Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 05.11.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 5. November 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Rz. 2
Die angebrachte Verfahrensrüge hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargelegten Erwägungen keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Die sachlich-rechtliche Überprüfung der angegriffenen Entscheidung hat Rechtsfehler nur insoweit ergeben, als eine Entscheidung über die Unterbringung in der Entziehungsanstalt unterblieben ist. Dazu hat der Generalbundesanwalt unter anderem Folgendes ausgeführt:
„Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte bereits in seiner Jugend mit Alkohol und Betäubungsmitteln – Marihuana – in Kontakt kam und seit 2007 regelmäßig Drogen, wiederum Marihuana und auch Kokain, konsumiert. Nach einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und Entlassung aus der Strafhaft im September 2015 wurde der Angeklagte alsbald rückfällig und nahm ab Frühjahr 2016 regelmäßig täglich etwa 0,4 Gramm Heroin, ein Gramm Marihuana sowie – nicht näher genannte Mengen – Kokain zu sich. Daneben trank der Angeklagte regelmäßig Alkohol. Diesen Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum finanzierte der Angeklagte, der über kein eigenes Einkommen verfügt (UA S. 13), durch Ladendiebstähle (UA S. 4). Der Angeklagte war zur Tatzeit wohnungslos und lebte bei dem Zeugen R., dem bereits verurteilten Mittäter der verfahrensgegenständlichen Tat und ebenfalls Betäubungsmittelkonsument (UA S. 12, 17). Der Angeklagte beging die Tat infolge seiner eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit (UA S. 14, 23); er erwarb die Drogen zum unmittelbaren Eigenkonsum und um nach gewinnbringenden Absatzgeschäften seinen weiteren Konsum zu finanzieren (UA S. 13). Die Strafkammer hat deshalb bereits im Urteil ‚für den Fall des Eintritts der weiteren Voraussetzungen’ ihre Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 36 BtMG erteilt (UA S. 23).
Angesichts dieser Umstände lag es nahe, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB vorliegen können, namentlich dass beim Angeklagten ein Hang gegeben ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und die verfahrensgegenständliche Tat darauf beruhte.
Denn ein Hang im Sinne von § 64 StGB liegt bei demjenigen vor, der aufgrund einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder aufgrund einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich nimmt. Für die Annahme eines Rauschmittelkonsums im Übermaß ist es ausreichend, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Eine solche soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 – 2 StR 200/18 – BeckRS 2018, 14698; BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2018 – 4 StR 622/17 – BeckRS 2018, 2820; vom 10. Januar 2018 – 3 StR 563/17 – BeckRS 2018, 1117).
Dass der Angeklagte hier eine intensive Neigung hat, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen, liegt angesichts der Feststellungen zu seinem Konsumverhalten nahe. Da die verfahrensgegenständliche Betäubungsmittelstraftat zumindest auch der Finanzierung des Eigenkonsums des – ansonsten mittel- und wohnungslosen – Angeklagten dienen sollte (UA S. 13), kann auch eine soziale Gefährlichkeit als Folge seines langjährigen Missbrauchs von Betäubungsmitteln nicht ohne nähere Begründung verneint werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2018 – 4 StR 622/17 – BeckRS 2018, 2820). Die festgestellte Eigenkonsumfinanzierung legt auch einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Konsumverhalten und der Betäubungsmittelstraftat nahe (vgl. BGH Beschluss vom 11. Oktober 2017 – 1 StR 410/17 – BeckRS 2017, 138365).
Die unterbliebene Erörterung der Anordnungsvoraussetzungen erweist sich auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die Taten vor dem Hintergrund des eigenen Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten begangen wurden, weshalb die Zustimmung nach § 35 BtMG erteilt wurde (UA S. 23). Denn damit hat die Strafkammer der Sache nach nicht nur den Hang des Angeklagten bejaht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, sondern auch den symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner Abhängigkeit und der begangenen Straftat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2018 – 4 StR 137/18 – BeckRS 2018, 17348). Eine Unterbringung nach § 64 StGB wäre aber gegenüber Maßnahmen nach § 35 BtMG – die das Vollstreckungsverfahren betreffen – vorrangig zu prüfen gewesen, wobei der Tatrichter sein ihm dabei zukommendes Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar in den Urteilsgründen darlegen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2007 – 3 StR 452/07 – NStZ-RR 2008, 73).
Dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Über die Maßregelanordnung ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden. Das Urteil unterliegt mit den zugehörigen Feststellungen insoweit der Aufhebung.”
Rz. 4
Dem schließt sich der Senat an und schließt im Übrigen aus, dass der Strafausspruch von einer unterbliebenen Anordnung einer Maßnahme berührt ist.
Unterschriften
Franke, Krehl, Eschelbach, Zeng, Meyberg
Fundstellen
Haufe-Index 13542465 |
NStZ-RR 2020, 38 |
RPsych 2020, 171 |