Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnung der Arbeitserziehung nach der Verordnung über des Aufenthaltsbeschränkung
Tenor
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Naumburg zurückgegeben.
Gründe
I.
1. Der Betroffene ist durch Urteil des Kreisgerichts Haldensleben vom 2. November 1967 wegen „Fahren unter Alkohol und ohne Fahrerlaubnis, in Tateinheit wegen unbefugter Benutzung eines Kraftfahrzeuges, gemäß § 49 StVO, § 91 StVZO, § 1 der VO gegen unbefugten Gebrauch von Kfz vom 20.10.1932 und wegen Anstiftung eines Jugendlichen zur Begehung einer strafbaren Handlung, gemäß § 6 JGG, zu einer Gesamtstrafe von 8 – acht – Monaten Gefängnis” verurteilt worden. Ferner ist gegen ihn „gemäß der Verordnung vom 24.8.61 die Arbeitserziehung” angeordnet worden (vgl. § 3 Abs. 2 der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung vom 24. August 1961 [AufhBeschrV] – GBl. DDR II S. 343, insoweit mit Wirkung zum 1. Juli 1968 aufgehoben durch § 4 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 [EGStGB/StPO-DDR] – GBl. I S. 97). Die Arbeitserziehung wurde vom 29. April 1968 bis zum 27. November 1969 in der StVA Thale (Arbeitserziehungskommando) im Anschluß an die Vollstreckung der Gefängnisstrafe vollzogen.
Nach den Feststellungen des vorgenannten Urteils trat der Betroffene nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit der Deutschen Reichsbahn im April 1967 in seiner Gemeinde als Außenseiter, starker Trinker und Arbeitsbummelant in Erscheinung und übte einen negativen Einfluß auf andere Jugendliche aus. Seinen Lebensunterhalt bestritt er unter anderem dadurch, daß er seinen Eltern Getreide entwendete, dieses verkaufte und den Erlös in erster Linie für alkoholische Getränke verbrauchte. Am 28. August 1967 beging er unter Alkoholeinfluß Straftaten, die Gegenstand der Verurteilung zu der Gesamtgefängnisstrafe sind. Zu der Anordnung der Arbeitserziehung hat das Kreisgericht ausgeführt:
„Nachdem bereits vor der strafbaren Handlung vom Rat der Gemeinde Nordgermersleben, auf Anraten der Mutter des Angeklagten D. ein Beschluß auf die Erteilung der Arbeitserziehung ergangen war, wurde dieser Beschluß berücksichtigt und dem Angeklagten D. neben der ausgesprochenen Gefängnisstrafe die Arbeitserziehung gemäß der Verordnung vom 24.8.61 auferlegt. Diese ist begründet, da er Monate hindurch nicht gewillt war, einen Arbeitsplatz aufzunehmen und in dieser Zeit auf Kosten der Gesellschaft lebte”.
2. Das Landgericht Magdeburg hat den „Antrag des Betroffenen, ihn wegen der Verurteilung durch das Kreisgericht Haldensleben vom 02.11.1967” (…) „zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten zu rehabilitieren”, durch Beschluß vom 22. April 1997 zurückgewiesen. Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Beschwerde hat der Betroffene ausgeführt, er habe nicht die Verurteilung „wegen Fahrens unter Alkohol und ohne Fahrerlaubnis” anfechten wollen, „sondern die anschließende Arbeitserziehung im Arbeitslager Thale”.
