Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachtragsverteilung. freigegebene Gegenstände. Veräußerungserlös für einen freigegebenen Gegenstand. Verkauf der freigegebenen Eigentumswohnung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Der Nachtragsverteilung unterliegen keine Gegenstände, die der Insolvenzverwalter freigegeben hat. Ebenso wenig unterliegt der Veräußerungserlös für einen freigegebenen Gegenstand, der nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verkauft worden ist, der Nachtragsverteilung.
Normenkette
InsO §§ 35, 203 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Ulm (Beschluss vom 13.01.2014; Aktenzeichen 2 T 50/13) |
AG Ulm (Beschluss vom 30.10.2013; Aktenzeichen 3 IK 216/08) |
Tenor
Der Antrag des Treuhänders auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Ulm vom 13.1.2014 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Rz. 1
Auf Eigenantrag des Schuldners wurde am 9.6.2008 über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Der bestellte Treuhänder gab eine vom Schuldner bewohnte, nach Ansicht des Treuhänders und des Grundpfandgläubigers wertausschöpfend belastete Eigentumswohnung frei. Am 10.2.2012 kündigte das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung an. Am 7.3.2012 erfolgte die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Im Juli 2013 teilte der Schuldner dem Treuhänder mit, dass der Grundpfandgläubiger die Eigentumswohnung mit einem Übererlös i.H.v. 8.318,59 EUR habe zwangsversteigern lassen. Der Übererlös sei an ihn ausbezahlt worden.
Rz. 2
Der Treuhänder hat beantragt, nach § 203 InsO die Nachtragsverteilung anzuordnen. Diesem Antrag hat das Insolvenzgericht entsprochen. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht die Anordnung der Nachtragsverteilung aufgehoben und den Antrag des Treuhänders abgewiesen. Zugleich hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Treuhänder möchte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses erreichen und hat innerhalb der laufenden Rechtsbeschwerdefrist beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde zu bewilligen.
II.
Rz. 3
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen nicht vor.
Rz. 4
1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 116 Abs. 1 Satz 2, 114 Satz 1 ZPO).
Rz. 5
a) Die Meinung des Beschwerdegerichts, der Nachtragsverteilung unterlägen keine Gegenstände, die der Insolvenzverwalter oder Treuhänder wirksam freigegeben habe, ist richtig. Sie entspricht der ganz einhelligen und zutreffenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (OLG Koblenz, BeckRs 2012, 15870; LG Dortmund, ZInsO 2010, 1615, 1616; LG Kleve, Beschl. v. 17.7.2013 - 4 T 121/13, Rz. 4; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, § 203 Rz. 9; MünchKomm/InsO/Hintzen, 3. Aufl., § 203 Rz. 12; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 203 Rz. 8; Nerlich/Römermann/Westphal, InsO, 2013, §§ 203, 204 Rz. 8; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 203 Rz. 4, 11; Wagner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 203 Rz. 8a; Poertzgen/Riewe in Pape/Uhländer, InsO, § 203 Rz. 9; Schmidt/Jungmann, InsO, 18. Aufl., § 203 Rz. 8).
Rz. 6
Gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO wird die Nachtragsverteilung auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen angeordnet, wenn nachträglich Gegenstände der Masse ermittelt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04, NZI 2006, 180 Rz. 6; v. 6.12.2007 - IX ZB 229/06, NZI 2008, 177 Rz. 6). Sie ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren zulässig (BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04, NZI 2006, 180 Rz. 4; v. 2.12.2010 - IX ZB 184/09, NJW 2011, 1448 Rz. 5). Ein vom Insolvenzverwalter oder Treuhänder freigegebener Gegenstand ist jedoch kein Gegenstand der Masse. Er ist durch die wirksame Freigabeerklärung aus der Insolvenzmasse ausgeschieden und in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners überführt (BGH, Urt. v. 21.4.2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 37; v. 7.12.2006 - IX ZR 161/04, NZI 2007, 173 Rz. 20; v. 1.2.2007 - IX ZR 178/05, NZI 2007, 407 Rz. 18). Ebenso kann der Verwertungserlös für den freigegebenen Gegenstand aus einer Veräußerung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht als ein Gegenstand der Masse i.S.v. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO angesehen werden. Da das Insolvenzverfahren aufgehoben ist, fällt Neuerwerb nicht mehr gem. § 35 Abs. 1 InsO in die Masse.
