Klägerin eingearbeitet sei, sei zweifelhaft.
Rz. 10
Die Klägerin könne ihre Ansprüche auch nicht auf eine unlautere Irreführung wegen einer Täuschung über die Herstellereigenschaft stützen. Zwar gebe die Beklagte in den Artikeldetails ihres Online-Katalogs zu ihrem H. -Krümmer an, Herstellerin zu sein und trage dann selbst vor, tatsächlich nicht Herstellerin zu sein, sondern die Krümmer von Lieferanten zu beziehen. Es fehle jedoch mit Blick auf die Formulierung der Klageanträge an der Begehungsgefahr. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der angegriffene Abgaskrümmer, wie in den Klageanträgen ausdrücklich formuliert, kumulativ mit den CAD-Gussmodellen und den Werkzeugen der Klägerin hergestellt und bei ihm die fest in den Abgaskrümmer eingegossene Marke "LRT" der Klägerin entfernt worden sei. Damit fehle es an einer Entsprechung des Klageantrags mit einem früheren Verhalten der Beklagten (Wiederholungsgefahr). Eine Erstbegehungsgefahr habe die Klägerin diesbezüglich nicht geltend gemacht. Die Begründetheit der Klageansprüche folge auch nicht (hilfsweise) aus Markenrecht.
Rz. 11
III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 12
1. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht braucht dabei zwar nicht jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden; es hat vielmehr bei der Abfassung seiner Entscheidungsgründe eine gewisse Freiheit und kann sich auf die für den Entscheidungsausgang wesentlichen Aspekte beschränken. Es müssen in den Gründen aber die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (BVerfG, NJW-RR 2018, 694 [juris Rn. 18] mwN).
Rz. 13
2. Nach diesen Maßstäben verletzt die angefochtene Entscheidung Art. 103 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht hat erheblichen Vortrag der Klägerin zu der nach seiner Auffassung nicht auszuschließenden Manipulation der Gussformen übergangen.
Rz. 14
a) Die Klägerin hat vor dem Landgericht vorgetragen, ihre beiden vom Privatgutachter begutachteten Abgaskrümmer seien gemäß den Chargen-Nummern vor beziehungsweise nach dem Zeitpunkt hergestellt worden, auf den sich der beanstandete H. -Krümmer datieren lasse. Weil ihre beiden Krümmer formidentisch seien, sei eine zwischenzeitliche Manipulation der Gussform ausgeschlossen. Daraus folge zwingend, dass auch der dazwischen produzierte HJS-Krümmer zunächst das LRT-Logo der Klägerin getragen habe.
Rz. 15
b) Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht bei seiner Auseinandersetzung mit dem Parteigutachten übergangen. Es hat vielmehr, ohne auf diese Ausführungen der Klägerin einzugehen, angenommen, eine Manipulation der Gussform sei nicht auszuschließen und es sei zweifelhaft, ob in eine manipulierte Gussform weiterhin das Zeichen der Klägerin eingearbeitet sei.
Rz. 16
c) Diese Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich.
Rz. 17
aa) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin eine Manipulation der Gussform wegen der vorgetragenen zeitlichen Reihenfolge ausgeschlossen hätte. Eine weitere Gussform kann nach dem Vorbringen der Beschwerde nicht zum Einsatz gekommen sein, weil es sonst an den im Gutachten festgestellten Übereinstimmungen gefehlt hätte.
Rz. 18
bb) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung steht der Entscheidungserheblichkeit nicht entgegen, dass Feststellungen dazu fehlen, dass für beide Krümmer Gusseisen mit Vermiculargraphit verwendet wurde. Das verwendete Material spielt keine Rolle für die Frage, ob die von der Beklagten angebotenen Krümmer und die Krümmer der Klägerin auf derselben Gussform hergestellt worden sind.
Rz. 19
cc) Die Beschwerdeerwiderung wendet auch ohne Erfolg ein, die Klägerin habe darüber hinaus nicht bewiesen, dass alle mit demselben CAD-Gussmodell und Werkzeug hergestellten Produkte gleichartige individuelle Besonderheiten aufwiesen, die wie ein Fingerabdruck den Rückschluss vom fertigen Produkt auf das Gussmodell und das verwendete Werkzeug zuließen.
Rz. 20
Unabhängig davon, dass die Klägerin hierfür nicht nur Zeugenbeweis, sondern schon in erster Instanz auch ein Sachverständigengutachten angeboten hat, stellt dieser Aspekt lediglich einen weiteren möglichen Beweis für die Identität der für die Krümmer verwendeten Gussform dar. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bereits unter Berücksichtigung der von der Klägerin aufgezeigten zeitlichen Reihenfolge zur Überzeugung gelangt, dass alle Modelle aus ein und derselben Gussform stammen.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15768780 |