3. Das Oberlandesgericht Naumburg möchte die Beschwerde als unbegründet verwerfen. Es ist der Auffassung, Anordnungen nach § 3 Abs. 2 AufhBeschrV seien „in der Regel nicht als Ausdruck politischer Verfolgung zu werten,” da der Gesetzgeber diese Vorschrift nicht in den – als abschließend anzusehenden – Regelaufhebungskatalog des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG aufgenommen habe. Die Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung sei nicht „generell” rechtsstaatswidrig, mit der Folge, daß alle Verurteilungen, die auf ihrer Grundlage ergangen seien, schon deshalb ebenfalls als rechtsstaatswidrig im Sinne von § 1 Abs. 1 StrRehaG angesehen werden müßten. Auch Anordnungen nach § 3 Abs. 2 AufhBeschrV seien „nicht als schlechthin und von vornherein rechtsstaatswidrig anzusehen.” Vielmehr sei eine solche Anordnung nur dann rehabilitierungsfähig, wenn im Einzelfall „hinreichende Anhaltspunkte” dafür vorlägen, daß sie aus politischen Gründen erfolgt sei oder aus sonstigen Gründen grob rechtsstaatswidrig sei. Das sei hier nicht der Fall.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Naumburg durch die Beschlüsse des 3. Beschwerdesenats für Rehabilitierungssachen des Kammergerichts in Berlin vom 30. September 1993 – 3 Ws 487/93 REHA – und vom 12. November 1993 – 3 Ws 544/93 REHA – gehindert, denen gerichtliche Anordnungen der Beschränkung des Aufenthalts gemäß § 3 Abs. 1 AufhBeschrV zugrunde lagen, die das Kammergericht jeweils als rechtsstaatswidrig im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG angesehen und aufgehoben hat. Das Oberlandesgericht Naumburg entnimmt diesen Beschlüssen, das Kammergericht vertrete die Auffassung, schon die Anwendung der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung als solche sei als hinreichender Rehabilitierungsgrund anzusehen, weil die Verordnung wegen der Unbestimmtheit der darin enthaltenen „Straftatbestände”, insbesondere auch des § 3 Abs. 2 AufhBeschrV, mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sei und die Verordnung zudem dem Zweck gedient habe, den Bestand und die Sicherheit des totalitären Systems der DDR zu erhalten und ihre Entwicklung durch Zwangsmaßnahmen gegen ihre Bewohner durchzusetzen. Es hat daher die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 13 Abs. 4 StrRehaG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
„Sind strafrechtliche Entscheidungen, die aufgrund von § 3 Abs. 2 der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung vom 25.08.1961 (GBl. DDR II S. 343) ergangen sind, allgemein nach § 1 Abs. 1 StrRehaG für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben oder ist jeweils im Einzelfall festzustellen, daß die Entscheidung der politischen Verfolgung gedient hat?”
4. Der Vorsitzende des 3. Beschwerdesenats für Rehabilitierungssachen des Kammergerichts hat auf Anfrage des Generalbundesanwalts ohne weitere Begründung mitgeteilt, der Senat halte an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.
5. Der Generalbundesanwalts ist der Auffassung, eine die Vorlegungspflicht begründende Abweichung liege vor. Die Frage der Rehabilitierungsfähigkeit hänge sowohl bei Anordnungen der Aufenthaltsbeschränkung als auch bei Anordnungen der Arbeitserziehung davon ab, ob die Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung wegen der Unbestimmtheit der Norm generell mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. Dies könne – ungeachtet der Verschiedenheit der Fallgestaltungen in tatsächlicher Hinsicht – nur einheitlich beurteilt werden. Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
„Strafrechtliche Entscheidungen, die gemäß § 3 Abs. 2 der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung vom 25. August 1961 – GBl. DDR II S. 343 – ergangen sind, sind nach § 1 Abs. 1 StrRehaG jedenfalls dann nicht generell für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, sondern einer Einzelfallprüfung zu unterziehen, wenn die Arbeitserziehung als weitere Rechtsfolge neben einer wegen einer Straftat verhängten Strafe angeordnet wurde”.
II.
Die Voraussetzungen für die Vorlegung sind nicht gegeben, da das Oberlandesgericht Naumburg mit der beabsichtigten Entscheidung weder von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts (Bezirksgerichts), insbesondere auch nicht von den genannten Beschlüssen des Kammergerichts, noch von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen würde.
