Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 05.04.2019) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 5. April 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch der Strafausspruch ist frei von durchgreifenden Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten. Soweit das Landgericht bei der Zumessung der Strafen für den Betäubungsmittelbesitz die Fälle II.2. und II.3. der Urteilsgründe verwechselt hat, beruht dies auf einem offensichtlichen Schreibversehen; aus der Begründung wird deutlich, dass die Strafkammer für den Kokainbesitz eine höhere Strafe als für den Besitz von Marihuana verhängen wollte.
Rz. 3
2. Dagegen hält das Urteil rechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ohne Begründung unterblieben ist. Über die aus § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO folgende Pflicht hinaus ist die Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung auch ohne Antrag aus sachlichrechtlichen Gründen zu begründen, wenn sich die Anordnung nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängte (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, juris Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 267 Rn. 37; KK-Kuckein/Bartel, StPO, 8. Aufl., § 267 Rn. 44; jeweils mwN). Das war hier der Fall.
Rz. 4
Im Einzelnen:
Rz. 5
a) Das – nicht sachverständig beratene – Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seit seinem 16. oder 17. Lebensjahr regelmäßig und schließlich täglich Marihuana konsumierte und später zusätzlich ein- bis zweimal je Woche Kokain zu sich nahm. Zuletzt steigerte er den Konsum von Marihuana und konsumierte überdies Alkohol in erheblichen Mengen; insbesondere an den Wochenenden betrank er sich häufig. Während der Untersuchungshaft litt er unter Entzugserscheinungen, die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht vollständig abgeklungen waren.
Rz. 6
Im Fall II.1. der Urteilsgründe geriet der Angeklagte in der Tatnacht in Begleitung mehrerer Personen nach vorangegangenem Rauschgift- und Alkoholkonsum anlässlich einer zufälligen Begegnung auf der Straße mit einer anderen Gruppe alkoholisierter Personen in eine körperliche Auseinandersetzung. Seine BAK betrug 0,9 ‰. Genauere Feststellungen zu Art und Menge der konsumierten Drogen hat das Landgericht nicht getroffen, indes ergibt sich aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte infolge seines Alkohol- und Drogenkonsums enthemmt, jedoch in seinem Steuerungsvermögen nicht erheblich beeinträchtigt war. In diesem Zustand schlug der Angeklagte nach einem Gerangel, bei dem er leicht verletzt wurde, einem Zeugen, von dem keinerlei Angriff ausging, mit voller Wucht in das Gesicht, sodass dieser zu Boden fiel. Unmittelbar anschließend trat er dem auf dem Boden Liegenden absichtlich mit voller Wucht mit dem Fuß gegen den Kopf; sodann flüchtete er.
Rz. 7
Nach seiner Festnahme aus Anlass dieser Tat war der Angeklagte im Besitz von insgesamt 0,8 Gramm Kokain (Fall II.2. der Urteilsgründe).
Rz. 8
Etwa zwei Monate später bewahrte er in seiner Hosentasche 0,25 Gramm Marihuana auf (Fall II.3. der Urteilsgründe).
Rz. 9
b) Nach den getroffenen Feststellungen hätte das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in Betracht ziehen müssen; das Vorliegen ihrer Voraussetzungen drängte sich auf.
Rz. 10
Ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB (vgl. zu den Voraussetzungen BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2011 – 3 StR 429/10, juris Rn. 4; vom 6. Februar 2018 – 3 StR 629/17, juris Rn. 12) liegt schon angesichts der festgestellten Entzugserscheinungen auf der Hand. Auch liegt die Annahme des erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang des Angeklagten und seinen Straftaten – der bereits dann zu bejahen ist, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 – 3 StR 191/09, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 5) – nahe, da der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe in einem Zustand rauschmittel- und alkoholbedingter Enthemmung den Geschädigten verletzte und die Kleinmengen Rauschgift in den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe offenbar zum Eigenkonsum besaß. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht gefährlich im Sinne des § 64 Satz 1 StGB ist, sind auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht ersichtlich. Auch die für die Anordnung der Maßregel erforderliche Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) scheidet nicht von vornherein aus, zumal der Angeklagte bisher nicht therapiert wurde.
Rz. 11
c) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss daher – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Hoch, Anstötz, Erbguth
Fundstellen
Haufe-Index 13548439 |
RPsych 2020, 182 |