Leitsatz (amtlich)
›1. Angriffs- oder Verteidigungsmittel dürfen nicht durch Teilurteil als verspätet zurückgewiesen werden (Bestätigung des Senatsurteils vom 26. Juni 1980 - VII ZR 143/79 = BGHZ 77, 306).
2. Gemeinkosten zählen zu den nach §§ 79 Abs. 1 Satz 1, 108 des Gesetzes über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft vom 25. März 1982 ersatzfähigen Aufwendungen.
3. Auf § 6 Abs. 4 der Fünften Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz vom 25. März 1982 gestützte Vertragsstrafenforderungen sind seit dem 1. Juli 1990 gemäß § 4 Nr. 3 Satz 1 des Gesetzes über die Änderung oder Aufhebung von Gesetzen der DDR vom 28. Juni 1990 nicht mehr gerichtlich durchsetzbar.
4. In Kapitalgesellschaften umgewandelte frühere volkseigene Betriebe der DDR sind berechtigt, auch für vor dem 1. Juli 1990 begründete Forderungen aus beiderseitigen Handelsgeschäften ab 1. Juli 1990 gemäß §§ 353, 352 HGB 5 % Fälligkeitszinsen zu verlangen, soweit ihnen kein anderweitiger höherer Zinsanspruch zusteht (Bestätigung von BGH, Urteil vom 14. Oktober 1992 - VIII ZR 100/91 = WM 1992, 2151, 2155). Ein solcher höherer Zinsanspruch kann sich für Aufwendungsersatzforderungen nach § 79 des Gesetzes über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft vom 25. März 1982 aus § 86 Abs. 4 des Zivilgesetzbuchs der DDR ergeben.‹
Gründe
1. Die Revision hat im Endergebnis keine Aussicht auf Erfolg (§ 554 b Abs. 1 ZPO; BVerfG, Beschluß vom 11. Juni 1980 - 1 PBvU 1/79 = BVerfGE 54, 277 = NJW 1981, 39).
Soweit das Berufungsgericht einen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nach § 79 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft - Vertragsgesetz - vom 25. März 1982 (GBl. DDR I S. 293 (VertragsG)) dem Grunde nach bejaht hat, läßt dies keine Rechtsfehler erkennen.
Soweit das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten in Höhe eines Teilbetrags zurückgewiesen hat, hält dies der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Allerdings hat das Berufungsgericht die Vorschrift des § 528 Abs. 2 ZPO rechtsfehlerhaft angewandt. Nach der Rechtsprechung des Senats dürfen Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht durch Teilurteil als verspätet zurückgewiesen werden (Senat, Urteil vom 26. Juni 1980 - VII ZR 143/79 = BGHZ 77, 306, 308; Senat, Urteil vom 12. Februar 1981 - VII ZR 112/80 = NJW 1981, 1217).
Das Berufungsurteil stellt sich jedoch insoweit aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO), weil die Beklagte die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen im ersten Rechtszug zugestanden hat (§ 288 ZPO). Dies ergibt sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, der den Beweis für ein solches Geständnis der Beklagten liefert (§ 314 Satz 1 ZPO). Dieser Beweis wird durch das Sitzungsprotokoll vom 29. Mai 1991 nicht entkräftet. Das im ersten Rechtszug abgelegte Geständnis behielt seine Wirksamkeit auch für die Berufungsinstanz (§ 532 ZPO); die Voraussetzungen für einen Widerruf des Geständnisses (§ 290 ZPO) hat die Beklagte nicht dargetan.
2. Der Senat weist darauf hin, daß die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Ersatzfähigkeit von Gemeinkosten nach den §§ 79, 108 VertragsG sowie zu den maßgeblichen Zinsvorschriften für das weitere Verfahren nicht verbindlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1959 - III ZR 150/58 = VersR 1960, 248, 251; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1953 - III ZR 182/52 = BGHZ 10, 361, 362). Diese Ausführungen geben überdies zu Bedenken Anlaß.
a) Gemeinkosten zählen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zu den nach den §§ 79, 108 VertragsG ersatzfähigen Aufwendungen.
