Leitsatz (amtlich)
Ein Betreuer ist nur dann geeignet i.S.d. § 1897 Abs. 1 BGB, wenn er - neben der fachlichen Qualifikation - auch in persönlicher Hinsicht zur Führung der Betreuung geeignet ist.
Normenkette
BGB § 1897 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Gera (Beschluss vom 30.03.2020; Aktenzeichen 5 T 79/19) |
AG Gera (Beschluss vom 11.09.2018; Aktenzeichen 7 XVII 299/10) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Gera vom 30.3.2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beteiligte zu 1) wendet sich gegen seine Entlassung als Betreuer.
Rz. 2
Für den Betroffenen wurde im Februar 2011 eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen eingerichtet und der Beteiligte zu 1) zum Berufsbetreuer bestellt.
Rz. 3
Im Jahr 2017 wurde bekannt, dass der Beteiligte zu 1) mit zwei von ihm betreuten Frauen im Zeitraum von 2008 bis 2010 sexuelle Kontakte unterhalten hatte. Ein gegen den Beteiligten zu 1) eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB wurde wegen eingetretener Verjährung nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Rz. 4
Mit Beschluss vom 11.9.2018 hat das AG die bestehende Betreuung verlängert, den Beteiligten zu 1) als Betreuer entlassen und den Beteiligten zu 3) zum neuen Berufsbetreuer bestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat das LG zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 1), weiterhin zum Betreuer bestellt zu werden.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 6
1. Das LG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Rz. 7
Die Betreuerauswahl erfolge im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung nach den in § 1897 BGB aufgeführten Grundsätzen. Da der Betroffene erklärt habe, ihm sei es egal, wer ihn betreue, liege kein verbindlicher Vorschlag zur Person des Betreuers nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB vor. Es sei daher eine natürliche Person zum Betreuer zu bestellen, die geeignet sei, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betroffenen ordnungsgemäß zu erfüllen. Auf dieser rechtlichen Grundlage sei im vorliegenden Fall ein Betreuerwechsel vorzunehmen und ein anderer Berufsbetreuer zu bestellen.
Rz. 8
Zwar sprächen für die weitere Bestellung des Beteiligten zu 1) Kontinuitätsgesichtspunkte, die beanstandungsfreie Führung der Betreuung in der Vergangenheit sowie die Tatsache, dass der Betroffene offensichtlich keine Probleme mit seinem Betreuer gehabt habe. Der Beteiligte zu 1) sei jedoch charakterlich nicht geeignet, Betreuungen zu führen. Dies ergebe sich daraus, dass er als Berufsbetreuer im Zeitraum von 2008 bis 2010 mit zwei von ihm betreuten Frauen mehrfach sexuelle Handlungen durchgeführt habe oder an sich habe durchführen lassen. Damit habe er die Vertrauensbeziehung zu zwei seiner Klientinnen über einen längeren Zeitraum und mehrfach auch zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder Interessen genutzt und damit keine professionelle Distanz eingehalten. Obwohl diese sexuellen Handlungen mittlerweile zehn bis zwölf Jahre zurücklägen, führten sie weiterhin zur persönlichen Ungeeignetheit des Beteiligten zu 1) für das Amt des Betreuers. Denn in seinem anschließenden Verhalten sei nicht erkennbar, dass er sich mit seinem damaligen Verhalten kritisch auseinandergesetzt habe oder gar einsehe, dass er mit seinem sexuellen Verhalten gegen seine Pflichten als Betreuer verstoßen habe. Der Beteiligte zu 1) habe kein einziges Mal eingeräumt, dass er mit diesen sexuellen Kontakten selbst einen Fehler gemacht haben könnte oder erklärt, dass er dieses Verhalten bereue. Seine allein auf sich bezogene Sichtweise zeige eine fehlende Fähigkeit zur Selbstreflektion und Selbstkritik, die grundlegende Voraussetzung für die Prognose wäre, er habe aus seinen Fehlern gelernt und werde diese nicht wiederholen. Die Entlassung des Beteiligten zu 1) als Betreuer sei auch verhältnismäßig, da ihm die durch sein Amt verliehenen Befugnisse eine erhebliche Machtposition gegenüber den von ihm betreuten Personen vermittele, die in der Praxis durch das aufsichtführende AG nur in engen Grenzen überprüft werden könne. Die charakterliche Unzuverlässigkeit des Beteiligten zu 1) führe auch nicht nur bei von ihm betreuten Frauen zu einer Gefährdung, sondern könne sich in vielerlei Hinsicht auswirken, zumal sexuelle Handlungen nicht auf heterosexuelle Verhältnisse beschränkt seien. Die Auswechslung des Beteiligten zu 1) komme keinem faktischen Berufsverbot gleich. Zum einen verblieben dem Beteiligten zu 1) rund die Hälfte der Betreuungen beim AG G., da nur einer der beiden Betreuungsrichter die sexuellen Handlungen des Beteiligten zu 1) zum Anlass nehme, diesen in laufenden Betreuungsverfahren auszuwechseln. Zum anderen wäre ein Berufsverbot aus den genannten Gründen auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Entlassung des Beteiligten zu 1) in diesem Betreuungsverfahren bedeute nicht, dass er nicht an einem anderen Ort durch andere AG zum Betreuer bestellt werde oder dass sein Ausschluss im Zuständigkeitsbereich des LG G. ohne Rücksicht auf seine mögliche Entwicklung unbefristet wäre.
