Verfahrensgang
LG Aachen (Entscheidung vom 02.03.2023; Aktenzeichen 66 KLs 13/22) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 2. März 2023 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit er in den Fällen II. 3. bis II. 5. der Urteilsgründe freigesprochen worden ist und
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung es ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Rz. 2
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch wegen Diebstahls (Fall II. 1. der Urteilsgründe) und wegen versuchten Raubes (Fall II. 2. der Urteilsgründe) - Tatzeiten jeweils April 2020 - keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Rz. 3
2. Hingegen halten die Freisprüche in den Fällen II. 3. bis 5. der Urteilsgründe und der Maßregelausspruch gemäß § 63 StGB revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 5
aa) Im Mai 2021 litt der Angeklagte unter einer akuten floriden halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Er litt unter einer „unkorrigierbaren Wahnvorstellung“; sein Wahnsystem bezog sich auf die Zeugin L., mit der er im selben Unternehmen tätig war. Er ging davon aus, mit ihr in einer Liebesbeziehung zu sein. Unter einem Vorwand suchte er sie überraschend am 7. Mai 2021 unter ihrer Privatanschrift auf, umarmte sie im Hausflur und „redete […] derart wirr, dass die Zeugin sich der Situation entziehen wollte“. Der Zeugin, die die Wohnungstür nur angelehnt hatte, gelang es unter einem Vorwand, das Mehrfamilienhaus zu verlassen und sodann u.a. ihren ehemaligen Freund von dem Vorfall zu informieren. Dieser begab sich zu der Wohnung der Zeugin, in der er den Angeklagten antraf und ihn aus der Wohnung zog. Der über den Vorfall unterrichtete gemeinsame Arbeitgeber beendete daraufhin am selben Tag das Arbeitsverhältnis mit dem Angeklagten.
Rz. 6
Am 12. Mai 2021 erschien der Angeklagte in den Räumlichkeiten seines ehemaligen Arbeitgebers und verlangte, die Zeugin L. zu sprechen. Nachdem er durch den Betriebsleiter aufgefordert worden war, die Räumlichkeiten und das Gelände zu verlassen, entfernte sich der Angeklagte zunächst, betrat jedoch sodann erneut die Räumlichkeiten. Dabei führte er einen Spaten mit sich, den er allerdings später ablegte. Auch einer erneuten Aufforderung, das Gebäude zu verlassen, kam er nicht nach. Gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten wurde er lauter und aggressiver und flüchtete schließlich in die Büroräumlichkeiten. Dort kam es mit den Polizeibeamten, die ihm gefolgt waren, zu einer Rangelei, bei der der Angeklagte einem am Boden liegenden Beamten auf das Knie trat. Im weiteren Verlauf brachten sodann mehrere Beamte den sich wehrenden Angeklagten unter erheblichen Kraftaufwand zu Boden und fesselten ihn an Händen und Füßen (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
Rz. 7
bb) Im Frühjahr 2022 befand sich der Angeklagte „wiederum in einem akuten psychotischen, schizomanischen Zustand“. Seine Handlungen wurden erneut von seinem Liebeswahn geleitet, der sich nunmehr auf die Zeugin V. bezog. Der Angeklagte suchte sie mehrfach in einem Eiscafé auf, in dem sie als Bedienung arbeitete. Dort versuchte er am 7. März 2022 Kontakt zu ihr aufzunehmen, was ihm durch mehrere Personen, die sich ihm in den Weg stellten, nicht gelang. Dabei sprach er wiederholt davon, „dass dies zwar nach einem Plan A friedlich geregelt werden könne, sein Plan B aber vorsehe, dass er sich auch mit Gewalt gegen die Zeugen den Zutritt verschaffe“ (Fall II. 4. der Urteilsgründe).
Rz. 8
cc) Am 19. März 2022 ging der Angeklagte erneut in einem akut psychotischen Zustand zu dem Eiscafé und wollte mit der Zeugin V. reden. Ein Mitarbeiter des Eiscafés forderte ihn auf, die Räumlichkeiten zu verlassen, woraufhin der Angeklagte diesen zu schubsen begann, einen Metallstuhl anhob und mit diesem auf den Mitarbeiter zuging. Nachdem gegen den Angeklagten ein Tierabwehrspray eingesetzt worden war, ließ dieser „von seinem Vorhaben ab“ und flüchtete sich bis zum Eintreffen der Polizei auf die Toilette (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
Rz. 9
b) Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten der psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Diese hat nach Anwesenheit in der Hauptverhandlung und an mehreren vorangegangenen Hauptverhandlungen des Schöffengerichts, jedoch - mangels Mitwirkung - ohne Exploration des Angeklagten, ausweislich der Urteilsgründe im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Rz. 10
Der Angeklagte leide spätestens seit Mai 2021 an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Im Mai 2021 sei bei einem Klinikaufenthalt in der LVR-Klinik in D. erstmals eine psychotische Störung diagnostiziert worden. Im Rahmen der Verhandlungen vor dem Schöffengericht im März 2022 habe sie den Angeklagten als floride psychotisch erlebt. Er habe auch zu diesem Zeitpunkt an einer unkorrigierbaren Wahnvorstellung gelitten. Er sei deutlich kritik- und urteilsgemindert gewesen, weshalb sie zu dieser Zeit von seiner Verhandlungsunfähigkeit ausgegangen sei. Die Psychose habe sich chronifiziert und sei behandlungsbedürftig. Auch im Rahmen der jetzigen Hauptverhandlung habe noch eine Kritik- und Urteilsminderung vorgelegen. Der Angeklagte sei krankheits- und behandlungsuneinsichtig.
