Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 17.07.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 17. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
Das Landgericht stützt die Verurteilung des die Taten im Kern bestreitenden Angeklagten „zum überwiegenden Teil” (UA 22) auf die als glaubhaft gewertenden Angaben der Geschädigten Frau B., obwohl diese „in Bezug auf einen wesentlichen Teil des Anklagevorwurfs” (UA 27) zu den Geschehnissen teilweise widersprüchliche Angaben gemacht hat und dabei auch frühere Angaben hat korrigieren müssen. Das Landgericht hat daraus den zutreffenden Schluß gezogen, „die Aussage der Zeugin (biete) durchaus Anhaltspunkte, die jedenfalls für sich genommen geeignet erscheinen, Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Frau B. zu erwecken” (UA 22). Dies hinderte den Tatrichter allerdings noch nicht, sich gleichwohl von der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zum festgestellten Kerngeschehen zu überzeugen. Doch ist die Aussage nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann, wenn letztlich „Aussage gegen Aussage” steht, einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Das gilt namentlich, wenn der im wesentlichen einzige Belastungszeuge – wie hier – in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Es bedarf dann im Rahmen einer Gesamtschau einer lückenlosen Würdigung seiner Aussage samt aller Umstände und Indizien, die für ihre Bewertung von Bedeutung sein und das gefundene Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHSt 44, 153, 158; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; BGH, Beschluß vom 18. Dezember 2001 – 4 StR 497/01). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Das Landgericht hat seiner Beweiswürdigung zur Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin B. schon im Ansatz einen rechtsfehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt. Es hält nämlich Frau B. deshalb für „glaubwürdig”, weil ihre Bekundungen „hinsichtlich der tatrelevanten Umstände nicht widerlegt worden sind, sondern zur Überzeugung der Kammer lediglich ernsthafte Zweifel vorliegen, mithin sogar von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit auszugehen ist und daß auch zur Überzeugung der Kammer eine vorsätzliche Falschbekundung nicht gegeben ist” (UA 28). Damit hat die Strafkammer gegen den für den Schuldnachweis tragenden Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo” verstoßen. Denn wie die Revision zu Recht einwendet, hat das Landgericht, indem es sich trotz „ernsthafter Zweifel” für die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage der Zeugin entschieden hat, im Ergebnis dem Angeklagten den Nachweis seiner Unschuld aufgebürdet („Umkehr der Beweislast”). Zugleich erweist sich die Erwägung als Zirkelschluß, weil das Landgericht damit letztlich die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin mit ihrer eigenen Aussage begründet, anstatt – wie es geboten wäre – für deren Richtigkeit auf Indizien abzustellen, die außerhalb der Aussage selbst liegen (vgl. BGHSt 44, 256, 257; BGH StV 1998, 580, 581). Dies stellt einen Verstoß gegen die Denkgesetze dar (vgl. BGH StV 1996, 366, 367; Senatsbeschluß vom 21. November 2000 – 4 StR 489/00; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 47 m.w.N.). Es handelt sich hierbei auch nicht etwa um eine bloß mißverständliche, und deshalb unschädliche Formulierung. Dies zeigt sich etwa bei der Beweiswürdigung zur Tat vom 3. Februar 2002. In jenem Fall ist das Landgericht der Tatversion der Frau B., der Angeklagte habe ihr das Ellenbogengelenk durch „Überstrecken” gebrochen, mit der Erwägung gefolgt, „ein Hebeln – einen kurz zuvor zugezogenen Haarbruch ≪richtig wohl: Haarriß≫ unterstellt – (sei) in etwa gleich wahrscheinlich, wie ein Stürzen”, obwohl der rechtsmedizinische Sachverständige dargelegt hatte, der Bruch könne auch durch einen Sturz in der Badewanne, wie ihn der Angeklagte geschildert hatte, herrühren. Bei dieser Sachlage durfte das Landgericht nicht darauf abstellen, daß „die Bekundungen der Zeugin keinesfalls widerlegt sind” (UA 34). Im übrigen hat das Landgericht übersehen, daß gegen den festgestellten Tathergang spricht, daß der sachverständige Zeuge Dr. Sch. ein „Überstrecken” als Ursache des Ellenbogengelenkbruchs eher ausgeschlossen hat (UA 33).
