Verfahrensgang
LG Dessau (Urteil vom 01.07.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 1. Juli 2004 mit den Feststellungen aufgehoben
- in den Aussprüchen über die im Fall III. 2 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe,
- soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (Fall III. 1), Nötigung (Fall III. 2) sowie wegen Bedrohung (Fall III. 3) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sein Rechtsmittel hat zum Rechtsfolgenausspruch in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Der Ausspruch über die im Fall III. 2 verhängte Einzelstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe hat keinen Bestand, weil das Landgericht gegen das Verschlechterungsverbot (§§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 StPO) verstoßen hat.
Wegen der den Fällen III. 1 und 2 zugrundeliegenden Sachverhalte war zunächst Anklage zum Amtsgericht Zerbst erhoben worden. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten wegen beider Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, wobei es für die Nötigung (Fall III. 2) eine Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe festsetzte. Die Entscheidung des Amtsgerichts wurde durch Urteil des Berufungsgerichts gemäß § 328 Abs. 2 StPO aufgehoben und die Sache wurde an die erstinstanzlich zuständige große Strafkammer des Landgerichts Dessau verwiesen, weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus für gegeben erachtete.
Da sich nur der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Zerbst gewandt hatte, mußte das Landgericht bei Bemessung der Strafe für die Taten, die bereits Gegenstand des amtsgerichtlichen Urteils waren, das – im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigende (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 358 Rdn. 23) – Verschlechterungsverbot beachten. Es durfte deshalb für den Vorwurf der Nötigung keine höhere Strafe als sechs Monate Freiheitsstrafe verhängen.
Der Rechtsfehler hat die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall III. 2 und der Gesamtstrafe zur Folge.
2. Auch der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr., BGHSt 34, 22, 27). Dies ist nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
a) Der vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige hat ausgeführt, beim Angeklagten liege eine „kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und narzißtischen Zügen” vor, die bereits seit seinem Jugendalter bestehe, mit der sich der Angeklagte aber „arrangiert” habe. Erst die Mitteilung seiner Ehefrau – der Geschädigten –, daß sie sich vom Angeklagten trennen und scheiden lassen wolle, habe beim Angeklagten eine „psychische Krise” und eine Belastungsreaktion ausgelöst. Infolge des Zusammenspiels der Persönlichkeitsstörung und der „abnormen Erlebnisreaktion” sei eine Destabilisierung seines seelischen Gefüges eingetreten. Hierdurch sei die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten zum Nachteil seiner Ehefrau derart eingeengt gewesen, daß seine Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB vermindert gewesen sei. Die „narzißtische Krise” des Angeklagten dauere weiterhin fort; sie habe sich im Laufe des Strafverfahrens allerdings dahin „verschoben”, daß sich der Angeklagte als Opfer einer gegen ihn laufenden Verschwörung sehe und nunmehr auch gegenüber Prozeßbeteiligten aggressiv reagiere. Das Landgericht hat sich diesen Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen (UA 19 ff., 24 f.).
b) Die bisherige Begründung des Landgerichts belegt bereits nicht, daß beim Angeklagten bei Begehung der Taten eine schwere andere seelische Abartigkeit bestanden hat.
Die Diagnose „Persönlichkeitsstörung” läßt, was die Strafkammer an sich nicht verkannt hat, für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des Täters nicht zu. Es bedarf vielmehr einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 35). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens, das für gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (BGHSt 49, 45, 52 f. = BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 39).