Rz. 11
Bei der Tatbegehung am 12. Mai 2021 sei der Angeklagte akut floride psychotisch gewesen. Er habe sich in einer wahnhaften Störung in der Ausprägung eines Liebeswahns befunden. Dabei habe ein unkorrigierbares Wahnsystem bestanden, das für ihn handlungsleitend gewesen sei. Nicht auszuschließen sei deshalb, dass seine Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt ausgeschlossen war.
Rz. 12
Auch bei der Tatbegehung im März 2022 habe sich der Angeklagte in einem Zustand einer wahnhaften Störung befunden. Er habe erneut unter einer akut floriden Psychose gelitten, die wiederum handlungsleitend gewesen sei. Seinen Liebeswahn habe er zu diesem Zeitpunkt auf die Zeugin V. projiziert. Dies schließe sie insbesondere „aus den Aussagen der diesbezüglichen Zeugen, die ihn als ‚nicht erreichbar wie im Wahn‘ beschrieben“ hätten. Auch bezüglich dieses Geschehens sei nicht auszuschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des wahnhaften Erlebens und des ausgeprägten Wahnsystems aufgehoben gewesen sei.
Rz. 13
c) Mit diesen Ausführungen werden die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt.
Rz. 14
aa) Wenn sich der Tatrichter - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung einer Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er deren wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98, und vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243). Erforderlich ist neben der Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte - wie im vorliegenden Fall - eine Exploration abgelehnt hat (BGH, Beschluss vom 31. Januar 1997 - 2 StR 668/96, BGHR StGB § 63 Zustand 21).
Rz. 15
bb) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Rz. 16
Es fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen. Die Urteilsgründe teilen auch insoweit lediglich das Ergebnis der medizinischen Diagnose der psychiatrischen Sachverständigen mit, wonach das Verhalten des Angeklagten gegenüber den Zeugen und den Polizeibeamten die Annahme einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie belege. Als Anknüpfungspunkte für diese Diagnose werden Umstände von nur begrenzter und nicht näher erläuterter Aussagekraft herangezogen, wie etwa die Aussagen von Zeugen, die den Angeklagten als „nicht erreichbar wie im Wahn“ beschrieben hätten. Eine situationsbezogene Erörterung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten unter dem Einfluss der psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Taten fehlt. So wird etwa nicht erkennbar erwogen, dass der Angeklagte im Fall II. 3. der Urteilsgründe von sich aus den zunächst mitgeführten Spaten frühzeitig und freiwillig ablegte und nicht einsetzte, sich mithin situationsangepasst verhielt.
Rz. 17
d) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den (fehlerhaft) auf § 20 StGB gestützten Freispruch in den Fällen II. 3. bis II. 5. der Urteilsgründe aufzuheben. Denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1, und vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75). Sorgfältiger als bisher wird gegebenenfalls auch zu prüfen sein, ob von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 - 2 StR 424/20, juris Rn. 16 mwN).
Rz. 18
3. Die Sache bedarf - naheliegenderweise unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen - im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 19
Um dem neuen Tatgericht eine widerspruchsfreie, einheitliche Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen, hebt der Senat den gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen auf. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe wird überdies die Tagessatzhöhe festzusetzen sein (§ 40 Abs. 2 StGB). Das Tatgericht ist bei der - bisher vergessenen - Festsetzung der Höhe der Tagessätze an das Verbot der Schlechterstellung nicht gebunden, jedoch dürfen nach der letzten tatrichterlichen Entscheidung eingetretene Einkommens- und/oder Vermögensverbesserungen nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1980 - 4 StR 653/80, juris Rn. 4 mwN).
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Zeng |
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Grube |
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RiBGH Schmidt ist urlaubsabwesend und an der Unterschrift gehindert. |
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Fundstellen
Haufe-Index 16262304 |
NStZ-RR 2024, 223 |