Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 31.01.2020; Aktenzeichen 101 Js 22/17 323 KLs 28/19) |
Tenor
Die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen den Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
1. Der Senat hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2020 den Antrag des Verurteilten, ihm nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 31. Januar 2020, hilfsweise zur Anbringung von Verfahrensrügen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, als unzulässig und seine Revision gegen das vorbezeichnete Urteil als unbegründet verworfen.
Rz. 2
Hiergegen macht der Verurteilte mit einer „Rügeschrift” vom 3. Februar 2021 geltend, sein rechtliches Gehör sei in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 356a StPO). Er beanstandet insbesondere, der Senat habe sein Recht auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass er ihm keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der von seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt S. verspätet angebrachten Verfahrensrügen gewährt habe. Der Senat habe die Anforderungen zur Erlangung von Wiedereinsetzung überspannt. Zwar sei die Revision von seinen beiden Pflichtverteidigern form- und fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden, bei den nachgeschobenen Verfahrensrügen handele es sich jedoch um von den Sachrügen unabhängige Angriffe gegen das tatrichterliche Urteil. In dem angefochtenen Beschluss vom 2. Dezember 2020 werfe der Senat ihm zudem vor, eine gesetzliche Frist bis zuletzt ausgeschöpft zu haben.
Rz. 3
Daneben macht er als Gehörsverstoß geltend, in dem angefochtenen Beschluss werde auf seine von seinem Wahlverteidiger nachgeschobenen Ausführungen zur Sachrüge nicht eingegangen, was besorgen lasse, dass der Senat die dort angeführten Angriffe gegen die Beweiswürdigung des tatrichterlichen Urteils bei seiner Beratung und Entscheidung nicht berücksichtigt habe.
Rz. 4
2. Die zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet, weil die Entscheidung des Senats nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Verurteilten beruht.
Rz. 5
a) Das Landgericht hat den Angeklagten am 31. Januar 2020 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil haben die beiden Pflichtverteidiger des Angeklagten jeweils form- und fristgerecht Revision eingelegt. Am 23. April 2020 wurde die Zustellung des Urteils an die Pflichtverteidiger bewirkt. Die Urteilszustellung an den Wahlverteidiger Rechtsanwalt S. konnte auf dem Postweg nicht bewirkt werden. Die zuzustellenden Unterlagen gelangten am 6. Mai 2020 zurück auf die Geschäftsstelle des Landgerichts, wo sie Rechtsanwalt S. nach telefonischer Unterrichtung am 7. Mai 2020 persönlich abholte.
Rz. 6
Mit bei Gericht am 22. Mai 2020 eingegangenen Schriftsätzen haben die beiden Pflichtverteidiger die Revision mit der Sachrüge begründet und beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen, jedenfalls aber im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben; zugleich haben sie erklärt, dass die Vorschriften der §§ 61 bis 76a StGB über die Maßregeln der Bemessung und Sicherung vom Rechtsmittelangriff ausgenommen sein sollen.
Rz. 7
Mit einem auf Montag, den 8. Juni 2020, datierten Schriftsatz, der am 9. Juni 2020 in den Nachtbriefkasten der Justizbehörde eingeworfen wurde, hat auch Rechtsanwalt S. die Revision mit der allgemeinen Sachrüge und mehreren Verfahrensbeanstandungen begründet. Mit weiterem Schriftsatz, datiert auf den 9. Juni 2020, hat er beantragt, dem Angeklagten „Wiedereinsetzung in die Frist zur Revisionsbegründung, hilfsweise in die [mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020 erhobenen] Verfahrensrügen … zu gewähren”. Zur Begründung hat er vorgetragen und anwaltlich versichert, „es sei ihm bis zum Fristablauf um Mitternacht nicht möglich” gewesen, die Revisionsbegründung anzufertigen und einzureichen, weil die von seinem Sekretariat in den Schriftsatz eingefügten Urkunden aus den – ihm ausschließlich in digitaler Form vorliegenden – Verfahrensakten sich aufgrund eines Defekts der Datenverarbeitungssoftware seiner Kanzlei nicht mehr hätten aufrufen und reproduzieren lassen.
Rz. 8
In seinem Verwerfungsantrag vom 23. Juli 2020 hat der Generalbundesanwalt u.a. darauf hingewiesen, dass – ungeachtet des Fehlens der Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung – die nachgeschobenen Verfahrensrügen mit einer Ausnahme auch deshalb unzulässig seien, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügten.
Rz. 9
Mit Schriftsatz vom 6. August 2020 hat der Wahlverteidiger unter Nachreichung der vom Generalbundesanwalt als fehlend beanstandeten Dokumente beantragt, dem Angeklagten Wiedereinsetzung zur Nachholung der nicht formgerecht begründeten Verfahrensrügen zu gewähren. Es stelle eine verfahrensrechtlich nicht gebotene Verkürzung des Rechts auf rechtliches Gehör und des Zugangs zum Revisionsgericht dar, wenn eine versehentlich unterbliebene Wiedergabe eines vollständigen Gerichtsbeschlusses zur Unzulässigkeit einer Verfahrensrüge führe.
Rz. 10
Mit weiterem Schriftsatz vom 1. September 2020 hat Rechtsanwalt S. darum gebeten, mit der Beratung und Entscheidung der Sache bis zum 18. September 2020 zuzuwarten, er beabsichtige die Sachrüge noch näher auszuführen.
Rz. 11
Diesem Anliegen hat der Senat entsprochen, indem er den erst am 30. September 2020 erfolgten Eingang des weiteren Revisionsbegründungsschreibens abgewartet und am 2. Dezember 2020 über die Revision des Verurteilten entschieden hat.
