Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung von § 354 Abs. 1 a StPO.
Normenkette
StPO § 354 Abs. 1a
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 05.03.2004) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird
- die Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des Betrugs beschränkt,
- das Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. März 2004 im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des Betrugs schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 500 Euro verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren.
1. Der Senat hat die Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Vorwurf des Betrugs beschränkt und den Schuldspruch entsprechend geändert. Hinsichtlich der verbleibenden Verurteilung wegen Betrugs hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen zur Aufhebung des Urteils führenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Der Strafausspruch kann ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Er beruht zwar auf der (weggefallenen) Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zur Untreue. Das Landgericht hat ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, daß er „mit der Beihilfe zur Untreue einen weiteren Straftatbestand erfüllt hat”. Angesichts dessen kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die Strafkammer, auch wenn die verhängte Strafe äußerst milde ist, auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs auf eine noch geringere Strafe erkannt hätte.
a) Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es gleichwohl nicht, weil die verhängte Rechtsfolge – auch nach Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Beihilfe zur Untreue – im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO (eingeführt durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 BGBl I 2198, 2300) angemessen ist.
§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO erlaubt – nach seinem Wortlaut – das Absehen von der Aufhebung des angefochtenen Urteils lediglich „wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen”. Das könnte dafür sprechen, daß nach dieser Vorschrift nur verfahren werden kann, wenn ein Rechtsfehler ausschließlich bei der Zumessung der Strafe aufgetreten ist, die Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hingegen keinen Rechtsfehler ergeben hat und dieser unverändert bestehen bleibt.
Eine derartige Auslegung ist allerdings vom Wortlaut der Vorschrift nicht geboten. Sie würde zudem ihren Anwendungsbereich den Intentionen des Gesetzes zuwider beschränken. Mit der Wendung „wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen” will das Gesetz erreichen, daß das Revisionsgericht abschließend in der Sache entscheiden kann, wenn eine Gesetzesverletzung nur zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führen würde. Erklärtes Ziel der gesetzlichen Neuregelung ist es, zum Zwecke der Ressourcenschonung und der Verfahrensbeschleunigung Zurückverweisungen an die Vorinstanz wegen Rechtsfehlern bei der Zumessung der Rechtsfolge nicht nur in den Fällen zu vermeiden, in denen das Revisionsgericht ausschließen kann, daß die konkret verhängte Strafe auf dem vom Tatrichter bei der Strafzumessung begangenen Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Vielmehr soll das Urteil auch dann rechtskräftig werden, wenn das Revisionsgericht die verhängte Strafe trotz des Rechtsfehlers bei ihrer Zumessung im Ergebnis für angemessen erachtet, selbst wenn nicht festgestellt werden kann, daß der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 21 f.).
Das Gesetz hat also – ergänzend zu dem nach wie vor möglichen Blick auf die hypothetische Entscheidung des Tatrichters – die Angemessenheit der Rechtsfolge zum Maßstab gemacht und insofern dem Revisionsgericht die Befugnis zu eigener Bewertung eingeräumt. Daß die dadurch bezweckte Ausweitung des Kreises der revisionsrechtlich im Ergebnis unbeachtlichen Rechtsfehler nur beschränkt wirksam werden sollte, läßt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Insbesondere ergibt sich aus ihnen nicht, daß bei Rechtsfehlern, die zu einer Änderung des (in der geänderten Fassung rechtskräftig werdenden) Schuldspruchs führen, die Revision zwar nach Maßgabe der Beruhensprüfung verworfen werden kann, für eine eigene Bewertung der Angemessenheit durch das Revisionsgericht aber generell kein Raum sein soll.
Ein solches Ergebnis wäre auch sinnwidrig. Es liegt auf der Hand, daß das Gewicht eines Umstands, den der Tatrichter dem Angeklagten rechtsfehlerhaft strafschärfend anlastet – objektiv und in der tatrichterlichen Bewertung – nicht notwendig davon abhängt, ob er zugleich den Schuldspruch berührt und dessen Änderung erforderlich macht. Im Gegenteil: Die Berücksichtigung etwa einer einschlägigen Vorstrafe, die dem Angeklagten nicht hätte strafschärfend vorgeworfen werden dürfen, weil das Urteil erst nach der nunmehr abzuurteilenden Tat gesprochen worden ist, hat erkennbar größeres Gewicht für die Strafzumessung als die einer Bagatelltat, die der Tatrichter als tateinheitlich mit einem schweren Delikt begangen ausgeurteilt hat und das Revisionsgericht aus dem Schuldspruch herausnimmt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Bejahung der Angemessenheit der Rechtsfolge durch das Revisionsgericht entsprechend der gesetzgeberischen Zielsetzung nur im ersten Fall die Zurückverweisung entbehrlich machen soll, im zweiten Fall hingegen nicht. Eine solche Differenzierung leuchtet unabhängig davon nicht ein, ob das Revisionsgericht sich zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs veranlaßt sieht, weil die Feststellungen die Verurteilung wegen des Delikts nicht tragen und keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, oder ob es die Verfolgung – wie hier – nach § 154 a Abs. 2 StPO beschränkt und den Schuldspruch nur deswegen entsprechend ändert.