1. Allerdings hat das Oberlandesgericht hinreichend dargetan, daß die vorgelegte Rechtsfrage für die beabsichtigte Verwerfung der Beschwerde entscheidungserheblich ist (vgl. BGHSt 33, 183, 185; 43, 241, 244; Hannich in KK-StPO 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 37; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 121 GVG Rdn. 10, jew. m. w. N.).
a) Der beabsichtigten Verwerfung der Beschwerde als unbegründet steht nicht entgegen, daß sich der angefochtene Beschluß des Landgerichts nur zu der Verurteilung des Betroffenen zu der Gefängnisstrafe, nicht aber zu der gegen ihn getroffenen Anordnung der Arbeitserziehung verhält. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat dazu in ihrer Antragsschrift unter anderem ausgeführt, das Landgericht habe gleichwohl auch insoweit in der Sache entschieden, da es „die Rehabilitierung wegen der Verurteilung vom 02.11.1967” abgelehnt habe. Eine Zurückverweisung an das Landgericht, die nur in Ausnahmefällen zulässig sei, komme daher nicht in Betracht. Dieser Auffassung ist ersichtlich auch das Oberlandesgericht. Sie ist, auch soweit es die Annahme einer beschwerdefähigen Entscheidung über den Antrag des Betroffenen betrifft, ihn „wegen der Verurteilung vom Kreisgericht zur Arbeitserziehung zu rehabilitieren,” vertretbar und deshalb vom Senat bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen hinzunehmen (vgl. BGHSt 43, 285, 287; Hannich aaO Rdn. 43 m. w. N.).
b) In diesem Sinne vertretbar ist auch die Annahme des Oberlandesgerichts, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StrRehaG für die vom Betroffenen erstrebte Rehabilitierung lägen nach dem Ergebnis der nach seiner Auffassung gebotenen Einzelfallprüfung nicht vor, da „nach den Umständen seines Strafverfahrens” keine „hinreichenden Anhaltspunkte” dafür ersichtlich seien, daß die Anordnung der Arbeitserziehung gegen den Betroffenen der politischen Verfolgung gedient habe oder daß sie aus anderen Gründen „grob rechtsstaatswidrig” sei. Die dieser Annahme zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Wertungen sind nachvollziehbar. Dies gilt im Ergebnis auch, soweit das Oberlandesgericht, allerdings ohne dies näher auszuführen, ein grobes Mißverhältnis im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG zwischen der Anordnung der Arbeitserziehung und der ihr zugrundeliegenden Tat verneint hat.
Der Vollzug der Arbeitserziehung, die nach § 3 Abs. 2 AufhBeschrV vom Kreisgericht gegen „arbeitsscheue Personen” auf Verlangen der örtlichen Volksvertretungen oder ihrer Räte (vgl. § 1 Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung vom 24. August 1961 [1. DB AufhBeschrV] – GBl. II S. 344) angeordnet werden konnte, ähnelte dem Vollzug von Strafen mit Freiheitsentzug im Sinne von §§ 38 ff. StGB-DDR 1968 (zur Arbeitserziehung gem. § 42 StGB-DDR vgl. OLG Brandenburg VIZ 1995, 318 und 430). Sie wurde in der Regel (vgl. § 19 Abs. 2 Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz vom 12. Januar 1968 [SVWG] – GBl. I S. 109) in der „allgemeinen Vollzugsart” (§ 16 SVWG) vollzogen. Die Verurteilten wurden in Arbeitserziehungskommandos oder Arbeitserziehungsabteilungen untergebracht und waren als Strafgefangene (§ 25 Abs. 1, 2 SVWG) verpflichtet, die ihnen zugewiesene Arbeit in volkseigenen Betrieben oder gleichgestellten Betrieben „ordnungsgemäß zu erfüllen” (§§ 27, 28 SVWG).
