Verfahrensgang
LG Meiningen (Urteil vom 01.11.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 1. November 2011, soweit es ihn betrifft, aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB unterblieben ist.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten B. wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes und des schweren Raubes jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.
3. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 1. November 2011, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist,
- im Einzelstrafausspruch in den Fällen II. 4. und 5.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten W. wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie des Computerbetrugs in drei Fällen schuldig ist.
5. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen schweren Raubes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung zweier Strafen aus einem Strafbefehl bzw. einem Urteil des Amtsgerichts Meiningen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten W. hat es wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Computerbetruges in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Rz. 2
1. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten B. hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
a) Im Fall II. 7. muss die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der rechtlichen Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (BGH NStZ 2010, 101). Der Schuldspruch ist deshalb dahingehend neu zu fassen, dass der Angeklagte B. in diesem Fall des besonders schweren Raubes schuldig ist. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Eine entsprechende Schuldspruchänderung im Fall II. 1. kommt nicht in Betracht, da der Angeklagte die Revision insoweit wirksam auf den Strafausspruch beschränkt hat.
Rz. 4
b) Das Urteil hat keinen Bestand, soweit es bei dem Angeklagten B. keine Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzuges eines Teils der Freiheitsstrafe vor dem Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt getroffen hat. § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB bestimmt, dass ein Teil der Maßregel vor der Strafe vollzogen werden soll, wenn – wie hier – die Unterbringung nach § 64 StGB neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren angeordnet wird; dabei ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Zwar ist ein Abweichen von der Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB aus einzelfallbezogenen Gründen möglich (vgl. Fischer StGB 59. Aufl. § 67 Rn. 12 mN). Das Landgericht hat es hier jedoch ohne Begründung bei der in § 67 Abs. 1 StGB vorgesehenen Reihenfolge belassen, wonach die Maßregel grundsätzlich vor der Freiheitsstrafe zu vollziehen ist. Dies war rechtsfehlerhaft. Die Entscheidung über den Vorwegvollzug ist unter sachverständiger Beratung zur möglichen Dauer einer erfolgreichen Therapie nachzuholen.
Rz. 5
2. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten W. hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 6
a) Im Fall II. 7. muss die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der rechtlichen Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen. Der Schuldspruch ist deshalb dahingehend neu zu fassen, dass der Angeklagte W. des besonders schweren Raubes schuldig ist. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 7
b) In den Fällen II. 4. und 5. ergibt sich aus den Feststellungen, dass der Angeklagte jeweils in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang in einem weiteren Fall mit derselben Karte an demselben Bankautomaten Geldbeträge abgehoben hat. In diesen Fällen ist deshalb eine natürliche Handlungseinheit mit den kurz zuvor vorgenommenen Abhebungen anzunehmen (BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 4 StR 112/10 mwN). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend auf drei Fälle des Computerbetruges geändert und die Einzelstrafen in den Fällen II. 4. und 5. aufgehoben. Der Gesamtstrafenausspruch kann bestehen bleiben; das Landgericht hat zu Lasten des Angeklagten nicht die Zahl der abgeurteilten Fälle, sondern den erheblichen Gesamtschaden für den finanziell schlecht gestellten Geschädigten gewertet (UA 18). Es kann bei unverändert bleibendem Schuldumfang daher ausgeschlossen werden, dass das Landgericht auf eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
Rz. 8
c) Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Prüfung des Hangs einen falschen rechtlichen Maßstab angewendet. Es hat darauf abgestellt, dass der Angeklagte W. Rauschmittel nicht in einem solchen Umfang zu sich nimmt, „dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird”; eine „Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ohne Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung” reiche für eine Anwendung des § 64 StGB nicht aus (UA 18 f.).
Rz. 9
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt jedoch weder eine „Depravation”, noch eine „erhebliche Persönlichkeitsstörung” (vgl. BGH NStZ 2007, 697; Senat, Beschlüsse vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07 und vom 9. November 2011 – 2 StR 427/11). Ausreichend und erforderlich ist vielmehr eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH NStZ-RR 2010, 216). Diese Voraussetzungen lagen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist – nach den Urteilsfeststellungen zumindest nahe. Nach den Feststellungen begann der 27 Jahre alte Angeklagte bereits im Alter von 13 Jahren Alkohol zu trinken. Mit 14 Jahren konsumierte er erstmals Haschisch und steigerte seinen Konsum so weit, dass er ab dem 15./16. Lebensjahr auch chemische Drogen konsumierte. Ein berufsvorbereitendes Jahr brach er wegen Drogenkonsums ab und nahm auch in der Folgezeit keine Berufsausbildung mehr auf. Bis zu seiner Inhaftierung in vorliegender Sache nahm er zwei bis drei Gramm Amphetamin täglich sowie ca. ein halbes Gramm Crystal-Speed auf zwei Tage verteilt zu sich.
Rz. 10
Offen bleibt nach den Feststellungen, ob es sich um eine Symptomtat gehandelt hat und ob eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB besteht.
Rz. 11
Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
Der Senat schließt aus, dass die Gesamtfreiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht zugleich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte.
Unterschriften
Fischer, Appl, Schmitt, Krehl, Eschelbach
Fundstellen