Rz. 7
Zwar hat der BGH die hier maßgebliche Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich entschieden. Dennoch ist dem Treuhänder Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BGH hat ein Rechtsschutzbegehren in aller Regel dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Prozesskostenhilfe muss hingegen nicht bewilligt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder durch die in der Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als schwierig "erscheint" (vgl. BVerfG NJW 1991, 413, 414; BGH, Beschl. v. 10.12.1997 - IV ZR 238/97, NJW 1998, 1154; v. 11.9.2002 - VIII ZR 235/02, NJW-RR 2003, 130 f.; v. 16.12.2010 - IX ZA 30/10, NZI 2011, 104 Rz. 5). Vorliegend ergibt sich die Beantwortung der Rechtsfrage im Zusammenspiel mit der zitierten Rechtsprechung des Senats unmittelbar aus dem Gesetz. Die Frage ist auch, wie ausgeführt, in Rechtsprechung und Literatur nicht streitig.
Rz. 8
b) Dass der Treuhänder die Eigentumswohnung wirksam freigegeben hat, ist nicht im Streit.
Rz. 9
Der Treuhänder hat gegenüber dem Schuldner erklärt, die fragliche Eigentumswohnung werde mit sofortiger Wirkung aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben. Sämtliche Lasten, die durch dieses Wohnungseigentum begründet würden, seien damit persönliche Verbindlichkeiten des Schuldners und könnten gegenüber der Insolvenzmasse nicht geltend gemacht werden. Dagegen könne die Insolvenzmasse keine Ansprüche an den Nutzen des freigegebenen Eigentums erheben. Damit hat der Treuhänder den Willen dauernden Verzichts auf die Massezugehörigkeit der Eigentumswohnung bekundet (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2006 - IX ZR 161/04, NZI 2007, 173 Rz. 20).
Rz. 10
Die Freigabe der Eigentumswohnung war nicht insolvenzzweckwidrig. Zum Zeitpunkt der Freigabeerklärung gingen die Verfahrensbeteiligten davon aus, dass die Immobilie wertausschöpfend belastet war. Der Treuhänder wollte die Masse vor dem Wohngeld schonen. Mithin lief die Freigabe nicht offensichtlich dem Insolvenzzweck, eine gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzgläubiger herbeizuführen, zuwider (vgl. BGH, Urt. v. 25.4.2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 360 f.; v. 10.1.2013 - IX ZR 172/11, NZI 2013, 347 Rz. 9; v. 18.4.2013 - IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 Rz. 14; v. 11.7.2013 - IX ZR 286/12, NZI 2013, 801 Rz. 19).
Rz. 11
Der Treuhänder konnte seine Freigabeerklärung, nachdem er seinen Irrtum erkannt hatte, weder widerrufen (RGZ 60, 107, 109; BGH, Urt. v. 7.12.2006, a.a.O.) noch anfechten, weil er insoweit allenfalls einem unbeachtlichen Motivirrtum unterlegen ist, so dass die Frage, ob die Freigabeerklärung überhaupt anfechtbar ist, hier nicht beantwortet werden muss (vgl. MünchKomm/InsO/Peters, a.a.O., § 35 Rz. 100; Gottwald/Eickmann, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl., § 65 Rz. 53; Höpfner, ZIP 2000, 1517, 1520).
Rz. 12
2. Der Treuhänder hat außerdem die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht dargetan. Es fehlt an jedem Vortrag, ob es Insolvenzgläubigern als wirtschaftlich Beteiligten zuzumuten ist, die Vorschüsse auf die zu erwartenden Prozesskosten aufzubringen.
Fundstellen
Haufe-Index 6755803 |
BB 2014, 1281 |
DB 2014, 7 |