Demgemäß bedarf die Frage, ob die Anordnung von Arbeitserziehung zu der zugrundeliegenden Tat in einem groben Mißverhältnis steht, im Einzelfall besonders sorgfältiger Prüfung (vgl. OLG Brandenburg VIZ 1995, 430, 431). Insoweit hätte hier zwar der Erörterung bedurft, daß eine Höchstdauer der Arbeitserziehung im Zeitpunkt der Verurteilung des Betroffenen nicht festgelegt war und daß er im Anschluß an die Verbüßung der gegen ihn verhängten Gefängnisstrafe fast neunzehn Monate in dem Arbeitserziehungskommando Thale untergebracht war. Die der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG zugrundeliegende Wertung des Oberlandesgerichts ist aber gleichwohl noch vertretbar. Die Dauer der gegen den Betroffenen angeordneten Arbeitserziehung ist nämlich mit der Aufhebung des § 3 Abs. 2 AufhBeschrV auf höchstens zwei Jahre ab Inkrafttreten des StGB-DDR (1. Juli 1968) beschränkt worden (vgl. § 4 Abs. 2 EGStGB/StPO-DDR). Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann schließlich nicht außer Betracht bleiben, daß es im Zeitpunkt ihrer Anordnung in der Bundesrepublik Deutschland auch außerhalb des Strafrechts eine freiheitsentziehende Maßnahme gab, die mit einer obligatorischen Arbeitspflicht verknüpft war. § 26 Abs. 1 BSHG vom 30. Juni 1961 (BGBl. S. 815) eröffnete nämlich die Möglichkeit, jemand zur Arbeitsleistung in einer abgeschlossenen Anstalt unterzubringen, der sich trotz wiederholter Aufforderung beharrlich weigerte, zumutbare Arbeit zu leisten, so daß ihm oder einem Unterhaltsberechtigten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden mußte (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift vgl. BVerfG ZfF 1971, 23).
2. Das Oberlandesgericht würde jedoch mit der beabsichtigten Entscheidung nicht von einer Rechtsauffassung abweichen, die tragende Grundlage (vgl. BGHSt 7, 314, 315; 30, 160, 162/163; Hannich aaO Rdn. 38 m. w. N.) der Beschlüsse des Kammergerichts vom 30. September 1993 – 3 Ws 487/93 REHA – und vom 12. November 1993 – 3 Ws 544/93 REHA – gewesen ist. Zwar ist auch insoweit von der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts auszugehen, sofern diese vertretbar ist (BGHSt 16, 321, 324; BGH NStZ 2000, 222; Hannich aaO Rdn. 43 m. w. N.). Dies ist jedoch nicht der Fall:
a) Der Entscheidung des Kammergerichts vom 30. September 1993 kann – auch bei großzügiger Auslegung – nicht entnommen werden, daß es schon die Anwendung einer Vorschrift der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung als solche als hinreichenden Rehabilitierungsgrund angesehen hat (hinsichtlich § 3 Abs. 2 AufhBeschrV ausdrücklich offengelassen in den Entscheidungen des KG [5. Beschwerdesenat für Rehabilitierungssachen] VIZ 1994, 150 und des OLG Jena, Beschluß vom 27. Januar 1994 – 2 Ws – Reha 146/93). Das Kammergericht hat zur Begründung seiner Rehabilitierungsentscheidung, die eine Anordnung der Beschränkung des Aufenthalts nach § 3Abs. 1 AufhBeschrV betraf, unter anderem ausgeführt:
„Die genannte Verordnung ist schon deswegen mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar, weil sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit von Straftatbeständen widerspricht.
Darüber hinaus stellt die herangezogene Rechtsnorm eine flankierende Maßnahme der von der DDR kurz zuvor getroffenen politischen Entscheidung des Baus der Berliner Mauer dar. Ihrem Wortlaut nach bezweckt die Vorschrift Gefahrenabwehr. Die Anordnung von Aufenthaltsbeschränkungen sowie von Arbeitserziehung dienten jedoch dem Zweck, den Bestand und die Sicherheit des totalitären Systems der DDR zu erhalten und ihre Entwicklung durch Zwangsmaßnahmen gegen ihre Einwohner durchzusetzen.”
Das Kammergericht hat aber nicht schon die Anwendung der Verordnung als solche als hinreichenden Rehabilitierungsgrund angesehen, sondern eine Prüfung der Umstände des Einzelfalles für geboten erachtet. Es hat dazu ausgeführt:
„Ebenso wie eine Verurteilung” (…) „nach § 249 StGB/DDR ist aber auch eine Verurteilung wegen Vergehens nach § 3 der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG als rechtsstaatswidrig aufzuheben, wenn die Entscheidung im Einzelfall der politischen Verfolgung gedient hat.