Rz. 9
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 10
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass sich der Maßstab für die Betreuerauswahl nicht nur bei der Erstentscheidung, sondern auch bei einer Verlängerung der Betreuung aus § 1897 BGB ergibt. Dies folgt aus dem Rechtscharakter der Verlängerungsentscheidung als erneute vollständige Einheitsentscheidung über die Betreuung und auch daraus, dass nach § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers die Verfahrensvorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend gelten (BGH, Beschl. v. 18.10.2018 - , FamRZ 2018, 55 Rz. 8 m.w.N.). Bei der Verlängerungsentscheidung handelt es sich um die erneute Anordnung einer Betreuung einschließlich der Entscheidung über die Person des Betreuers. Die bisherige Betreuung und damit die Bestellung des bisherigen Betreuers enden mit der Wirksamkeit der Verlängerungsentscheidung und werden durch die in dieser getroffenen Anordnungen abgelöst (BGH, Beschl. v. 25.3.2015 - XII ZB 621/14 FamRZ 2015, 1178 Rz. 22 m.w.N.).
Rz. 11
b) Soweit das Beschwerdegericht den Beteiligten zu 1) jedoch für die Führung der Betreuung als persönlich ungeeignet hält, ist die Entscheidung nicht frei von Rechtsfehlern.
Rz. 12
aa) Nach § 1897 Abs. 1 BGB ist zum Betreuer eine natürliche Person zu bestellen, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betroffenen rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen.
Rz. 13
Die Beurteilung, ob eine bestimmte Person als Betreuer eines konkreten Betroffenen geeignet ist, erfordert die Prognose, ob der potentielle Betreuer voraussichtlich die sich aus der Betreuungsführung und den damit verbundenen Pflichten i.S.d. § 1901 BGB ergebenden Anforderungen erfüllen kann. Diese Prognose muss sich jeweils auf die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben beziehen und zu der Einschätzung führen, dass die als Betreuer in Aussicht genommene Person das Amt zum Wohl des Betroffenen (§ 1901 Abs. 2 BGB) führen wird (BGH v. 8.11.2017 - XII ZB 90/17, FamRZ 2018, 206 Rz. 12; v. 30.9.2015 - XII ZB 53/15 FamRZ 2015, 2165 Rz. 16). Für diese Prognoseentscheidung muss sich das Gericht naturgemäß auf Erkenntnisse stützen, die in der - näheren oder auch weiter zurückliegenden - Vergangenheit wurzeln. Soweit es um die Eignung der vorgeschlagenen Person geht, müssen diese Erkenntnisse einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis begründen können (BGH, Beschl. v. 20.3.2019 - XII ZB 334/18 FamRZ 2019, 1004 Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 14
Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer kann gem. § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt (BGH, Beschl. v. 20.3.2019 - XII ZB 334/18 FamRZ 2019, 1004 Rz. 11 m.w.N.). Hingegen sind Angemessenheit und Zweckmäßigkeit der Auswahl der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich entzogen.
Rz. 15
bb) Auch mit diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die landgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Nachprüfung aber nicht stand.
Rz. 16
(1) Zwar hat das Beschwerdegericht den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung i.S.v. § 1897 Abs. 1 BGB nicht verkannt.