Gegen diese Auslegung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO kann nicht überzeugend eingewendet werden, daß sie die – nach wie vor – in erster Linie dem Tatrichter anvertraute Aufgabe der Rechtsfolgenbestimmung, insbesondere der Strafzumessung, in unvertretbarem Umfang auf das Revisionsgericht überträgt. Denn zum einen wird sich bei einer gravierenden Änderung des Schuldspruchs die verhängte Rechtsfolge in aller Regel nicht mehr als angemessen darstellen. Zum anderen ist das Revisionsgericht aber auch nicht zwingend gehalten, von der Aufhebung des Strafausspruchs abzusehen, wenn es die verhängte Rechtsfolge ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs für angemessen hält. Die Entscheidung ist vielmehr ausdrücklich in das Ermessen des Revisionsgerichts gestellt. Ob es von der Möglichkeit, nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO zu verfahren, Gebrauch macht, wird vom Umfang und der Erheblichkeit der Abänderung des Schuldspruches abhängen. Jedenfalls in Fällen, in denen die abgeurteilte Straftat als Folge der Schuldspruchänderung ein anderes Gepräge erfährt, wird sich – mit Blick auf den Vorrang der tatrichterlichen Entscheidung – die Aufhebung des Strafausspruchs regelmäßig auch dann empfehlen, wenn das Revisionsgericht die Strafe im Ergebnis für angemessen erachtet.
b) Der Senat hält die vom Landgericht hier ausgesprochene Strafe – in der nach seiner Auslegung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO für erforderlich gehaltenen Einstimmigkeit – im Sinne dieser Vorschrift für angemessen.
aa) Daß die Bejahung der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge und das Absehen von der Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO in den Fällen einer Entscheidung im Beschlußverfahren Einstimmigkeit voraussetzt, ergibt sich aus dem Umstand, daß es sich inhaltlich um eine Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO handelt (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 22). Welches Quorum für eine Entscheidung aufgrund einer Hauptverhandlung gilt (§ 196 Abs. 1 GVG oder – naheliegender Weise – § 263 Abs. 1 StPO), braucht hier nicht entschieden zu werden.
Eines speziellen Antrags der Staatsanwaltschaft, nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO zu verfahren, bedarf es nicht. Das folgt im Umkehrschluß aus § 354 Abs. 1 letzter Halbsatz und § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO.
bb) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO angesehen werden kann – was bei einer Angeklagtenrevision im Hinblick auf § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO auch dann der Fall ist, wenn der Tatrichter eine unverständlich milde Strafe verhängt hat – hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen.
Hier erweist sich die vom Landgericht festgesetzte Geldstrafe von 240 Tagessätzen – nach Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Beihilfe zur Untreue – schon deswegen als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO, weil sie als Sanktion für einen Betrug mit einem Schaden von weit über drei Millionen Deutsche Mark, zumal mit Blick auf die Intensität der Beteiligung des Angeklagten, auch unter Berücksichtigung sämtlicher zu seinen Gunsten zu bedenkenden und vom Landgericht tatsächlich bedachten Umstände außergewöhnlich, wenn nicht unvertretbar milde erscheint. Das gilt auch angesichts der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, die das Landgericht im übrigen mit einer angenommenen Dauer von sechs Jahren überhöht in Ansatz gebracht haben dürfte und entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2003, 2897; vgl. auch BGHSt 46, 160) kompensiert hat.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2556781 |
BGHSt 2005, 371 |
BGHSt |
NJW 2005, 913 |
EBE/BGH 2005, 4 |
NStZ 2005, 284 |
NStZ 2005, 461 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2005, 449 |
wistra 2005, 185 |
StV 2005, 75 |