Diesen an die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu stellenden Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
Das Landgericht hätte sich nicht darauf beschränken dürfen, die Schwere der Persönlichkeitsstörung allein mit Auffälligkeiten des Angeklagten zu begründen, die im Rahmen seiner Beziehung zu seiner Ehefrau nach Kenntniserlangung von deren Scheidungsabsicht auftraten. Zur Beurteilung des Schweregrads der Störung sind diese Verhaltensauffälligkeiten, die nach den Feststellungen unter anderem auf übertriebene Kränkbarkeit und „Groll” des Angeklagten zurückzuführen sind (UA 20), nur eingeschränkt geeignet, da sie für sich genommen auch Verhaltensweisen sein können, die sich als unmittelbare Reaktion auf die vom Angeklagten erlebte akute Belastungssituation noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen, ohne daß hierdurch die Schuldfähigkeit „erheblich” im Sinne des § 21 StGB berührt wird. Zur Würdigung des Gewichts dieser Auffälligkeiten hätte es deshalb im besonderen Maße der Feststellung der Auswirkungen der „abnormen Erlebnisreaktion” auf das Leben des Angeklagten insgesamt bedurft. Solche Feststellungen enthält das Urteil nicht. Soweit die Strafkammer bei der Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsstörung darauf abstellt, diese habe sich beim Angeklagten bereits im Jugendalter manifestiert, ist diese Feststellung ebenfalls nicht mit Tatsachen belegt.
c) Die Feststellungen ergeben darüber hinaus den für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen länger andauernden Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit nicht (vgl. BGHSt 34, 22, 27; 42, 385 f.).
Die beim Angeklagten diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstörung hat die Strafkammer für sich allein nicht als ausreichend erachtet, eine verminderte Schuldfähigkeit zu begründen, vielmehr hat sie ihr diese Bedeutung erst „im Zusammenspiel” mit einer „abnormen Erlebnisreaktion” nach Mitteilung der Scheidungsabsicht durch seine Ehefrau beigemessen.
Diese Begründung läßt besorgen, daß die Strafkammer eine auf die Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition des Angeklagten, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, als ausreichend für eine Unterbringung erachtet hat. Eine solche Disposition vermag jedoch einen für die Unterbringung nach § 63 StGB dauernden Zustand nicht zu begründen (vgl. BGH NStZ 2002, 142; BGHR StGB § 63 Zustand 27). Daß sich, wie die Strafkammer meint, die „abnorme Erlebnisreaktion” auf der Grundlage der vorhandenen Persönlichkeitsstörung zu einem dauerhaften Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB entwickelt und zu einer dauerhaften „seelischen Destabilisierung” des Angeklagten geführt hat, wird durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt. Vielmehr sprechen diese eher dafür, daß der Angeklagte erst dann in den von der Strafkammer angenommenen Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gerät, wenn er ganz konkreten Belastungssituationen ausgesetzt ist. So beging er die erste Tat anläßlich eines Streits mit seiner Ehefrau in der sich zuspitzenden Trennungssituation, die zweite Tat alsbald nach der Trennung und die dritte Tat anläßlich der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Zerbst in dem gegen ihn geführten Strafverfahren. Auch dem Umstand, daß der Angeklagte an einen in diesem Strafverfahren tätigen Richter einen Brief mit beleidigendem Inhalt schrieb, kann in diesem Zusammenhang nach den bisherigen Feststellungen nicht die von der Strafkammer angenommene maßgebliche Bedeutung beigemessen werden, zumal es sich um einen einmaligen Vorfall von geringer krimineller Intensität handelte. Weitere Anhaltspunkte, die einen dauerhaften Zustand des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB belegen könnten, ergeben die Urteilsgründe nicht.
Rechtlich bedenklich ist schließlich auch die von der Strafkammer zur Begründung ihrer Auffassung angestellte Erwägung, die nach wie vor vorhandene „Intensität und Dynamik” der abnormen Erlebnisreaktion zeige sich auch in dem „völligen Fehlen von Einsicht oder Reue” und dem „Leugnen jeglichen strafbaren Verhaltens” des Angeklagten (UA 21). Dies läßt besorgen, daß die Strafkammer aus dem Aussageverhalten des Angeklagten, der die Taten bestritten hat, in unzulässiger Weise nachteilige Schlüsse gezogen hat (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 24).
d) Der Maßregelausspruch kann daher nicht bestehen bleiben. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sich möglicherweise noch Feststellungen treffen lassen, die die Maßregelanordnung tragen können.
3. Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, daß beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Der
Schuldspruch kann deshalb bestehen bleiben. Dies gilt in den Fällen III. 1 und 3 auch für den Strafausspruch, da durch die Annahme des § 21 StGB der Angeklagte bei der Strafzumessung nicht beschwert ist.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2556969 |
NStZ-RR 2006, 261 |