Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 04.02.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 4. Februar 2002 im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde erhebt. Das Rechtsmittel ist lediglich zum Maßregelausspruch begründet.
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Insoweit verweist der Senat auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Mai 2002 (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Die Anordnung der Unterbringung des – bis dahin nicht vorbestraften – Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand. Eine derartige Maßregel beschwert den Betroffenen außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit neuerlicher schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, daß von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. nur BGHR StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8). Die vom Landgericht hierzu angestellten Erwägungen erweisen sich teils als nicht tragfähig, teils leiden sie unter Erörterungsmängeln.
a) Den getroffenen Feststellungen zufolge leidet der im Jahr 1974 geborene Angeklagte seit seiner Geburt an einem Hirnschaden mit cerebralem Anfallsleiden. Damit einher gehen Störungen im Sozialverhalten, die mit verbaler und tätlicher Aggressivität, mit Störungen im Anpassungsverhalten, mit sexuellen Auffälligkeiten im Sinne eines Exhibitionismus sowie einer Oligophrenie vom Grade der Debilität (IQ 57) verbunden sind. Eine Psychose oder eine Neurose liegt beim Angeklagten nicht vor. Der vom Landgericht vernommene Sachverständige hat ausgeführt, daß die abgeurteilte Tat sich auch nicht als blindwütiges Ausagieren mit Eigengesetzlichkeiten darstelle.
Nachdem der Angeklagte 1990 zunächst in ein Heim des Diakoniewerkes aufgenommen und für ihn seit dem 18. Lebensjahr eine Betreuung angeordnet worden war, befand er sich seit Oktober des Jahres 2000 wiederholt wegen „aggressiver Agitationszustände” im Bezirkskrankenhaus Regensburg. Zuvor war er in einer sog. beschützenden Einrichtung „nicht führbar gewesen”, weil er verschiedene Male gegen Mitpatienten und Personal aggressiv vorging, namentlich biß und kratzte. In einem Falle war er mit einer Schere auf das Pflegepersonal losgegangen.
Im Bezirkskrankenhaus Regensburg kam es zur verfahrensgegenständlichen Tat: Zwei Pflegekräfte wollten den Angeklagten in ein anderes Zimmer bringen. Im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit aufgrund seines beschriebenen Zustandes beschimpfte dieser eine weibliche Pflegekraft als „Hure, Nutte und Schlampe” und trat ihr mit dem Fuß in die rechte Magengegend sowie in die rechte Brustkorbseite. Dadurch erlitt diese eine Rippenprellung und hatte Bauchschmerzen.
b) Zur Begründung der Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte könne sich aufgrund der angeborenen Intelligenzminderung jederzeit in aggressive Erregungszustände hineinsteigern. In diesem Zustand seien weitere erhebliche rechtswidrige Straftaten zu erwarten. Obwohl er bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sei, sei es in den zurückliegenden Jahren immer wieder zu aggressiven Durchbrüchen gekommen. So sei er gegen Mitpatienten und Pflegepersonal „in Form von Beißen und Kratzen” aggressiv geworden und bei einer Gelegenheit habe er dem Pflegepersonal mit einer Schere gedroht. Er sei für die Allgemeinheit gefährlich, da jede Person, die mit ihm in räumliche Berührung komme, bei einem Aggressionsdurchbruch gefährdet sein könne.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehe der Unterbringung nicht entgegen. Die bestehende zivilrechtliche Unterbringung könne durch den Betreuer jederzeit beendet werden. Die Sicherung der Allgemeinheit gebiete es, daß nicht allein der Betreuer über die Beendigung der Unterbringung entscheiden könne. Eine Aussetzung der Anordnung zur Bewährung (§ 67 b StGB) komme nicht in Betracht. Die Unterbringung in einer geeigneten beschützenden Einrichtung sei aufgrund der Aggressivität des Angeklagten nicht möglich.
c) Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts unter Würdigung der Person, des Vorlebens und der Tat des Angeklagten bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wird den von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht.
Der Angeklagte ist bisher unbestraft und war zur Tatzeit fast 27 Jahre alt. In die zu stellende Prognose wäre daher der bisherige Lebensweg weitergehend als geschehen einzubeziehen gewesen. Besonderer Erörterung hätten seine Lebensbedingungen und etwaige zurückliegende relevante Ausfallerscheinungen – wie auch deren etwaiges Fehlen – bedurft. Darüber hinaus wäre es erforderlich gewesen, die Ursachen für das vom Landgericht nur ganz allgemein gekennzeichnete frühere Aggressionsverhalten des Angeklagten darzustellen und darauf näher einzugehen. Dies gilt zumal im Blick darauf, daß zustandsbedingte Taten, die im Rahmen einer Unterbringung gegen das Pflegepersonal und unter Umständen gegen Mitpatienten begangen werden, nur eingeschränkt Anlaß für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB sein können. Es bedarf dann der Erörterung, ob und inwieweit solche Taten oder Verhaltensweisen ihre Ursache auch in der durch die Unterbringung für den Betreffenden gegebenen Situation haben können (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26 = NStZ 1999, 611).
Darüber hinaus ist die vom Landgericht sowohl im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung als auch mit den Erwägungen zu einer etwaigen Aussetzung der Maßregel zur Bewährung angestellte Überlegung, eine bestehende zivilrechtliche Unterbringung sei nicht ausreichend, da sie vom Willen des Betreuers abhänge, in dieser Allgemeinheit nicht tragfähig. Auf der Grundlage des Bayerischen Unterbringungsgesetzes hängt die Unterbringung unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl. Art. 1 Abs. 1 BayUnterbrG) von einem Antrag der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde und einer Entscheidung des nach § 70 Abs. 5 FGG zuständigen Gerichts ab (Art. 7 Abs. 3 BayUnterbrG).
Nach allem wird der neue Tatrichter den bisherigen Lebensweg und das Verhalten des Angeklagten sowie seine im Urteil eher allgemein beschriebenen Aggressionen einschließlich deren Ursachen konkreter zu erörtern und auf dieser Grundlage eine tragfähige Prognose unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzugeben haben. Dabei – wie auch bei der Frage einer etwaigen Aussetzung der Maßregel zur Bewährung – wird schließlich die Möglichkeit einer Unterbringung nach Landesunterbringungsrecht mit zu bedenken sein, wenngleich diese nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Aussetzung der strafrechtlichen Unterbringung nur dann rechtfertigen kann, wenn die landesrechtliche Unterbringung sich für die Pflege des Betroffenen und für die angestrebten Zwecke als günstiger erweist (vgl. nur BGHR StGB § 67 b Abs. 1 besondere Umstände 1, 3, 5).
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 2559367 |
NStZ 2002, 590 |