Entscheidungsstichwort (Thema)
Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 14. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Die Angeklagten wurden jeweils wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelt in 35 Fällen (§ 266a Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang (§ 407 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) zu zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen verurteilt.
Ihre Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg.
1. Folgendes ist festgestellt:
a) Die Angeklagten waren die Verantwortlichen der türkischen T. AG mit Niederlassung in W., die im Rahmen der Werkvertragskontingentregelung zwischen der Bundesrepublik und der Türkei insbesondere der Baufirma D. in W. türkische Bauarbeiter zur Verfügung stellte.
b) Die Möglichkeiten dieser Regelung reichten für den Arbeitskräftebedarf der Fa. D. nicht aus. Da Selbständige nicht unter diese Regelung fallen, wollten die Angeklagten nach anwaltlicher Beratung eine Gesellschaft mit türkischen Bauarbeitern als Gesellschafter gründen. Dies schrieb der Angeklagte Tu. Y. am 21. März 1995 dem Landratsamt – Ausländeramt – Lichtenfels und bat um „Überprüfung der diesbezüglichen Möglichkeiten”. Ausweislich des Schreibens sollte durch die Gesellschaftsgründung erreicht werden, daß die Arbeiter „einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis mit selbständiger Erwerbstätigkeit stellen können, so daß diese Arbeiter mit diesem Visum uneingeschränkt für uns bzw. die Fa. D. tätig sein können”.
Die Firma D. bat das Landsratsamt mit Schreiben vom 23. März 1995, „den Antrag der Fa. T., Facharbeiter zu stellen, zu bewilligen”. Sie brauche für ihre Baustellen kurzfristig Maurer, Betonbauer, Schaler, Putzer und Pflasterer.
c) Gegenüber dem Landratsamt äußerten sich auf dessen Anfrage die IHK Bayreuth und das Arbeitsamt Coburg. Während die IHK Bayreuth dem Anliegen der Fa. T. positiv gegenüberstand, brachte das Arbeitsamt Coburg mit längeren, auch auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützten rechtlichen Ausführungen Bedenken zum Ausdruck: Aus den Schreiben vom 21. und 23. März 1995 gehe hervor, daß nicht selbständige sondern Arbeitnehmertätigkeit geplant sei.
d) Was das Landratsamt in den nächsten Monaten den Angeklagten mitteilte, ergeben die Urteilsgründe nicht. Jedoch errichteten der Angeklagte Ta. Y. und 29 türkische Bauarbeiter durch notariellen Vertrag vom 19. November 1995 die Y. & Co Bauunternehmung in W.. Ihr Gegenstand war „die Erbringung von Werkleistungen auf dem Gebiet des Hoch-, Tief- und Ausbaus und artverwandte Leistungen”. Kein Gesellschafter außer Ta. Y. war vertretungsberechtigt. Durch weiteren notariellen Vertrag vom 7. Januar 1996 traten weitere acht türkische Bauarbeiter als Gesellschafter ein, zwei traten aus. Tu. Y. gehörte der Gesellschaft nicht an, hatte aber bestimmenden Einfluß.
e) Er legte die Verträge dem Landratsamt vor. Der Sachbearbeiter R. hatte Bedenken gegen die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen und wandte sich an den Regierungsdirektor Ri., der die Genehmigungen mit folgender Auflage erteilte: „Gilt nur für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit als Gesellschafter innerhalb der GdbR Fa. Y. & Co, W., zum Zwecke der Erbringung von Werkleistungen für die Fa. D. , W.”. Die Auffassung des Arbeitsamts Coburg ließ er außer Betracht, da dies „nach den Richtlinien des Innenministeriums am Verwaltungsverfahren nicht zu beteiligen gewesen sei”.
f) Zwischen April und September 1996 setzten die Angeklagten die Gesellschafter so ein, wie Bauarbeiter üblicherweise eingesetzt werden. Sie zahlten ihnen Gewinnanteile in Höhe des Tariflohns für Bauarbeiter. Bei Lohnzahlungen in gleicher Höhe wären Sozialabgaben von insgesamt 118.000 DM angefallen.
2. Die Angeklagten haben fehlendes Unrechtsbewußtsein geltend gemacht. Ihnen sei „signalisiert worden, daß der von ihnen eingeschlagene Weg rechtlich zulässig sei”.
