Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 30.03.2020; Aktenzeichen 90 Js 30/15 111 Ks 3/16) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 30. März 2020 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zwei Monate als vollstreckt gelten.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von drei Monaten ausgesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die er mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt zum Schuld- und Strafausspruch sowie der angeordneten Maßregel keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
Rz. 3
2. Das Urteil war indes wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung um eine Kompensation für einen Konventionsverstoß (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) zu ergänzen.
Rz. 4
a) Nach den Feststellungen beging der Angeklagte am 14. Juni 2015 eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten, indem er diesen mit einem Kraftfahrzeug auf einer an den Bürgersteig angrenzenden Wiesenfläche gezielt anfuhr und hierdurch verletzte. Durch Beschluss vom 19. Juni 2015 wurde ihm vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein beschlagnahmt. Die Sicherstellung des Führerscheins erfolgte anlässlich seiner Festnahme in dieser Sache am 17. Juli 2015. Die anschließende Untersuchungshaft währte bis zum 2. September 2015. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hob das Amtsgericht Köln auf die Beschwerde des Angeklagten durch Beschluss vom 1. August 2019 auf. Zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Tat stand der Angeklagte aufgrund einer Verurteilung vom 18. April 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie einer Verurteilung vom 25. Februar 2015 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten unter zwei laufenden Bewährungen. Die Bewährungszeiten liefen bis zum 17. April 2017 bzw. bis zum 25. Februar 2017. Beide Strafen wurden im Juli 2017 erlassen. Am 1. Oktober 2018 verurteilte ihn das Amtsgericht Köln wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer – in die hier gebildete Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen – Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 10 EUR.
Rz. 5
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil vom 30. März 2020 bei der Zumessung der Einzelstrafe für die gefährliche Körperverletzung unter anderem zu Gunsten des Angeklagten die ungewöhnliche lange Verfahrensdauer von rund viereinhalb Jahren, von denen „etwa vier Jahre auf fehlende Förderungsmöglichkeiten des Verfahrens durch die Justiz infolge der Bearbeitung von vordinglichen Haftsachen” entfielen, berücksichtigt. Ferner sei der Angeklagte „durch den vorläufigen Entzug seiner Fahrerlaubnis erheblich beeinträchtigt worden – dies führte auch zu beruflichen Nachteilen.” In den persönlichen Verhältnissen ist hierzu festgestellt, dass sich nach einem Praktikum des Angeklagten Ende 2018 / Anfang 2019 die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis mit Blick auf ein festes Beschäftigungsverhältnis als nachteilig erwiesen habe.
Rz. 6
Einen „Abschlag” von der Gesamtfreiheitsstrafe „im Sinne der sogenannten Vollstreckungslösung im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer” hat das Landgericht abgelehnt. Neben dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil seien hierbei die „besonderen Belastungen”, denen der Angeklagte anlässlich einer überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt ist und war, zu berücksichtigen. „Besondere Belastungen” des Angeklagten in diesem Sinne seien nicht festzustellen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, deren lange Dauer im Rahmen der Bemessung der Sperrfrist nach § 69a StGB hinreichende Berücksichtigung erfahren habe.
Rz. 7
b) Die vom Landgericht abgelehnte Entschädigung wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung trägt dem Gewicht des Konventionsverstoßes nicht in genügender Weise Rechnung. Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ergibt sich aus den Urteilsgründen selbst und ist daher auf die Sachrüge zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2018 – 4 StR 184/18, juris Rn. 4; vom 22. Juli 2020 – 1 StR 132/20, juris Rn. 7).
Rz. 8
aa) Für den Fall, dass allein die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als Kompensation nicht ausreicht, ist im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 4 StR 364/08, NJW 2009, 307, 308). Allgemeine Kriterien für diese Entscheidung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane oder einer anderen staatlichen Stelle, sowie die Auswirkungen all dessen auf den jeweiligen Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher nur um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieses Umstandes geht (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 147; Urteile vom 21. April 2011 – 3 StR 50/11, NStZ-RR 2011, 239; vom 13. März 2012 – 5 StR 411/11, NStZ-RR 2012, 244, jeweils mwN).
Rz. 9
bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Sie lassen nicht erkennen, dass die Strafkammer den individuellen Auswirkungen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf den Angeklagten hinreichend Rechnung getragen hat. Dieser musste, nachdem zunächst ein Haftbefehl gegen ihn ergangen und Untersuchungshaft vollstreckt worden war, bis zur Verkündung des angefochtenen Urteils, mithin zusätzlich über den gesamten Verzögerungszeitraum von etwa vier Jahren, mit der Verurteilung zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe rechnen. Zudem stand für ihn bis zum Straferlass im Juli 2017 zu befürchten, dass eine Verurteilung Auswirkungen auf die beiden laufenden Bewährungsverfahren haben könnte. Ferner hatte die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, unabhängig von deren erheblicher Dauer, Ende 2018/Anfang 2019 nachteilige Folgen für seine berufliche Entwicklung. All diese belastenden Umstände hat das Landgericht bei seiner Annahme, es seien keine „besondere[n] Belastungen” des Angeklagten festzustellen, ebenso wenig in den Blick genommen, wie das erhebliche Maß des staatlichen Fehlverhaltens, das darin zu sehen ist, dass das Verfahren – ungeachtet des Laufs einer vorläufigen Maßnahme nach § 111a Abs. 1 StPO und des überschaubaren Tatvorwurfs – über etwa vier Jahre keine Förderung erfahren hat.
Rz. 10
c) Zur Vermeidung einer weiteren Verfahrensverzögerung und um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen trifft der Senat eine Kompensationsentscheidung, wozu er in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO berechtigt ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 3. November 2011 – 2 StR 302/11, NJW 2012, 1463, 1464 Rn. 14; vom 24. Juni 2020 – 2 StR 443/19, juris Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 6. März 2008 – 3 StR 376/07, NStZ-RR 2008, 208, 209; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 391/14, wistra 2015, 241, 242 Rn. 4; vom 10. Dezember 2019 – 5 StR 578/19, juris Rn. 9). Er stellt fest, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zwei Monate Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Dabei hat er auch berücksichtigt, dass die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung für den Angeklagten neben den aufgezeigten Belastungen auch zur Folge hatte, dass die erfolgte Verurteilung aufgrund der eingetretenen Verzögerung keinen Einfluss auf die bis in das Jahr 2017 laufenden Bewährungsverfahren entfaltet hat.
Rz. 11
3. Da die Revision des Angeklagten nur einen geringen Teilerfolg hat, ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1, Abs. 4 StPO).
Unterschriften
Appl, Krehl, Zeng, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14311891 |
NStZ 2021, 7 |
StV 2021, 355 |