aa) Unter Aufwendungen im Sinne des § 79 Abs. 1 i.V.m. § 108 VertragsG wurden die Kosten verstanden, die dem Partner infolge der Änderung oder Aufhebung des Vertrags entstehen oder die er in Vorbereitung der Erfüllung des Vertrags aufgewendet hat und infolge der Änderung oder Aufhebung nicht realisieren kann (Grundsätzliche Feststellung des Vorsitzenden des Staatlichen Vertragsgerichts Nr. 4/1986 über die Änderung und Aufhebung von Leistungsverträgen vom 10. September 1986 (GF 4/1986) (veröffentlicht in: Verfügungen und Mitteilungen des Staatlichen Vertragsgerichts (VuM/StVG) 1987 Nr. 1) Nr. 3.1.2 Satz 1; Kommentar zum Vertragsgesetz vom 25. März 1982, Autorenkollektiv Enzmann u.a., 2. Aufl. 1989 § 79 Anm. 1). Diesem Verständnis folgt auch der Senat.
bb) Zu den danach ersatzfähigen Kosten zählen auch Gemeinkosten. Die mit § 79 VertragsG im wesentlichen übereinstimmende Vorläufervorschrift des § 23 des Gesetzes über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft vom 25. Februar 1965 (GBl. DDR I S. 109) wurde einhellig dahin ausgelegt, daß unter die ersatzfähigen Aufwendungen auch Gemeinkosten fallen, die nicht unmittelbar bei ›der Durchführung des technologischen Prozesses‹ entstehen (vgl. Zentrales Vertragsgericht (ZVG), Abteilung Grundsatzfragen, in: Vertragssystem (VS) 3/1966, 142; Kommentar zum Vertragsgesetz vom 25. Februar 1965, Autorenkollektiv Panzer u.a., 2. Aufl. 1977 § 23 Anm. 2.2; Jänkel, WR 3/1978, Beilage S. III). Gemeinkosten sind z.B. die Kosten, die mit der Leitung, Planung, Kontrolle, Abrechnung und Betreuung des Produktionsprozesses zusammenhängen, aber auch Aufwendungen beim Verbrauch von Energie-, Brenn- und Treibstoffen, soweit diese nicht über das Produkt verrechnet werden können (vgl. ZVG aaO.; Kommentar zum Vertragsgesetz vom 25. Februar 1965 aaO.; Jänkel aaO.). Diese Grundsätze gelten auch im Anwendungsbereich des Vertragsgesetzes vom 25. März 1982 (vgl. Kommentar zum Vertragsgesetz vom 25. März 1982 aaO. § 108 Anm. 2.2; im Ergebnis ebenso Horn, EWiR 1992, 97, 98).
b) Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den maßgeblichen Zinsvorschriften erwecken Bedenken.
aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß die Bestimmung des § 6 Abs. 4 der Fünften Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz - Vertragsstrafen - vom 25. März 1982 (GBl. DDR I S. 342) eine Vertragsstrafenregelung darstellt und daß auf diese Vorschrift gestützte Zinsforderungen seit dem 1. Juli 1990 nicht mehr gerichtlich durchsetzbar sind. Mit der Aufhebung des Vertragsgesetzes durch § 4 Nr. 1 des Gesetzes über die Änderung oder Aufhebung von Gesetzen der DDR vom 28. Juni 1990 (GBl. DDR I S. 483 (GAufhÄndG)) und mit der Aufhebung aller fünf Durchführungsverordnungen zum Vertragsgesetz durch § 4 Nr. 2 GAufhÄndG zum 1. Juli 1990 sind seit diesem Zeitpunkt alle auf diese aufgehobenen Vorschriften gestützten Vertragsstrafenforderungen gemäß § 4 Nr. 3 Satz 1 GAufhÄndG nicht mehr gerichtlich durchsetzbar (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1992 - XII ZR 113/91 = DtZ 1992, 329 = ZIP 1992, 1272, 1273).
bb) Zutreffend ist im Ausgangspunkt auch der Rückgriff des Berufungsgerichts auf die Vorschrift des § 86 Abs. 3 und Abs. 4 des Zivilgesetzbuchs der DDR vom 19. Juni 1975 (GBl. DDR I S. 465 (ZGB)). Obwohl im Vertragsgesetz eine Bestimmung über die Anwendung der Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts nicht enthalten ist, sind die Vorschriften des ZGB aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung subsidiär anzuwenden, soweit durch das Vertragsgesetz oder andere kooperationsrechtliche Vorschriften eine Regelung nicht erfolgt ist (Kommentar zum Vertragsgesetz vom 25. März 1982 aaO. Vorbemerkung vor §§ 1-5 Anm. 1; GF 2/1983 (veröffentlicht in: VuM/StVG 1983 Nr. 3) Nr. 1.1).
cc) Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, daß auf den geltend gemachten Zinsanspruch die §§ 353, 352 HGB anzuwenden sind, soweit der Klägerin nicht ein anderweitiger höherer Zinsanspruch zusteht.