3. Das Landgericht geht von einem Verbotsirrtum aus, den die Angeklagten jedoch hätten vermeiden können (§ 17 Satz 2 StGB). Sie hätten sich nicht auf die Aufenthaltsgenehmigungen verlassen dürfen, sondern hätten bei der Arbeits- oder Sozialverwaltung nachfragen müssen. Das Landratsamt hätte dem von ihnen erweckten Eindruck, die türkischen Bauarbeiter sollten selbständige Tätigkeit ausüben, vertraut. Darüber hinaus stehe in einem von „T.” Y. – welcher Angeklagte das ist, bleibt letztlich offen – unterschriebenen Brief vom 16. Mai 1997 an die Fa. D., es seien Leistungen „entgegen gültigem Recht” ausgeführt worden. Schließlich hätten sie auch die AOK Lichtenfels getäuscht; dieser hatten sie „unrichtig angegeben, daß die ‚Gesellschafter’ Arbeitnehmer der T. AG sind und daher eine Absicherung über die SSK” – Türkische Krankenversicherung – „besteht”. All dies belege, daß sie schuldhaft gehandelt hätten.
4. Diese Erwägungen sind in ihrem Ansatz widersprüchlich.
a) Eine auf einer Täuschung durch den Anfrager basierende Auskunft könnte keinen Verbotsirrtum begründen, da der Anfrager dann weiß, daß das, was er tut, nicht dem entspricht, wozu er eine Auskunft erhalten hat.
b) Ebensowenig läge ein Verbotsirrtum vor, wenn die Angeklagten unabhängig vom Verhalten des Landratsamts ihr Verhalten für verboten gehalten hätten.
In all diesen Fällen wären die Angeklagten aber von der Annahme eines – auch vermeidbaren – Verbotsirrtums nicht beschwert.
5. Die Annahme, die Angeklagten hätten das Landratsamt getäuscht oder sonst das Verbotene ihres Tuns erkannt, wird jedoch von den Feststellungen nicht getragen:
a) Selbst wenn das Landratsamt – im Gegensatz zum Arbeitsamt, das mit den Briefen vom 21. und 23. März 1995 keine andere Erkenntnisgrundlage hatte – über die vorgesehene Tätigkeit der Bauarbeiter geirrt hat, so ist nicht ersichtlich, daß dieser Irrtum auf dem Verhalten der Angeklagten beruhte. Diese haben gegenüber dem Landratsamt weder ausdrücklich unwahre Tatsachen erklärt, noch wesentliche Tatsachen verschwiegen. Ein nicht auf den Anfrager zurückgehender behördlicher Irrtum kann sich nicht zu dessen Lasten auswirken.
b) Hinsichtlich des Briefs vom 16. Mai 1997 ist über die genannte Passage hinaus nichts mitgeteilt. Selbst wenn sich die Leistungen entgegen gültigem Recht auf das Verhalten der Angeklagten im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsvertrag beziehen sollten, so erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß etwaige entsprechende Erkenntnisse der Angeklagten zur Tatzeit noch nicht vorlagen, sondern Ergebnis der zwischenzeitlich gegen sie eingeleiteten Ermittlungen waren. Damit hätte sich die Strafkammer auseinandersetzen müssen.
c) Auch zu der genannten Angabe gegenüber der AOK Lichtenfels ist näheres nicht mitgeteilt. Vor allem deckt sich diese im Rahmen der rechtlichen Würdigung getroffene Feststellung aber nicht mit dem Inhalt der im Rahmen der Beweiswürdigung mitgeteilten Aussagen des Zeugen A. von der AOK Lichtenfels, die zu alledem nichts enthält, sondern nur die rechnerischen Grundlagen zur festgestellten Höhe der nichtabgeführten Sozialabgaben betrifft.
Mitgeteilt ist demgegenüber die Aussage des Zeugen K. von der AOK Burgkunstadt, der bekundet hat, daß für die Gesellschafter „entsprechende” Bescheinigungen der SSK vorgelegen hätten, die nicht gelten würden, soweit „diese türkischen Staatsangehörigen unselbständig im Rahmen der Y. GbR gehandelt hätten”.
Gewürdigt ist diese als glaubhaft bezeichnete Aussage nur dahin, daß sie dem insgesamt gefundenen Ergebnis nicht entgegensteht.
All dies ist unklar. Wenn der AOK Burgkunstadt Bescheinigungen der SSK vorlagen, die einen Versicherungsschutz (nur) für Selbständige beinhalteten, hätte es der Darlegung bedurft, warum für die Angeklagten Anlaß bestand, gegenüber der AOK Lichtenfels zu behaupten, die Gesellschafter seien deshalb bei der SSK versichert, weil sie Arbeitnehmer der Fa. T. seien.
Die Feststellungen und Erwägungen im Zusammenhang mit dem Verhalten der Angeklagten gegenüber der AOK können nach alledem nicht Grundlage von Schlüssen zum Nachteil der Angeklagten sein.