Das Urteil läßt auch im übrigen die gebotene erschöpfende Beweiswürdigung zur Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin B. vermissen. Dies betrifft insbesondere ihre wechselnden Angaben zum Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten. Während sie noch bei ihrer ersten Vernehmung angegeben hatte, es sei regelmäßig zum Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen gekommen, nachdem der Angeklagte sie geschlagen habe, hat sie dem Angeklagten nur noch im Zusammenhang mit den Taten vom 21. und 29./30. Januar 2002 angelastet, sie dabei vergewaltigt zu haben, ihre früheren Angaben seien „mißverständlich” (UA 26). Insoweit vermochte das Landgericht sich von diesem Anklagevorwurf nicht zu überzeugen, „wenngleich die Kammer davon überzeugt ist, daß keine bewußte Falschbelastung durch ≪die≫ Zeugin vorliegt” (UA 26). Schon der Ausschluß einer bewußten Falschbelastung stellt sich als bloße Vermutung zu Lasten des Angeklagten dar, zumal das Landgericht in anderem Zusammenhang ausdrücklich festgestellt hat, die Zeugin habe die Kammer „angelogen” (UA 23). Den gleichen Bedenken ist ausgesetzt, soweit das Landgericht für „jedenfalls nicht ausgeschlossen” gehalten hat (UA 26), daß sich Frau B. infolge ihrer Befragung durch die Vernehmungspersonen selbst eingeredet habe, vergewaltigt worden zu sein. Ebenso wenig durfte das Landgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin B. die Widersprüche ohne nähere Substantiierung „durch ein nicht untypisches verringertes Erinnerungsvermögen infolge von Furcht und Schrecken” (UA 22) bzw. – konkret im Zusammenhang mit dem Treppensturz am 13. Januar 2002 – mit dem „vergangenen Zeitraum und (der) Vielzahl der Ereignisse” (UA 25) erklären; vielmehr hätte es insoweit der Darlegung tragfähiger Anhaltspunkte bedurft, die eine bewußte falsche Darstellung durch die Zeugin ausschließen (vgl. BGH, Beschluß vom 4. September 2002 – 2 StR 307/02).
Schließlich sind – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. November 2002 zu Ziff. 1. näher ausgeführt hat – auch die Feststellungen zur im Zeitraum vom 15. bis 20. Januar 2002 begangenen Freiheitsberaubung widersprüchlich. Diese Widersprüche entziehen aber nicht nur dem Schuldspruch in diesem Fall eine tragfähige Grundlage. Vielmehr legen die Urteilsgründe einen Zusammenhang zwischen den Widersprüchen und der Aussage der Zeugin B. nahe. Deshalb ist auch insoweit deren Glaubwürdigkeit berührt, die das Urteil insgesamt betrifft. Aus diesem Grunde sieht der Senat davon ab, dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend das Verfahren insoweit gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen, weil dem neuen Tatrichter eine umfassende Grundlage für die Beweiswürdigung erhalten bleiben muß (vgl. zur Einstellung gemäß § 154 StPO im Zusammenhang mit der Würdigung der Aussage eines Belastungszeugen BGH StV 1998, 580, 582; 2001, 552; BGH, Beschluß vom 24. Oktober 2002 – 1 StR 314/02).
Die aufgezeigten Bedenken gegen die Würdigung der Aussage der Zeugin B. berühren deren Glaubhaftigkeit allgemein. Bei dieser Sachlage bedarf der Anklagevorwurf, der sich in allen Fällen in erster Linie auf die Angaben der Zeugin B. stützt, insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung. Abgesehen davon könnte die Verurteilung im Fall der Tat vom 14. Januar 2002 auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil – wie die Revision ebenfalls zu Recht rügt – die dazu getroffenen Feststellungen schon für sich genommen den Tatvorwurf der Freiheitsberaubung nicht belegen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß auch die Frage der Schuldfähigkeit eingehenderer Prüfung als im angefochtenen Urteil bedarf, zumal das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei bei sämtlichen Taten alkoholisiert gewesen. Soweit das Landgericht meint, das Verhalten sei „keinesfalls auf einen Kontrollverlust zurückzuführen”, hätte es zumindest der Mitteilung bedurft, was Frau B. zur Alkoholisierung und deren Auswirkungen beim Angeklagten ausgesagt hat. In diesem Zusammenhang kann auch die als glaubhaft gewertete Aussage des ehemaligen Arbeitgebers des Angeklagten Bedeutung erlangen, der Angeklagte habe „Alkohol nicht getrunken, sondern ‚gesoffen’” (UA 30). Daß die Sachverständige „keine tatsächliche Alkoholabhängigkeit” beim Angeklagten festzustellen vermocht hat (UA 41), schließt die Annahme alkoholbedingter erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) zu den Tatzeiten nicht aus.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2565532 |
StV 2003, 542 |
StraFo 2003, 131 |