Zum 1. Juli 1990 wurden durch § 16 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der DDR vom 21. Juni 1990 (GBl. DDR I S. 357 (RVInkrsG; sog. Mantelgesetz)) in der DDR das erste bis vierte Buch des HGB in der im damaligen Bundesgebiet geltenden Fassung mit hier nicht einschlägigen Ausnahmen in Kraft gesetzt. Dies hat zur Folge, daß in Kapitalgesellschaften umgewandelte frühere volkseigene Betriebe der DDR berechtigt sind, auch für vor dem 1. Juli 1990 begründete Forderungen aus beiderseitigen Handelsgeschäften ab 1. Juli 1990 gemäß §§ 353, 352 HGB 5 % Fälligkeitszinsen zu verlangen, soweit ihnen kein anderweitiger höherer Zinsanspruch zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 1992 - VIII ZR 100/91 = WM 1992, 2151, 2155 = EWiR 1992, 1235 m.Anm. Briesemeister).
Nach diesen Grundsätzen sind auf den geltend gemachten Zinsanspruch die §§ 353, 352 HGB anzuwenden. Die Parteien sind als Kapitalgesellschaften Formkaufleute seit 1. Juli 1990 (§ 16 RVInkrsG, § 6 HGB, § 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 4 des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens vom 17. Juni 1990 (GBl. DDR I S. 300 (Treuhandgesetz)); bei der geltend gemachten Aufwendungsersatzforderung handelt es sich um eine Forderung aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft.
3. Der Senat hat den Tenor des Berufungsurteils richtiggestellt, da die vom Berufungsgericht vorgenommene Tenorierung fehlerhaft ist. In der Berufungsinstanz darf ein Grundurteil nicht in der Weise ergehen, daß das Berufungsgericht die Berufung teilweise, d.h. soweit sie sich gegen den Grund des Anspruchs richtet, zurückweist; das Berufungsgericht hat sich vielmehr auf den Ausspruch zu beschränken, daß die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist, da durch ein Grundurteil der geltend gemachte Anspruch weder ganz noch zum Teil ab- oder zuerkannt wird (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1978 - IV ZR 61/77 = VersR 1979, 25). Ein Verstoß gegen den genannten Grundsatz rechtfertigt die Aufhebung des Berufungsurteils indes nicht; das Revisionsgericht ist vielmehr berechtigt, den Tenor richtigzustellen (vgl. BGH aaO.).
4. Der Tenor des Berufungsurteils enthält eine offenbare Unrichtigkeit, soweit die Berufung der Beklagten in Höhe eines Teilbetrags von 283.995,90 DM zurückgewiesen worden ist. Aus den Entscheidungsgründen, die auf die von der Klägerin vorgelegte Aufstellung ›Übersicht über den Kostenanfall nachfolgend genannter Fertigungsaufträge‹ und dort auf die Spalte 3 Bezug nehmen, ergibt sich, daß das Berufungsgericht die Klage in Höhe eines Betrags von 283.999,50 DM für entscheidungsreif erachtet und die Berufung der Beklagten in diesem Umfang zurückgewiesen hat. Der Senat hat die offenbare Unrichtigkeit des Tenors berichtigt (§ 319 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 2993180 |
DB 1993, 930 |
BGHR DDR-GAufhÄndG § 4 Vertragsstrafe 2 |
BGHR DDR-RVInkrsG § 16 Handelsgesetzbuch 2 |
BGHR DDR-VertrG § 79 Abs. 1 Aufwendungsersatz 1 |
BGHR DDR-ZGB § 86 Abs. 4 Vertragsgesetz 1 |
BGHR ZPO § 528 Abs. 2 Verzögerung 9 |
WM 1993, 856 |
ZIP 1993, 622 |
MDR 1993, 1058 |
ZfBR 1993, 129 |