Normenkette
StPO § 243 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Entscheidung vom 23.09.2021; Aktenzeichen 2 KLs 315 Js 30404/20) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 23. September 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zwölf vollendeter und zweier versuchter Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf eine Verfahrensrüge hin zur Aufhebung des Urteils.
Rz. 2
Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht eine Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO.
Rz. 3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 4
Vor Beginn des neunten Hauptverhandlungstages fand zwischen den Mitgliedern der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger ein Erörterungsgespräch statt, das die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO zum Gegenstand hatte. Der Verteidiger stellte ein „qualifiziertes“ Geständnis für den Fall einer Verständigung auf eine Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten bis zu zwei Jahren und acht Monaten in Aussicht. Die Staatsanwaltschaft lehnte es angesichts der weitgehend abgeschlossenen Beweisaufnahme zunächst ab, einer Verständigung näherzutreten. Einer Anregung des Vorsitzenden folgend nannte sie im Falle eines Geständnisses ihre Strafvorstellung, die von sechs Jahren und drei Monaten bis zu sechs Jahren und sechs Monaten reichte. Nach einer fünfzehnminütigen Unterbrechung unterbreitete der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten einen Verständigungsvorschlag: Für den Fall eines „substantiellen“ Geständnisses könne sich die Strafkammer eine Strafuntergrenze von vier Jahren und eine Strafobergrenze von vier Jahren und drei Monaten vorstellen. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung wollten hierzu unmittelbar Stellung nehmen. Hierüber fertigte der Vorsitzende einen Vermerk.
Rz. 5
Anschließend wurde der inhaftierte Angeklagte vorgeführt und die Hauptverhandlung mit der Vernehmung eines Zeugen fortgesetzt. Nach einer gut zwanzigminütigen Unterbrechung teilte der Verteidiger mit, dass „seitens der Verteidigung“ keine Bereitschaft zu einer Verständigung bestehe, da der Angeklagte sich nunmehr zur Sache einlassen wolle. Sodann legte dieser ein Geständnis ab. Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.
Rz. 6
Im Fortsetzungstermin am nächsten Tag machte der Angeklagte weitere Angaben zur Sache. Am Ende des Sitzungstages verlas der Vorsitzende den auf den Vortag datierten Vermerk über das an jenem Tag geführte Verständigungsgespräch; zuvor fand es in der Hauptverhandlung keine Erwähnung. Nach der Verlesung des Vermerks wurde die Beweisaufnahme geschlossen.
Rz. 7
2. Es liegt danach ein durchgreifender Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vor, weil die Mitteilung verspätet war.
Rz. 8
a) Zwar enthält das Gesetz keine feste zeitliche Vorgabe für die gebotene Mitteilung (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2022 - 5 StR 365/21). In aller Regel ist aber mit Blick auf die vom Gesetz bezweckte Transparenz des Verständigungsverfahrens eine umgehende Information des Angeklagten nach dem Verständigungsgespräch geboten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2015 - 1 StR 393/14, NStZ 2015, 353; vom 11. Juni 2015 - 1 StR 590/14, NStZ-RR 2015, 379; vom 10. Dezember 2015 - 3 StR 163/15; vom 6. Februar 2018 - 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419, 420; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 243 Rn. 56; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 243 Rn. 64; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 243 Rn. 18f.). Dem ist der Vorsitzende nicht gerecht geworden, weil er trotz mehrerer Unterbrechungen der Hauptverhandlung erst am Ende des zehnten Hauptverhandlungstages nach Abschluss der an zwei Verhandlungstagen abgegebenen geständigen Einlassung des Angeklagten und kurz vor Schluss der Beweisaufnahme mitgeteilt hat, dass bereits vor dem neunten Hauptverhandlungstag ein Verständigungsgespräch stattgefunden hatte. Angesichts der Ankündigung seiner geständigen Einlassung hätte spätestens vor deren Beginn Anlass bestanden, den Angeklagten über das Verständigungsgespräch zu informieren, damit dieser sein Prozessverhalten darauf einstellen kann. Umstände, die es ausnahmsweise hätten rechtfertigen können, die Mitteilung zurückzustellen, sind nicht ersichtlich (vgl. hierzu KK-StPO/Schneider aaO).
Rz. 9
b) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei einer Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs vor seiner angekündigten Einlassung sein Prozessverhalten anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. KK-StPO/Schneider aaO Rn. 110; MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 96). Dass der Angeklagte vor der Abgabe der Einlassung von seinem Verteidiger vollständig über den Inhalt des Verständigungsgesprächs unterrichtet worden war und auch von seiner Seite - nicht lediglich „seitens der Verteidigung“ - keine Verständigungsbereitschaft bestand (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 - 5 StR 157/21), ergibt sich aus dem Revisionsvorbringen nicht. Zu einem Vortrag, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er vor seiner geständigen Einlassung von seinem Verteidiger über den Inhalt des Verständigungsgesprächs informiert worden war, war der Beschwerdeführer nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht verpflichtet (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2019 - 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87).
Cirener |
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Gericke |
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Köhler |
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Resch |
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Werner |
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Fundstellen
Haufe-Index 15472844 |
NStZ 2022, 761 |
wistra 2022, 2 |
wistra 2023, 131 |
NStZ-RR 2023, 98 |
StRR 2022, 2 |
StRR 2022, 22 |
StV 2022, 778 |