Rz. 12
b) Ein Gehörsverstoß liegt nicht darin, dass der Senat den Wiedereinsetzungsantrag des Verurteilten zur Nachholung und zur „Nachbesserung” von Verfahrensrügen zurückgewiesen hat.
Rz. 13
aa) So ist bereits zweifelhaft, ob – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – der für eine Wiedereinsetzung geltend gemachte Hinderungsgrund hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht ist.
Rz. 14
bb) Jedenfalls lagen – wie im Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 ausgeführt – weder die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen noch für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel von nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrügen vor. Auch das neuerliche Vorbringen des Verurteilten gibt dem Senat keinen Anlass, von der Rechtsprechung abzuweichen, wonach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder „Nachbesserung” von Verfahrensrügen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. Mai 2004 – 2 StR 458/03; BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts; vom 10. Juli 2008 – 3 StR 239/08; vom 28. August 2018 – 5 StR 245/18).
Rz. 15
Ein solcher Ausnahmefall ist bei einem mehrfach verteidigten Angeklagten im Allgemeinen nicht gegeben, wenn schon die übrigen Verteidiger die Revision form- und fristgerecht begründet haben. Eine von der Rechtsprechung anerkannte besondere Verfahrenslage, in der die Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensbeanstandungen ausnahmsweise gewährt werden kann, liegt nicht vor. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn dies – anders als hier – zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten unerlässlich erscheint (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019 – 3 StR 498/18 mwN).
Rz. 16
Soweit der Verurteilte die Formulierung in dem angefochtenen Beschluss, durch die zweite Zustellung der Urteilsurkunde an den Wahlverteidiger sei die Revisionsbegründungsfrist für den Beschwerdeführer insgesamt sogar verlängert worden, als rechtlich verfehlt beanstandet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Erfolgt in Fällen der Mehrfachverteidigung entgegen Nr. 154 Abs. 1 Satz 2 RiStBV die Zustellung an mehrere Verteidiger zu unterschiedlichen Zeiten, führt dies für den Verurteilten zu einer faktischen Fristverlängerung (BGH, Urteil vom 30. August 1990 – 3 StR 459/87, BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 37 Rn. 29). Hier wurde die Revisionsbegründungsfrist mit Urteilszustellung an die beiden Pflichtverteidiger am 23. April 2020 in Gang gesetzt und endete aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten weiteren Zustellung an Rechtsanwalt S. erst am 8. Juni 2020. Mithin standen dem Verurteilten damit insgesamt mehr als sechs Wochen zur Begründung seiner Revision zur Verfügung.
Rz. 17
Nicht nachvollziehbar ist die Beanstandung des Verurteilten, ihm oder seinem Verteidiger werde vorgeworfen, eine gesetzliche Frist bis zuletzt ausgeschöpft zu haben. Nicht die Ausschöpfung der Revisionsbegründungsfrist, sondern deren Überschreitung führt hier zur Unzulässigkeit der erhobenen Verfahrensrügen.
Rz. 18
c) Auch soweit mit der „Rügeschrift” bemängelt wird, der Senat sei auf die nachgeschobenen Ausführungen zur Sachrüge in dem Schriftsatz des Wahlverteidigers vom 30. September 2020, die nach der Antragsschrift des Generalbundesanwalts und dessen Antragstellung gemäß § 349 Abs. 2 StPO vorgetragen worden waren, nicht näher eingegangen, liegt ein Gehörsverstoß nicht vor. Der Senat hat auf Bitte des Wahlverteidigers mit seiner Entscheidung über den 18. September 2020 hinaus bis zum Eingang des angekündigten Schriftsatzes zugewartet, darin enthaltene Ausführungen zur Sachrüge zur Kenntnis genommen, bei seiner Beratung umfassend gewürdigt und im Ergebnis für nicht durchgreifend erachtet.
Rz. 19
Näher begründen musste er dies nicht. Das Verfahrensgrundrecht, das die Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert, wird im Revisionsverfahren für den beschwerdeführenden Angeklagten dadurch gewährleistet, dass er seine Revision innerhalb einer bestimmten Frist begründen und eine Gegenerklärung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft abgeben kann. Grundsätzlich hat der Beschwerdeführer gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zwar Anspruch darauf, dass das Revisionsgericht auch seine nachgeschobenen Ausführungen zur Kenntnis nimmt und prüft, nicht jedoch kann er verlangen, dass ihm die Gründe, aus denen seine Beanstandungen für nicht durchgreifend erachtet werden, im Verwerfungsbeschluss mitgeteilt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 2007 – 2 StR 277/06 mwN; BGH, Beschlüsse vom 14. September 2004 – 1 StR 124/04, NStZ-RR 2005, 14, 15; vom 21. August 2008 – 3 StR 229/08, NStZ-RR 2008, 385; vom 21. Oktober 2015 – 4 StR 241/15 je mwN). Ebenso wenig ist es geboten, wegen nachträglicher Ausführungen zur Sachrüge die Akten an den Generalbundesanwalt zurückzugeben, damit dieser seine Antragsschrift ergänzt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2008 – 3 StR 229/08, NStZ-RR 2008, 385).
Rz. 20
3. Damit beruht die Entscheidung weder auf Verfahrensstoff, zu dem der Revisionsführer nicht gehört worden wäre, noch hat der Senat zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen. Im Übrigen hätten die nachgeschobenen Verfahrensrügen der Revision aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts nicht zum Erfolg verholfen.
Rz. 21
4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO.
Unterschriften
Appl, Eschelbach, Zeng, Meyberg, Grube
Fundstellen
Haufe-Index 14425218 |
NStZ-RR 2023, 166 |
NStZ-RR 2023, 167 |