Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 20.08.2007) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. August 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 3 der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung verurteilt ist. Der hierzu ergangene Einzelstrafausspruch und der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe werden aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen sowie wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die dagegen mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision erzielt lediglich mit der Sachrüge im Fall II. 3 der Urteilsgründe einen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel erfolglos im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte seit Ende der 90er Jahre häufig Kontakt zu Frauen auf, die er im Bereich des Hamburger Hauptbahnhofs ansprach. Daraus ergaben sich oft Sexualkontakte; in mehreren Fällen kam es auch zum Geschlechtsverkehr. Das Landgericht hat in drei Fällen die Einlassung des Angeklagten, die sexuellen Handlungen seien freiwillig geschehen, widerlegt und sich jeweils vom Vorliegen eines Sexualverbrechens überzeugt.
Rz. 3
a) Der Angeklagte schubste am 15. Januar 2003 die Zeugin L. zu Boden, setzte sich auf die sich wehrende Frau, fixierte deren Hände und versuchte, ihre Hose auszuziehen. Der Angeklagte entblößte sein Glied und kam zur Ejakulation (Fall 1: versuchte Vergewaltigung; Freiheitsstrafe ein Jahr).
Rz. 4
b) Am 8. Juni 2005 drückte der Angeklagte sein Opfer in ein Gebüsch, kniete sich über die junge Frau, entkleidete sie gewaltsam, fasste sie am ganzen Körper an und masturbierte bis zur Ejakulation. Anschließend drang er mit seinem Glied, den Widerstand der Zeugin überwindend, in deren Vagina ein (Fall 2: Vergewaltigung; Freiheitsstrafe zwei Jahre und sechs Monate).
Rz. 5
c) Am 16. März 2006 fasste der Angeklagte die damals 14-jährige Nebenklägerin mit einer Hand am Handgelenk und mit der anderen Hand so fest an der Schulter an, dass diese dort Schmerzen verspürte. Er drückte sie vor einer Steinmauer auf die Knie, führte die Hand der Zeugin an sein entblößtes Glied und brachte die eingeschüchterte Nebenklägerin zur Vornahme des Handverkehrs und durch Herandrücken des Kopfes zur Ausführung des Oralverkehrs (Fall 3: Vergewaltigung; Freiheitsstrafe drei Jahre und drei Monate).
Rz. 6
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält im Fall II. 3 hinsichtlich der Vornahme erzwungenen Oralverkehrs der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit nicht in BGHSt 51, 144 abgedruckt). Die Zeugin hat hierzu im Ermittlungsverfahren mehrfach – auch frühere Falschaussagen bestätigend – falsch ausgesagt (von fünf jugendlichen Südländern eingekreist; mit Messern zum Handverkehr und Oralverkehr an zwei Tätern gezwungen; nach Auswertung von Überwachungsfilmen: einem Täter zu den übrigen Tätern gefolgt; später: nur ein Täter, aber Messereinsatz; Oralverkehr unter Messereinsatz mit Sperma im Mund).
Rz. 7
Das Landgericht hat deshalb im Ansatz zutreffend – wegen der zurückgenommenen, den Angeklagten indes bewusst übertreibenden Belastung eines durch Messereinsatz erzwungenen Oralverkehrs – nach Umständen gesucht und solche erwogen, die außerhalb der Aussage der Nebenklägerin die Vornahme von Oralverkehr begründen können (vgl. BGH StV 1998, 250; BGHSt 44, 256). Davon war das Landgericht trotz des für plausibel gehaltenen Falschbelastungsmotivs der Zeugin hier nicht entbunden (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 511). Die Nebenklägerin hat nämlich nicht nur eine einzelne, aus plausibler Motivation übertreibende Falschaussage getätigt, sondern während mehrerer Vernehmungen variiert wahrheitswidrig ausgesagt.
Rz. 8
Das Landgericht hat indes den im Wesentlichen einzigen außerhalb der Aussage der Nebenklägerin festgestellten belastenden Umstand – Befeuchtung der Hosen der Nebenklägerin an den Knien – zu Unrecht als „starkes Indiz” (UA S. 39) für die Ausübung von Oralverkehr gewertet. Dieser belastende Umstand trägt nämlich – wie auch die Beschmutzung der Jacke der Nebenklägerin durch Sperma des Angeklagten – zum Nachweis der behaupteten Sexualpraktik nicht wesentlich bei, belegt vielmehr nur die Vornahme abgenötigten Handverkehrs in kniender Stellung.
Rz. 9
3. Der Senat ändert demnach den Schuldspruch im Fall II. 3 der Urteilsgründe (vgl. BGHSt 32, 357, 361). Hinsichtlich eines Verbrechens der sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wird die Aussage der Nebenklägerin durch rechtsfehlerfrei festgestellte weitergehende belastende Umstände (vgl. BGH StV 1998, 250; BGHSt 44, 256) bestätigt (Spuren an der Hose; offensichtliche Unfreiwilligkeit, UA S. 38 f.; Parallelen zu den Fällen II. 1 und II. 2, UA S. 41), was auch die Annahme einer sexuellen Nötigung zweifelsfrei rechtfertigt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23). Der Senat schließt aus, dass eine Verurteilung wegen Vergewaltigung noch möglich sein wird.
Rz. 10
4. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung der Einsatzstrafe und der Gesamtfreiheitsstrafe. Eine Auswirkung auf die übrigen Einzelstrafen lässt sich hier sicher ausschließen. Die einen erzwungenen Oralverkehr begründenden Feststellungen entfallen. Einer weitergehenden Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler nicht. Der neu berufene Tatrichter wird die Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafe auf der Grundlage der aufrechterhaltenen Feststellungen treffen können, die lediglich um solche ergänzt werden können, die den bestehen gebliebenen Feststellungen nicht widersprechen.
Unterschriften
Basdorf, Raum, Brause, Schaal, Jäger
Fundstellen