Maßgeblich ist dabei, ob die Entscheidung zur Ahndung als kriminell angesehenen Unrechts ergangen ist oder ob die Disziplinierung aus politischen und gesellschaftlichen Gründen im Vordergrund stand” (…). „Ein Indiz kann etwa die überraschend und extensive Interpretation dieses weitgefaßten und unbestimmten Tatbestandes darstellen.
Dies ist nach den Tatsachenfeststellungen des angegriffenen Urteils der Fall.”
Das Kammergericht hat mithin die getroffene Rehabilitierungsentscheidung auf die in dem Beschluß im einzelnen dargelegten Umstände des zu entscheidenden Einzelfalles gestützt, die aber bei dem vom vorlegenden Gericht zu beurteilenden Sachverhalt, zumal er eine auf § 3Abs. 2 AufhBeschrV gestütze Anordnung betrifft, nicht in gleicher Weise vorliegen. Demgemäß vermag die nur in der Beurteilung der Rechtsstaatswidrigkeit der angewendeten Verordnung bestehende Divergenz entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit des Rechtsproblems (vgl. BGHSt 29, 252, 254; Hannich aaO § 121 GVG Rdn. 34 m. w. N.) eine Vorlegungspflicht nicht zu begründen. Die Beurteilung, ob nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles eine auf § 3 AufhBeschrV gestützte Anordnung mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Grundordnung unvereinbar ist (§ 1 Abs. 1 StrRehaG), ist Tatfrage, die der Klärung im Wege eines Vorlegungsverfahrens nicht zugänglich ist (vgl. BGH VIZ 1995, 417, 418).
b) Auch der Entscheidung des Kammergerichts vom 12. November 1993, in der das Kammergericht auf seinen Beschluß vom 30. September 1993 Bezug genommen hat, läßt sich eine der vom Oberlandesgericht Naumburg beabsichtigten Entscheidung entgegenstehende Rechtsauffassung nicht entnehmen. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren, das ebenfalls eine Anordnung nach § 3 Abs. 1 AufhBeschrV betraf, war dem Kammergericht nämlich eine Einzelfallprüfung verwehrt, weil weder die Verfahrensakten noch eine Urteilsabschrift aufgefunden werden konnten. Das Kammergericht hat die Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG allein darauf gestützt, daß eine – nach seiner Auffassung – im Sinne dieser Vorschrift rechtsstaatswidrige Norm angewendet worden ist. Dem liegt ersichtlich die Rechtsauffassung zugrunde, die Anwendung einer solchen Norm begründe die Vermutung, daß eine darauf gestützte Verurteilung rechtsstaatswidrig im Sinne des § 1 Abs. 1 StrRehaG sei, die jedoch erst dann für die zu treffende Entscheidung Bedeutung erlange, wenn die tatsächlichen Grundlagen für die – sonst gebotene – Einzelfallprüfung fehlen (vgl. KG VIZ 1993, 366 [WStVO-DDR]; 1994, 150 [Handelsschutz VO-DDR], 149 [SpekulationsVO-DDR]).
Ob der Katalog der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 a-i StrRehaG genannten Regelbeispiele, die eine „Vermutung” für rechtsstaatswidrige Verfolgung begründen, abschließend ist (so OLG Jena und OLG Rostock VIZ 1994, 436) oder ob, was fraglich ist (BGH wistra 1994, 195, 196), über den Gesetzeswortlaut hinaus die Annahme weiterer solcher „Vermutungen” zulässig ist, kann der Senat auch hier offenlassen. Die beim Fehlen entsprechender Beweismittel bestehende Divergenz ist nicht entscheidungserheblich, da hier die für eine Einzelfallprüfung erforderlichen Unterlagen vorliegen.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen
Haufe-Index 512759 |
VIZ 2002, 180 |
NJ 2001, 211 |