6. Da also nicht davon ausgegangen werden kann, daß die Angeklagten das Verbotene ihres Tuns erkannt hatten, ist entscheidend, ob sie, wie das Landgericht meint, ihren Irrtum vermeiden konnten.
Dies war zu verneinen.
a) Da die Angeklagten wegen der gesellschaftsrechtlichen Vertragsgestaltung die maßgeblichen ausländer- und sozialrechtlichen Bestimmungen nicht für anwendbar hielten, handelt es sich um einen Irrtum über letztlich berufsspezifische Rechtsfragen, der die Schuld nur entfallen läßt, wenn zuvor ausreichende Erkundigungen eingezogen wurden (vgl. Tröndle/Fischer StGB, 49. Aufl. § 17 Rdn. 9 m.w.Nachw.). Dieser Erkundigungspflicht sind die Angeklagten durch das Schreiben an das Landratsamt und die Vorlage des notariellen Vertrages nachgekommen. Wenn auch ausdrückliche Ausführungen des Landratsamts gegenüber den Angeklagten nicht festgestellt sind, so hat es doch in Kenntnis der Ziele der Angeklagten und aller tatsächlichen Umstände – durch einen Regierungsdirektor – mit der Erteilung der Aufenthaltsgenehmigungen Entscheidungen im Sinne der Angeklagten getroffen. An derartigen behördlichen Entscheidungen kann der Bürger in aller Regel sein Verhalten ausrichten, ohne Bestrafung befürchten zu müssen (vgl. schon für behördliche Auskünfte BayOblG GA 1966, 182, 183; Friedrich-Christian Schroeder in LK 11. Aufl. § 17 Rdn. 43 m.w.Nachw.).
b) Entgegen der Annahme des Landgerichts brauchten die Angeklagten nicht bei noch weiteren Stellen Rechtsrat einholen. Dies wäre nur der Fall, wenn die angefragte Behörde zur Beantwortung für den Anfrager erkennbar unzuständig wäre.
aa) Das Landratsamt – Ausländeramt – war für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigungen zuständig, die Grundlage der vorgesehenen beruflichen Tätigkeit der türkischen Bauarbeiter im Inland waren. Es hat jedoch letztlich nicht zu befinden, ob eine bestimmte Art der Berufsausübung als selbständig zu bewerten ist.
bb) Für die Annahme, daß sich das Landratsamt gleichwohl auch für die Beurteilung dieser Frage für kompetent gehalten hat, spricht indessen, daß es die von ihm – unbeschadet von Verwaltungsrichtlinien – selbst eingeholte eingehende fachliche Stellungnahme des Arbeitsamts außer Betracht gelassen hat.
Andererseits hat Regierungsdirektor Ri. ausweislich der Urteilsgründe ausgesagt, er habe „gegenüber den Angeklagten … nicht zum Ausdruck gebracht, daß die ausländerrechtlichen Genehmigungen für sich alleine ein ‚Freibrief’ für das Handeln der Angeklagten seien”.
cc) Letztlich braucht der Senat aber nicht zu entscheiden, ob sich das Landratsamt insgesamt für kompetent gehalten hat oder nicht:
Fragt ein Bürger bei einer nicht offensichtlich insgesamt unzuständigen Behörde nach der Erlaubtheit eines Vorhabens, so muß diese den Anfragenden darauf hinweisen, wenn sie sich selbst nicht für genügend kompetent zur Beurteilung dieses Vorhabens hält (BayObLG aaO).
Ein solcher ausdrücklicher Hinweis kann unter den gegebenen Umständen nicht dadurch ersetzt werden, daß die Erklärung, die Genehmigungen seien ein Freibrief, unterlassen wurde.
dd) Darauf, daß die Angeklagten jedenfalls bei der IHK Bayreuth, einer für die Beurteilung einschlägiger berufsspezifischer Rechtsfragen ebenfalls kompetenten Stelle (vgl. OLG Zweibrücken StV 1992, 119, 120), offenbar auch keine andere Auskunft bekommen hätten (vgl. oben 1 c), kommt es daher nicht mehr an.
7. Die Sache bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne daß es auf das übrige Revisionsvorbringen noch ankäme.
Der beantragte Freispruch durch den Senat kommt dagegen nicht in Betracht, weil insbesondere im Zusammenhang mit dem Brief vom 16. Mai 1997 und dem Verhalten der Angeklagten gegenüber der AOK (vgl. oben 5 b, c) noch Feststellungen möglich erscheinen, die einen Schuldspruch tragen können (vgl. BGHSt 36, 316, 319).
Unterschriften
Schäfer, Maul, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 556628 |
NStZ 2000, 464 |
wistra 2000, 257 |
BayVBl. 2001, 284 |