Rz. 17
Wie im Wortlaut der Vorschrift ("rechtlich zu besorgen", "persönlich zu betreuen") schon anklingt, enthält der Begriff der Eignung eines Betreuers eine sachliche/fachliche und eine persönliche Komponente. Während die sachliche Eignung in Bezug auf die konkreten Aufgaben, die im Rahmen des gerichtlich festgelegten Aufgabenkreises anfallen können, vorliegen muss, betrifft die persönliche Eignung alle Aufgabenbereiche. Maßgebend für die Eignungsprüfung ist es, ob der Betreuer zur Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen und zu der dafür erforderlichen persönlichen Betreuung in der Lage ist. Wie die persönliche Eignung betrifft auch eine persönliche Unzuverlässigkeit alle Aufgabenbereiche. Denn die in einem Lebensbereich sichtbare Unzuverlässigkeit eines Betreuers begründet Zweifel auch für alle anderen Angelegenheiten. Mithin ist zu unterscheiden, ob der Mangel an Eignung in sachlicher oder in persönlicher Hinsicht besteht (BGH, Beschl. v. 20.3.2019 - XII ZB 334/18 FamRZ 2019, 1004 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 18
Dieses Verständnis des Begriffs der Eignung i.S.v. § 1897 Abs. 1 BGB hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt und rechtlich zutreffend zwischen der sachlichen und der persönlichen Eignung des Beteiligten zu 1) zur (Fort-)Führung der Betreuung differenziert. Die sachliche bzw. fachliche Eignung des Beteiligten zu 1) wurde vom Beschwerdegericht nicht angezweifelt. Vielmehr hat es hierzu ausgeführt, die Führung der Betreuung sei ohne Beanstandungen verlaufen. Das Beschwerdegericht hat den Beteiligten zu 1) jedoch aus persönlichen Gründen für ungeeignet gehalten, das Betreueramt auszuüben.
Rz. 19
(2) Die Erwägungen des LG zur Betreuerauswahl sind jedoch deshalb rechtsfehlerhaft, weil es für die Auswahlentscheidung relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet hat.
Rz. 20
Zum einen hat das Beschwerdegericht dem Umstand, dass die sexuellen Beziehungen des Beteiligten zu 1) zu den beiden von ihm betreuten Frauen bereits mehr als zehn Jahre zurückliegen und zwischenzeitlich keine weiteren vergleichbaren Vorfälle bekannt geworden sind, keine ausreichende Bedeutung zugemessen, obwohl es im Weiteren festgestellt hat, dass der Beteiligte zu 1) die ihm übertragenen Betreuungen in fachlich nicht zu beanstandender Weise geführt hat und sich in der Zeit bis zur Beschwerdeentscheidung keinerlei Erkenntnisse für ein erneutes persönliches Fehlverhalten des Beteiligten zu 1) ergeben haben. Zum anderen hat das Beschwerdegericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass im vorliegenden Fall in Frage steht, ob der Beteiligte zu 1) als Betreuer eines männlichen Betroffenen geeignet ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte zu 1) in der Vergangenheit bei der Betreuung männlicher Personen seine Stellung als Betreuer zu seinem Vorteil ausgenutzt hat, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Soweit es in diesem Zusammenhang ausführt, die charakterliche Unzuverlässigkeit des Beteiligten zu 1) führe nicht nur bei von ihm betreuten Frauen zu einer Gefährdung, sondern könne sich in vielerlei Hinsicht auswirken, zumal sexuelle Handlungen nicht auf heterosexuelle Verhältnisse beschränkt seien, beschreibt das Beschwerdegericht lediglich eine abstrakte Gefahr, die ohne entsprechende tragfähige Feststellungen nicht zur Grundlage der Beurteilung gemacht werden kann, der Beteiligte zu 1) sei auch zukünftig für die Führung von Betreuungen männlicher Personen charakterlich ungeeignet.
Rz. 21
Gegenüber diesen Umständen wiegt die fehlende Einsicht des Beteiligten zu 1) in sein früheres Fehlverhalten, auf die das Beschwerdegericht seine Auswahlentscheidung im Wesentlichen stützt, nicht so schwer, dass der Beteiligte zu 1) auch zukünftig als ungeeignet zur Führung von Betreuungen männlicher Betreuter angesehen werden kann.
Rz. 22
3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gem. § 74 Abs. 4 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Rz. 23
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen