Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 13.06.2003) |
Tenor
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. Juni 2003 und die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 58 Fällen, Steuerhinterziehung in 24 Fällen und „vorsätzlicher Pflichtverletzung bei Zahlungsunfähigkeit” sowie „vorsätzlichen Verstoßes gegen die Antragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist und seine Revision bleiben ohne Erfolg.
I.
Der – bis zur Urteilsverkündung inhaftierte – Angeklagte und sein Verteidiger Rechtsanwalt Bo erklärten im Anschluß an die Verkündung des Urteils am 13. Juni 2003 und nach erfolgter Rechtsmittelbelehrung jeder für sich, daß auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet werde. Erst danach entschied die Strafkammer über die Fortdauer der Untersuchungshaft, indem sie den Haftbefehl aufhob. Nunmehr verzichtete auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel.
Nach der Ladung zum Strafantritt legte der Angeklagte gegen das Urteil mit einem am 11. November 2003 beim Landgericht eingegangenen Schreiben Revision ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionseinlegung. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er damit, daß er den Rechtmittelverzicht nur zum Schein abgegeben habe, um im Hinblick auf die von ihm als menschenunwürdig angesehenen Haftbedingungen aus der Untersuchungshaft entlassen werden zu können. Er habe sich juristischen Rat eingeholt und danach beabsichtigt, nach Urteilszustellung unverzüglich Wiedereinsetzung zu beantragen, „weil der Rechtsmittelverzicht mit dem Mittel der Folter und einem empfindlichen Übel erpreßt worden” sei. Der nunmehr vom Angeklagten eingeschaltete Verteidiger Rechtsanwalt Box hat ergänzend ausgeführt, daß der Angeklagte aufgrund einer verfahrensbeendenden Absprache mit dem Tatgericht auf Rechtsmittel verzichtet habe und deshalb davon ausgegangen sei, kein Rechtsmittel einlegen zu können. Der Absprache, welche neben einer Strafobergrenze von drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe auch – insoweit nicht protokolliert – die Aufhebung des Haftbefehls und den Rechtsmittelverzicht beinhaltet habe, sei die (demonstrative) Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung des Haftbefehls durch das Landgericht vorausgegangen.
Im Hinblick auf diesen Vortrag sah sich der Senat veranlaßt, die Sache bis zur Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache zurückzustellen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Wiedereinsetzungsantrag versagt.
1. Schon die ordnungsgemäße Glaubhaftmachung jeglichen Wiedereinsetzungsgrundes unterliegt erheblichen Zweifeln.
Der Vorsitzende der Strafkammer ist in einer Stellungnahme vom 30. Juli 2004 der Behauptung des Beschwerdeführers, Gegenstand der verfahrensbeendenden Absprache sei auch der Rechtsmittelverzicht gewesen, ausdrücklich entgegengetreten. Zudem spricht das ursprüngliche Vorbringen des Angeklagten, er habe im Hinblick auf die Haftsituation nur einen „Scheinverzicht” abgegeben, den er zusammen mit dem Urteil auf jeden Fall habe anfechten wollen, gegen den Vortrag des Verteidigers, die Säumnis liege in dem Umstand begründet, daß der Angeklagte aufgrund der Absprache davon ausgegangen sei, kein Rechtsmittel mehr einlegen zu können. Darüber hinaus ist kein nachvollziehbarer Grund vorgebracht oder sonst klar ersichtlich, warum der – bei der Urteilsverkündung anwesende – Angeklagte erst nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe gegen seine Verurteilung vorgehen wollte. Auch nach seinem eigenen Vortrag ist er nach der Urteilsverkündung über seine Rechtsmittelmöglichkeit – und somit auch über die Wochenfrist nach Verkündung des Urteils (§ 341 Abs. 1 StPO) – ordnungsgemäß belehrt worden. Die Zweifel an der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen gehen zu Lasten des Antragstellers (vgl. BGHR StPO § 45 Abs. 2 Glaubhaftmachung 2 m.w.N.).
2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedenfalls unbegründet.
Allerdings hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs durch Beschluß vom 3. März 2005 – GSSt 1/04 – (NJW 2005, 1440) entschieden, daß das Gericht – das im Rahmen einer Urteilsabsprache auf einen Rechtsmittelverzicht nicht hinwirken darf – nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, den Rechtsmittelberechtigten neben der Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 1 StPO stets auch „qualifiziert” darüber belehren muß, daß er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen.
Indes hat das Fehlen der erforderlichen qualifizierten Belehrung lediglich die Wirkung, daß der erklärte Rechtsmittelverzicht unwirksam ist, so daß dem Angeklagten die – hier erheblich überschrittene – einwöchige Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) zur Verfügung gestanden hätte. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision war dies – wie die etwaige unzulässige Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache oder ein ebenfalls unstatthaftes Hinwirken des Gerichts auf einen Rechtsmittelverzicht – ohne Bedeutung. Das Unterlassen der qualifizierten Belehrung zieht nicht die Vermutung des § 44 Satz 2 StPO nach sich (BGH aaO). Insoweit ist auch die vom Angeklagten als vermeintlicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemachte späte Kenntnisnahme von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ohne Relevanz; denn in der Unkenntnis des Angeklagten oder seines Verteidigers von bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (oder gar von dem Beschluß des Großen Senates für Strafsachen) liegt keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO (BGH aaO; BGH, Beschluß vom 19. April 2005 – 5 StR 586/04).
Die Verfahrensweise der Strafkammer im Zusammenhang mit der nach Urteilsverkündung getroffenen Haftentscheidung begegnet, da sie erst nach dem vom Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzicht erging (vgl. § 268b StPO), zwar Bedenken (vgl. für einen ähnlichen Fall BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO Rechtsmittelverzicht 25). Indes ist weder glaubhaft gemacht noch sonst erkennbar, daß der Angeklagte hierdurch bis zur Ladung zum Strafantritt an einer tatsächlich gewünschten Revisionseinlegung gehindert gewesen wäre. Dem Vorbringen des Angeklagten ist nicht etwa zu entnehmen, er habe aus Furcht vor hieraus folgendem erneutem Untersuchungshaftvollzug eine Rechtsmitteleinlegung unterlassen, zumal da er vorgebracht hat, daß er das Urteil nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unbedingt habe anfechten wollen. Ferner ist in keiner Weise wahrscheinlich, daß der anwaltlich beratene Angeklagte wegen der – möglicherweise zu Recht – beanstandeten Verfahrensweise von einem gänzlich unwirksamen, daher nicht vollstreckbaren Urteil ausgegangen sein könnte.
III.
Danach ist die Revision unzulässig, weil verspätet eingelegt (§ 341 Abs. 1 StPO).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2557096 |
NStZ-RR 2005, 350 |